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Kino_ Film-Tips Juni 2018

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Hitzeterror

Kino im Juni - im EVOLVER leider auf Sparflamme. Hitzewelle und andere Unbill legen unsere halbe Filmredaktion lahm. Daher diesmal nur zwei Filmrezensionen, die eine über dunkle Familiengeheimnisse, die andere über (wie so oft) mißlungene deutsche Vergangenheitsbewältigung.

Der Hauptmann


Filmstart: 8. Juni

Kleider machen Leute - einmal anders. Hier geht es nicht um eine lustige Köpenickiade, sondern um eine (ebenfalls historische) blutige Tragödie aus den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs. Ein kleiner deutscher Gefreiter hatte sich damals die Hauptmannsuniform eines toten Offiziers angezogen und überlistete damit Freund und Feind. Um nicht aufzufliegen, mußte der Mann immer verbrecherischere Greueltaten erst mit ansehen, dann selbst befehligen, um schließlich als "Henker von Emsland" traurige Berühmtheit zu erlangen. Diese bizarre Geschichte hat der deutsche Regisseur Robert Schwentke in kristallscharfen Schwarzweißbildern nachinszeniert und damit einen der zwiespältigsten, ja unsympathischsten Filme der letzten Zeit geschaffen. Das harsche Urteil hat mehrere Gründe. Zum einen scheint die Wandlung des getriebenen Gefreiten zur mörderischen Bestie hier nicht im mindesten plausibel. Max Hubacher macht den inneren Zwiespalt des "Hauptmanns" angesichts der von ihm verantworteten Bluttaten so lange differenziert deutlich, daß nie wirklich klar wird, wann und warum er letztlich seinem eigenen Schmäh erliegt. Insgeheim berauscht sich dieser Film an jenen Entsetzlichkeiten, die er zu kritisieren vorgibt - eine Verfilmung von Jonathan Littells "Wohlgesinnten" würde, so sie je zustande käme, wohl ähnlich aussehen (müssen). Dazu kommt das alte Dilemma der Nicht-Nachinszenierbarkeit von KZ-Szenen. Auch hier sieht man geschminkte Komparsen und soll dabei an jene ausgemergelten Gestalten denken, die das Dokumentarmaterial überliefert hat. Claude Lanzmann hatte schon recht: Die Shoah läßt sich nicht bebildern, nur imaginieren. Das galt schon für Spielbergs "Schindlers Liste" und das gilt, mehrere Etagen tiefer, auch hier. Insgesamt ein - wenn auch streckenweise faszinierender - künstlerischer Irrweg.  (HL)    

 

 

Hereditary - Das Vermächtnis


Filmstart: 14. Juni

Dies ist wohl der gehypeteste Horrorfilm des aktuellen Kinosommers, eine Art Spukhausgeschichte der etwas anderen, seriösen Sorte, die seit ihrer Mitternachtspremiere beim Sundance-Festival Furore macht. Man kann den Rummel und die Höchstbewertungen auf der Rotten-Tomatoes-Homepage teilweise nachvollziehen, aber eben nur teilweise. Die Inszenierung des Debütanten (!) Ari Raster ist von jenem getragenen Ernst, der etwa auch der stilistisch verwandten "Ghost Story" letztes Jahr hypnotische Sogwirkung verlieh: Laange durchgehaltene starre Einstellungen, schwere Toncluster auf der Tonspur, ein kontrolliertes, bisweilen ins Hysterische kippendes Spiel vorzüglicher Darsteller. Das schrammt gerade noch an der Grenze zur unfreiwilligen Komik vorbei und beweist in seiner Kompromißlosigkeit sicher Mut zum künstlerischen Risiko. Den Mut läßt die Story selbst leider zum Teil vermissen. Spoiler verbieten sich, aber: Was sich so radikal und innovativ gibt, entpuppt sich letztlich als thematische Mischung aus Vorgängern von "The Haunting" bis "Shining", versetzt mit einem tüchtigen Schuß "Rosemarys Baby". Immer noch spannend, gewiß, aber die Gattung "Horrorfilm für Anspruchsvolle" wurde hier nicht gerade neu erfunden.  (HL)  

 

 


Akzente_ Casino-News

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Karibik oder Neusiedler See?

