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Stories_ Rokko´s Adventures im EVOLVER #102

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Die Cheerleader der Besten


Wo hat Rokko das erste Mal Country Teasers quengeln, Sleaford Mods fluchen, Amanda Whitt wüten, Steel Pans im Getümmel bei einer West Indian Day Parade gehört? Nicht draußen - und nicht im Wohnzimmer eines Vertrauten, sondern auf WFMU. Dieser Radiosender funktioniert aber im Grunde genauso: als würde man daheim bei einem Haberer sitzen, der einem seine Lieblingsplatten vorspielt.

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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War ich einmal unterwegs mit Budrowsky auf einen schönen Zieher durch Wien, als wir irgendwann bei einer Würschtelbude am Lerchenfelder Gürtel landeten. Dort war eine illustre Runde beinander, und einer von denen, vorbildlich eingeölt, begann zu singen, jaulen, grummeln. Tiefe Stimme, unheimliche Hypnose. Weder Sprache noch deren Melodie konnten auch nur grob eingeordnet werden, wir lauschten und staunten, eine surreale Aufführung, eine völlige Weltneuheit. Plötzlich hat der Gefährte vom Sänger, der nach Schwierigkeiten aussah, das Konzert abgebrochen und so getan, als wäre nichts passiert. Was blieb, war das Funkeln der Sterne und in den Augen.

Nächster Tag: Die Sterne in den Augen sind zu langsam bröckelnden Steinlawinen geworden, man kennt den Vorgang. Mit Kaffee setzt man sich zum Computer, stellt beiläufig, wie in Routine, eine Verbindung zu Radio WFMU her und empfängt die Strahlen. Den Ohren zu trauen war in diesem Fall schwer: Plötzlich höre ich die Stimme von gestern wieder, ein Bild fügt sich zusammen, von dem Typ, der uns beim Würsteldompteur bizarre Chansons ins Hirn gerieben hat. Das Funkeln kommt zurück. Ich schaue auf der WFMU-Website, wer da in tiefster Anwandlung winselt: ein gewisser Arthur Doyle, mit dem Titel "Mama Love Papa Love".

Es gibt also nicht nur einen, der diese Sprachwelt beherrscht, nein, es gibt zwei Menschen auf dieser Erde: die dralle Fledermaus vom Würstelstandl und den Jazzmusikanten Arthur Doyle. WFMU hat die Kraft, solch magische Erkenntnisse in den unmöglichsten Momenten zu verkünden.

 

Von WFMU habe ich mehr gelernt als im gesamten Musikwissenschaftsstudium. Ein Connaisseur geht da nach dem anderen ins Studio, um seine Obsessionen preiszugeben: der eine spielt alte Schellacks mit Handantrieb, die andere Noise-Berserker frisch aus der Hölle, der nächste feinsten Northern Soul, gefolgt von ungehörtem Hillbilly-Wahnsinn, drei Stunden raren Sun-Ra-Singles, einem spontanen Special zu Ehren des gerade erst vor wenigen Stunden verstorbenen Helden Jean-Jacques Perrey, und plötzlich sind Oxbow live im Mini-WFMU-Studio. Man könnte nicht nach mehr fragen.

WFMU-Mitgliedskarten, WFMU-Leiberl oder die schlichte Erwähnung dieses Senders funktionieren weltweit wie der Gruß einer Geheimgesellschaft. Leute, die´s geschafft haben und die WFMU offiziell lieben, sind Granden und Klassiker wie Matt Groening, Robert Crumb, R. Stevie Moore, Lou Reed, Jim Jarmusch und Sonic Youth. Denn welcher andere Sender liefert Hasil Adkins zum Tode eine Sendung mit seinem Sargträger Joe Coleman als Gast? Wer hat ein verstrahltes Gespräch mit Captain Beefheart von 1971 in petto? Für sonstige Interviews bzw. Live-Shows zugegen waren so verschiedene Persönlichkeiten wie Nikki Sudden, Nancy Sinatra, Crispin Glover, Greil Marcus, Radian, The Fugs, Henry Flint, Bo Diddley, Michael Yonkers, Dick Dale, Suicide, Yoko Ono, Khanate ...

Weil die Programmeinheiten so verschieden sind wie die Menschen selbst, ist Ken Freedman - seit 1983 bei WFMU, seit 1985 Programmdirektor - jeder verdächtig, der den Sender nicht mindestens fünf Mal am Tag aus Geschmacksgründen abdrehen muß: eine ehrliche Einordnung, die genug Platz für individuelle Extrawürste bietet. Freedman tut, was nötig ist, um die Kompromißlosigkeit zu halten: Er spielt einen Song bzw. ein Field Recording namens "Mark E Smith eating spicy noodle soup", und als nächstes kommt ein Stück von Pink Floyd, ergänzt mit "Mark E Smith eating a banana in the background". Willkommen bei WFMU!

 

Kein Prominentenbonus

 

Wir sind in New York City. Vom Südzipfel Manhattans aus muß man gen Westen über den Hudson River nach Jersey City fahren: Es ist nicht weit, die Züge fahren regelmäßig über die Bundesstaatsgrenze.

Montgomery Street. Hier also ist WFMU zu Hause: Von außen sieht das Gebäude harmlos aus, man würde nie vermuten, welch sonische Schmiedstätte hier ihre Zentrale hat. Geht man hinein, kommt man in die Monty Hall im Erdgeschoß: WFMUs eigener Konzertclub. In den anderen Stockwerken sind die Radiostudios, die "Music Library", die Büroräume, der technische Firlefanz, Küche, Klo und viele Leute, meist freiwillige Helfer. Das ganze läuft extrem niederschwellig, verläßliche Mitarbeiter werden immer gesucht. Denn was neben den hohen Qualitätsstandards ebenso zu den Kennzeichen von WFMU zählt, sind technische Probleme, Stromausfälle und finanzieller Notstand.

Mit Ken Freedman wurde ein Interviewtermin vereinbart, aber als ich ankomme, erfahre ich, daß er nicht kommen kann und ich stattdessen mit Brian Turner reden soll. Das kommt mir gar nicht unrecht, ist Turner doch der Musikdirektor von WFMU, spielt selbst mit Jowe Head (u. a. Swell Maps) in einer Band und gilt als Koryphäe sämtlicher Randbereiche. Seine Sendungen gehören zu den allerbesten. Wer sonst widmet Bands wie The Fall oder den Melvins drei durchgehende Stunden und lädt die Country Teasers oder Bill Orcutt für eine Live-Studio-Session ein? He´s the man.

Also setzen wir uns in sein Studio. Er hat gerade eine Abner-Jay-Platte in der Hand, die er fürs Archiv beschriftet. Währenddessen Geschichtsunterricht im Zeitraffer: Fast jedes College in den USA hat sein eigenes Radio, und WFMUs Anfänge liegen 1958 am Upsala College, das damals in East Orange, New Jersey stand, ca. 15 Meilen westlich. Danny Fields, u. a. "Entdecker" der Stooges, war zu Anfangszeiten DJ bei WFMU, das seit 1968 als freies Radio gilt und die Technik vom College nutzte. Hippies und Freaks nahmen überhand, und WFMU galt nicht mehr als Vorzeigeradio für die Bildungsstätte. Die Sache wurde chaotisch und ging bergab, erzählt Turner: "Für WFMU wurde es erst 1976 wieder besser, als es in New York zu brodeln begann: No Wave, Jazz, die aufkeimende HipHop-Kultur - all das interagierte und schmolz zusammen. Es war ziemlich offen, du bist auf ein Konzert gegangen; zuerst spielten DNA, dann The Feelies und dann Sun Ra. Die verschiedenen Camps arbeiteten zusammen und informierten sich gegenseitig. Heute passiert das nicht mehr so, aber wir versuchen genau das mit WFMU."

Das Upsala College ging 1994 bankrott, WFMU machte dennoch eine Zeitlang weiter am Campus, der sonst hauptsächlich von Junkies und Obdachlosen genutzt wurde, so Turner: "Die Gebäude fingen zu brennen an und verwilderten. Schießereien gehörten zur Tagesordnung, und wir waren der letzte Posten. Das war ziemlich abgelegen, und unsere DJs wurden regelmäßig überfallen, als sie auf den Bus warteten. Am letzten Tag unseres Spenden-Marathons hat unsere Station zu brennen angefangen, also haben wir gesagt: 'OK, das ist ein guter Grund zu gehen und uns für ein neues Gebäude zu unterstützen!' Und es hat funktioniert. Ein paar DJs von damals sind noch immer dabei: Frank O´Toole, Irwin Chusid ... Ich hab´ 1996 angefangen."

1998 zog WFMU in das Gebäude in Jersey City, wo wir uns gerade befinden. Davor war hier eine Versicherung und so etwas wie eine Eierfabrik. Das Bauwerk, das die Radiomitarbeiter sukzessive reparieren, ist eine ständige Herausforderung: gefährliche Stromzufuhren, feuchtes Mauerwerk, Eichhörnchen und Waschbären in den Wänden, ein sinkendes Gebäudehinterteil. Dennoch versucht WFMU, stets Neues zu generieren, wie erst vor ein paar Jahren Monty Hall als Konzertstätte im eigenen Gebäude: "In gewisser Weise sind wir das, was Maxwell´s in Hoboken war. Todd Abramson hat dort Konzerte organisiert, jetzt macht er viel bei uns. Maxwell´s war ein Club, wo Bands, die in NYC spielten, in der Nähe ein weiteres Konzert geben konnten, ohne in Schwierigkeiten mit dem Promoter zu kommen. Weil uns der Fluß trennt und wir in einem anderen Bundesstaat sind, können wir hier oft intimere Konzerte von größeren Acts machen. Manchmal verkaufen wir auch Bier bei den Shows, aber wir müssen die Lizenz immer einzeln beantragen und bekommen sie ca. zehn Mal im Jahr. Eine ganzjährige würde einen absurden Betrag wie $ 100.000 kosten.”

Jeden Tag überträgt WFMU 24 Stunden live, wozu ca. 60 DJs in Gebrauch sind. Zu ihnen gehörte einige Zeit Michael "The Good Doctor" Anderson aus Sun Ra´s Arkestra, erzählt Turner: "Er hat mit Sun Ra und dem Arkestra im Haus gelebt und war derjenige, der damals alles aufgenommen hat. Ab und zu kommt er noch vorbei. Ich glaube, er wohnt in Newark und verwaltet nach wie vor die Sun-Ra-Archive und -Reissues. Bei mir war auch Marshall Allen für eine Live-Session, mit Danny Thompson und ein paar anderen Leuten. Damals war Marshall schon 90, aber er hat drei Stunden gespielt, vielleicht zehn Minuten Pause gemacht, um einen kleinen Schuß Wodka zu trinken."

Auch "Beastie Boy" Adam Horovitz wollte einmal DJ bei WFMU werden, bis Brian Turner ihm gesagt hat, er muß zuerst ein Jahr unbezahlte Büroarbeit leisten - so die Mär. Turner lacht: "Das ist Quatsch, aber diese Geschichte kommt immer wieder! Eigentlich hab´ ich Adam reingebracht. Er sollte eine Show machen, also hab´ ich gesagt: 'Klingt alles gut, Adam. Zuerst springst du einfach ein, wenn ein DJ ausfällt, und später bewirbst du dich für einen Fixplatz. In der Zwischenzeit kannst du freiwillige Arbeit leisten wie jeder andere auch.' Und plötzlich war er verschwunden, und ich hab´ lange nichts von ihm gehört. Jahre später ist er dann mit Kathleen Hanna zurückgekommen und hat ihr geflüstert: 'Brian hat gesagt, ich muß ein Jahr Kuverts lecken, bevor ich hier irgendwas machen darf.' Das ist einer dieser Mythen. ... Wir haben ein sehr freundliches Klima, erwarten aber, daß die Leute kommen und helfen, wenn sie Zeit haben. Abseits von dieser kleinen Geschichte - Adam ist großartig, er unterstützt uns und interessiert sich nach wie vor für WFMU."

 

Zensurkeulen über dem Amiland

 

Zu den DJs kommen noch ca. 100 Menschen im Hintergrund, die sich um bürokratische Angelegenheiten, das Free Music Archive (FMA), die WFMU-Plattenbörse, die Konzertdurchführungen in der Monty Hall und vieles mehr kümmern. Die DJs arbeiten unentgeltlich, aber ein paar der tragenden Kräfte wie Brian Turner, Ken Freedman und Vizechefin Liz Berg bekommen ihr Gehalt. "Wir sind klein, aber in langsamen Babyschritten schreiten wir voran", sagt Turner. "Ich reise viel zu Festivals und gebe Workshops in Berlin, Amsterdam, Rotterdam, Glasgow ..." Und überall sammelt Turner neue Platten, Interviews und Konzertmitschnitte, die er nur wenig später ins Radio bringt.

Auf WFMU gibt es keine Jingles, keine Nachrichten, keine Werbung, was dem Sender einen angenehm wilden Charakter gibt. Die finanzielle Unterstützung kommt von den Hörern selbst, was die nötige Unabhängigkeit sichert. Ken Freedmans Grundsatz ist, daß Meinungsfreiheit wichtiger ist als Political Correctness, weswegen es auch verschiedene Programme und DJs gibt, die inhaltlich absolut nicht einhellig sind (ein Gedanke, der auch der Idee dieses Hefts zugrunde liegt). Ob es da manchmal zu Querelen kommt? Turner: "Nicht mehr so wirklich, heute ist es viel mehr 'Wir-gegen-die-anderen'; unser kleines Unternehmen hier gegen die gigantische Kommerzialisierung überall sonst. Wir sind froh, daß wir in diesem Klima überhaupt noch existieren."

Kontroversielle Acts werden immer wieder zu WFMU-Studio-Shows eingeladen, etwa Philip Best (Whitehouse, Consumer Electronics) oder die Country Teasers, berüchtigt für ihre zutiefst bösen Texte, die von Sänger Ben Wallers aka The Rebel kommen. Turner jagte die Country-Teasers-Show zweimal über den Äther - einmal zensiert mit Piepsern ohne Ende im regulären Programm, einmal so, wie´s gehört. Das durfte allerdings ausschließlich im "Web only"-Stream geschehen, der täglich von sechs bis neun in der Früh übertragen wird. Der sechsstündige Zeitunterschied ist übrigens ziemlich lustig: Wenn ein DJ in Jersey City um drei in der Früh Musik spielt, um durch die Nacht zu kommen, kann das hier genau die richtige sein, um um neun Uhr morgens die Wirkung des Kaffees zu verstärken - und umgekehrt. "Nicht, daß ich mich von den Country Teasers beleidigt fühlen würde, ganz im Gegenteil!", grinst Turner. "Aber wir wären damit nicht durchgekommen. Wenn das jemand meldet, werden wir wegen 'Obszönität' angezeigt und müssen eine halbe Million Dollar zahlen. So funktioniert das in Amerika, äußerst verspannt. Aber die Country Teasers waren so gut, und The Rebel war mit seinem Album 'Northern Rocks Bear Weird Vegetable' wieder bei mir, davon gibt´s auch eine Live-Aufnahme in den WFMU-Archiven. Ich hoffe, er kommt zurück, Ben Wallers ist großartig. Ich liebe den Kerl und hab´ ihm gerade ein paar Bootlegs von The Fall geschickt."

Apropos The Fall: 2015 hat Turner ein zweiteiliges The-Fall-Special auf WFMU übertragen, inklusive Interviews mit den ehemaligen Bandmitgliedern Marc Riley, Steve Hanley und Brix Smith Start, die zudem Mark E. Smiths Ex-Frau ist. Außerdem spielte die All-Star-Band Spectre Folk (mit Leuten von Sonic Youth, Pavement, Magik Markers, Make-Up ...) ausschließlich The-Fall-Covers, was erneut gezeigt hat, daß The Fall ohne Mark E. Smith eben eins nicht ist: The Fall. Turner hat in den sechs Radiostunden rare Schmankerl sämtlicher Band-Besetzungen gespielt und sich wirklich etwas angetan, ist er doch so etwas wie ein Wissenschaftler dieser launigen Institution und hat gerade die Liner Notes zu den Vinyl-Reissues der ersten sechs The-Fall-Platten geschrieben, die 2016 auf Superior Viaduct Records rausgekommen sind. Daß Turner und Smith deswegen die besten Freunde wären, sollte man trotzdem nicht glauben: "Er hat mir nach dem Special ein ziemlich griesgrämiges E-Mail geschrieben, weil ich das Post-1999-Line-up ignoriert hätte. Naja, ich hab´ mich eben eher auf die früheren Perioden spezialisiert. Er wies mich verärgert darauf hin, daß das derzeitige das längste existierende Line-up von The Fall wäre. Ich hab´ ihm eine nette Nachricht zurückgeschickt: 'Gut, hier hast du eine Liste, wann was von The Fall auf WFMU gespielt worden ist. Wir haben auch die neuen Platten und sind wahrscheinlich die einzige Station in den USA, die das alles importiert. Bei uns bist du so groß wie die Beatles.' Aber das hat ihn sicherlich nur noch mehr verärgert", lacht Turner.

 

Die unendlichen Archive

 

Wir gehen nun mit der Jay-Abner-Platte vom 2. Stock hinunter ins Archiv, um sie sachgerecht einzuordnen. "Die ganzen Tonträger sind jetzt in einem Raum, bis vor kurzem waren Teile davon am Klo, Teile davon in der Küche ..." Die Musiksammlung von WFMU ist auch deswegen so gigantisch, weil Labels, Bands und Musikbegeisterte kontinuierlich Tonträger in allen Formaten hierher schicken. Turner ist derjenige, der sie als Musikchef als erster hört: "Ich horche mich jede Woche durch ca. 100 neue Tonträger und kategorisiere sie grob. Schau, wieviele Kassetten wir allein letzte Woche reinbekommen haben! Also allen, die behaupten, Musik war früher besser, kann ich nur sagen: Ihr liegt falsch. Es passiert soviel wunderbares Zeug, man muß nur die Ohren aufmachen. Hier zum Beispiel: Irgendein Typ in Sibirien macht ein Tape, das seinen Weg zu uns findet, und so etwas habe ich noch nie gehört! Es kommt extrem viel Ungewöhnliches rein. Hier, das ist von dem Typen von Nurse With Wound: Der ist zu einem Eulennest und hat dort die Mäuseknochen gesammelt, die von den Eulen ausgespuckt worden sind. Daraus hat er uns dieses Package gemacht." Gleich daneben findet sich eine riesige Sammlung von CDs von Jandek, dem geheimnisvollen Weirdo aus Texas, der 2009 mit Didi Kern und Eric Arn in Wien aufgetreten ist. Selbst dieser scheue Obskurant vertraut WFMU. "Nach dem Durchhören gebe ich die Tonträger in den Korb für neue Releases, durch den sich alle DJs graben." Anschließend dokumentiert jeder DJ, was er sich ausgeliehen hat, was auch die anderen Radiogestalter sehen: "XY mag das, das könnte mir auch gefallen."

"Nach sechs Wochen nehme ich sie aus der Neuigkeitenbox und ordne sie in unser Archiv ein. Unsere Charts ergeben sich daraus, wer was wie oft spielt." Und daraus ergeben sich wiederum Playlists, die online gestellt werden. Viele Label-Inhaber oder Bands googlen ihre Namen und sehen dann, daß WFMU so gut wie die einzige Radiostation ist, die ihr Zeug respektiert und sogar spielt. "Früher haben wir diese Infolisten per Post verschickt, jetzt geht das online, das macht es viel einfacher."

Die Sleaford Mods etwa wurden auf einmal von so gut wie jedem DJ auf WFMU aufgelegt, und das, obwohl jeder zu 100 Prozent spielen darf bzw. muß, was er will. Qualität setzt sich hier anscheinend durch. "Die Sleaford Mods haben auch ein Studiokonzert bei uns gegeben. Von ihnen können wir leider fast nichts spielen, weil sie so viel herumfluchen. Aber die paar Ausschnitte, die gingen, wurden auf und ab gespielt. Ich wünschte, die Zensur in den USA wäre nicht so engstirnig, aber damit müssen wir wohl leben."

Viele Bands - bestes Beispiel Sleaford Mods - hört man zuerst auf WFMU und ein paar Monate später überall. Zum einen sind die DJs von WFMU Trüffelschweine, die tief graben und die Neuigkeiten von morgen schon gestern gratis präsentieren, zum anderen hat die Station bei Musikschaffenden und Labels einen exzellenten Ruf und sie werden oft als erstes bestückt. "Viele von denen vergessen uns auch nicht, wenn sie groß werden. Als sich z. B. Pavement wieder zusammengetan haben, sind Red Bull und all die großen Unternehmen angestanden - aber wir waren die einzigen, die das Reunion-Konzert übertragen durften. Auch Pitchfork bekam die Erlaubnis nicht. Das ist deswegen, weil diese Bands lang genug WFMU gehört haben und unsere Arbeit schätzen, genau wie mit Sonic Youth. Die kennen ihre Wurzeln und wollen für die nächste Generation einen Spielplatz erhalten, auf dem man sich austoben kann." Turner zuckt mit den Schultern: "Wir versuchen, Cheerleader für all diese Bands zu sein."