Stellen Sie sich vor, Sie heißen Ole. Können Sie sich nicht vorstellen? Das wundert uns nicht ... kein Mensch heißt Ole. Außer dem glücklichen Typen, der es gar nicht fassen kann, daß er mit dem "Bonus ohne Einzahlung" 2000 Euro gewonnen hat. Olé, Ole!

Es war an einem dieser wolkenverhangenen Nachmittage im April. Ole fuhr gerade mit dem Auto von der Arbeit nach Hause. Unterwegs rief ihn seine Freundin an, wie fast immer um diese Zeit. Sie ersuchte ihn, noch am Supermarkt vorbeizufahren und ein paar Kleinigkeiten fürs Abendessen einzukaufen.

Ole erledigte brav seine voreheliche Pflicht, schleppte die Einkäufe in die Wohnung und setzte sich dann dort vor den Computer, um noch kurz seine E-Mails zu checken. Da er kein besonders kreativer Mensch war, surfte er danach durch diverse Online-Publikationen und sah irgendwann, irgendwo Bilder vom sonnigen Palmenstrand und im Hintergrund blitzblauen Himmel und türkisfarbenes Meer. Sowas gefällt Leuten wie Ole. Es reizt sie, weil es an die Grenzen ihrer Phantasie stößt. Unter dem Photo vom Strandidyll stand zu lesen: "Hol Dir den Online Casino Bonus ohne Einzahlung und gewinne eine Luxusreise in die Karibik."

"Na, genau!" dachte Ole. "Nichts zahlen, aber viel gewinnen ... so sieht ein gutes, vertrauenswürdiges Angebot aus." Er war ja sonst eher ein vorsichtiger Charakter (Sie wissen schon, die Sache mit der Phantasie), aber jetzt klickte er, ohne lange nachzudenken, auf das Banner und landete wie durch Zauberei in der funkelnden, glitzernden Lobby eines Online-Casinos. Hier standen unzählige blinkende Spielautomaten, wie man sie aus diesen Las-Vegas-Filmen kennt. Daneben gab es ein paar Gesichter von bildhübschen Hostessen zu sehen, die einladende Gesten machten. Da Ole mit echten Frauen ohnehin nicht viel anfangen konnte und seine Freundin noch immer nicht zu Hause war, machte er es sich bequem. In der Mitte seines Monitors war auch noch ein Roulettetisch zu sehen, um den offensichtlich saturierte virtuelle Gäste saßen und ihr unrecht erworbenes Gut verspielten, während ein Croupier das Rad drehte, "Rien ne va plus!" rief und Chips hin- und herschob.

Ole war überfordert.

Doch auf einmal tauchte auf dem Bildschirm ein grell leuchtendes goldfarbenes Rad mit vielen Zahlen auf. "Lucky-Wheel" stand darauf - und dann "Online Casino Bonus ohne Einzahlung - einmal Drehen und bis zu 100 Freispiele gewinnen". Das kam Ole, dessen Aufmerksamkeitsspanne nicht viel länger war als sein Name, irgendwie bekannt vor. Aber Freispiele? Was sollte er mit Freispielen? Wo blieb die Karibik?

Andererseits hatte er nichts zu verlieren, weil Leute wie Ole nie was zu verlieren haben. Also klickte er das Rad an und versetzte es in hypnotisch wirkende Rotation. Bald blieb das Wunderding bei "25 Freispiele" stehen. "25 Freispiele?" wunderte sich Ole. "War da nicht von 100 die Rede?" (Das mit der Karibik hatte er - siehe oben - längst vergessen.) "Da ist doch garantiert irgendein Trick dabei", dachte er noch, als er aufgefordert wurde, seinen Namen und seine E-Mail-Adresse einzugeben, um die Freispiele am Slot "My Dream" einlösen zu können.

Nach freiwillig verlängerten Militärdienst und bei seinem Job als Chef-Staplerfahrer (Was hatten seine Freundin - die übrigens noch immer irgendwo unterwegs war- und er diese Beförderung gefeiert! Mit 38 Jahren hatte er sie sich ja wirklich verdient gehabt ...) war Ole aber längst daran gewöhnt, Befehle zu befolgen und Aufforderungen einfach nachzukommen, ohne sich lange den Kopf zu zerbrechen. "Freispiele - können ja nix kosten", dachte Ole und trug brav seine Daten ein.