 

Häßliche Beatles und echte Katastrophen

 

Aus den Archiven geht es wieder nach oben. Auf dem Weg durch die engen Gänge sieht man lauter schräge - manch einer würde sagen: mißlungene – Porträtbilder von solchen Charmeuren wie GG Allin, Marilyn Monroe, Elvis Presley, Donald Trump und den Beatles. Brian Turner schmunzelt: "Ken Freedman sammelt diese Bilder. Ich hatte Sean Lennon in meiner Show, und er fühlte sich so gedemütigt, als er das Bild seines Vaters sah. Ich meine, sie sind ja wirklich furchterregend."

Solch Empörungen gehören dazu, aber jene Katastrophen, die WFMU heimsuchen, müßten nicht sein. Der Hurricane Sandy (2012) wurde nur um ein Haar nicht zum Untergang des WFMU-Universums, so Turner. "Aus irgendeinem Grund liegen wir um ein paar Zentimeter höher als der Rest in der Gegend, deswegen wurden wir nicht überflutet wie alles andere in Jersey City. Es hat dennoch unsere ganzen Server ausgeschaltet und genug Schaden hinterlassen. Die Station konnte für einige Tage nicht senden, und wer auch immer es schaffte, hierherzukommen, versuchte WFMU wieder hochzukriegen, zumindest für eine gewisse Dauer. Es war wirklich gruselig, der Fluß ist ja nur zwei Blocks entfernt. Für ein paar Wochen fuhren keine Züge von Manhattan, und wir mußten mit der Fähre kommen." Jon Spencer hat anschließend ein Konzert gespielt, um WFMU aus der Patsche zu helfen.

Eine Katastrophe davor: Ob er sich erinnern kann, wer bei 9-11 WFMU-Dienst geschoben hat? "Ja, ich! Also Michael Goodstein war on air, als es gerade passierte, aber dann kam ich und mußte ewig weitermachen, weil niemand mehr hierherkam. Ich hab´ also weiter Radio gemacht, den Leuten gesagt, sie sollen woanders hinschalten, wenn sie zuverlässige Informationen brauchen - die hatten wir einfach nicht. Wir haben zwar dieses Alarmsystem für Notfälle, das mit Regierungsstationen verbunden ist - aber das ist an diesem Tag nicht einmal losgegangen! Wir haben regelmäßige Tests, ob dieser Alarm funktioniert, aber wenn 9-11 kein Grund dafür war, was dann?! Das hätte uns offizielle Informationen geben sollen, aber so kannte sich niemand aus. Dann flogen Kampfflugzeuge ganz tief über die Stadt, alle rannten in Panik herum, manche auch in das WFMU-Gebäude, etwa der Fotograf Bob Gruen. Er war gerade ein paar Wochen zuvor mit Joe Strummer hier gewesen, und jetzt versteckte er sich in unserem Keller, während 9-11 passierte."

Als wir quatschend durchs Gebäude ziehen, begegnen wir Liz Berg. Die stellvertretende Generaldirektorin pendelt, so wie Brian Turner, von Brooklyn nach Jersey City. Liz Berg ist seit 2005 bei WFMU tätig, früher war sie bei ihrem College-Radio, wie sie erzählt. "Ich hätte nie gedacht, daß das ein richtiger Job werden könnte, ich hab´ es aus Spaß gemacht. Aber als ich in nach New York gezogen bin, wollte ich zu WFMU, weil wir die am College schon immer bewundert hatten. Ich half als Freiwillige aus und bin dann reingewachsen. Mittlerweile ist es ein Vollzeitberuf. Ich muß die täglichen Vorgänge organisieren, die Spendenaktionen, die Website updaten, DJs und Freiwilligen helfen, Computerprobleme melden und beseitigen - o, das erinnert mich! Warte einen Moment, ich muß mein Handy holen. Ein Techniker ist grade dabei, die Sendeanlage zu reparieren, und er meldet sich, wenn´s was gibt."

Sogar ein Blitz hat einmal bei WFMU eingeschlagen, und Liz Berg spricht sogar von einem Fluch, der auf dem Sender lastet: Gibt es ein Problem, dann wird es früher oder später bei WFMU eintreten. Um solchen Unregelmäßigkeiten zu begegnen, braucht es natürlich Zaster, und deswegen findet jährlich ein Spenden-Marathon statt. Wir gehen in jenen winzigen Raum, der durch eine schalldichte Scheibe vom Hauptstudio getrennt ist, und Liz Berg sagt. "Das ist eigentlich der Raum, wo die Studio-Sessions mit den Bands stattfinden, aber wir führen hier auch unseren Fundraising-Marathon durch. Wir stellen Tische und einige Telefonapparate auf und campen hier für zwei Wochen. WFMU bedeutet viel Improvisation, es ist oft chaotisch - aber es funktioniert. Alle öffentlichen Radiostationen lagern ihre Telefonservicestellen zu Callcentern aus, aber wir machen das noch selbst!"

Wir streifen weiter durch das Haus, bis Liz Berg stehen bleibt und an die Wand zeigt: "Hier! Das ist das Zertifikat, das unser DJ Glen Jones vom Guinness Buch der Rekorde für die längste durchgehende Live-Radiosendung bekommen hat. Er hat das mehr als 100 Stunden durchgedrückt und einen neuen Rekord aufgestellt, es aber nie ins Buch geschafft, weil ein paar Wochen nach ihm ein Radio-DJ in Skandinavien seinen Rekord gebrochen hat." Brian Turner hakt ein: "O ja, Glen Jones hat das während eines Fundraising-Marathons gemacht, und gerade, als er wirklich am Eingehen war, hat Gene Simmons angerufen. Der hat Glen wieder aufgepäppelt, während er sich selbst lautststark vermarktet und versucht hat, seine 'Kiss Kaskets', also Kiss-Särge, zu verkaufen."

 

Werbung: das einzige Tabu auf WFMU

 

Es gab auch schon einige Kandidaten, die Werbeplätze auf WFMU kaufen wollten, aber das widerstrebt den Grundsatzgedanken des Mediums, das keinerlei kommerziell gerichteten Einflüsse auf den Content zulassen will. Brian Turner grinst: "Little Steven (u. a. in Bruce Springsteens E Street Band) wollte seine eigene Show, aber er wollte lauter Werbung mitbringen. Ich konnte es nicht glauben, aber er sagte: 'Ich bin Little Steven! Ihr wollt mich nicht?!' Ich sagte: 'Naja, wir mögen keine Werbung. Und zuerst mußt du sowieso mal ein Jahr Kuverts ablecken. Oder du: vielleicht zwei' ", schließt er lachend an die Gerüchte an, die WFMUs Arbeitspolitik umfassen.

Wie es um die Abgaben an die "Interessensvertreter" der Musikschaffenden steht? Turner wackelt langsam mit dem Kopf: "Wir haben die jährlichen SoundExchange-Kosten, es ist aber nicht so schlimm, wie sie uns vor ein paar Jahren prophezeit haben. Es gab eine Zeit, da wollten sie, daß wir pro Musiker pro Song pro Zuhörer zahlen. Wir bekamen eine Panikattacke, aber es ist dann nicht so scharf geschossen worden. Es gibt so viele Labels, die sagen, sie wollen unser Geld gar nicht, sie sind froh, wenn sie von uns gespielt werden. Aber wir müssen genau protokollieren, was wir spielen, und ihnen die Playlists schicken. Für viele von den Musikern und Labels ergibt das aber überhaupt keinen Sinn. Wie sollen sie Kontakt zu diesen ganzen schrägen Leuten herstellen, die uns ihre handkopierten Kassetten schicken?! Aber sie machen uns grade keine größeren Schwierigkeiten, also ..."

Doch wegen solcher Querelen wurde von WFMU das "Free Music Archive" gegründet, das qualitativ hochwertige Musik sammelt und archiviert, bei der keine Abgaben fällig sind. Jason Sigal, der Chef dieses WFMU-Seitenstranges, sagt: "SoundExchange - die von sich aus behaupten, die Abgaben im Interesse aller Musiker weltweit zu sammeln - haben eine riesige Liste von 'unbezahlten Musikern', die sie nicht finden können, um ihnen ihren Anteil zu geben. Dazu gehören Gruppen wie Kraftwerk, Afghan Whigs, X-Ray Spex und Ted Nugent. Ich meine, wenn sie solche Musiker nicht aufspüren können, wie sollen sie dann Zeug finden, das wir hier spielen?! Im Grunde müssen wir also Abgaben zahlen, um den Konzern SoundExchange am Leben zu halten, damit die Metallica bezahlen können."

WFMU steht nicht nur für den einen Sender, sondern auch für UbuRadio, Give The Drummer A Radio, Rock´n´Soul Ichiban - und die gesamten Archive: eine jahrelange Musikausbildung, die einfach so frei verfügbar im Internet liegt, kuratiert von den Besten der Besten. Liz Berg fügt hinzu: "Wir sind schon lange Partner mit UbuWeb und haben einen großen Webstream, der sich aus ihren Archiven speist bzw. darum kreist. Und Kenny G hatte seine Show bei WFMU. Die war großartig, selbst wenn er für drei Stunden den Verkehrsfunk gelesen hat." Kenny G aka Kenneth Goldsmith ist der Betreiber von UbuWeb, einer der besten und ebenfalls kostenlosen Datenbanken für Kunst und Avantgarde-Zeug sämtlicher Schattierungen. Aus diesen Überschneidungen paßt es auch, daß WFMU selbst aktionistisch aktiv ist, groteske Maßnahmen zum Geldaufstellen durchführt - etwa einen fliegenden Sessel mit ein paar gasgefüllten Ballons bemannt in die Höhe schickt - und seltsame "pranks" leitet: WFMU trug z. B. der Hörerschaft auf, bei gewissen Ausfahrten gewisser Highways zu bestimmten Mautwächtern zu fahren, denen dann 25 Cent Trinkgeld zu geben und "Happy Hanukah!" zu jubeln. Mindfuck via Radio, dazu sollte es ja eigentlich dienen. Liz Berg lacht: "Das ergibt überhaupt keinen Sinn, und das ist auch das, was WFMU ausmacht."

 

 

PS: Mein nächster Stop nach der Interview-Tour: hungrig und durstig zu Chan´s Dragon Inn in Ridgefield, New Jersey. Am Arsch der Welt, gut versteckt, das beste chinesisch angehauchte Tiki-Bar-Restaurant weit und breit.

 

PPS: Dein nächster Stop: https://wfmu.org/– leicht zugänglich, minimaler Aufwand, maximaler Nutzen. Hören, staunen und mit $$$ unterstützen! Man bekommt auch nette Goodies für den finanziellen Support, also sei anständig.

aus: Rokko´s Adventures #18

Text: Rokko

Fotos: Charlotte Maconochie


Musik_ Klassik-CD-Tips Weihnachten

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Lautes Fest der Stille

Der EVOLVER-Klassikexperte hat sich 2018 sehr schwer getan, aus der Vielzahl der Neuerscheinungen und Wiederauflagen die "Rosinen" herauszupicken. Mit seiner Auswahl können Musikfreunde und Schenkwillige aber nichts falsch machen.

Klarerweise hat jeder Musikhörer seine speziellen Vorlieben. Die einen mögen eher Stimmen, die anderen große Orchester. Und dann gibt es noch die "Opernnarren" und die Kammermusikfreunde ... allen kann man es einfach nicht recht machen. Die folgende Auswahl ist daher sehr persönlich. Der Autor hofft dennoch, den Geschmack der meisten Leser zu treffen.

 

1. In Eigenauflage und der mittlerweile bewährt schönen Aufmachung präsentieren die Berliner Philharmoniker das Abschiedskonzert ihres ehemaligen Chefs Sir Simon Rattle in Bild und Ton. Die Präsentpackung enthält nicht nur das Konzert mit der Sechsten von Mahler, sondern auch die Tonaufnahme dieser Symphonie aus dem Jahre 1987. Sie demonstriert die Entwicklung des Dirigenten und "seines" Orchesters; der Vergleich ist mehr als interessant. Auch wenn Rattle dem Orchester niemals so seinen Stempel aufdrücken konnte wie Herbert von Karajan, führte er es durch eine hörenswerte Epoche.

 

2. Wenn man Valery Gergiev als "Arbeitstier" bezeichnet, ist das wahrscheinlich sogar noch eine Untertreibung. Der russische Maestro ist wie Rossinis "Barbier" da und dort und überall zu finden. Seine künstlerische Ausstrahlung hat er dabei jedoch nie verloren, im Gegenteil - er konnte sie immer noch steigern. Das ist auch in der grandiosen Produktion von Strawinskys "Feuervogel", auf Tonträger vereint mit dem 3. Klavierkonzert von Bartók, deutlich zu hören. Es ist unvergleichlich, welche Klangpracht Gergiev auf dieser Aufnahme entwickelt. Ebenfalls nicht zu verachten ist Strawinskys "Petrouchka" mit dem unvergleichlichen Mariinsky-Orchester. Für Gergiev-Freunde wie geschaffen.

 

3. Russischer Dirigent - russisches Orchester - russisches Werk: Diese Dreierkombination hört man in der exzellenten Neuproduktion von Tschaikowskis "Schwanensee". Der allzu unterschätzte Vladimir Jurowski, der die meisten gehypeten Dirigenten locker in die Tasche steckt, macht aus dem Standardwerk ein richtiges Ereignis. Einfach hörenswert.

 

4. Gehen wir von Rußland weiter westlich nach Tschechien, Böhmen und Mähren, so können wir den allseits beliebten Komponisten Friedrich Smetana und Leos Janacek einen Besuch abstatten. Fündig werden wir bei einer exzellenten Produktion von Smetanas "Ma Vlast" ("Vaterland") unter Sir Colin Davis und einer denkwürdigen Doppel-CD des allzu früh verschiedenen Maestros Belohlavek. Er dirigiert hier mit seiner Tschechischen Philharmonie Werke des mährischen Komponisten Janacek - eine großartige "Glagolitische Messe", eine imposante "Sinfonietta" und noch andere Werke. Beide Produktionen verdienen einen Fixplatz in den Plattenregalen.

 

5. Die Blu-ray-Wiederauflagen von Opernklassikern sind allemal hitverdächtig - ob die einzigartige "Carmen" unter Bernstein oder "Cavalleria/Bajazzo" unter Karajan. Beide Produktionen sind einfach unübertrefflich. Vor kurzem erschienen auch "Rigoletto" unter Giulini und "Macbeth" unter Abbado; diese Aufnahmen sind ebenfalls schenkenswert, und vor allem der "Rigoletto" ist schon wegen Giulini ein Solitär.

 

6. Seiji Ozawa kann aufgrund seines Gesundheitszustands nicht mehr auftreten. Umso schöner, daß seine Stammfirma Deutsche Grammophon sein Gesamtschaffen mit dem Boston Symphony Orchestra aufgelegt hat. Hier kann man die großartige Orchesterdisziplin hören, die der japanische Maestro gekonnt zur Geltung bringt. Da hat es der allzu "gepushte" derzeitige Orchesterchef Andris Nelsons schwer, wirklich mithalten zu können.

 

7. Apropos Nelsons: Der Lette darf ja mit den Wiener Philharmonikern eine Beethoven-Symphonien-Gesamtaufnahme produzieren. Wenn man weiß, daß das Orchester seit Bernstein und Böhm keinen wirklich guten Beethoven-Zyklus zustande gebracht hat, wird Nelsons offenbar der logische Nachfolger ... Ganz anders hört sich da ein Treffen der Titanen an: Vom London Symphony Orchestra gibt es den gesamten Beethovenzyklus unter Bernard Haitink. Es ist unglaublich, mit welcher Virtuosität das phantastische Orchester Beethovens Noten in Klang umsetzt. Haitink versteht Beethoven offenbar viel besser als die Originalklang-Apostel und "Rising Stars". Die Musik klingt immer prägnant und weit mitreißender als die meisten "historisch informierten" Produktionen. Einfach großartig. Herbert von Karajans zweiter Beethoven-Zyklus bei der Deutschen Grammophon wurde auf Blu-ray inkl. Dolby Atmos gebannt. Die Aufnahme ist ein gewaltiger Meilenstein in der Karriere des unvergeßlichen Maestros. Für Haitinks und Karajans Beethoven-Aufnahmen sollte man unbedingt Platz in den Plattenregalen schaffen ...

 

8. Schumann in Wort und Musik finden wir in einer interessanten Box des Bayerischen Rundfunks mit der Hörbiographie "Die innere Stimme". In Hörspielmanier wird das Leben des deutschen Komponisten nacherzählt. Prominente Schauspieler wie der "Tatort"-Kommisar Udo Wachtveitl (Erzähler) und Brigitte Hobmeier lassen den Hörer am schwierigen Leben des großartigen Musikers teilhaben.

 

9. Vom bekannten österreichischen Feuilletonisten Heinz Sichrovsky gibt es ein Buch mit dem Titel "Betrachtungen eines Unkorrekten", das eigentlich eine Zusammenstellung seiner grandiosen Kolumnen in einer heimischen Tageszeitung ist. "Er scheißt sich nichts" - so könnte das Fazit des hervorragenden und amüsanten Buchs lauten. Hier wird vieles aufs Korn genommen, von piefkinesischen Sprachverunstaltungen bis hin zu grausigen Anglizismen. Und das "Gutmenschentum" kommt auch nicht zu kurz. Ein absolut lesenswertes Buch - da die einzelnen Abschnitte relativ kurz sind, empfiehlt es sich noch dazu als Bettlektüre.

 

10. "Goodbye Johnny" war ein Hit von Hans Albers, offenbar dem Womanizer der 20er und 30er Jahre. Albers war auch ein hochdekorierter UFA-Star (Anm.: UFA steht für Universal Film. Die Firma wurde 1917 in Potsdam gegründet; 1933 verleibten sie sich die Nazis ein und nützten sie fortan als ihr wichtigstes Propagandainstrument). In dem Lied kommt die Textzeile "Mag´s im Himmel sein, mag´s beim Teufel sein" vor, die sich die begabte Autorin Evelyn Steinthaler als Titel für ihr neues Buch lieh. Daraus wurde eine hochinteressante Darstellung von vier Paaren, die unterschiedlich mit den Rassengesetzen umgingen (und umgehen mußten). Die Geschichte wird absolut nicht polemisch erzählt, auch wenn die Autorin das UFA-Umfeld noch detailierter hätte ausleuchten können. (Hier hätte der Besuch der UFA-Ausstellung 2018 in Berlin geholfen.) Aber das ist Beckmesserei ... Dieses Buch ist noch eines der besten der im Reigen der Gedenk- und Bedenkjahre erschienenen Werke.

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 6 in a-moll

ØØØØØ
Eigenauflage der Berliner Philharmoniker

Berliner Philharmoniker/Sir Simon Rattle

 

(D 2018)

Valery Gergiev

ØØØØØ
Produktionen aus London und St. Petersburg

Igor Strawinsky: Der Feuervogel

Béla Bartók: Klavierkonzert Nr. 3

Béla Bartók: Der wunderbare Mandarin (Suite)

Yefim Bronfman, Klavier

London Symphony Orchestra/Valery Gergiev

LSO Live (GB 2018)

 

Igor Strawinsky: Petrouchka, Jeu de Cartes

Mariinsky Orchestra/Valery Gergiev

Mariinsky Label (Russland 2018)

P. I. Tschaikowski: Schwanensee

ØØØØØ
Gesamtaufnahme

State Academic Symphony Orchestra of Russia "Yevgeny Svetlanov"/Vladimir Jurowski

 

Pentatone (D 2018)

Tschechische Schätze

ØØØØØ
Neuproduktionen

Friedrich Smetana: "Ma Vlast"

London Symphony Orchestra/Sir Colin Davis

LSO Live (GB 2018)

 

Leos Janacek: Glagolitische Messe, Sinfonietta etc.

Tschechische Philharmonie/Jiri Belohlavek

Decca/Universal (D 2018)

Opernklassiker auf Blu-Ray

ØØØØØ
Gesamtaufnahmen

George Bizet: "Carmen"

div. Solisten

Chor und Orchester der Met/Leonard Bernstein

 

Pietro Mascagni: Cavalleria Rusticana/Ruggiero Leoncavallo: Bajazzo

div. Solisten

Chor und Orchester der Mailänder Scala/Herbert von Karajan

 

Giuseppe Verdi: Rigoletto

div. Solisten

Wiener Staatsopernchor

Wiener Philharmoniker/Carlo Maria Giulini

 

Giuseppe Verdi: Macbeth

div. Solisten

Chor und Orchester der Mailänder Scala/Claudio Abbado

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2018)

Seiji Ozawa mit Boston Symphony

ØØØØØ
Gesamtausgabe

div. Werke

 

div. Solisten

Boston Symphony Orchestra/Seiji Ozawa

 

Deutsche Grammophon (D 2018)

Beethoven-Symphonien

ØØØØØ
Gesamtausgaben

div. Solisten

London Symphony Orchestra/Bernard Haitink

LSO Live (GB 2018)

 

div. Solisten

Berliner Philharmoniker/Herbert von Karajan

Deutsche Grammophon/Universal (D 2018)

Die innere Stimme

ØØØØØ
Hörbiographie

Udo Wachtveitel, Brigitte Hobmeier

 

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks/Mariss Jansons

 

BR-Klassik (D 2018)

Betrachtungen eines Unkorrekten

ØØØØØ
Buch von Heinz Sichrovsky

Ueberreuter (Ö 2018)

Mag´s im Himmel sein, mag´s beim Teufel sein

ØØØØØ
Buch von Evelyn Steinthaler

Kremayr & Scheriau (Ö 2018)

Print_ Print-Tips-Spezial

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Schmauchspuren #63

Ein idyllisches Restaurant in den Bergen? Peng! Ein stiller Pariser Vorort? Ratatat!! Ein abgetakelter Profikiller und amerikanische Anwälte? Schnarch! Unser Krimi-Kolumnist Peter Hiess hat´s lieber laut - und gut.

Bracken MacLeod - Mountain Home


Festa Crime 2014

Es gibt Tage, da sollte man lieber im Bett bleiben. Das gilt sowohl für Lyn, Kellnerin in einem kleinen Restaurant in den Bergen von Idaho, als auch für die gegenüber wohnende Irak-Veteranin Joanie, die sich ausgerechnet diesen Tag ausgesucht hat, um abzurechnen. Erst stattet sie dem Lokal noch einen Besuch ab und spricht mit Lyn, dann geht sie über die Straße, legt sich mit ihrem Scharfschützengewehr in Position und beginnt zu schießen. Bracken MacLeods Thriller-Debüt "Mountain Home" (mit dem unnötigen deutschen Untertitel "Wie ein blutiger Tanz der Rache") ist ein klaustrophobisches, aufreibend inszeniertes Kammerspiel mit wenigen Personen, einem eng eingegrenzten Handlungsraum, knappen und stimmigen Dialogen und einer "Terroristin", deren Taten man nach ihren Erlebnissen in einem ungerechten Krieg und dann back home durchaus nachvollziehen kann - auch wenn das bittere Ende unausweichlich ist. Ein paar Stunden Angst und Spannung, die man besser kaum vermitteln könnte.

Dominique Manotti - Abpfiff


Ariadne/Argument 2015

Ein Pariser Vorort, Mai 1990. Zwei Motorradfahrer mähen mit Maschinenpistolen ein Paar vor einem Einkaufszentrum nieder. Die Opfer: ein Ermittler der Drogenfahndung und ein Mädchen, über das man vorerst nichts weiß. Die Täter: zwei Crack-Junkies, die schnell gefaßt werden und geständig sind - es war ein Auftragsmord von einem Unbekannten, und eigentlich hätte nur die junge Frau sterben soll. Commissaire Théo Daquin ist vom Tod des Lieblingskollegen erschüttert und stürzt sich nach viel Cognac und Kaffee in die Ermittlungen. Präzise, hart und intelligent - er ist keiner dieser nach Schema F traumatisierten Detektive und Polizisten, die so viele Krimis bevölkern. Und wie es seine Art ist, sticht er auch in Dominique Manottis drittem Daquin-Roman "Abpfiff" in ein Wespennest: einen Fußballverein kurz vor dem Meistertitel-Durchbruch, dessen Präsident in ein Netz aus krimineller Korruption verstrickt ist. Manotti erzählt wieder einmal journalistisch, ohne Schnörkel und Psycho-Blabla, politisch engagiert, ideologiefrei, einfach noir im besten Sinne. Weiter so, bitte.

Max Allan Collins - The Wrong Quarry


Hard Case Crime 2014

Max Allan Collins sollte hingegen endlich aufhören, neue Romane um seinen Profilkiller Quarry zu schreiben. Denn obwohl auch "The Wrong Quarry" in einem Lieblingsverlag dieser Kolumne erschienen ist, kann man sich den faden, schlecht konstruierten Absolut-nicht-Thriller ersparen: Der Hitman folgt darin weiterhin seiner krausen Idee, andere Berufsmörder im Auftrag der prospektiven Opfer auszuschalten, und wird dabei in uninteressante Eighties-Kleinstadtdramen verwickelt, bis am Schluß wie ein Deus ex machina DER SERIENMÖRDER auftaucht, aber auch nichts mehr retten kann. Schon gar nicht an Collins´ selbstverliebt-postmoderner Schreibweise: Schaut doch, wie gut ich die 80er Jahre zitieren kann! Bewundert meine zeittypischen Sexszenen! Schon recht, der Herr - aber wir halten das schon bei Tarantino nicht aus. No Quarry, bitte.

Scott Turow - Die Erben des Zeus


Blessing 2015

Scott Turow ist - neben John Grisham - einer der Meister des amerikanischen Gerichts-Thrillers. Während Grisham mittlerweile allerdings nur noch über seine Lieblingsärgernisse dahindeliriert, schafft es Turow nach wie vor, relativ spannende Bücher über das absurde Justiz- und Polit-System der USA abzuliefern. Sein neues, "Die Erben des Zeus", ist allerdings eher als Schnellschuß zu werten. Die Story um den erfolgreichen Anwalt Paul, der Bürgermeister werden will, und seinen Zwillingsbruder Cass, der als verurteilter Mörder nach 25 Jahren bald aus dem Gefängnis entlassen wird, nimmt nur langsam an Fahrt auf, als der Bruder des Mordopfers nun auch Pauls Schuld an dem Verbrechen nachweisen will. Der Autor schaltet gemächlich die Gänge höher, schafft es aber nicht, den Leser in das "große Geheimnis" des Romans hineinzuziehen - wahrscheinlich, weil man die Auflösung schon sehr bald ahnt. Und so stirbt irgendwann der erzählerische Motor ab, also steigt man lieber auf andere Vehikel um.

Don Winslow - London Undercover/China Girl


Suhrkamp 2015

Zum Beispiel auf "London Undercover" und "China Girl", zwei Frühwerke des großen Don Winslow, die Suhrkamp noch schnell auf den Markt wirft, bevor die Konkurrenz im Juni das neue Drogenfahnder-Epos "Das Kartell" veröffentlicht. Die beiden ersten Fälle des New Yorker Ermittlers Neal Carey, Ex-Straßenjunge und Sohn einer Drogenabhängigen, verkürzen die Wartezeit aufs Allerbeste. Ob es Carey, der im Auftrag einer diskreten Bank für deren geldige Kunden unterwegs ist, in den 1970er Jahren nun nach London oder Hongkong verschlägt: Die Fälle sind interessant, die Psyche des Protagonisten ist glaubhaft geschildert, die Sprache kratzt am Literarischen (und wurde von Conny Lösch kongenial neuübersetzt) - und beide Bücher zeigen, daß Winslow schon Anfang der Neunziger genau wußte, wie gute Krimis funktionieren. Unbedingt lesen. Bitte.

Kino_ Film-Tips Dezember 2018

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Unter Drogen, unter Wasser ...


Hans Langsteiner liest Gaspar Noe die Leviten. Peter Hiess taucht mit Aquaman ab. Das alles und mehr im Dezember-Kino. Ho ho ho!

Unknown User: Dark Web


Filmstart: 6. Dezember

Daß Hollywood und alle seine Unterabteilungen mit den mittlerweile auch schon uralten "neuen Medien" nicht fertigwerden, zeigt sich in Novelty-Movies, die (wie gewagt!) mit dem iPhone gedreht werden, das Internet als Thema oder gar Handlungsort in den Mittelpunkt rücken beziehungsweise fast komplett auf dem Computerbildschirm spielen - aber halt trotzdem so gar nichts mit dem realen irrealen Leben vor dem Monitor (der heute für die meisten eh nur mehr Smartphone-Größe hat) zu tun haben. Der erste Teil von "Unknown User", der dann irgendwie doch den Titel "Unfriended" bekam, war ein solcher Bildschirmstreifen, der sich mit den tödlich langweiligen sozialen Medien befaßte und gegen Ende noch eine übernatürliche Wendung nahm. Für die B-Film-Experten von Blumhouse Productions muß er genug eingespielt haben, daß sich eine Fortsetzung lohnte ... und genau die ist jetzt da.

Wie der "deutsche" Titel schon verrät, führt uns die optisch wenig abwechslungsreiche Reise diesmal ins "Dark Web" - einen Internet-Popanz, der auch schon seit ein paar Jahren von den Mainstream-Medien über die digitalen Highways getrieben wird und über den sich Humoristen wie die Macher der genialen Zeichentrickserie "Paradise P.D." bereits zu Recht lustig machen. Mit dem Zeigefinger eines Märchenerzählers läßt Regiedebütant Stephen Susco seine Protagonisten neugierig mit einem gefundenen Laptop in besagtem Finsternetz herumspielen, wo gar schröckliche Hacker mit gar grauslichen Online-Videos lauern - und die Eindringlinge ihrerseits beobachten und bedrohen. Das mit dem Echtzeit-Skypen und im Web herumstierln geht sich aber nicht einmal im gesamten Film aus, weil das Böse dann doch vor der Tür der jungen Leute auftaucht. Ein paar Schockmomente im Film funktionieren trotz ihrer Berechenbarkeit, aber insgesamt kann man sich das Machwerk durchaus am Handy-Monitor anschauen, wenn irgendein Unhold es ins Darkweb stellt.

Die nächste Fortsetzung wird dann vielleicht den Russen zeigen, wie er Wahlen manipuliert oder "Fake News" (das immer noch aktuelle Schlagwort der Idioten, die dauernd selber Fehlinformationen lancieren) verbreitet. "Unknown User: Putin´s Trolls" oder so ...  (ph)

 

 

 

Climax


Filmstart: 7. Dezember

Eine Tanzprobe läuft aus dem Ruder, nachdem jemand Trips in den Sangria geschüttet hat. Allen wird schlecht, viele sterben. Das war´s auch schon an Inhalt, was den jüngsten Streich des selbsternannten Regie-Enfant-terribles Gaspar Noé ("Irreversible") betrifft. Mögen da die Kollegen (in erstaunlichem Gleichklang) von Mut und Unkonventionalität schwärmen - dieser Film ist ein aufgeblasen-prätentiöses Nichts, bei dem man, wie Christoph Huber zu einem anderen Noé-Film einmal geschrieben hat, den Gehirnzellen einzeln beim Absterben zusehen kann. Zugegeben: Die einleitende Tanzszene hat noch was, zumal sie in einer einzigen Plansequenz gedreht wurde, doch sobald das Gift im Glas seine Wirkung tut, ist es um den Film geschehen. Die Leute winden sich am Boden, die Kamera kriecht ihnen nach, stellt die dumpfrot eingefärbten Bilder auf den Kopf, und den Nachspann hat man - Gipfel der Originalität! - schon am Beginn gesehen. Das Ganze ist so lärmend wie lähmend und des Tiefsinnsuchens nicht wert. Ich hab´ mir jedenfalls geschworen: Nie! Wieder! Gaspar Noe!!!  (HL)

 

Mortal Engines: Krieg der Städte


Filmstart: 13. Dezember

Aquaman und Spiderman lauern schon in den Startlöchern, doch dieses SF-Epos um (nach einer globalen Katastrophe) wandernde und kämpfende Städte will ihnen den Rang als diesjähriger Weihnachts-Blockbuster ablaufen. Beworben mit dem Namen Peter Jackson, der hier aber nur koproduziert und am Drehbuch mitgeschrieben hat, erinnert vieles in der Tat ein wenig an die "Herr der Ringe"-Serie, manches aber auch an "Snowpiercer", "Der Wüstenplanet", "Metropolis", "Frankenstein" usw. usf. Man sieht: Originalität ist nicht unbedingt die Stärke dieser reichlich vorhersehbaren Geschichte, in der sich ein jugendliches Heldenpaar gegen einen bösen Intriganten behaupten muß - doch auch "Star Wars" lebte, Hand aufs Herz, seinerzeit weniger vom Plot als von den Special Effects. Und die sind hier wirklich toll: Alles schaut Bigger than Life, dabei vernutzt und staubig aus, es gibt jede Menge herrlicher schmetterlingsähnlicher Flugkörper, kühner Bauten (eine Kleinstadt, die sich in Sekundenschnelle zusammenfaltet!) - und die berühmten Schutzbrillen sind auch fleißig in Gebrauch. Mit einem Wort: Für Steampunk-Fans ist dies ein feuchter Traum, alle anderen könnten sich doch etwas langweilen. Drei Fortsetzungen sollen noch kommen, aber schaumermal ...  (HL)

 

Aquaman


Filmstart: 21. Dezember

Bisher hat das "DC Extended Universe" es noch nicht geschafft, die Herzen und Brieftaschen der Kinobesucher auch nur annähernd so erfolgreich zu erobern wie das "Marvel Cinematic Universe". Die eher düsteren und zäh inszenierten letzten paar Filme um Superman und Batman sowie das "Justice League"-Drama ließen Fans der DC-Superhelden lieber auf die einschlägigen TV-Serien zurückgreifen. (Alle anderen fragen sich sowieso, wann wir eigentlich in diesem unsäglichen Franchise-Paralleluniversum gelandet sind, das tendenziell nur noch Blockbuster-Kinderfilme produziert ...) Und "Wonder Woman" wurde von den superengagierten Hollywood-Schneeflöckchen und der Filmjournaille, die alle dem galoppierenden Feminismus zum Opfer gefallen sind, zwar abgefeiert, ist aber auch keine wahre Offenbarung.

Und jetzt kommt "Aquaman", der Unterwasserherrscher. Inszeniert hat den mit 139 Minuten überüberlangen Streifen James Wan, der mit "Saw", "Insidious" und "Fast & Furious 7" durchaus Talent bewiesen hat und für die Warner-Gebrüder etwas ähnlich Leichtfüßiges inszenieren sollte wie "Thor: Tag der Entscheidung". Das ist nur zum Teil gelungen, weil: viel zu viele Handlungselemente, viel zu viele Personen und unterseeische Völker, viel zu viel Digital-Krachbumm und -Firlefanz. Und Hauptdarsteller Jason "Game of Thrones" Momoa, der ausschaut wie ein Raskuxer und schon als Conan keine Chance gegen unseren Arnold hatte. Trotzdem ist "Aquaman" natürlich ein Spektakel, das im Kino unterhalten kann und genauso schnell vergessen ist wie das meiste Superhero-Material dieser Art. Wer sich also neben den Marvel-Pflichtbesuchen im Lichtspieltheater noch ein paar Termine einhandeln will, sollte hingehen. Vielleicht wird´s ja doch einmal was mit DC.  (ph)

 

 

 

 

Musik_ Tonkünstler in Grafenegg und Salieri an der Wien

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Das Beethoven-Ereignis

Vor nicht allzulanger Zeit massakrierten ein berühmtes Orchester und dessen Chef Beethovens Siebente in Grafenegg. Jetzt überraschten Ivor Bolton und die Tonkünstler als Grafenegger Hausorchester das Publikum mit einer der besten Aufführungen des oft gespielten Werks. Und im Theater an der Wien hörte man in einer brillanten Aufführung, warum ein "Opernkoloß" zu Recht nicht mehr aufgeführt wird.

Im Sommer 2017 gelang es Manfred Honeck mit "seinem" Pittsburgh Symphony Orchestra, dem EVOLVER-Klassikexperten ein veritables Beethoven-Trauma zu verpassen. In diesem Konzert wurde eines der beliebtesten Werke des Meisterkomponisten bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.

Beethovens 7. Symphonie Symphonie ist eine der am schwersten aufzuführenden, da die Grenze zu Kitsch und interpretatorischem Untergang sehr schmal ist. Wo Honeck aufs Tragischste scheiterte, vollbrachten Ivor Bolton und die Tonkünstler mit ihrer Deutung und Aufführung des Werks eine überraschende Glanzleistung. Das Orchester war in Top-Form; mit kleiner (!) Streicherbesetzung (also vier Kontrabässen usw.) erspielten sich die Musiker eine veritable Erfolgsgeschichte. Brillante Streicher, ebensolche Bläser (wobei die Holzbläser beim Hauptthema des ersten Satzes noch mehr synchron hätten spielen können) und eine großartige Paukistin (Margit Schoberleitner) machten mit Bolton aus dem Abend ein unvergeßliches Ereignis. Der Maestro zeigte vor allem seine musikantische Seite, die man am schönsten im Trio des dritten Satzes hören konnte, wo sich die Musik zu einem Landler mit gekonnten Steigerungen verwandelte. Höhepunkt war der zweite Satz. Das sogenannte "Allegretto", das eigentlich ein Trauermarsch ist, wurde von Bolton und den hervorragenden Musikern ausnahmsweise auch als solcher gespielt. Der meistens zu gehetzt gespielte Satz kam hier voll zur Geltung, und man hörte hier Beethovens Genialität (großartig im Mittelteil das Fugato der Streicher).

Auf dem Programm standen weiters Beethovens Ouvertüre zu "Die Geschöpfe des Prometheus" und Hector Berlioz´ Liederzyklus "Les nuits d´été", der von der deutschen Mezzosopranistin Eva Vogel mit ihrer wunderschönen runden tiefen Stimme gesungen wurde. Der Liederzyklus ist nicht wirklich der "Reißer" in einem Konzertprogramm; wurde aber hochinteressant gebracht.

 

Der französische Barockspezialist Christophe Rousset widmete sich im Theater an der Wien in einer konzertanten Aufführung einem ausufernden Werk des ewigen Mozart-Konkurrenten Antonio Salieri. Die Oper "Tarare" besteht aus fünf Akten inklusive Prolog und Epilog.

Das Libretto schrieb niemand Geringerer als Pierre Augustin Caron de Beaumarchais (der Verfasser der "Figaro"-Geschichten), der hier seine antimonarchistischen und revolutionären Gedanken niederschrieb. Die Handlung dreht sich um den tyrannischen Herrscher Atar und den Milizführer Tarare - und nach (schier endlosen) vier Stunden siegt das Gute (also Tarare). Die Entstehungs- und Wiederentdeckungsgeschichte dieser Oper ist sehr bewegt; letztlich ist es dem Theater an der Wien zu danken, daß Rousset mit "Tarare" den Salieri-Zyklus (nach "Les Danaides" und "Les Horaces") komplettieren konnte.

"Tarare" ist das mit Abstand schwächste Werk Salieris; es ist zwar meisterhaft komponiert und instrumentiert, jedoch fehlt der Oper der dramatische Impetus. Schon der Schluß des zweiten Aktes ist mehr als unbeholfen - nach einem interessanten Marsch reißt die Musik nach ein paar Takten Gesang plötzlich ab. Dabei hätte Salieri daraus viel mehr machen können. Beeindruckend an der Instrumentierung ist das volle Orchester inklusive Posaunen und "Janitscharen-Instrumenten" (große Trommel und Becken). Fünf Jahre nach der Uraufführung von Mozarts "Entführung aus dem Serail" (1782) läßt Salieri diese Schlaginstrumente hier aufs Feinste hören. Er schließt jedoch eher an die Gluck-Tradition an als Mozart. Das Uraufführungsjahr der Oper (1787) war übrigens Glucks Sterbejahr.

Christophe Rousset zauberte mit seinen Talens Lyriques und dem hervorragenden Chor eine grandios umgesetzte Aufführung. Die Solisten (allen voran Cyrille Dubois als Tarare und Jean-Sébastian Bou) konnten bis zum Schluß überzeugen. Nicht unerwähnt sollte der grandiose Chor aus Versaille bleiben.

Es war zwar interessant, Salieris Oper zu hören - aber an mehr als an ein langatmiges Werk wird man sich nicht wirklich erinnern. Damit ist es fast schade um die Mühen, die sich Rousset mit seinem phantastischen Ensemble gemacht hat. Die wären bei Rameau-Werken und ähnlichem viel eher angebracht gewesen.