 

Kaum hatte er diese Aufgabe erledigt, öffnete sich auch schon das angekündigte Spiel "My Dream". Als Intro war ein flashiges Video zu sehen, so wie aus der Fernsehwerbung für diesen leckeren Cocktail. Mit Werbung kannte Ole sich aus, dafür reichte seine Aufmerksamkeitsspanne. Die roten Sportautos, Luxuskreuzer, Cocktail-Gläser mit Schirmchen und ganze Bündel mit Dollarnoten, die über den Bildschirm waberten, faszinierten ihn noch mehr. Das Spiel selbst war ein Online-Slot-Automat mit fünf Walzen und drei Reihen, auf denen vielversprechende Symbole aus der Kategorie Sonne, Strand und Meer abgebildet war. Darunter befand sich der grüne Knopf, der das Ding in hektische Drehung versetzte.

"Wird schon gutgehen", dachte Ole, der seine Freundin ein bißchen vermißte (wenn er näher darüber nachdachte, hatte er sie schon ein paar Tage nicht mehr gesehen) und klickte den grünen Button an. Die Walzen begannen sich zu drehen, und im Hintergrund war symphonische Orchestermusik zu hören. Die Walzen spielten Walzer ... aber solche Feinheiten gingen an Ole vorbei, wie immer.

Jetzt blieben die Bilder stehen. Nichts. Keine Übereinstimmungen. Das änderte sich auch nach mehrmaligem Klicken nicht, die Anzeige auf dem Bildschirm blieb so langweilig wie Oles Alltag. Im Hintergrund spielte weiterhin das synthetische Symphonieorchester. Ole gähnte. Er hatte nur noch sechs Freispiele. Sollte er weitermachen oder stattdessen ein wenig Werbung schauen? Noch einmal drückte er auf den Knopf. Plötzlich knallten Sektkorken, und ein buntes Feuerwerk stieg auf dem Bildschirm auf. "Herzlichen Glückwunsch – Sie haben 2000 Euro gewonnen!" stand jetzt da. "Blödsinn - ich hab´ doch noch nie was gewonnen", antwortete Ole dem Computer, zog seine Hose hoch und holte sich ein alkoholfreies Bier aus der Küche.

Während er den nutzlosen Gerstensaft seine Kehle hinunterrinnen ließ, mußte er immer wieder an die 2000 Euro denken. Damit könnte er sein Auto reparieren lassen, der Auspuff knatterte ja wirklich schon wie ein abstürzender Hubschrauber. Und mit dem Rest würden er und seine Freundin (von der er kaum noch wußte, wie sie aussah) in zwei, drei Monaten zu Oles Verwandten ins Burgenland fahren - ja, genau denen, denen nach drei Buchstaben die Phantasie für seinen Taufnamen ausgegangen war. Ole runzelte die Stirn, wie immer, wenn er nachdachte. Dann schlurfte er zum Computer zurück, der ihm immer noch fröhlich seinen Gewinn verkündete, scrollte am Bildschirm nach unten und sah eine Telefonnummer. Er zog sein Handy aus der Hosentasche. Seine Freundin hatte ein SMS geschickt: "Komme doch erst morgen." Immer dasselbe ... Aber Ole wollte ja was ganz anderes. Was eigentlich? Ach ja - er rief die Nummer an, bei der sich nach drei Läuttönen eine freundliche Frauenstimme meldete.

"Guten Tag, was kann ich für Sie tun?"

"Ich bin der Ole und habe 2000 Euro gewonnen!"

"Schön für Sie. Verraten Sie mir bitte Ihren vollständigen Namen und Ihre E-Mail-Adresse?"

Ole dachte ein Weilchen nach und tat dann, wie ihm geheißen war.

"Ja, herzlichen Glückwunsch, es stimmt, Sie haben das Geld gewonnen! Jetzt brauchen wir noch Ihre Adresse und die Kontodaten, dann überweisen wir Ihnen den Betrag gleich. Und wenn Sie ein PayPal-Konto haben, geht´s noch schneller."

Ole konnte es kaum fassen. Glück im Spiel! Jetzt konnte er endlich seinen Auspuff reparieren lassen, ein paar Wochen lang die teuersten Pizzen nach Hause bestellen und demnächst die Verwandtschaft im Burgenland besuchen. Vielleicht würde er dort auch eine neue Freundin finden ...