Beethoven 7

ØØØØØ
Orchesterkonzert im Auditorium Grafenegg

Werke von Ludwig van Beethoven und Hector Berlioz

 

Eva Vogel, Mezzosopran

 

Tonkünstler-Orchester Niederösterreich/Ivor Bolton

 

Konzert am 17. November 2018 im Auditorium/Grafenegg

Antonio Salieri: Tarare

ØØØØØ
Oper in einem Prolog, fünf Akten und einem Epilog

Solisten: Cyrille Dubois, Jean-Sébastian Bou, Karine Deshaies, Tassis Christoyannis u. a.

 

Les Chantres du Centre de Musique baroque de Versailles

 

Les Talens Lyriques/Christophe Rousset

 

Konzertante Aufführung am 24. November 2018 im Theater an der Wien

Stories_ Distance Project - Trail Running Experience

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Don´t stop!

"Meine Musik ist eine Danksagung an alle, die mir so viel schöne Momente durch ihre Musik schenken." Braucht es mehr Gründe, um eine Leidenschaft zu erklären? Folgen wir Hannes Zellhofer durch 30 Jahre musikalische Entwicklung.

Es begann, wie solche Karrieren immer beginnen: In der Volksschule lernte mein Bruder Hannes Blockflöte zu spielen, in der Musikhauptschule Klavier. Ab einem gewissen Alter verloren Flöte und Klavier, irgendwie logisch, den Reiz - und der Pubertierende kaufte sich Gitarre, Verstärker und Schlagzeug. Er zog mit dem Zeug auf den Dachboden und jammte dort, ohne die Instrumente je richtig gelernt zu haben, mit Gleichgesinnten. Nicht immer zur Freude der restlichen Familie ...

Irgendwann entstand eine erste Band, das Schlagzeug-Baß-Gitarre-Trio Antacid. Internet hatten wir keines, daher blieb ihnen und uns allen verborgen, daß es bereits gleichnamige Bands gab. Ich erinnere mich an einen einzigen Auftritt auf einer Privatsause. Der Gitarrist gefiel dem Publikum, weil er seine Saiten auch mit einem Bogen strich. Der sollte dann später noch richtig berühmt werden.

2003 dockte mein Bruder als Schlagzeuger bei den deutschsprachigen Alternativrockern Schwachstelle an, die es zu einigen ordentlichen Club-Gigs brachten. Ein altes Photo zeigt mich mit Band-T-Shirt - allerdings keines, das die Band auf Vorrat produziert hätte. Wer eines wollte, brachte Textilien mit, die die Musiker dann bedruckt haben. Sonst hinterließen Schwachstelle keine Spuren.

Irgendwann entrümpelte mein Bruder die klassischen Instrumente, wechselte zum Keyboard und stellte die Elektronik-Kombo XBloome auf die Beine, die Sigur Ros, Massive Attack, Morcheeba und den Sneaker Pimps huldigte. XBloome veröffentlichten mehrere Tonträger und Sampler-Beiträge, gewannen einen FM4-Videowettbewerb, wurden immerhin je einmal auf FM4 und Ö1 gebracht, hatten Präsenz in den freien Radios dieses Landes, eröffneten das Grazer Springfestival, wurden mit ihrem zweiten Album im "Skug" besprochen und bespielten auch die bekannteren Clubs in Österreich. Irgendwann implodierte die Band, deren Gesamtwerk auch heute noch komplett frei verfügbar durchs Netz schwirrt.

Weil es Hannes nie lassen konnte, spielte er als Nebenprojekt auch in einem Trio namens Club Valat. Die dem Singer/Songwritertum verpflichtete Band hat zwei akzeptable EPs und einen Longplayer veröffentlicht, österreichweit sehr viel live gespielt, damit alle ihre Auslagen decken können ... und sich irgendwann still und leise verabschiedet.

 

Was blieb von all dem? Von den Musikern, mit denen mein Bruder performt hat, ist einer aus der allerersten Band jetzt weltberühmt im deutschen Sprachraum. Fast alle anderen ehemaligen Kollegen und Kolleginnen machen immer noch Musik. Für meinen Bruder blieben Freundschaften fürs Leben und Kontakte zu Radiomachern, Clubbetreibern und Szenemenschen, die heute noch von Nutzen sind. Und Erinnerungen an endlose Autofahrten zu den Spielstätten, durchfeierte Nächte, gelegentlich schwach besuchte Auftritte, manchmal grandiose Gigs, Kribbeln im Bauch, oft keine, dann wieder großzügige Gagen. Woran sind die Bands gescheitert? Woran solche Dinge immer scheitern - und das ist nicht nur negativ zu verstehen: An fehlender Zeit, verschiedenen Interessen, Ermüdungstendenzen, persönlicher und musikalischer Weiterentwicklung, an der Lust, Neues auszuprobieren usw.

 

"He´s going the distance. He´s going for speed"

Mein Bruder hegte nie den Wunsch, Profimusiker zu werden - verlor aber auch nie die Lust an der Musik. Und weil es alleine möglicherweise am besten geht, probiert er auch das seit einiger Zeit aus: mit seinem Soloprojekt Distance Project, das sich erneut der elektronischen Musik, diesmal mit Schwerpunkt Trance, verschrieben hat. Warum plötzlich Trance? "Weil mir elektronische Musik immer schon gefallen hat. Angefangen hat´s mit Trip-Hop, gesteigert hat es sich zu Trance, Lounge und Ambient". Mit Drumcomputer, Laptop, Mischpult, Launchpad mini und einem Sampler frickelt er sich im selbsterrichteten Heimstudio seine Vorstellung idealer Musik zusammen. Meistens mit Kopfhörer, weil Familie und Nachbarn beim Basteln nicht mitmachen wollen.

Hannes läuft für sein Leben gerne. Den Schneeberg-Trail, den Pitz-Alpine-Glacier-Trail, den Marathon und so fort. Dieses Hobby spiegelt sich in seinem musikalischen Schaffen wieder - und so verfolgen Bandname, Track-Titel, CD-Titel und das Cover-Artwork ein Konzept: die Verschmelzung des Laufens mit der Musik. 2015 gab es mit "A-B-C Marathon" eine erste EP, deren Stil er so umreißt: "Die treibenden Beats helfen Distanzen leichter zu überwinden. Die pathetisch angehauchten Melodien sollen die Verzweiflung bei der Überwindung mancher Strecken unterstreichen." Es folgte die Online-Veröffentlichung "Dance & Trance", diesmal nicht ganz alleine gemacht, sondern mit gelegentlichen Gesangseinlagen.

 

"There´s no maybe, no trying. You run the race to win it"

Und nun, ganz aktuell, erschien das Album "Trail Running Experience", das trotz seiner acht Tracks eigentlich ein in einem durchzuhörendes Set zwischen Dream-Pop, Ambient und Trance ist. Die Stücke zwischen mid- und uptempo sind da treibend, dort entspannt, insgesamt sehr gefällig, sehr pathetisch und euphorisch. Und vor allem dort sehr gut, wo es etwas härter wird. Bis auf gesangliche Unterstützung bei einem Stück und einer in echt eingespielten Trompete besteht das Album aus instrumentalen und stimmlichen Samples sowie selbst eingespielten Keyboard-Spuren. Single gibt es keine, aber mein Anspieltip ist das stampfende "Don´t Stop", das unkonventionellste Stück der CD. Es scheint ganz gut zu laufen: Mein Bruder tourt gerade für Interviews und Live-Sets durch die freie Radioszene dieses Landes, hat Airplay bis nach Mexiko, spielte ein paar Gigs und bekam einige wohlwollende Reviews. 

 

"You can download my music for free", verrät die Homepage. Warum? "Ich möchte, daß meine Musik gehört wird. Und durch die Möglichkeit, sie gratis herunterzuladen, hoffe ich, ein paar Hörerinnen und Hörer mehr zu erreichen". Wer´s lieber haptisch will: Die neue Veröffentlichung gibt es auch als physische CD, bestellbar über die Website des Projekts.

"Ich hoffe natürlich, daß auch meine Musik in Menschen etwas bewegt oder im jeweiligen Moment den richtigen Soundtrack liefert." Als Soundtrack zum Laufen, Radfahren und Distanz-Überwinden jedenfalls ist "Trail Running Experience" bestens geeignet.

Distance Project – Trail Running Experience

Akzente_ Winterurlaub 2018/19

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Be seeing you in 2019!

Wir haben uns dieses Jahr bereits still und heimlich in die Winterpause verabschiedet. Das sollte Sie jedoch keinesfalls vom Stöbern in unseren umfangreichen Archiven abhalten.

Gehen Sie, liebe Leser, doch mit Martin Zellhofer auf Reisen oder lassen Sie sich von Peter Hiess berichten, wie es ihm mit seinem Abenteuer Stadtflucht in Depeschen aus der Provinz ergangen ist.

Wagen Sie sich mit Rokko´s Adventures in den Untergrund oder mit Al Cook auf eine Zeitreise durch die Blues-Geschichte. Und wenn Sie das alles schon kennen, klicken Sie sich einfach selbst durch unsere Archive. Sie finden hier weder News noch Fake News, garantiert keine langweiligen Google-Hitfängerei-Spompanadln oder Clickbait. Wir verraten Ihnen dafür lieber, was es mit dem Phänomen des Kabelismus auf sich hat oder bringen Ihnen die Geschichte des Speed/Thrash Metals näher. Und für Unbelehrbare gibt es immer noch die dringend notwendigen Kolumnen, die die Welt nicht braucht.

In diesem Sinne: Haben Sie einen phantastischen Rutsch ins neue Jahr und freuen Sie sich mit uns auf 2019. Wir haben einige Überraschungen für Sie auf Lager. Es wird vielleicht noch etwas dauern, aber sie kommen!

 

Alles Liebe und bis bald im neuen Jahr,

 

Ihre

Kolumnen_ Al Cook im EVOLVER #8

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Robert Johnsons Tod und Auferstehung

Der EVOLVER veröffentlicht die Kolumne, die der heimische Blues-Traditionalist Al Cook jahrelang für eine heimische Website schrieb, auf seinen Seiten neu - nicht nur, damit die Texte nicht verloren gehen, sondern weil sie so gut sind. In der vorliegenden Episode geht es um den ewigen Trieb des Menschen, an Legenden zu glauben ...

Nun kommen wir zu dem Kapitel, das die heikelste Frage im Johnson-Krimi behandelt: Wie ist der posthum berühmteste Bluesvagabund der Musikgeschichte nun wirklich zu Tode gekommen?

Wie bereits beschrieben, gingen schon in den 30er Jahren die wildesten Gerüchte um Robert Johnsons Tod um. Dabei wäre der Gute normalerweise, nachdem man ihn verscharrt hatte, wahrscheinlich recht bald vergessen gewesen - denn Bluessänger waren wohl oft sehr beliebt, aber eben des Teufels und daher unwürdig, anständig begraben zu werden. Weder Blind Lemon noch Charley Patton, nicht einmal die große Bessie Smith hatten einen Grabstein. Letztere mußte auf die Popröhre Janis Joplin warten, die ihr dann endlich einen Namen aufs Grab setzte. Wie erklärt sich das bloß? Wenn man sich ein wenig in schwarzer Kultur auskennt, so erfährt man, daß man Musiker und Schausteller nach Stammesgebrauch nicht in die Erde setzte, sondern in hohle Baumstümpfe legte und sie dort verrotten ließ. Das war natürlich im zivilisierten Amerika nicht möglich, also begnügte man sich damit, den Bluesbarden wenigstens den Namen auf der Grabstätte zu verweigern.

Wie sang doch Robert: "You may bury my body down by the highway side, so my old evil spirit can catch a Greyhound bus and ride" ("Me And The Devil Blues"). Man sieht, daß sich der Bluessänger selbst als Wohnsitz einer üblen Seele bezeichnete und fatalistisch der physischen Verrottung preisgab. Bluessänger zu werden oder zu sein war offensichtlich eine üble Berufung, der man nicht entgehen konnte. Ich weiß, was es heißt, zu entdecken, daß man eben nicht anders kann, als der Stimme seines Herzens zu folgen.

 

 

Doch zurück zu Robert Johnson.

Son House warnte Robert unzählige Male, es mit den Weibern nicht zu bunt zu treiben. Offensichtlich war der Jüngling nicht imstande, seine Hormone unter Kontrolle zu halten. Er war stets mit der Bratpfanne unterwegs, die er nicht nur zum Tönen brachte, sondern gleich als Rattenfalle für alles einsetzte, was einen Kittel trug. Anscheinend galt Robert Johnson unter seinesgleichen als attraktiv. Wenn man das in den Achtzigern gefundene Photo ansieht, kann man das fast glauben. Die oft von jahrelanger Feldarbeit und billigem Fusel gezeichneten Gesichter der Plantagenknechte waren oft auch für den anspruchslosen Geschmack der schwarzen Weiblichkeit keine Augenweide.

Robert hatte sich sein kurzes Leben lang vor der Feldarbeit gedrückt; seine feingliedrigen Hände bewiesen das. Offensichtlich benützte er die Gitarre (wie weiland auch ich), um dem "Hacklerdasein" zu entkommen und bei den Miezen den Schnurrekater zu spielen. In der rauhen Welt der Cottonfields konnte das aber unter Umständen tödlich enden. In einem Buch über Charley Patton ist zu lesen, daß man beim "Chicken-frying", wie man das Anbraten junger Frauen nannte, entweder das Messer eines Rivalen zwischen die Rippen oder die Axt ihrer Mammy über den Schädel bekommen konnte. Die beliebteste Methode aber, sich eines Brünstigen zu entledigen, war eine "Spinne" im Whisky. Dazu kochte man Mottenkugeln in tödlicher Menge zu einem Konzentrat ein, um dieses einem Stockbesoffenen ins Fluchtstamperl zu applizieren. Der Störenfried ging dann nach fürchterlichen Leibkrämpfen elend zugrunde. Man sagt ja, daß Robert auf allen Vieren kriechend wie ein bellender Hund gestorben sein soll.

Wenn sich eine (wenn auch posthume) Star-Persönlichkeit unter ungeklärten Umständen aus dem Leben macht, ruft das natürlich auch die Wissenschaft auf den Plan. Ich unterhielt mich zweimal mit Honeyboy Edwards, der Augenzeuge von Johnsons Tod gewesen sein soll, und er erzählte immer dieselbe Geschichte: Robert habe sich an die Frau des Lokalbesitzers herangemacht, und dieser habe ihm dann eine geöffnete Whiskyflasche angeboten, die ihm Sonnyboy Williamson (Rice Miller) mit der Warnung, man solle nie aus einer angebrochenen Flasche trinken, aus der Hand geschlagen hat. Robert protestierte und trank ein zweites Mal. Nach den ersten Takten, die er nach der Pause spielte, brach er zusammen und kotzte sich die Seele aus dem Leib. Man brachte ihn zu einem Nachbarn, wo er drei Tage später verstarb.

Auf der Sterbeurkunde, die 1968 gefunden wurde, steht klar der Vermerk "No Doctor" zu lesen. Das Leben von Schwarzen war im Süden nie viel wert gewesen, aber in den Tagen der Delta-Blues-Giganten scherte man sich überhaupt nicht darum, wie ein Schwarzer zu Tode gekommen war. Es kam darauf an, ob der Verblichene ein guter Arbeiter war und dem Plantagenbesitzer die Pacht rechtzeitig zahlte (Sharecrop-System). Ob und wie sich die "Nigger" umbrachten, war in der Zeit der großen Depression (1929-1934) kein Thema, da es billige Arbeitskräfte ohnehin zum Schweinefüttern gab. Der Sheriff kreuzte nur auf, wenn es Probleme mit Weißen gab.

Wie in früheren Folgen dieser Kolumne angemerkt, war Johnsons Tod ein gefundenes Fressen für spekulative Geister und brachte in unserer heutigen esoterikanfälligen Zeit die groteskesten Blüten hervor. Die Spitze der Witze ist "Crossroads" - ein Filmchen für unbedarfte Romantiker, die sich gern an Mythen delektieren.

Was mir an der Sterbeproblematik des Robert Leroy Johnson zu denken gibt, ist die Tatsache, daß man erst jetzt die Rückseite des Totenscheins veröffentlicht hat. Wollte man vom Mythos des Getriebenen profitieren, so lange es ging, oder die Wahrheit nicht wissen, weil sie zu einer Entmystifizierung geführt hätte? James Dean raste sich schließlich auch nicht aus unglücklicher Liebe zu Pier Angeli in den Tod. Vielmehr hatten ihre Eltern erfahren, daß der große Rebell schwul oder zumindest bisexuell und möglicherweise unter der Gürtellinie mit dem Frauenidol Rock Hudson bekannt war. Aber über solche Tabus durfte in den 50ern nicht gesprochen werden.

In dem Buch "Chasin´ That Devil Music" von Gayle Dean Wardlow wurde die Rückseite von Johnsons Totenschein jedenfalls veröffentlicht.

 

 

Der Mann, der Robert Johnson vor dessen Tod beherbergte, war weiß (!). Da Robert aber nicht auf seiner Plantage arbeitete, verweigerte ihm sein Quartiergeber offensichtlich ärztliche Hilfe, ließ ihn aber wenigstens in seinem Haus sterben. Es wird zwar behauptet, daß Robert bei ihm anheuern wollte, aber das kommt mir wegen seiner notorischen Arbeitsscheu eher unwahrscheinlich vor.

Der Gipfel aber war die vom Plantagenbesitzer geäußerte Vermutung, daß Robert Johnson an Syphilis verstorben sei. Der Internist des Mississippi State Charity Hospital analysierte ein bloßes Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die zum Tod des Sängers führten. Eigentlich wäre es aufgrund von Roberts jungem Alter nicht zwangsläufig zum Exitus gekommen, doch es gab untrügliche Anzeichen dafür, daß syphilitische Spätsymptome den Lauf der Dinge beschleunigt haben könnten.

Robert Johnson litt an den Folgen einer unbehandelten sogenannten kongenitalen Syphilis – das heißt, daß er wahrscheinlich schon mit dieser Krankheit geboren wurde. Eine schwärende Pulsadergeschwulst, angegriffene Blutgefäße sowie beginnende Leberzirrhose könnten seinem Körper so zugesetzt haben, daß er durch die Kombination von "Moonshine-Whisky" (also illegal gebranntem Fusel) und seiner Krankheit auch noch Lungenentzündung bekommen hat - und das war´s dann. Antibiotika wie Penicillin gab es erst nach 1945.

Roberts Todestag war makabrerweise der 16. August. Genau 39 Jahre später blies sich Elvis Aaron Presley aus Mississippi mit Drogen und Freßorgien das Lebenslicht aus. Auch Elvis lebt, wie James Dean und Rudolfo Valentino. Das ist halt einmal so. Robert Johnson aber wurde in eine rasch zusammengezimmerte Kiste geworfen und verscharrt - wo, das weiß man bis heute nicht genau.

Erst nach mehr als 20 Jahren stand der Teufelsbraten wieder von den Toten auf. Und mit einem Mal hatte der Sensations- und Spekulationsjournalismus eine neue Ikone ...

Al Cook im EVOLVER

Unverfälscht, traditionsbewußt und weitab vom Kommerz-, Radio- und Social-Media-Mainstream: So wie Al Cook Musik macht, schreibt er auch - und zwar exklusiv im EVOLVER. Lesen Sie hier seine sehr persönliche Einführung in die Welt des authentischen Blues-Genres und seiner Position im populärkulturellen Musikgeschehen.


Kolumnen_ Al Cook im EVOLVER #9

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Protokoll einer Wiedergeburt

Der EVOLVER veröffentlicht die Kolumne, die der heimische Blues-Traditionalist Al Cook jahrelang für eine heimische Website schrieb, auf seinen Seiten neu - nicht nur, damit die Texte nicht verloren gehen, sondern weil sie so gut sind. Heute erfahren Sie, wie sich Nekrophilie bezahlt macht ...

Poor Bob - wie er sich im "Cross Road Blues" bezeichnete - war noch nicht einmal kalt, als die Jazzfans schon die Krampen schärften, um ihn wieder auszugraben. Wenn Robert Johnson keinen Frieden finden sollte, war daran sicher nicht seine gottlose Vagabundenseele schuld, die er dem Teufel verpfändet haben soll, sondern die seltsam anmutende Sensationsgier mythengläubiger Jazz-Journalisten, die ihr Publikum zum Lesen ihrer meist unwissenschaftlichen Traktate vergattern wollten.