Aber bis dahin drückte er immer weiter auf den grünen Knopf. Schließlich wollte er das schöne bunte Feuerwerk wieder sehen.

 

PS (nicht nur für Ole): Viele Online-Casinos bieten neuen Spielern einen Willkommensbonus an - einmal gleich bei der Anmeldung, ohne daß zuvor eine Einzahlung vorgenommen werden muß, und dann mit der ersten Einzahlung. Oft gibt es neben dem Bonusgeld auch Freispiele als Bonus, die an bestimmten Spielautomaten eingesetzt werden können. Einer der führenden Casino-Spieleentwickler ist die österreichische Novoline-Gruppe.

Kolumnen_ Depeschen aus der Provinz/Episode 4

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"The World Is Underganging"

Außerhalb der Großstadtgrenzen sprechen die Menschen nicht nur viel lustiger Englisch, sondern machen auch sonst alles anders - wie Ihr Kolumnist unter Schmerzen feststellen mußte.

Verehrte Leser und -innen! Sollten Sie sich bei der Lektüre meiner vorigen Kolumne gefragt haben, ob da was fehlt, dann muß ich Ihnen leider sagen: ja. Es war die Schlußpointe, das letzte "eh", der alles entscheidende Gag, gnadenlos entfernt von einem müden Graphiker, der ins Wochenende gehen wollte und sich wahrscheinlich gedacht hat: "Wegen die zwa Buchstaben fang i ka neue Zeiln an." Wer mir schreibt (per Elektro- oder Schneckenpost), dem schicke ich das fehlende "eh" gern auf einer netten Ansichtskarte zu. [Anm. der EVOLVER-Redaktion: Wir haben den fehlenden Schlußgag natürlich in der vorigen Kolumne wieder eingefügt. Trotzdem wollen wir Ihnen mit diesen ersten Zeilen demonstrieren, wie sagenhaft blöd es in Zeitgeist-"Männermagazinen" zugeht ...]

Aber man macht sich ja doch seine Gedanken, wenn sowas passiert. Hassen die Wiener Zeitschriftenmacher uns Neo-Provinzler etwa so sehr? Oder war alles nur eines dieser Mißverständnisse, wie sie einem auf Schritt und Tritt begegnen?

Zum Beispiel damals, als ich im Sommer - bevor der wegen globaler Erwärmung bereits Mitte Juli behördlich geschlossen wurde - durch die Gassen schritt und mich fragte, ob meine neue Heimatstadt vielleicht am Äquator liegt, weil die Sonne hier zu jeder Tageszeit im Zenit steht. Ich erkundigte mich bei einer weisen Einheimischen, die mir zur Antwort einen zarten Fausthieb auf den Hinterkopf versetzte und sagte: "Du Depp, das liegt dran, daß wir hier so niedrige Häuser haben."

Eigentlich logisch. In der Stadt schleppt man sich zwar von einer schattigen Straßenseite auf die andere, schaut aber nie zu den oberen Etagen hinauf, weil einem sonst die Tauben auf die Stirn scheißen. Und dann nimmt man automatisch an, daß die Lichtverhältnisse überall so sein müssen. Klassisches Mißverständnis.

Ich denke da auch den Tag, als ich einen hochbegabten jungen Mann kennenlernte, der gerade seine selbstentworfene neue Wohnstatt bezogen hat - ein Passivhaus. Nun habe ich ja schon bei sogenannten Niedrigenergiehäusern stets vermutet, daß die Bewohner müde darin herumhängen wie ein stinkerts Gsöchts und nix weiterbringen. Aber gleich ein Passivhaus? Warten dort alle nur darauf, daß ihnen wer die Pizza bringt und sie nach dem Essen zum Geschlechtsverkehr aufeinanderlegt? Ein weiterer, schon etwas stärkerer Faustschlag klärte auch diesen Irrtum auf. Zwangsweise.

Um zu verhindern, daß meine Fontanellen aufplatzen, stelle ich einfach keine Fragen mehr. Auch dann nicht, wenn die Leute behaupten, daß sie eine "saure Jause" zu sich nehmen wollen – und ich fix damit rechne, daß gleich Essigwurst und Zitronenkracherl serviert werden. Weit gefehlt! Dort, wo ich jetzt wohne, werden sämtliche Geschmacksrichtungen, die nicht süß sind (also salzig, bitter, sauer und grauslich) unter "sauer" zusammengefaßt, sogar das gemeine Käsbrot.