Bis vor kurzem waren keinem Blues-Fan fundierte Ergebnisse seriöser Jazzforschung zugänglich. Ich verschlang die verschiedenen Büchlein mit derselben Neugier wie meine Genossen von der Altrocker-Partie. Der große Unterschied aber war der, daß ich in der Seele tatsächlich in den 20ern und 30ern des vorigen Jahrhunderts lebte. Meine gesamte Familie war im Alter der klassischen Bluessänger und impfte mir das Lebensgefühl der Vorkriegszeit Tag für Tag ein. Ich bin mit dem Zweiten Weltkrieg mehr vertraut als mit Vietnam oder dem Golfkonflikt. Als man Elvis die Koteletten abrasierte und die Ära der swingenden Musik mit Ende der 50er Jahre zusammenbrach, fiel bei mir der Vorhang. Wie schon bemerkt, machte ich die gesellschaftlichen Entwicklungen der nachfolgenden revolutionären Sixties nicht mehr mit und blieb daher mental davon unberührt. Für mich war es also ein Leichtes, die Welt des Blues mit den richtigen Augen zu sehen.

Die aufkommende Rockkultur (nicht Rock´n´Roll! Anm. d. Verf.) wurde wohl durch Vertreter der heute 55- bis 65jährigen gegründet und war von einer Absage an die bisherige, evolutionäre Musikgeschichte getragen. Kann man zum Beispiel manche Hits von Elvis, Carl Perkins, Chuck Berry oder Fats Domino bis zu den Tagen von Blind Lemon Jefferson und Konsorten zurückverfolgen, ist das bei nach dem Anbruch der Poprevolution komponierten Songs nicht mehr so einfach auszumachen. Für mich passierte daher mit dem Erscheinen der Britpop-Welle Anfang der 60er Jahre ein kultureller Bruch, der die Weichen der zeitgenössischen Musikkultur für immer gestellt hat. Da können auch die diversen Nostalgiewellen nichts ändern - deren Ergebnis ist höchstens eine Art verkrampfter Retropop.

Nun stellt sich wieder die alte Frage, was das wohl mit Robert Johnson zu tun hat.

Und wieder sage ich: eine ganze Menge. Diejenigen, denen der Sprung zur internationalen Karriere aufgrund ihrer angloamerikanischen Herkunft gelungen ist, haben seine Musik total mißverstanden und mit dem Lebensgefühl der Sechziger zu interpretieren versucht. Das wirkt aus meiner Sicht wie ein Film über die drei Musketiere, denen man Laserpistolen anstatt scharfgeschliffene Degen in die Hand drückt - mit dem Argument, daß das besser ankäme. Für die meisten Menschen ist Musik sowieso nur eine mehr oder weniger angenehme Kombination von Tönen, die eben gefallen oder nicht. Was sich der Künstler zu seinen Lebzeiten gedacht hat, interessiert in den meisten Fällen nicht.

Und so kam es, daß die glühende Begeisterung für Robert Johnson in dröhnende Rockklassiker ausartete. Ich bin kein Ayatollah, der den Musikern verbietet, frei zu interpretieren, sondern nur dagegen, daß die Medien der großen Öffentlichkeit eine Ente als Schwan verkaufen wollen, und daß auf diese Weise die falschen Propheten die große Kohle machen und noch ihren Namen daruntersetzen. Doch mit der heutigen Medienpolitik werde ich mich ein andermal befassen.

 

 

Zu Weihnachten 1938 veranstaltete der Jazzguru John Hammond sen. ein denkwürdiges Konzert in der New Yorker Carnegie Hall. Der Sponsor war eine linkslastige Zeitung namens "New Masses", die sich auch der unterdrückten Schwarzen annahm. Das Kulturbürgertum von Manhattan ging also "Neger schauen".

Neben weißen Swingern wie Benny Goodman traten bei dem Konzert viele schwarze Künstler auf, die man meines Erachtens nach ihrer Präsentierbarkeit ausgesucht hatte. Man unterteilte fein säuberlich nach Sparten und setzte den Namen Robert Johnson unter Blues aufs Programm. Verzweifelt irrten die Späher durch die weißen Flecken auf der Landkarte im tiefsten Mississippi-Delta, um den armen Robert noch vor dem Zugriff des Teufels zu erwischen - und mußten erkennen, daß ihn der bereits kassiert hatte.

Son House, Willie Brown und Muddy Waters, der damals noch McKinley Morganfield hieß, hätten ohne Scham gleichwertigen Ersatz geboten, aber man holte sich gerade Big Bill Broonzy, den urbanisierten Bluebird-Helden, der für die Weißen den schreienden Country-Jogl spielen mußte. In memoriam Robert Johnson spielte man einige seiner Platten, und somit stand der Karriere Big Bills als Folkblues-Ikone neben Leadbelly nichts mehr im Wege. Dennoch schoß das Boogie-Woogie-Dreigestirn Ammons-Lewis-(Pete)Johnson den Vogel ab. Wie heutzutage machten die tiefen Bluestypen auch damals nicht das große Geschäft, weil sie für ein zahlungskräftiges Publikum einfach unverdaulich waren. Man stelle sich einen Robert Johnson vor, der nach seinem Auftritt stockbesoffen die Frau Senator im Pailettenkleid über den Tisch biegen will, oder Big Joe Williams und Rice Miller (Sonnyboy Nr. 2), die das Taschenfeitl schneller zur Hand hatten als die Whiskeyflasche.

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde es still um den Blues. Kein Hahn krähte nach der alten Baumwollpflückermusik. Die Giganten des Country-Blues und die klassischen Sängerinnen machten keinen Nickel mehr. Sie waren entweder tot oder lebten noch ein paar Jahre in bitterster Armut. Die Überlebenskünstler wie Roosevelt Sykes und die Bluebird-Partie Washboard Sam, Big Bill und ihr Dunstkreis paßten sich der Swingmode an und jumpten sich den Hintern weg, um noch auf den Rhythm & Blues-Expreß aufzuspringen. Als Muddy Waters 1943 den Magnolien den Rücken kehrte, sagte seine Schwester zu ihm: "Muddy, die Nigger im Norden wollen deinen Baumwollgesang nicht mehr hören, in Chicago gehen die Uhren anders."

Nach ein paar historischen Aufnahmen im Jahre 1947 war es dann vorbei. So könnte Robert mit E-Gitarre geklungen haben. Die Schwarzen hatten zumindest auf Tonträgern und in Chicagos Unterweltkneipen ihre Tradition endlich auf die Müllhalde der Musikgeschichte geworfen. Das traurige Ende schwarzer Kultur manifestiert sich in der Gestalt Michael Jacksons, dessen Haut bereits weißer ist als meine Jazzkellerfarbe.

 

Wären da nicht diese irren Weißen gewesen, die wie Goldgräber nach Schellacks suchten und noch das letzte bluesige Röcheln eines Son House auf CD gebannt hätten, dann hätten sich um den Blues oder einen Robert Johnson im wahrsten Sinne des Wortes "kein Neger mehr ge..."

Zufällig entdeckten aber einige schlaue Füchse, daß man mit den Boys aus der Mottenkiste des Blues Kohle machen konnte. Ein bißchen schwüle Südstaatenmystik und dunkles Unerforschtes - und schon rollt der Rubel. Die Echten aber haben, wie seit jeher die Ehrlichen, das kleinste Stück vom großen Blueskuchen auf den Teller bekommen.

 

Ich hoffe, daß euch meine Ausführungen nach wie interessieren und fahre bald mit neuen Betrachtungen fort.

 

Euer Al Cook

 

 

P.S.: Sollte jemand mit dem Begriff "Bluebird" nichts anfangen können, so sei erläutert, daß damit das Race-Label von RCA Victor gemeint ist, das schwarze Unterhaltungsmusik für Schwarze produzierte. Die Hausband bestand aus Big Bill Broonzy oder Tampa Red auf der Gitarre, Washboard Sam bestritt den perkussiven Teil, und Black Bob, Joshua Altheimer oder Big Maceo spielten Klavier. Manchmal waren auch William "Jazz" Gillum an der Mundharmonika und Ransom Knowling am Baß dabei. Man spielte leichte Kost zum Tanzen, die man fast als Vorläuferphase zum Postwar-Blues betrachten kann. Fast alle machten zudem Platten in eigener Sache und waren auch gute Sänger. Mit der Öffnung der Rassebarrieren nach der ersten Rock´n´Roll-Revolution verschwanden die reinen Race-Labels. Heute ist es ganz normal, daß sich Schwarze auch auf dem weißen Markt gut verkaufen.

Al Cook im EVOLVER

Unverfälscht, traditionsbewußt und weitab vom Kommerz-, Radio- und Social-Media-Mainstream: So wie Al Cook Musik macht, schreibt er auch - und zwar exklusiv im EVOLVER. Lesen Sie hier seine sehr persönliche Einführung in die Welt des authentischen Blues-Genres und seiner Position im populärkulturellen Musikgeschehen.

Al Cook - 74. Geburtstag


Great Birthday Jamboree

Auch heuer feiert Al Cook seinen Geburtstag wieder, indem er in einem Konzert (samt Original Al Cook Band) dem geneigten Publikum beweist, daß er sich nach wie vor unermüdlich für den Blues einsetzt.

 

Wann: Sa., 2. März 2019, 20 Uhr

Wo: Schutzhaus Zukunft auf der Schmelz, verlängerte Guntherstraße, 1150 Wien

Kartenvorverkauf: (01)982 01 27

Kino_ Film-Tips Februar 2019

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Hereinspaziert, hereinspaziert!

Clint Eastwood zeigt, daß man auch noch im hohen Alter schießen kann. Battle Angle Alita erlebt mit Jahrzehnten Verspätung ihr Realfilmdebüt. Dazu kommen noch zwei Söhne, die ihren Eltern auf ganz unterschiedliche Art Angst einjagen. Alles jetzt im Kino.

The Mule


Filmstart: 1. Februar

Clint Eastwood hat einiges an herablassender Gönnerhaftigkeit für seinen (vielleicht wirklich) letzten Film einstecken müssen. Mit 88 Jahren gibt er da (based on a true event) einen betagten Gärtner, der sich für mexikanische Drogendealer als Transport-Muli verdingt. Die bemüht konzilianten Kritiken sind fehl am Platz. "The Mule" ist Eastwoods schönste Arbeit seit vielen Jahren und läßt den Ausrutscher "15:17 to Paris" endgültig vergessen. Der Film ist wunderbar geschrieben; die Verquickung der Schmuggel-Story mit den familiären troubles des Helden funktioniert wie geölt und kann jeder Drehbuchklasse zum Studium vorgelegt werden. Der Film ist nahezu perfekt inszeniert, typengerecht gecastet und - nicht zuletzt von Eastwood selbst - makellos gespielt. Am schönsten aber ist die Grundstimmung des Ganzen: Als Thriller, Road Movie und Tragikomödie in einem hat "The Mule" etwas von der schwerelosen Eleganz jener Country-Songs, die der Alte da in seinem SUV zum Autoradio fröhlich mitsummt. "On the road again ..." Wenn das wirklich Eastwoods Abschied sein sollte, dann war´s ein würdiges Goodbye. See you in heaven.  (HL)

 

 

The Prodigy


Filmstart: 7. Februar

Kinder und Horror - das paßt bestens zusammen. Und das liegt nur nicht daran, daß es viele Kinder gibt, die für ihre nähere und fernere Umwelt der pure Horror sind ...

Was die lieben Kleinen besonders geeignet für Gruselfilme macht, ist ihre angebliche Unschuld. Da trifft es den Zuseher umso mehr, wenn so ein Kind (wie im Kino x-mal gesehen) sich plötzlich als Sproß eines außerirdischen Einflusses herausstellt, aus Spaß an der Freud´ Erwachsene niedermetzelt, vom Teufel besessen ist oder gar der Antichrist ist usw. usf. Im Fall von "The Prodigy", einem bestenfalls durchschnittlichen Beitrag zum Thema, weil - wie fast alles im aktuellen US-Kino - von diesem stupid-langweiligen, politisch überkorrekt behandelten "famlee"-Irsinnn befallen, ist der minderjährige Protagonist Miles ein sogenanntes Wunderkind, weil überdurchschnittlich intelligent.

Daß sowas (vor allem heutzutage) nicht gutgehen kann, zeigt sich, als der Bub älter wird und einige seltsame Eigenschaften annimmt, die seine Eltern fürchten lassen, daß er - und jetzt alle - besessen ist. Vielleicht sogar von einem Serienkiller, damit man als Zuseher gleich noch ein weiteres Klischee über sich ergehen lassen muß.

Regisseur Nicholas McCarthy ("The Pact") hat in Interviews behauptet, daß einige Szenen seines Films so schockierend waren, daß das Testpublikum mit lautem Entsetzensgeschrei die nächste Szene überbrüllte. Solche zartbesaiteten Gemüter findet man bei "The Prodigy" in unseren Kinos nicht. Aber wahrscheinlich sitzen die alle zu Hause und fürchten sich vor ihren Kindern ...  (ph)

 

 

 

Alita: Battle Angel


Filmstart: 14. Februar

Man kann Robert Rodriguez nicht viel vorwerfen. Fast alle seine Filme, selbst die obskursten, lassen sich anschauen, ohne dabei zu leiden. Und bei vielen freut man sich sogar darüber, daß der Mann seine gesunde Pulp-Leidenschaft nie aufgegeben hat. Der einzige Fehler, den der US-Amerikaner (heute muß man anscheinend immer "US-Amerikaner" schreiben, damit keiner auf die Idee kommt, es könnte sich um einen Südamerikaner, Mittelamerikaner, Kanadier oder Mond-Amerikaner handelt; obwohl man das ja dann extra anführen würde) ... wo war ich ... ach ja, der Amerikaner mexikanischer Herkunft hat, ist seine Freundschaft mit Tintin Quarantino. Die führt unter anderem nämlich anscheinend auch bei ihm zur irrigen Ansicht, daß Christoph Waltz ein Schauspieler ist, der es verdient hat, übers österreichische Vorabendprogramm hinaus gezeigt zu werden.

Andererseits: Einen Rodriguez-Film kann nicht einmal ein Waltz kaputtmachen, anders als beispielsweise einen Bond-Streifen. Aber das ist eine andere Geschichte. Diesmal verfilmte der Regisseur den Manga "Alita: Battle Angel", der in der allseits beliebten postapokalyptischen Welt spielt und von einem Cyborg-Mädchen handelt, wie sie wiederum in der japanischen Popkultur sehr beliebt sind. Man muß aber kein Manga/Anime-Fan sein, um dieses Werk zu mögen, es genügt, wenn man Science Fiction, Action und Special Effects zu schätzen weiß. Da mögen die Charaktere zwar etwas zu wenig Tiefe haben, aber wir sind ja mittlerweile Marvel-Filme gewöhnt, also macht uns das nix aus. Die Gesellschaft des Spektakels hat sich ja ohnehin längst durchgesetzt. Und in der macht "Alita: Battle Angel" eine durchaus gute Figur - gerade im "US-amerikanischen" Kino von heute.  (ph)

 

 

Der verlorene Sohn


Filmstart: 21. Februar

Ein Familiendrama um einen schwulen Heranwachsenden, das ganz ohne Kitsch und grelle Effekte auskommt, das ist schon was! Es geht um einen jungen Mann aus dem amerikanischen Bible Belt, dessen an sich wohlmeinende Eltern ihn in eine ultraorthodoxe Umerziehungsschule stecken, wo seine Vorliebe fürs eigene Geschlecht ausradiert (Originaltitel: "Boy Erased") werden soll. Das könnte zur Horrorshow ausarten, doch die Inszenierung von Joel Edgerton (der auch just den strengen "Therapeuten" spielt!) beläßt selbst den homophoben Figuren einen Rest von Würde. Formal ist das alles reichlich konventionell gefilmt – die Großaufnahme eines Trinkwasserspenders ist da schon das Höchste an Exzentrik! - , doch die Darsteller, vor allem Lucas Hedges ("Manchester by the Sea") in der Titelrolle und Russel Crowe als sein Vater, der aus seiner Baptisten-Ideologie nicht herausfindet, tragen den Film ohne Spannungsverlust bis ins Ziel. Und so lange es Stimmen gibt, die allen Ernstes meinen, Homosexualität sei "heilbar", bleibt das Thema leider nicht nur in den USA aktuell.  (HL)

 

 

Kolumnen_ Al Cook im EVOLVER #10

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Erotik und Sex in der Welt des Blues

In seiner aktuellen Kolumne widmet sich der heimische Blues-Traditionalist Al Cook seiner neuen Platte mit der großen Dana Gillespie, den Aufnahmesitzungen dazu sowie dem bekannten Wiener Blueslabel Wolf Records. Spitzen Sie die Ohren!

Daß der Blues bloß traurig-selbstmitleidige Baumwollpflückermusik ist, kann heutzutage nur mehr ein sogenannter "Dummie" glauben. Schon vor mir haben zahlreiche Blues-Experten anhand gründlicher Recherchen längst widerlegt, daß es in diesem Genre nur so von weltverdrossenen Feldarbeitern wimmelt, die politisch gefärbte Protestsongs gegen Segregation und die Ungerechtigkeit des Sharecropping-Systems in Schellack brannten.

In Wahrheit thematisierte die Majorität der Blueskünstler schlicht und einfach ihr Alltagsleben, das wohl durch harte Arbeit und widrige Lebensumstände bestimmt war, aber keineswegs kritikbeladen und pessimistisch besungen wurde. Zwischenmenschliche Probleme, Alkohol sowie Geldmangel und die daraus resultierende soziale Situation bildeten die vorherrschende Thematik des Blues. Und dennoch gab es Unterhaltung, Spaß und Vergnügen, wenn auch oft derb und untergärig - was man damals schlicht mit dem Terminus "Party Blues" oder "Hokum Music" verband.

Als die Plattenindustrie diese Art des Entertainments als bislang ungenützte Marktlücke entdeckte, wurden massenhaft Tonträger produziert, auf deren Etiketten bald prominente Namen prangten.

 

Heutzutage scheint die Ära des Party-Blues fast vergessen, da die Rock- und Popmusik genug Raum für offen Ausgesprochenes bereitstellt, in dem sich oft banales Zeug brachial zur Schau stellt. Leider werden der pittoreske Humor blumiger Mehrdeutigkeit sowie der schwarze Double-Talk der Zwischenkriegszeit mittlerweile nicht mehr richtig verstanden. Doch genau das war es, was die britische Sängerin Dana Gillespie und mich nach Jahrzehnten persönlicher Bekanntschaft für ein gemeinsames Projekt zusammenführte.

Dana ist der internationalen Musikszene genauso ein Begriff, wie ihre hocherotische Präsenz sie in Film und Fernsehen bekannt gemacht hat. Trotz aller Prominenz wollte sie aber einfach "nur" eine Party-Blues-CD im klassischen Down-Home-Stil produzieren. Meines Wissens besprach sie dieses Projekt auch mit unserem gemeinsamen Boß Hannes Folterbauer, seines Zeichens Chef und Mastermind von Wolf Records International, dem bekannten Wiener Blueslabel. Es war also nur mehr eine Frage der Terminvereinbarung, um den Startschuß abzufeuern.

Daß der Blues der 20er bis 40er mein Spezialfach ist, kann ja vorausgesetzt werden. So ließ ich mich also vorerst von zwei CDs mit Auswahlstücken berieseln, und Dana grenzte ihre Selektion so ein, daß noch Raum für einige ihrer Eigenkompositionen blieb. Dabei trug sie mir ihre Bedenken vor, daß etwaige Begleitmusiker und das Studio noch zusätzlich eine Stange Geld kosten würden. Das wischte ich zu ihrer Erleichterung gleich vom Tisch, da ich ein strikter Vertreter der Autarkie und der ausnahmslos funktionierenden Personalunion bin.

Zwei Telefonate mit Charlie Lloyd und Harry Hudson, das Makeshift-Studio aktiviert - und ab geht die Post. Ohne jeden wie immer gearteten Studiostreß und in locker-amikaler Atmosphäre schafften wir es nach gemütlichem Zusammensein, schnell die optimalen Rahmenbedingungen herzustellen. Ich setzte mich an den Recorder und machte den Aufnahmeleiter. Da es im Keller noch ein wenig kalt war, knipste ich den Heizstrahler an. Charlie spielte sich am Stutzflügel noch die Finger warm, während Harry die Mikros um das Schlagzeug positionierte. Die Lautstärkepegel waren in Kürze einjustiert, und wir begannen mit den Aufnahmen.