Bei der Gelegenheit könnte ich Ihnen eigentlich auch erklären, welche kulinarische Perversion sich hinter dem Begriff "saurer Radler" verbirgt, aber da wird der Graphiker sicher wieder ab

Depeschen aus der Provinz

Peter Hiess lebte mehrere Jahrzehnte in Wien. Dann entschloß er sich, in die Provinz zu übersiedeln. Wie sich das anfühlte, erfahren Sie hier.

Kino_ Film-Tips Juli 2018

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Prequels, Sequels, Sommerzeit

Sergio-Sollima-Sprößling Stefano beschert uns die Fortsetzung des Kartellkrachers "Sicario". Gerard McMurray zeigt uns, wie der ganze "The Purge"-Blödsinn begonnen hat. Und: Jessica Chastain ist die, die nicht mit dem Wolf tanzt.

The First Purge


Filmstart: 5. Juli

Die Grundidee ist (zumindest in der geschriebenen, dystopischen Science Fiction) nicht wahnsinnig neu: Eine Nacht im Jahr ist der Irrsinn freigegeben, jeder darf straflos alle Verbrechen verüben, von denen er immer schon geträumt hat - und da sich die meisten in dieser Nacht austoben, sinkt die Kriminalitätsrate im Rest des Jahres. Was 2013 mit einem klaustrophobischen kleinen Horrorfilm ("The Purge - Die Säuberung") des Wunderkind-Studios Blumhouse Productions begann, hat sich mittlerweile zur Kinoerfolgsserie entwickelt, die wahrscheinlich ebenso viele Fortsetzungen erfahren wird wie "Saw". Der vierte Teil "The First Purge" ist ein Prequel und zeigt, wie die ach-so-böse-konservative Regierung der USA Mitte des 21. Jahrhunderts die Idee zu den Purge-Nächten entwickelt und einen ersten blutigen Live-Test auf Staten Island durchführt.

Der Film ist ebenso erfolgreich wie die fiktive "Purge"-Idee, man kann ihn sich also durchaus anschauen, vor allem, wenn man die ersten Teile mochte. Allerdings sollte man vorher lieber weghören und -schauen, wenn die seit 50 Jahren super-"fortschrittliche" Kritikermafia mit ihren langweiligen Trump-Vergleichen daherkommt. In Hollywood und den angeschlossenen Medienkanälen hat man in der Hinsicht nämlich momentan soviel Schaum vor dem Mund, daß der schön langsam auch die Sicht trübt. Da wäre eine kleine "Purge" gar nicht unangenehm ...  (ph)

 

Woman Walks Ahead


Filmstart: 6. Juli

Erinnert sich noch jemand an Kevin Kostners (im zerdehnten Director´s Cut gar nicht mehr so guten) Edelwestern "Der mit dem Wolf tanzt"? Nun, dies ist gewissermaßen das feministische Gegenstück dazu. War es dort ein Offizier, der allmählich Verständnis für die Kultur der amerikanischen Ureinwohner entwickelt, so ist es hier eine (historisch verbürgte) Malerin, die in North Dakota den legendären Indianerhäuptling Sitting Bull porträtieren will. Den Weißen gefällt das gar nicht: Sie beschimpfen und bespucken die verwitwete Künstlerin schon auf der Anreise, können die "Frau, die vorausgeht" aber nicht von ihrem Vorhaben abbringen. So nacherzählt klingt das vielleicht nach arg papierenem Gutmenschenkino, doch der Film ist - wenn auch kein Meisterwerk - so doch differenzierender, als es zunächst den Anschein hat. Weder sind die weißen Männer ausschließlich böse, noch erscheinen die Indianer ausschließlich als "rote Gentlemen" (© Karl May): Sitting Bull verlangt als Honorar fürs Modellstehen gleich einmal ordentlich viel Geld ... Dafür wird die zarte erotische Spannung, die sich zwischen der unerschrockenen Frau und dem stattlichen Häuptling entwickelt, schön subtil  angedeutet. Als sich der Mann unbefangen im gemeinsamen Übernachtungszelt zu entkleiden beginnt, geschieht das nur im unscharfen Hintergrund, während die Kamera den verstörten Blick der Malerin ins Visier nimmt. Fazit: Das Ganze ist mit etwas zu viel Musiksauce und ein paar entbehrlichen Zeitlupensequenzen leicht überwürzt abgeschmeckt, bleibt aber, zumal in Zeiten, da der Western im Kino ums Überleben kämpft, durchaus sehenswert.  (HL)