Es ist schon ein anderes Gefühl, wenn einem das nötige Equipment gehört und die Zeit einfach nichts kostet. Vor allem braucht man sich nicht von eitelkeitsgeplagten Tonmeistern nerven zu lassen, die keine Ahnung haben, aber alles besser wissen. Der Blues unterliegt auch tontechnisch anderen Kriterien als sagen wir mal zeitgenössische Tonkunst. Die Übersprechungen beim gleichzeitigen Aufnehmen dreier Tonquellen waren geringfügig, da eigentlich dezent und in Zimmerlautstärke aufgenommen wurde. Zwei bis drei Takes genügten, um die Referenzbasis zu konsolidieren. Dana wurde vor Beginn der Aufnahmen von Wolf Records aus London eingeflogen und sang ihren Part sehr souverän und professionell ... kein Wunder. Als ich das erste Mal auf der Bühne stand, nahm sie bereits ihre Debütplatten auf.

Die Musikstücke auf der CD sind bis auf wenige Ausnahmen Coverversionen von wohlbekannten Bluesgrößen. Wo es maskuline Themen wie Big Bill Broonzys "Auto Mechanic Blues" sind, schrieb sie den Text aus der Sicht einer Frau um. Besondere Beachtung gebührt jedoch der eindeutigen Zweideutigkeit einer ihrer Eigenkompositionen mit dem Titel "FCK Blues". Dana singt: "The only thing that´s missing is You" - oder eben das "U", was im Englischen ja bekanntlich gleich ausgesprochen wird. "My Handy Man" ist ein klassischer Blues aus der Vaudeville-Ära, den Charlie exzellent am Piano begleitet. Der Terminus "Handy" hat in diesem Fall absolut nichts mit einem Mobiltelefon zu tun, denn 1923 gab´s so etwas noch nicht. Alberta Hunter singt im Original von einem geschickten Mann, der alles kann. Der Rest ist metaphorisch zu verstehen. Die einzige Nummer, die an die Steinzeit des Rock´n´Roll erinnert, ist "Red Light", eine Uptempo-Nummer von Mercy Dee Walton, einem R&B-Künstler der Post-War-Ära.

 

Dazu engagierte ich Wayne Martin, einen ambitionierten Rockabilly-Gitarristen, der die Rhythmusgitarre im Stil von Lee Kizard spielte. Lee war der legendäre Leadgitarrist von Ike Turners Delta Rhythm Kings, der "Rocket 88" mit seiner angezerrten Boogie-Baßfigur 1951 zum Hit machte. Schließlich hatte ich das Vergnügen, Dana auf zwei Nummern mit dem Piano zu begleiten. Da mein Spiel umstandsbedingt nur auf E-Dur limitiert ist, reichte das völlig aus. Stilmäßig kann man die beiden Nummern als Treffer bezeichnen, weil "No More Waiting" mit Harry Hudsons Washboard-Begleitung ein hammermäßiger Ohrwurm ist, während "Love Operation" Danas bluesig-getrimmte "Puffmutterstimme" durch mein schweres St.-Louis-Barrelhouse-Piano so richtig zur Geltung kommen läßt.

Schließlich fehlte dem Ganzen noch die Politur. Und damit meine ich nicht etwa einen akustischen Zuckerguß ... bei Gott nicht. Aber wenn Damen geslappten Kontrabaß spielen können, hat das einfach sein Faszinosum.

Karin Daym, eine in unserer Bluesszene allseits bekannte Bassistin, war für diese Produktion ein absolutes Muß. Sie hatte sich bereits als Sängerin und exzellente Baßlady bei einigen meiner früheren Produktionen profiliert. Ich nahm sie mit ins Boot und tat gut daran. Bei einer Nummer sang sie sogar zweite Stimme. Mit diesen Musikern hatte ich eine unschlagbare Truppe beisammen, über die ich nur mehr meine Gitarrensoli legen mußte.

 

Doch die Knochenarbeit lag noch vor uns.

Kaum jemand kann sich vorstellen, wie die Musik, die man von der CD hört, akustisch akzeptabel abgemischt wird. Sind mehr als zwei Instrumente an der Aufnahme beteiligt, so klingt das auf jeder Anlage anders. Zwischen Kofferradio, Stereo-Equipment, Autoradio und Smartphone liegen oft akustische Welten. Zumindest von Autoradios weiß ich, daß sie auf baßlastigen Popsound kalibriert sind. Popmusik hat die Eigenschaft, daß bei Verringerung des Lautstärkepegels primär Baßfrequenzen und das Schlagzeug überbleiben. Beim Blues sowie bei Rock´n´Roll und sämtlicher Pre-Sixties-Musik bleiben jedoch der Sänger bzw. das Soloinstrument im Vordergrund. Was also tun, damit der eher baßlastige Anteil der Aufnahme den Gesang und die Sologitarre nicht zudeckt ?

Harry Hudson hat ein sensibles Musikempfinden, während Charlie ein fast absolutes Gehör besitzt. Mit meinem detektivischen Sinn für Stiltreue sind wir zusammen ein kaum zu schlagendes Trio. Das Ergebnis ist dann meistens, daß zumindest ein Unzufriedener als Kompromiß-Pepperl überbleibt. Wir einigten uns auf Harrys Talent als Mixing-Engineer, während Charlie und ich uns mit der Assistenzfunktion beschieden.

Am ersten Tag funktionierte das Computerprogramm nicht, dann raubten uns noch andere technische Probleme die Restenergie. Kurz vor der "Scheißdrauf-Phase" entdeckte Harry unter seinen Habseligkeiten einen CD-Direktbrenner. Daraufhin ließen wir den Computer Computer sein und mischten vom Recorder gleich aufs Vormaster. Das funktionierte wenigstens - und dann ging es erst richtig los.

Harry verkabelte vier (!) Lautsprecherpaare von unterschiedlicher Bauart und versuchte so den jeweils sachspezifisch besten Sound zu mischen. Das dauerte natürlich die vierfache Zeit, und wir fühlten uns nach den ersten sechs Nummern bereits wie orientierungslose Drahdiwaberln im schwerelosen Raum. Harry kratzte den letzten Energievorrat für die letzten sechs Nummern zusammen - und ich kritisierte ihn auch noch, daß er die CD mit Rockmethodik mischte, worauf er verständlicherweise die Nerven wegschmiß. Nach einer Stunde beruhigte sich die Situation, und die Arbeiten konnten abgeschlossen werden. Zu Hause stellte ich dann das Line-up für die Titel zusammen und lieferte das Werk ab. Die Finalisierungsarbeiten wie Cover und Vervielfältigung wurden von Wolf Records bewerkstelligt.

Nun aber steht die CD offiziell unter der Bestellnummer 120.984 zum Verkauf, und am 9. Mai 2019 um 20 Uhr findet im Metropol (1170 Wien, Hernalser Hauptstraße 55) die Präsentation mit Live-Konzert statt. Tickets können Sie unter der Tel. Nr. (01)407 77 407 bestellen.

Schauen – und hören – Sie sich das an, verehrte Damen und Herren!

Al Cook im EVOLVER

Unverfälscht, traditionsbewußt und weitab vom Kommerz-, Radio- und Social-Media-Mainstream: So wie Al Cook Musik macht, schreibt er auch - und zwar exklusiv im EVOLVER. Lesen Sie hier seine sehr persönliche Einführung in die Welt des authentischen Blues-Genres und seiner Position im populärkulturellen Musikgeschehen.

Take It Off Slowly


Dana Gillespie meets Al Cook

 Wolf Records CD 120.984

Termin-Tip

Am 9. Mai 2019 um 20 Uhr findet im Metropol (1170 Wien, Hernalser Hauptstraße 55) die CD-Präsentation samt Live-Konzert statt. Tickets unter der Tel.-Nr.: (01) 407 77 407

Al Cook - 74. Geburtstag


Great Birthday Jamboree

Auch heuer feiert Al Cook seinen Geburtstag wieder, indem er in einem Konzert (samt Original Al Cook Band) dem geneigten Publikum beweist, daß er sich nach wie vor unermüdlich für den Blues einsetzt.

 

Wann: Sa., 2. März 2019, 20 Uhr

Wo: Schutzhaus Zukunft auf der Schmelz, verlängerte Guntherstraße, 1150 Wien

Kartenvorverkauf: (01)982 01 27

Print_ Kurt Bauer - Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen

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"Wenn morgen, Montag, in einer oberösterreichischen Stadt mit einer Waffensuche begonnen wird (...)"

Am 12. Februar 2018 jährte sich der Aufstand von Teilen der österreichischen Sozialdemokratie gegen die Regierung Dollfuß zum 85. Mal. Das 2017 abgehängte Dollfuß-Porträt im Parlament, die heute noch nach Aufständischen benannten Plätze und Bauwerke, Gedenktafeln für die linken Kämpfer und die regelmäßige mediale Wiederkehr des Themas beweisen: Das Ereignis ist uns näher, als es auf den ersten Blick scheint.

Nach vier Jahren Weltkrieg mit Millionen Toten hatten das Haus Habsburg und weitere europäische Adelshäuser jeglichen Anspruch auf Machterhaltung verspielt und politisch ausgedient. Am 12. November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich ausgerufen, die eine Reihe revolutionärer Gesetze erließ und damit sozialpolitische Meilensteine wie das Wahlrecht für Frauen, den Achtstundentag, die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung, Urlaubsanspruch für Arbeiter und Arbeiterinnen, Abschaffung der Todesstrafe etc. setzte.

Doch die politischen Lager mißtrauten einander. Die Linke träumte von Klassenkampf und Sozialismus. Die konservative Rechte, die in den ersten Jahren der Ersten Republik ohne Nationalsozialismus zu denken ist, fürchtete nichts mehr als russische Verhältnisse (Stichwort Roter Terror durch die Bolschewiki) und kokettierte zunehmend mit faschistischem Gedankengut. Die Sozialisten unterhielten mit dem Republikanischen Schutzbund, die Gegenseite mit den Heimwehren bewaffnete Verbände. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen.  

Doch selbst als Engelbert Dollfuß, der spätere Gottseibeiuns der österreichischen Sozialdemokratie, 1932 Bundeskanzler wurde, bedeutete das noch nicht das Ende der Demokratie. Er galt den Sozialisten als "aufrechter Demokrat". Allerdings wandte sich Dollfuß zunehmend autoritären Ideen zu und begann im März 1933 mit dem Abbau der Demokratie. Auf ein Versammlungs- und Aufmarschverbot und die Vorzensur der Presse folgten das Verbot des Republikanischen Schutzbundes und der Kommunistischen Partei, das Verbot des Maiaufmarsches und andere Demütigungen der Arbeiterschaft und ihrer Parteien. Annäherungsversuche der Sozialisten schlug Dollfuß wiederholt aus.

 

Auf wenigen Seiten führt der Historiker Kurt Bauer in diese Situation ein (wenn man mehr wissen möchte - in letzter Zeit sind einige Werke über die Erste Republik erschienen), um sich dann der unmittelbaren Vorgeschichte, den einzelnen Tagen des Aufstands und seinen Nachwirkungen zu widmen: Ende Jänner, Anfang Februar 1934 begann die Polizei mit systematischer Suche nach Waffen in sozialdemokratischen Einrichtungen und verhaftete rund 200 Personen aus dem Führungskader des Schutzbundes.

Vizekanzler Emil Fey hielt am 11. Februar seine "Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten"-Rede. Eine Gruppe des oberösterreichischen Schutzbundes schickte ebenfalls am 11. Februar einen Brief an hochrangige Wiener Genossen, in dem die Oberösterreicher im Fall einer weiteren Waffensuche in einer oberösterreichischen Stadt gewaltsamen Widerstand ankündigten. Als am Morgen des 12. Februars Polizeikräfte in das Linzer Hotel Schiff eindrangen, eröffnete der Schutzbund das Feuer. Bereits nach wenigen Minuten wurden die wichtigsten Führer des oberösterreichischen Schutzbundes verhaftetet.

In Wien beschlossen die Genossen den Generalstreik als Zeichen zum Beginn des Aufstands auszurufen - doch nur wenige Betriebe folgten dem Aufruf. Ungeklärt ist, wie viele Schutzbündler es von vornherein vorzogen, nicht zu kämpfen. Für Wien gibt es die zeitgenössische Schätzung, daß sich von 20.000 bis 25.000 potentiellen Mitgliedern 8.000 bis 10.000 am Kampf beteiligten. Die Regierung verhängte das Standrecht, besetzte widerstandslos das Rathaus und löste den Wiener Gemeinderat auf. Größere Kämpfe gab es in Linz, Wien, Graz, Steyr, der Bergarbeitersiedlung Holzleithen, Bruck an der Mur, Kapfenberg und Leoben. Otto Bauer und Julius Deutsch, die Führer des Kampfes, setzten sich am 13. Februar abends in die Tschechoslowakei ab. Im Wesentlichen war der von vornherein aussichtslose Aufstand am 14. Februar abends niedergekämpft.

Das Regime Dollfuß antwortete mit neun vollstreckten Todesurteilen, dem Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der ihr angeschlossenen Organisationen und Gewerkschaften und einer enormen Verhaftungswelle (bis Februar 1935 waren es 9.700 Verhaftungen). Es folgten Nazi-Terror und ein nationalsozialistischer Putschversuch, das Andocken von enttäuschten Sozialisten bei der illegalen KPÖ - und auch bei den Nationalsozialisten. Ehemalige Schutzbündler und deren Sympathisanten flohen zu Hunderten in die Tschechoslowakei und die Sowjetunion, viele nahmen später am Spanischen Bürgerkrieg teil.

 

Ein großer Teil des Buches widmet sich einer statistischen Einordnung der Opfer des Aufstands und deren biographischer Erfassung. Das Buch entstand aus einem 2012 bis 2014 laufenden Forschungsprojekt, das die Anzahl der Todesopfer des Februaraufstandes 1934 zu klären trachtete - denn diese war zuvor nie wissenschaftlich erhoben worden. Die bis dato in der Literatur genannten Opferzahlen schwanken zwischen ein paar Hundert bis hin zu einigen Tausend. Kurt Bauer erarbeitet 357 namentlich bekannte Todesopfer unter den Aufständischen, der Gegenseite und unbeteiligten Personen - und geht nach Überprüfung unklarer Fälle davon aus, daß die meisten Todesopfer unbeteiligte "Nicht-Kombattanten" gewesen sind.  

Besonders spannend ist das Kapitel "Mythen, Legenden, offene Fragen", das Fragen beantwortet und Überlegungen anstellt, die in Österreich noch heute für erbitterten Streit sorgen können. Zum Beispiel: Wurde der Aufstand vom Dollfuß-Regime provoziert? Ziemlich sicher ja. Handelte es sich um einen tatsächlichen Bürgerkrieg? Nein, dazu war der Aufstand lokal zu begrenzt. Sind die Bauten des Roten Wien von vornherein als Festungen errichtet worden? Nein, mit den Bauten betrieb die Sozialdemokratie Sozialpolitik "und bestimmt nicht Wehrpolitik".

Kurt Bauer gelingt es, den Februaraufstand kurz, bündig und spannend wie einen Krimi darzustellen. Die Schlüsse, die er zieht, möge sich jeder selbst erlesen. Für Kontroversen ist jedenfalls gesorgt: Der heute noch zentralen Frage oder Feststellung, ob oder daß die Aufständischen für die Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie kämpften, entgegnet er nämlich, unterlegt mit zahlreichen Quellen, mit "bestimmt nicht!"

Letztlich ist das aus heutiger Sicht vielleicht auch gar nicht mehr so wichtig. Tatsache bleibt: Die Linke erhob sich gegen das faschistoide System Dollfuß. Vermutlich hätte sie sich gegen die Demokratie nicht erhoben. Die Linke hat den Kampf verloren. Und was daraufhin 1934 bis 1945 passiert ist, ist allgemein bekannt.  

Kino_ Film-Tips März 2019

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Volle Kraft voraus!

Liam Neeson greift zum Schneepflug. Fatih Akin serviert einen Hamburger Serienkiller. Und Jaques Audiard versucht sich am Western-Genre: die EVOLVER-Kino-Tips im März.

Der goldene Handschuh


Filmstart: 1. März 2019

"Schwer erträglicher Gewaltmarsch" (Kurier). "Ausbeuterkino erster Klasse" (orf.at). "Geschmacklos" (Süddeutsche Zeitung Magazin). Ojeoje. Unsere Leinwandmoralisten hatten wieder alle Hände voll zu tun. Schade, daß sie nicht genau hingesehen haben - ist ihnen dadurch doch ein Meisterwerk entgangen. "Der goldene Handschuh" ist der Film, den Fassbinder nie gedreht hat: eine grimmige Studie über die Unterseite der Wohlstandsgesellschaft, eine blutige Ballade über die Kette sozialer Gewalt, an deren Ende, nur zu konsequent, Morde stehen. Der reale Kern der Geschichte ist hinlänglich belegt. Im Hamburg der 1970er Jahre beging der alkoholkranke Nachtwächter Fritz Honka eine Serie von Frauenmorden; von der Mühe des Tötens und Leichenzerstückelns erholte er sich in jener (noch bestehenden) Kneipe, die dem Film (und dem zugrundeliegenden Bestsellerroman von Heinz Strunk) den Titel gibt. Fatih Akin (zuletzt "Aus dem Nichts") hat daraus einen nahezu perfekten Film gemacht. Hier stimmt jedes Detail: die schmierige Dachkammer des Täters (ein Glück, daß das Geruchskino noch nicht erfunden wurde!), die bierselige Atmosphäre im "Goldenen Handschuh" mit ihren  präzise gezeichneten, durchaus warmherzigen Typen (Hark Bohm als alter Suffkopp!), die maskentechnische und mimische Stilisierung des bis dato kaum bekannten Jungschauspielers Jonas Dassler zum anrührend gequälten und anrührend quälenden Killer-Monster (eine Nutte über ihn: "Den würde ich nicht einmal anpissen, wenn er brennt!") , der Soundtrack aus klassischem Schlagergut von Adamo bis Freddy Quinn. Die Mordszenen sind angemessen kompromißlos. Was es wirklich bedeutet, einen Menschen zu töten, haben allenfalls Alfred Hitchcock ("Der zerrissene Vorhang") und Krzysztof Kieślowski ("Ein kurzer Film über das Töten") ähnlich intensiv vorgeführt. 2019 hat gerade erst begonnen, und schon gibt es einen Film des Jahres.  (HL)

 

 

Hard Powder


Filmstart: 1. März 2019

Sicher, man kann etwas gegen Remakes haben. Man kann sich darüber alterieren, daß in Hollywood niemand mehr neue Ideen hat, daß man selbst die unbekanntesten Film- und Fernsehstoffe aus den 60er Jahren aufwärmt und selbst die bescheidensten Kino-/DVD-Erfolge aus anderen Ländern noch einmal abdreht, weil die Amerikaner halt nur bekannte Gesichter auf der Leinwand/dem Netflix-Bildschirm sehen wollen. Da dem aber nunmehr schon seit Jahrzehnten so ist, sollte man sich gar nicht mehr darüber aufregen - sondern lieber schauen, ob die Produzenten der Traumfabrik einem nicht zwischendurch doch die eine oder andere Perle vorwerfen.

"Hard Powder" ist so ein Fall. Man kann sich zwar nur über den "deutschen" Titel dieses Films wundern, weil der so gar nichts mit hartem Gesichtspuder, zu heftigem Geschlechtsverkehr oder pulvrigen Substanzen, die TV-Moderatoren die Nase verstopfen, zu tun hat, sondern wahrscheinlich (wer weiß, was die Titelgeneratoren in Berlin-Mitte so antreibt) mit Pulverschnee. Aber auch darüber sieht man als Mensch des 21. Jahrhunderts großzügig, weil gelangweilt, hinweg. Immerhin kann man froh sein, wenn für die US-Fassung eines "internationalen" Films der Originalregisseur engagiert wird - wie in diesem Fall der begabte Norweger Hans Petter Moland. Noch mehr freuen kann man sich darüber, daß der Film "Einer nach dem anderen" aus dem Jahr 2014, dessen Remake wir hier sehen dürfen, einer der besten und schwarzhumorigsten Streifen der vergangenen paar Jahre war. Und am größten ist die Freude, wenn man sich den Originaltitel in Erinnerung ruft, der soviel über so viele aussagt: "Kraftidioten". (!!!)

Erzählt wird die Geschichte eines Schneepflugfahrers (im Original in der norwegischen Provinz, in der Neufassung in einem Luxus-Skiort in Colorado), dessen Sohn durch eine Zwangsüberdosis Heroin ums Leben kommt und der daraufhin beschließt, blutige Rache zu nehmen (und nebenbei einen Drogenbandenkrieg auslöst). In "Kraftidioten" wurde der stille, depressive Rächer vom stoischen Stellan Skarsgârd gespielt, die US-Version läßt den pensionsreifen Racheexperten Liam Neeson ans Steuer des Schneepflugs. Böse-witzig bleibt die Sache trotzdem - auch wenn den seligen Bruno Ganz als Boß der norwegischen Serbenmafia-Filiale niemand ersetzen kann. Kann man sich anschauen; das Original aber (wenn man es noch nicht kennt) MUSS man sich anschauen.  (ph)

 

The Sisters Brothers


Filmstart: 15. März 2019

Ein Western vom französischen Rabiat-Filmer Jaques Audiard ("Der Geschmack von Rost und Knochen", "Ein Prophet") - das versprach schon einiges. Schlecht ist der Film denn auch nicht geworden, doch ganz erfüllen kann er die Erwartungen nicht. Es geht um zwei Brüder namens Sisters (das Wortspiel des Titels ist unübersetzbar), die in fremdem Auftrag einem Goldsucher quer durch Oregon nachjagen. Ohne spoilern zu wollen: Das Ganze entwickelt sich ziemlich anders als vom Auftraggeber (und vom Zuschauer) erwartet. Es gibt, wie es sich gehört, viel Geballere, tolle Landschaftspanoramen, humorvoll-philosophische Lagerfeuergespräche und ein paar Details, die man bisher in Westernfilmen noch nicht gesehen hat, zum Beispiel Goldsuche mittels ätzender Säure. Gespielt wird auch ziemlich toll, vor allem von John C. Reilly (endlich in einer Hauptrolle) und dem immer verläßlichen Joaquin Phoenix als Brüderpaar, doch irgendwie fehlt dem Streifen das, was in modischen Kritiken gern die "Dringlichkeit" genannt wird. 

Der Film plätschert so dahin und läßt einem genügend Zeit, wehmütig an wirklich aufregende Neo-Western ("Slow West", "Hostiles - Feinde", um nur zwei zu nennen) zu denken.  (HL)

 

 

Akzente_ Die Seer "Stad-Tour" 2018 in Wien

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Weihnachts-Reminiszenzen

Nach Weihnachten ist vor Weihnachten. Auch wenn es bis zum 24. Dezember noch lange dauern mag - das nächste "stille Fest" kommt rascher, als man denkt. Bei der "Stad Tour" 2018 gaben die Seer im Abschlußkonzert neben weihnachtlichen Liedern viele ihrer schönsten und besinnlichsten Songs zum besten. Das machte richtig Vorfreude auf das "Stad"-Konzert 2019 im Wiener Konzerthaus.

Daniel Behle zelebrierte in der Wiener Kammeroper, wie genial Weihnachtsmusik im klassischen Stil klingen kann (und soll). im sogenannten U-Musik-Sektor ist das weihnachtliche Angebot noch viel größer - und da ist es umso schwieriger, eine gute Auswahl zu treffen.

In dieser Hinsicht ist man mit den Seern gut beraten, die schon mit ihrem Grafenegger Konzert das Publikum begeistern konnten. Im Schlußkonzert seiner tradtionellen "Stad Tour" (Anm.: "stad" bedeutet umgangssprachlich ruhig bzw. still) begab sich das ländliche Oktett auf eine ruhigere und besinnlichere Ebene.

Die musikalische Weihnachtsgeschichte wurde natürlich mit ein paar lebhaften Nummern "aufgepeppt" - doch die Grundstimmung war ruhig, feierlich und sehr berührend. Daß die Musiker jeder für sich kostbare Unikate sind, braucht man nicht extra zu erwähnen. Alfred Jaklitsch als "Frontman", Liedertexter- und Komponist sowie hervorragender Sänger glänzte genauso wie die beiden Ladys Astrid Wirtenberger und Sabine "Sassy" Holzinger. Die beiden Damen - Sassy mit ihrer grandiosen Stimme und Diktion und auch Astrid, die so "nebenbei" auch noch hervorragend Gitarre spielt - sind das Atout, ohne das die Gruppe niemals existieren könnte (und sollte).

Als Sassy das Lied "Oma" anstimmte, wurden sicher viele Liter Tränen im Saal vergossen. Bei dieser Nummer kommt zum grandiosen Text noch die ebenbürtige Musik dazu. Hier im Konzert wurde die Sängerin "nur" vom Klavier begleitet. Wunderschön waren aber auch die anderen Lieder ("Weihnachten 1946", "Bergkristall", "Weihnachten dahoam" usw.). Ganz klar ist, daß auch "Wia a wüds Wossa" und "Hoamatgfühl" nicht fehlen durften.

In Grafenegg wurde die Tour zwar als "unplugged" angekündigt, aber ganz ohne elektrische Verstärkung ging es natürlich nicht. Trotzdem war das Konzert etwas ganz Besonderes.

Übrigens wird das Abschlußkonzert der "Stad-Tour" 2019 ebenfalls im Konzerthaus stattfinden - und zwar wieder am 22. Dezember!

Die Seer - "Stad Tour" 2018

ØØØØØ
Schlußkonzert

Photo: Die Seer © Kerstin Joensson

 

Die Seer - Livekonzert

 

Set-List:

 

1.Hoffen, glauben, liab´n Alfred Jaklitsch
2.Stad Alfred Jaklitsch
3.Engel vermisst Alfred Jaklitsch
4.Es braucht 2 Alfred Jaklitsch
5.Wonn du des sehen konntest
Alfred Jaklitsch
6.Weihnachten dahoam Alfred Jaklitsch
7.Seensucht noch Grundlsee Alfred Jaklitsch
8.Hab di stad Alfred Jaklitsch
9.Bayrisch steirisch Rock´n´Roll Alfred Jaklitsch
10.Wia da See Alfred Jaklitsch
11.Weihnachten 1946 und heut Alfred Jaklitsch
12.Fesch Alfred Jaklitsch
13.Eiskristall Alfred Jaklitsch
14.Hoamat is
Alfred Jaklitsch
15.Einklong Alfred Jaklitsch
16.Oma Alfred Jaklitsch
17.Nie mehr ohne di sein Alfred Jaklitsch
18.I wünsch mir di
Alfred Jaklitsch
19.Seerisch Alfred Jaklitsch
20.Sche wars wennst do warst Alfred Jaklitsch
21.Hoamatgfühl Alfred Jaklitsch
22.Meine Schi + i
 Alfred Jaklitsch
23.Schene Weihnacht Alfred Jaklitsch
 ZUGABEN  
24.Wilds Wossa Alfred Jaklitsch
25.Donksche Alfred Jaklitsch

 

Konzert am 22. Dezember 2018 im Wiener Konzerthaus

Kolumnen_ Depeschen aus der Provinz/Episode 6

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Loch in der Landschaft

Schon im Dorfwirtshaus, unter dem unablässigen Starren der Einheimischen, fühlt sich der Zugereiste als Fremder in einem fremden Land. Aber das wahre Grauen lauert anderswo ...

Du schaust in den Spiegel, mit zusammengekniffenen Augen. Du fragst dich, wann deine Bartstoppeln so weiß geworden sind. Und du preßt unwillig einen Satz aus dem Mundwinkel, den du gar nicht aussprechen wolltest: "Manche Leute vertrotteln, wenn sie aufs Land ziehen."

Damit meinst du nicht, daß auf dem Land mehr Trottel leben. Im Gegenteil: Wenn man optimistisch von einem globalen Idiotendurchschnitt von 99,5 Prozent ausgeht, dann dürfte deren Anhäufung in städtischen Ballungsgebieten weitaus höher sein als anderswo - weil sich Trottel bekanntlich gern zusammenballen.

Nein, es sind die unverbauten Räume und die völlig anderen Zeitabläufe, die du als Städter nicht gewöhnt bist. Sie wirken desorientierend und weisen den Weg in die eventuelle Verblödung. Das fängt schon mit der viel zu weitläufigen Natur an. Früher hast du ja Parks für den Höhepunkt der Spaziergehkultur gehalten - solange man dort nicht den Rasen betreten durfte. Jetzt lagern halbnackte Drecklock-Hippies, krakeelende Jungfamilien und grillende Horden auf der einst grünen Wiese. Deswegen bist du ja auch weggezogen. Trotzdem fehlt dir manchmal der Rhythmus der Großstadt, diese Hektik, die keinen Leerlauf zuläßt, die instinktive Ablehnung von Slow-Food oder Unfug wie der "Entdeckung der Langsamkeit". In der Provinz ist nichts so dringend, daß es sofort sein muß.

Um nicht komplett dem sabbernden Irrsinn zu verfallen, richtest du deinen übertrainierten Verstand also auf anderes. Zum Beispiel beim Besuch in einem nahen Dörfchen, wo du mit ein paar anderen im Hof eines Bauernhofs - also einem Bauernhofhof - herumhängst und Bier aus Flaschen trinkst. Alle stehen rund um eine Grube, die mitten in den Hof gegraben wurde, und tun so, als wäre nichts. Wenn du fragst, wozu diese Grube da ist, erwidern sie baß erstaunt: "Welche Grube?" Und wenn du insistierst, blicken sie aus halbgeschlossenen Augen gen Himmel und stoßen einen dünnen, kaum hörbaren Pfeifton aus. Plötzlich fühlst du dich, als stecktest du mitten in einer Lovecraft-Geschichte, irgendwo in Innsmouth, wo unaussprechliche Geheimnisse die Bewohner in bedrohliche Sonderlinge verwandelt haben.

Du trinkst dein Bier aus und dann noch ein paar. Dann fährst du zurück, dorthin, wo du jetzt wohnst, und kommst durch Gemeinden, in denen stämmige Werktätige riesige Gruben am Straßenrand ausheben. Und als du das nächste Mal auf der Autobahn unterwegs bist, merkst du, daß auch sie von neuen, mit Beton ausgekleideten Gruben von unirdischer Geometrie gesäumt ist. Du bleibst stehen und schaust die Arbeiter fragend an. Wie auf ein Zeichen aus den Tiefen des Alls rollen sie die Augen nach oben und geben diesen blasphemischen Nicht-Ton von sich. Du fragst dich, ob du nur vertrottelst. Oder ob es noch viel schlimmer ist.

Tekeli-li! Tekeli-li!

Depeschen aus der Provinz

Peter Hiess lebte mehrere Jahrzehnte in Wien. Dann entschloß er sich, in die Provinz zu übersiedeln. Wie sich das anfühlte, erfahren Sie hier.

Sperrstund´ is. Für immer.

Sehr lange Zeit bestand in vielen Dörfern eine Dreifaltigkeit aus Volksschule, Greißler und Wirtshaus. Als erstes verschwanden meistens die kleinen Schulen aus den Ortschaften, später die Greißler, dann die Wirten. Josef Planer, Sproß einer Wirtsfamilie in einem kleinen Dorf im südlichen Weinviertel, erinnert sich an Kegelbahn, Extrazimmer, Besucherschwund - und eine Vergangenheit, die ihn nie ganz losgelassen hat.


Kolumnen_ Al Cook im EVOLVER #11

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Ruhm ... posthum

Der EVOLVER veröffentlicht die Kolumne, die der heimische Blues-Traditionalist Al Cook jahrelang für eine heimische Website schrieb, auf seinen Seiten neu - nicht nur, damit die Texte nicht verloren gehen, sondern weil sie so gut sind. Auch in dieser Folge geht es wieder um Robert Johnson ... und sein spätes Dasein als Blues-Superstar.

Meine Betrachtung über den King des Delta Blues geht langsam dem Ende zu - und ich möchte mich nun eher dem Drumherum um die Person Robert Johnsons widmen und aufzeigen, wie man auch einen Musiker, der absolut nicht zum Mainstream der Populärkultur zählt und noch dazu seit mehr als 80 Jahren tot ist, posthum zum Star machen kann.

 

 

 

Jazz- und insbesondere Blues-Fans waren bis Anfang der 70er Jahre eher eine verschworene Gemeinschaft außenseitiger Spinner, die sich zum Musikgenuß noch zusätzlich berauschen mußten, um vollständig ins Jenseits der alten Meister abschwirren zu können. Dies mag vielleicht angesichts der damals extrem erscheinenden Musik seinen Sinn gehabt haben - aber in meinem Falle stimmt es sicherlich nicht. Da ich seit meinen ersten Tagen als Musiker sowieso höchstens Freak-Appeal zu bieten hatte, schloß ich mich an den Kreis um Johnny Parth, den Gründer des heute weltbesten Blueslabels Document Records, an. 78er-Platten wurden bei uns wie Reliquien gehört und gehütet, aber im großen und ganzen blieb man unter sich.

Doch da gab es in England einen Kreis um den Bluesvater Alexis Korner, Gott hab´ ihn selig, der sich in der Populärkultur der ausgehenden Sechziger einen Namen in aller Welt machte. Die britische Markt-Vormachtstellung ausnützend, stellten die embryonalen Stones und der Schülerkreis um John Mayall die ersten "Bluesgruppen" auf die Beine. Bekannt wurde dieser Clan unter dem Begriff "British Blues Connection". Eric Clapp, der nur ein –ton an seinen Namen hängte, gründete die Yardbirds, die aber eher eine Mischung aus Mersey Beat und krampfiger B-.B.-King-Imitation waren. Clapton war ein fanatischer Johnson-Fan und redete mit niemandem ein Wort, der den Delta-Blues-Heroen nicht kannte. Auslöser war die schon früher erwähnte LP "King Of The Delta Blues", doch Clapton machte meiner Meinung nach den Kardinalfehler, Roberts Musik im Rockgewand der Post-Beatles-Ära zu verkaufen. Mit seiner Band Cream schrieb Eric Clapton zweifelsfrei Musikgeschichte, und ich habe selbst fast ein Jahr lang Cream und Jimi Hendrix gehört. Dabei muß ich sagen - so paradox es klingt: Jimi hatte mehr von einem Bluestypen als B. B. King mit seinem aalglatten Las-Vegas-Kommerz. Aber das ist jetzt nicht das Thema.

Brian Jones, musikalischer Kopf der frühen Rolling Stones und Mädchenschwarm, führte den Gebrauch der Bottleneck-Gitarre ein - eine Aufgabe, die ich in unseren Landen zu erledigen hatte. Keith Richard, der nach Jones´ mysteriösem Tod den Solistenpart übernahm, war von Robert Johnsons Gitarrentechnik völlig von den Socken. Er war davon überzeugt, daß Johnson einen ungenannten Begleitgitarristen dabei gehabt haben mußte. "Ooh, Robert Johnson, that´s a long way to go!" schwärmte Keith auf einem Video über Robert. Was mich betrifft, ich hatte die Technik Johnsons in wenigen Tagen begriffen, da ich kein Plektrumgitarrist bin. Die Unabhängigkeit von Daumen und Zeigefinger schaffte in den 60ern eben noch niemand; doch ich kann auf Privatmitschnitten aus den Jahren ´67 bis ´69 beweisen, daß ich dazu imstande war.

Wie das eben so ist, erlangte die britische Bluesgang über dröhnende Rockversionen amerikanischer Bluesklassiker Weltruhm. Plötzlich rochen geschäftstüchtige überseeische Sammler den profitträchtigen Bluesbraten und spannten die Popstars vor ihren Karren. Die Stones sind für mich "Satisfaction" und nicht "Love In Vain" - und solange Eric Clapton bei "Sunshine Of Your Love" oder "I Shot The Sheriff" bleibt, ist das für mich okay. Ich will hier nicht die Worte Sonny Boy Williamsons wiederholen, die er für die aufgezwungene Yardbird-Begleitung von 1962 hatte, sonst werde ich wirklich einmal gesteinigt ...

Aber die Medien hatten ihre populären Zugpferde, und der Blues begann hip zu werden. Das erklärt auch, warum mein erstes Publikum Hippies und Schmalspur-Protestos waren. Die Verwendung der Bottleneck-Gitarre als Gag-Instrument der Rockmusik kam schnell in Mode - und da ich schon seit ewigen Zeiten diese Technik verwendete, war ich urplötzlich zum Zampano der Slide-Guitar avanciert. Das Renommierblatt "Jazzpodium" erklärte mich in seiner April-Ausgabe 1974 zum weltbesten Slide-Gitarristen. Kaufen konnte ich mir bis heute nichts darum, das ist eben Nationalschicksal in unserem Land.

 

Da Robert Johnson nun zum Marktfaktor geworden war, wurde natürlich sein Leben in den schillerndsten Farben aufbereitet. Auf den unterschiedlichsten Labels kamen Johnsons Nummern in den unmöglichsten Zusammenstellungen heraus, und man brachte Bluesplatten mit den grausigsten Kraut-und-Rüben-Konzepten heraus. Wen interessiert schon seriöse Jazz-Forschung?

Das Frappierende an der ganzen Sache ist, daß sich vor der sogenannten zweiten Rockrevolution kein Schwein um den Blues gekümmert hat. In den 50ern, als die schwarze Welt auf Post-Bebop und Cool Jazz abfuhr und Elvis mit weißgewaschenen Versionen schwarzer Rhythm & Blues-Hits die Charts eroberte, wußte kaum einer, wer Robert Johnson oder Son House waren. Letzterer zog von Clarksdale nach Rochester im äußersten Norden und arbeitete als Gepäckträger; Big Bill Broonzy war froh, einen Job als Hausmeister zu finden; und der Rest der Bluesleute starb weg wie ausrangierte Schachfiguren. Bis auf ein halbes Dutzend, das erst mit dem Folkblues-Boom der Sixties hochgespült wurde, waren die Giganten des Country-Blues von der Bühne des Lebens verschwunden.

Offensichtlich mußte irgendeine Modewelle her, um Interesse an authentischer Volksmusik zu produzieren. Man denke nur an die kubanische Welle, die durch einen Film von Wim Wenders und das Engagement von Ry Cooder ausgelöst wurde. Die Musiker, die vielleicht ein halbes Jahrhundert nur um eine Tortilla und ein paar Tequilas gespielt hatten, waren auf einmal zu gefragten Weltstars geworden. Sie spielten nicht besser oder schlechter als zuvor - doch plötzlich war jeder Ton Gold wert. Müssen denn immer Popstars und renommierte Filmemacher daherkommen, damit das Konsumvolk begreift, was los ist?

Wenn Robert Johnson überlebt hätte, würde er heute mühelos Stadthallen füllen und zum Superstar sämtlicher Bluesfestivals avancieren, obwohl ihn ein Lonnie Johnson oder Blind Blake mit links in die Tasche stecken. Es ist der Mythos, der die Kassen füllt, und nicht der Grad des Könnens. Mein ehemaliger Manager und Produzent sagte mir einmal, es wäre besser, wenn Mick Jagger mich loben würde und nicht Roosevelt Sykes ... Nun ja: Vielleicht dreht man irgendwann einmal einen Film über das Blues-Alien aus dem 3. Wiener Gemeindebezirk, und ich habe endlich die Chance, in der Carnegie Hall aufzutreten. Andererseits habe ich zuviel Ernst und Lebenszeit investiert, um mich als exotischen Paradiesvogel verkaufen zu lassen.

Mit dem explodierenden Interesse an Robert Johnson wurden natürlich die Geschäftemacher auf den Plan gerufen. CBS und später Sony sicherten sich die Rechte an Roberts Songs, und ein gewisser Stephen C. LaVere riß sich das Exklusivrecht an Johnsons berühmtem Coverphoto unter den Nagel. Sogar die krakelige Unterschrift unter seiner Heiratslizenz mit Caletta Craft unterliegt der Trademark-Regelung vom "Robert Johnson Estate"(!!). Das einzige Wertmaß in den USA ist der Dollar und wie man ihn am besten macht. Wenn die Schwarzen sagen, daß ihnen die Weißen ihre Musik gestohlen haben und damit reich werden, trifft das sicher zuallererst auf diese Geschäftemacher und in zweiter Linie auf Typen wie die Stones zu, die unter "Love in Vain" frech Jagger/Richard gesetzt haben. Wir, die den Blues von der Deponie der Musikgeschichte holen, um diese schöne Kunst nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, verdienen daran wahrlich nicht einmal das Schwarze unter dem Fingernagel. Und wenn die Herren von der Pop-Zunft mit dem Blues nicht mehr genug kassieren, machen sie eben Reggae oder Mambo oder klappern mit dem Klodeckel.

Die Doppel-CD "The Complete Robert Johnson" machte binnen kurzer Zeit Gold. Ich überlasse es dem Leser dieser Reihe, sich selbst ein Urteil zu bilden. Hat nun Robert Johnson die Öffentlichkeit durch seine Musik überzeugt - oder brauchte es erst mehr als 80 Jahre nach seinem Tod ein paar Popmusiker und Sensationsjounalisten, damit die Masse begreift, wer er ist?

 

 

Damit, meine Bluesfreunde und Fans von der kritischen Sorte, ist meine Serie über den "King Of The Delta Blues" zu Ende. Ich hoffe, daß ihr davon ein bißchen für euer Musikverständnis profitiert habt.