 

Sicario 2


Filmstart: 20. Juli 2018

Wer den Drogenkrieg der 80er Jahre in Kolumbien für brutal hielt, sollte sich heutzutage keine einschlägigen Nachrichten aus Mexiko ansehen. Dort wird das Milliardengeschäft mit der westlichen Gier nach Rauschmitteln nämlich derart grausam betrieben, daß die Fakten jede Fikion in den Schatten stellen: Ein Kartell bekämpft das andere, die Drogengangs meucheln Polizei und Politiker, Gesetzeshüter operieren verdeckt und/oder wechseln des Geldes wegen auf die andere Seite, amerikanische Geheimdienstler mischen mit - und im Zuge dessen sterben unzählige Menschen auf sehr böse Art.

Regisseur und Kritikerliebling Dennis Villeneuve (der mit "Arrival" und "Blade Runner 2049" bewies, daß sogenannte "intelligente SF" sehr sehr langweilig sein kann) legte 2015 mit dem Thriller "Sicario" einen - ebenfalls nur halbwegs spannenden - Drogenkriegs-Thriller vor, in dem eine idealistische FBI-Agentin (Emily Blunt) auf die mexikanische (Kino-)Realität sowie einen Haufen harter und vor nichts zurückschreckender Männer (Benicio del Toro, Josh Brolin, Jon "The Punisher" Bernthal) trifft. Und im Endeffekt an beiden scheitert ...

Bis zur Fortsetzung "Sicario 2" (im Original: "Sicario: Day of the Soldado") sollten drei Jahre vergehen. Villeneuve ist diesmal nicht dabei, ebensowenig wie Emily Blunt - überlebt haben jedoch die harten Burschen (plus Matthew Modine). Regie führt Stefano Sollima, den man nicht nur wegen seiner bisherigen Werke ("A.C.A.B. - All Cops Are Bastards", "Suburra" und der TV-Serie "Gomorrha") lieben und schätzen muß, sondern auch, weil er der Sohn des großartigen Sergio Sollima ist. Diesmal geht es um die üblichen CIA-Leute, Auftragsmörder und andere Helden des Alltags, die mittels Kidnapping einen Krieg zwischen den Kartellen auslösen wollen. Das heißt: Action, Gewalt - und weniger Festival-Moralisieren als im Vorgänger.  (ph)

 

Musik_ Sommerneuheiten 2018

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Alte Besen kehren besser

Daß der Klassiksektor personell "ausgedünnt" ist, ist leider kein Geheimnis mehr. Natürlich müssen die Tonträgerfirmen Umsatzzahlen liefern und sind leider dazu gezwungen, mehr oder minder krampfhaft Stars zu produzieren. Manche sind wirklich gut, andere nicht mehr als Verlegenheitslösungen. Und gegen die Wiederauflagen von echtem Weltrang verblassen sie sowieso alle.

Ein tatsächlich interessanter und hochbegabter "Stern" in der Dirigentenszene ist der Frankokanadier Yannick Nézet-Séguin. Als ehemaliger Chef der Rotterdamer Philharmoniker produzierte er mit seinem niederländischen Orchester sowohl Klassiker als auch Werke der Moderne. Die DG hat nun eine 6-CD-Box herausgebracht, die nicht nur des Maestros Vielseitigkeit, sondern vor allem seine immense Begabung zeigt. Nézet wurde nicht zuletzt auch von Carlo Maria Giulini unterrichtet. Die 8. Bruckner aus der Box könnte man durchaus als Referenz auf den unvergeßlichen Italiener betrachten. Alles in allem ist diese Rotterdamer Rückschau eine erfreuliche Wiederentdeckung.

Eine "maestrale" Verlegenheitslösung dagegen ist Andris Nelsons. Der lettische Ex-Trompeter wurde vor allem extrem von seinem "väterlichen" Freund Mariss Jansons gefördert und protegiert. Mittlerweile ist Nelsons überall gefragt und beliebt - leider kann seine Qualität aber nicht mit der Beliebtheit mithalten, obwohl er das Glück hat, überall die besten Orchester und Ensembles zur Hand zu haben. Da kann fast nichts schiefgehen, doch Spitzenleistungen hat Nelsons halt auch nie erbracht. Seine Grimassen und Verrenkungen sind fast legendär, sein künstlerisch-musikalischer "Output" weniger ...

Nelsons darf übrigens für die DG mit seinem Gewandhausorchester Leipzig alle Bruckner-Symphonien produzieren, die sich bis jetzt aber durch überraschende Belanglosigkeit auszeichnen. Die Werke sind vom Orchester bestens und blitzsauber gespielt, aber völlig uninteressant dirigiert. Daß der Dirigent mit den Wiener Philharmonikern nun auch den gesamten Beethoven produziert, läßt Schlimmes befürchten - zumal das Orchester mit seinen vorangegangenen Gesamtaufnahmen der Beethoven-Symphonien alles andere als Glück hatte. Wenn man die 8. Beethoven aus der Nézet-Séguin-Box hört, wäre dieser Dirigent viel eher eine Empfehlung für den Wiener Beethoven-Zyklus gewesen als Andris Nelsons. So aber versteht man die Politik der Tonträgerfirmen wieder einmal nicht.

 

Ganz anders hingegen sind die Bruckner-Aufnahmen mit dem russischen Weltstar Valery Gergiev. Bisher sind die Symphonien Nr. 1, 3 und 4 des oberösterreichischen Komponisten erschienen, bei denen Gergiev die Münchner Philharmoniker zu Höchstleistungen führt. Fertiggestellt soll der Bruckner-Zyklus im oberösterreichischen Stift St. Florian werden.

Nelsons Mentor Jansons ist einer der Hauptdirigenten beim Mahler-Zyklus des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Obwohl der lettische Altmeister kein reißerischer Interpret ist, wie ihn Mahler gut vertragen kann, ist seine Interpretation vor allem der 7. Symphonie hervorragend. Wenn dazu noch solche Kapazitäten wie Nézet-Séguin, Harding und vor allem Sir Colin Davis dirigieren, kann man für diese Compilation nur eine Empfehlung abgeben.

Gergievs Münchner Philharmoniker sind auch das Orchester bei Mahlers 4. in G-Dur. Der russische Maestro führt das wunderbare Werk gemeinsam mit der hervorragenden Sopranistin Genia Kühmeier auf und beweist auch hier, wie vielseitig er ist. Man darf sich auf die weiteren Neuerscheinungen mit ihm freuen.

 

Als Neuproduktion der DG ist eine Gesamtaufnahme der Ouvertüren von Gioachino Rossini erschienen. Gemeinsam mit der Filarmonica Gioachino Rossini unter Donato Renzetti sind auf vier CDs sämtliche Vorspiele und Ouvertüren des Komponisten zu hören. Die Aufnahme ist hervorragend, hat aber eher editorischen Charakter als einen "Must have"-Status. Manchmal klingen die Werke zu statisch sowie etwas behäbig und uninspiriert. Im Vergleich dazu ist die Gesamtproduktion auf Philips unter Sir Neville Marriner ein wahrhafter Hit.

Rossini ist auch Komponist einer der Wiederauflagen für CD und Blu-ray; nämlich des "Barbiers" unter Claudio Abbado. Der Klassiker unter den Rossini-Opernproduktionen mit Teresa Berganza und Hermann Prey ist vielleicht nicht die mitreißendste Produktion dieser Evergreen-Oper, jedoch eine der allerbesten im klassischen Sinn.

Ebenfalls auf Blu-ray/CD gibt es endlich die zwei Einakter "Cavalleria" und "Bajazzo" unter Herbert von Karajan. Diese Weltproduktion wurde bis heute nicht eingeholt oder sogar übertroffen. Bei diesen Anfang der 60er Jahre in der Mailander Scala aufgenommenen Werken erreicht Karajan durch seine Unmittelbarkeit und das sängerische Weltklasse-Ensemble einen dramatischen Hang und eine so berauschende Musikalität, daß man sich am liebsten zu einer Live-Aufführung "zurückbeamen" würde.