Meine Absicht ist nicht, wild draufloszukritisieren und Popstars zu prügeln, sondern aufzuklären. Ich habe das oft in etwas derb-humoristischer Weise getan, um mich nicht als Professor Klugscheißer zu präsentieren. Ich habe die meisten Fakten auch nur aus der Fachliteratur, doch sie sind der breiten Masse unbekannt oder nicht zugänglich, weil man nur durch Insider-Kontakte an seriöses Material herankommt.

Diejenigen, die der Desillusionierung lieber ausweichen und weiterhin an Geister, Kobolde, Teufel und Schicksalskreuzungen glauben wollen, weil das Leben ohne Mystik so fad ist, sollen weiter daran glauben. Wenn es sie nur sie glücklich macht ...

 

Das wünscht ihnen

Al Cook im EVOLVER

Unverfälscht, traditionsbewußt und weitab vom Kommerz-, Radio- und Social-Media-Mainstream: So wie Al Cook Musik macht, schreibt er auch - und zwar exklusiv im EVOLVER. Lesen Sie hier seine sehr persönliche Einführung in die Welt des authentischen Blues-Genres und seiner Position im populärkulturellen Musikgeschehen.

Al Cook - 74. Geburtstag


Great Birthday Jamboree

Auch heuer feiert Al Cook seinen Geburtstag wieder, indem er in einem Konzert (samt Original Al Cook Band) dem geneigten Publikum beweist, daß er sich nach wie vor unermüdlich für den Blues einsetzt.

 

Wann: Sa., 2. März 2019, 20 Uhr

Wo: Schutzhaus Zukunft auf der Schmelz, verlängerte Guntherstraße, 1150 Wien

Kartenvorverkauf: (01)982 01 27

Akzente_ Ostern 2019

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Für eine Handvoll Hasen

Kaum hat das neue Jahr begonnen, ist auch schon wieder Ostern. Wir verabschieden uns in eine kleine Pause und geben Ihnen noch ein paar Empfehlungen mit auf den Weg.

Verehrte Leserinnen und Leser,

 

wie Sie vielleicht gemerkt haben, gehen wir 2019 prinzipiell etwas ruhiger an als sonst. Das hat seine Gründe (die wir Ihnen in naher Zukunft auch präsentieren dürfen und werden). Bis es soweit ist: Machen Sie mit Al Cook eine musikalische Zeitreise durch die Blues-Geschichte. Wandeln Sie auf den Spuren unseres überaus geschätzten Mittäters Peter Hiess in seinenDepeschen aus der Provinz. Und last but not least: Entdecken Sie das erste Kapitel von "The Nazi Island Mystery" - r.evolvers revolutionärem Online-Schundroman um Kay Blanchard - neu und studieren Sie "Pol Pot Polka", die nicht minder lesenswerte Fortsetzung.

 

Bis bald, Ihre

Kino_ Film-Tips Mai 2019

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Von Männern und Hunden

Eines der besten Komiker-Duos aller Zeiten wird endlich mit einem Biopic geehrt. Neil Jordan lebt zum Glück noch. Mutierte Fledermäuse trachten unserer Spezies nach dem Leben. Und: John Wick weiß immer noch, was sich gehört. Der Mai im Kino.

Stan & Ollie


Filmstart: 10. Mai 2019

Es soll ja Leute geben, die das Komikerduo Laurel & Hardy, hier schlechter bekannt als "Dick und Doof", noch immer als kindische Blödler und nicht als geniale Komödianten sehen. Ihnen sei dieses tolle Doppel-Bio-Pic ganz besonders ans Herz gelegt, aber auch (und gerade) Fans der beiden dürfen "Stan & Ollie" nicht versäumen. Es geht - nach einem kurzen Blick auf einen Höhepunkt ihrer Karriere - um deren letzte Phase, eine wenig bekannte Tingeltangel-Tour durch englische Provinzbühnen Anfang der 1950er Jahre. Die Säle bleiben schütter gefüllt, ein Filmprojekt droht sich zu zerschlagen, und Oliver Hardy kämpft zunehmend mit gesundheitlichen Problemen. Auch die Chemie zwischen den beiden Künstlern stimmt nicht immer - sehr zum Unterschied zu den beiden Darstellern John C. Reilly und Steve Coogan, die Laurel & Hardy hier so täuschend echt verkörpern, daß man mehr als einmal meint, in einem "echten" Film der beiden zu sitzen. Gleichzeitig bekommt man sinnfällig vor Augen geführt, wie sehr der auf der Leinwand so "doofe" Laurel in Wahrheit der kreative Geist des Duos war. Darüber hinaus ist der Film beste englische (BBC-)Maßarbeit: tolles production design, subtile Balance zwischen Komik und leiser Melancholie, wunderbar britische Atmosphäre und keine Sekunde Langeweile. Und dann daheim gleich wieder mal eine DVD mit einem alten L&H-Film eingelegt!  (HL)

 

The Silence


Filmstart: 17. Mai 2019

Ein taubes Mädchen geht mit seiner Familie auf die Flucht. Schuld daran ist, daß Höhlenforscher auf unheimliche Wesen, die "Vesps" - eine Art mutierte Fledermäuse - gestoßen sind, die nun die Menschheit angreifen. Die Viecher werden durch Lärm oder vielmehr jedes Geräusch angelockt (einmal U-Bahn-Fahren und die in ihre Blödphones brüllenden Mitreisenden hören, und man möchte die Monster auf sie loslassen ...). Die US-Regierung ruft den Notstand aus und rät den Leuten, ihre Behausungen möglichst nicht zu verlassen und sich ruhig zu verhalten. Die logische Konsequenz in Horrorfilmland: Man setzt die ganze Sippschaft in ein gar nicht so leises Auto und fährt aufs Land. Das machen allerdings auch viele andere, daher kommt es zu Staus, Unruhen, Unfällen - und schließlich ist die liebe Familie zu Fuß unterwegs. Ihr Glück, daß die gehörlose 16jährige Ally dank ihrer Taubheit die Fähigkeit besitzt, das mutierte Getier wahrzunehmen und ihren Eltern so helfen kann, der Bedrohung zu entkommen und in Stille im Wald zu leben. (Nein, fragen Sie nicht, das ist Horrorfilmlogik.) Während die Ausgangssituation also sehr an den erfolgreichen - und besseren - "A Quiet Place" erinnert, passiert im weiteren Verlauf der Handlung das, worauf wir spätestens seit "Walking Dead" wöchentlich hingewiesen werden: Wurscht, welche Postapokalypse kommt, die schlimmsten Feinde sind immer andere Menschen. Jaja ... Und genauso belanglos und alles-schon-dagewesen geht "The Silence" auch weiter und ist damit ein Werk, das man nicht gesehen haben muß, schon gar nicht im Kino. Der Film hätte ruhig auf Netflix bleiben sollen.

Das einzig Originelle daran: Irgendwelche tauben Nüsse regen sich anläßlich des Streifens darüber auf, daß die Hauptdarstellerin Kiernan Shipka nicht wirklich taub und damit keine richtige Identifikationsfigur für die "Gehörlosenkultur" ist - oder so ähnlich. Natürlich purer Blödsinn, wie immer, wenn der Gutmensch aufmuckt. Wenn das mit der "Identity-Politik" im politisch korrekten Hollywood so weitergeht, spielt Schauspielkunst wohl bald keine Rolle mehr; dann darf nur mehr ein echter Schizophrener einen Schizophrenen darstellen, eine wirklich Schwangere eine Filmschwangere oder ein verurteilter Serienmörder einen noch aktiven Kollegen. Na, viel Spaß!  (ph)

 

Greta


Filmstart: 17. Mai 2019

Der harmlose Titel trügt. "Greta" ist ein fieser kleiner Stalking-Thriller, der nicht zuletzt von seiner tollen Besetzung lebt. Chloë Grace Moretz (Kick-Ass) gibt eine junge Frau, der eines Tages in der U-Bahn eine vergessene Handtasche auffällt. Gutmütig, wie sie ist, bringt sie den Fund der rasch ausfindig gemachten Eigentümerin zurück, doch die (Isabelle Huppert) entpuppt sich zunehmend als besitzergreifende Psychopathin. OK, das ist jetzt nicht rasend originell und mit Klassikern des Verfolgungs-Genres von Caché bis Cape Fear nicht entfernt vergleichbar. Aber auf bescheidenem Niveau hat der (vom lang vermißten Iren Neil Jordan inszenierte) Reißer durchaus seine Meriten. Die Spannungsschraube wird so langsam wie effektiv angezogen, der alte „Es-war-nur-ein-Alptraum“-Schmäh erfährt hier eine originelle Variante, und selbst das konventionell blutige Finale entbehrt nicht witziger Details. Vor allem aber liefert Isabelle Huppert hier eine grandiose Show. Ihre Stalkerin-Figur überhöht gleichsam das "seriöse" "Klavierspielerin"-Porträt aus Hanekes Jelinek-Verfilmung ins Grand-Guignol-hafte. Wäre dies ein Hollywood-Film aus der Goldenen Ära, hätte Joan Crawford diesen Part gespielt. Allein die Szene, in der die Huppert endlos lange einen Kaugummi weichkaut, um ihn ihrem Opfer dann ins lockige Blondhaar zu spucken, lohnt die Kinokarte!  (HL)    

 

John Wick: Kapitel 3


Filmstart: 23. Mai 2019

Glauben Sie einem, der schon in ganz jungen Jahren - als alle noch Berufswünsche wie "Pilot", "Tierpfleger" oder "Schlagersänger" hatten - unbedingt Profikiller werden wollte: Das Dasein eines hauptberuflichen Mörders ist nicht so, wie es "John Wick" darstellt. Da rennt man nicht in coolen Tarantino-Anzügen durch die Landschaft, hat besondere Mordtricks und -methoden auf Lager, hält sich in sicheren Luxushotels auf, wo die internationale Killerclique voreinander sicher ist; vielmehr geht es genau darum, unauffällig und anonym zu zu existieren, die Kundschaft möglichst nicht direkt kennenzulernen und Aufträge diskret abzuarbeiten. Soweit man über die realen Professionisten dieser Berufsgruppe Bescheid weiß, führen sie alles andere als ein mondänes Jetsetter-Leben; genau das war ja für den Autor dieser Zeilen das Reizvolle.

Aber das macht nichts. Der Kinofilm muß ja das wirkliche Leben nicht widerspiegeln und ist sogar besser, wenn er es nicht tut. Die zwei "John Wick"-Streifen erzählten genau die gegenteilige Geschichte: Profikiller im Ruhestand geht wieder ans tödliche Werk, als freche Russenmafiosi seinen Hund umbringen, und kehrt in seine aufregende Arbeitswelt (mit Pin-up-Telefonvermittlungen, einer internationalen Mördervereinigung samt eigenem Ehrenkodex, exotischen Supergangstern und -innen) zurück, um sich zu rächen - mit eskalierenden Folgen. Gespielt wird besagter Killer namens Wick von Keanu Reeves, der immer noch genau den gleichen Gesichtsausdruck vor die Kamera hält wie einst in den "Bill and Ted"-Filmen und daraus mittlerweile sowas wie ein Markenzeichen gemacht hat. Teil 2 war zugegebenermaßen bei aller immer noch gut choreographierten Action ein bissl kindlich-dumm, aber das stört keinen großen Geist. Weil: In Teil 3 ("Parabellum") sind 14 Millionen Dollar (huch!) auf John Wicks Kopf ausgesetzt, der Schutz des "Continental" gilt nicht mehr, Mordlustige aus aller Welt sind in New York hinter dem Protagonisten her, und er kann sich nur eventuell auf den Schutz neuer und alter Verbündeter (Anjelica Huston, Halle Berry) verlassen. Schnell inszeniert, eine einzige fröhliche Schießerei und im Endeffekt sowas wie das Keanu-Äquivalent zu den "Expendables": a guilty pleasure.  (ph)

 

 

Kolumnen_ Depeschen aus der Provinz/Episode 7

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Ohne Richtige Freunde

Wenn nicht gerade die Ermordung eines Bin-Laden-Darstellers medial abgefeiert wird, präsentieren sich ORF-Mitarbeiter auf dem Lande von ihrer besten Seite. Also immer noch schlecht.

Unweit von dort, wo ich jetzt wohne, liegt eine Stadt, die nicht mehr Provinz sein will. Sie hat größere Ambitionen - kein Wunder, wo doch heute schon jeder Misthaufen zum Weltkulturerbe ernannt wird. Doch auch in besagter Stadt denken Beamte nicht gern selber nach, also bewerfen sie lieber Akademiker und Marketing-Kreaturen mit Geld, damit die das für sie erledigen. Zum Beispiel über die Frage, wie man die Menschen "da draußen" wieder zum Lesen bringt.

Kein Problem, werden Sie jetzt sagen. Man schafft einfach Fußball, Gratiszeitungen und romantische Komödien ab. Aber nein, so einfach dürfen es sich die Gscheiterln nicht machen, also grübeln sie ein Jahr lang, um schließlich zu einem tragischen Ergebnis zu gelangen: Die Stadt soll bei Literaturveranstaltungen Buchstabensuppe ausschenken.

In einer gerechten Welt würde man Leute, die mit solchen Einfällen daherkommen, in entlegene Gebiete wie Nordsibirien schicken, wo sie sich das alles noch einmal in Ruhe überlegen können. In der Provinz-die-nicht-mehr-Provinz-sein-will ist alles anders, da darf das Publikum die um Steuergelder zusammengekochte Suppe unter dem genderdiskursiven Titel "Wort- und Wärmespender" tatsächlich selber auslöffeln. Und warum das alles? Weil´s im Fernsehen gut ausschaut …

Die bloße Chance, ins "Österreich-Bild" zu kommen, führt Kulturschaffende auf dem Lande dazu, noch ideenloser und politisch gefälliger zu agieren als die Kollegen in Wien. Da tauchen "Ö3-Wecker-Comedians" (der beste Grund, nie vor neun aufzustehen) auf den schier allgegenwärtigen Sommerfestspielen auf; da tingeln abgehalfterte Austropopper durch Mehrzweckhallen irgendwo in Tripstrü; und in einsamen Berggegenden, wo noch nie zuvor ein Anatolier seinen Fuß hingesetzt hat (wozu auch?), führt das Laientheater "Leckminoasch" ein besinnliches Integrationsdrama auf.

Die durch Zwangsgebühren finanzierte Bundesgehirnwäscheanstalt ORF hat mit ihrem Kulturimperialismus den Verstand eines ganzen Volkes in Geiselhaft genommen. Und die überbezahlten Angestellten dieser geschützten Werkstätte wissen genau, daß man sie braucht, wenn man auf den Bildschirm oder ins Radio kommen will. Nur: Das will nicht mehr jeder. Gott sei Dank.

Und so kam es, daß hierorts eine schlechtgelaunte Dame in ein Gasthaus stolzierte und sich prompt an einen reservierten Tisch setzte. Auf Anfrage des freundlichen Wirten, wie sie sich das vorstelle, antwortete sie triumphierend: "Ich bin bei Ö1!" Vögel fielen tot vom Himmel, am Nebentisch schliefen ein paar Leute ein - nur der Wirt blieb wach und gab zurück: "Macht nix. Sie dürfen sich trotzdem da drüben hinsetzen."

Für diesen Schlag in die Fratze des Imperialismus gebührt dem Mann ein Orden. Auch wenn die Verleihung garantiert nicht im Fernsehen übertragen wird.

Depeschen aus der Provinz

Peter Hiess lebte mehrere Jahrzehnte in Wien. Dann entschloß er sich, in die Provinz zu übersiedeln. Wie sich das anfühlte, erfahren Sie hier.

Musik_ Carl Maria von Weber - Oberon/Theater an der Wien

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Weber-Revue im Versuchslabor

Der Puppenspieler Nikolaus Habjan ließ bei der Elfenoper regiemäßig keinen Stein auf dem anderen. Trotzdem gelang ihm eine hervorragende und vor allem hochmusikalische Inszenierung. Weniger inspirierend waren das Orchester, dessen Leiter Thomas Guggeis und manche der Sänger. Insgesamt konnte man aber froh sein, die Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper miterleben zu dürfen.

Carl Maria Webers Märchenoper "Oberon" spielt eigentlich im Elfenreich, wo der titelgebende Feenkönig ein perfides Experiment startet, um die Treue zweier Paare zu testen. Diese Paare findet er mit Hüon/Rezia und Fatime/Scherasmin in Arabien.

Hier wird der geübte Opernbesucher recht schnell einige Mozart-Opern assoziieren. Wer beispielsweise "Die Zauberflöte" wiederzuerkennen glaubt, liegt nicht so falsch - man fühlt sich frappant an Tamino/Pamina und Papageno/Papageno erinnert. Oder an Fiordiligi/Don Ferrando aus "Cosi" … Und am Schluß des ersten Akts erscheinen einem bei der Szene mit dem alternden Kalifen vielleicht auch Selim Bassa und Konstanze aus der "Entführung aus dem Serail".

Mozart und sein Librettist James Robinson Planché haben sich also einige Anleihen bei dem Salzburger Komponisten geholt - zumindest szenisch. Musikalisch läßt Weber allerschönste Musik erklingen. Mit seiner einzigartigen und für die Zeit sehr fortschrittlichen Instrumentation macht er aus den Noten ein musikalisches Fest.

Das könnte es zumindest sein - wären da nicht das Wiener Kammerorchester und der Dirigent Thomas Guggeis. Das Orchester spielt das erste Mal eine Opernproduktion im Haus an der Wien und wird in der nächsten Saison öfters zu hören sein, was aufgrund dieser Serie nicht wirklich optimistisch stimmt. Im Gegensatz zum bisher eingesetzten RSO Wien und den Wiener Symphonikern läßt das Wiener Kammerorchester doch einige Qualitäten der beiden Spitzenensembles vermissen. Ob ausgeprägte Legatokultur oder ein fast unhörbares Pianissimo - die Unterschiede sind allzugroß. Vielleicht lag es aber auch nur am Dirigenten, der offenbar zu wenig mit den Musikern gearbeitet hat. Musikalisch hätte man diese großartige Partitur viel mehr zum Erblühen bringen können.

 

Gesanglich sind die Partien der Rezia und des Hüon sogar für Spitzensänger ein Prüfstein. Annette Dasch als Kalifentochter (mit ihrer Monster-Arie "Ozean, du Ungeheuer") oder Vincent Wolfsteiner als Hüon meisterten die fast unsingbaren Partien mit Bravour. Auch Daniel Schmutzhard (im wirklichen Leben Ehemann von Annette Dasch) und Natalie Kawalek waren ein hervorragendes Diener-Liebespaar. Interessant so nebenbei, daß Weber der "Fatime" im zweiten Teil fast eine Rossini-Arie komponierte.

Irgendwie fürchtete man vor der Aufführung, daß Regisseur Nikolaus Habjan die Zuseher zu sehr mit seinen Puppenspielen quälen würde. Umso positiver war man dann allerdings überrascht, daß hier eine packende und interessante Regie zu sehen war.

 

Habjan siedelte das Elfenreich in einem medizinischen Versuchslabor an, wo Oberon als Versuchsleiter und seine zänkische Gattin Titania als Versuchsleiterin zu erleben waren, die so nebenbei ihren Mann wie einen Waschlappen behandelte. Puck wurde von drei Personen (hier medizinische Assistenten) gespielt, die mittels Puppen gewisse Szenen gekonnt sichtbar machten. Der Regisseur zauberte aus der doch zeitlosen Geschichte ein optisches Erlebnis, von dem vor allem die Elfenszene im zweiten Teil, die am Meeresgrund spielt, in Erinnerung bleiben wird. Mit geradezu berauschenden Bildern konnte man Oberons Visionen nach seinem (Drogen-)Schuß mitfühlen.

Auf alle Fälle war diese Produktion mehr als gelungen - auch wenn sie musikalisch nicht mit der Inszenierung mithalten konnte. Sorgen könnte für die Zukunft das Orchester machen; hier müßte man bei der Auswahl des Dirigenten mehr achtgeben bzw. den Musikern weit mehr Zeit zum Proben und Arbeiten lassen.

Carl Maria von Weber - Oberon

ØØØØ
Romantische Feenoper in drei Aufzügen

Solisten: Mauro Peter, Juliette Mars, Manuela Linshalm, Daniel-Frantisek Kamen, Sebastian Mock, Annette Dasch, Natalia Kawalek, Vincent Wolfsteiner Daniel Schmutzhard, Jenna Siladie

 

Regie: Nikolaus Habjan

 

Arnold Schoenberg Chor

 

Wiener Kammerorchester/Thomas Guggeis

 

Theater an der Wien

 

Premiere: 13. Mai 2019

Reprisen: 15., 17. und 19. Mai 2019

 

Fotos: © Werner  Kmetitsch

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