 

Gergiev dirigierte in Wien das "Sommernachtskonzert 2018". Unter dem Titel "Italienische Nacht" finden sich hier Schlager für Orchester und Gesang, die zu der lauen Frühsommernacht paßten. Leider ist bei der CD die philharmonische Unart der überbordenden Piccoloflöte zu hören. Auch wenn Verdi das so komponiert hat, zerstört das Instrument klanglich vor allem in den Tutti-Stellen den Gesamteindruck. Anna Netrebko begeistert gewohnheitsmäßig das Publikum, obwohl ihre Stimme nicht zu allen Werken paßt; gerade für die Arie der Nedda aus "Bajazzo" ist sie viel zu schwer. Orchestral ist bis auf das erwähnte Holzblasinstrument alles hervorragend gespielt, auch wenn man sich manchmal mehr Akzente und Dramatik gewünscht hätte.

Interessant ist die DVD/CD-Box zu Sir Simon Rattles Abschiedstournee nach Asien. In typisch edler Aufmachung präsentieren die Berliner Philharmoniker die Konzerte auf DVD und CD. Das mag natürlich auch dazu verleiten, über Rattles Jahre in Berlin nachzudenken. Er hat das Orchester für die moderne Literatur geöffnet und verstand sich fast freundschaftlich mit den Musikern. Jedoch freute ihn offenbar das mitteleuropäische Standardrepertoire nicht wirklich. Hier hinterließ er absolut keine bleibenden Spuren - so wie vor ihm auch Claudio Abbado. Und da zeigt sich dann wieder einmal, was für ein Gigant Herbert von Karajan in dieser Hinsicht war. Die Latte, die er damals legte, ist tatsächlich unerreichbar hoch.

The Rotterdam Philharmonic Collection

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6-CD-Box

Werke von Beethoven, Bruckner, Bartok, Shostakovich u. a.

 

The Rotterdam Philharmonic Orchestra/Yannick Nézet-Séguin

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2018)

Mahler Symphonien 1-9

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Gesamtaufnahme

alle Symphonien

 

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks/Sir Colin Davis, Bernard Haitink, Yannick Nézet-Séguin, Mariss Jansons, Daniel Harding

 

BR-Klassik (D 2018)

Cavalleria Rusticana/Bajazzo

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Gesamtaufnahme inkl. Blu-ray

Solisten: Fiorenza Cossotto, Carlo Bergonzi, Rolando Panerai u. a.

 

Coro e Orchestra del Teatro alla Scala/Herbert von Karajan

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2018)

Il Barbiere di Siviglia

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Gesamtaufnahme inkl. Blu-ray

Solisten: Teresa Berganza, Hermann Prey u. a.

 

London Symphony Orchestra/Claudio Abbado

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2018)

Bruckner: Symphonie Nr. 7 in E-Dur

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Neuproduktion

Richard Wagner: Trauermarsch aus der "Götterdämmerung"

Anton Bruckner: Symphonie Nr. 7 in E-Dur

 

Gewandhausorchester Leipzig/Andris Nelsons

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2018)

Gioachino Rossini: Ouvertüren

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Gesamtaufnahme

alle Ouvertüren

 

Filarmonica Gioachino Rossini/Donato Renzetti

 

Decca/Universal (D 2018)

Anton Bruckner: Symphonien Nr. 1, 3 und 4

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Neuerscheinungen

Münchner Philharmoniker/Valery Gergiev

 

Warner Classic (D 2018)

Mahler: Symphonie Nr. 4

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Neuerscheinung

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 4 in G-Dur

 

Genia Kühmeier, Sopran

Münchner Philharmoniker/Valery Gergiev

 

Warner Classic (D 2018)

The Asia Tour

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Neuproduktion

zum Abschied von Sir Simon Rattle von den Berliner Philharmonikern

 

Seong-Jin Cho/Yuja Wang, Klavier

 

Berliner Philharmoniker/Sir Simon Rattle

 

Berliner Philharmoniker (D 2018)

Sommernachtskonzert 2018

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Neuaufnahme

Notte Italiana (Italienische Nacht)

 

Anna Netrebko, Sopran

 

Wiener Philharmoniker/Valery Gergiev

 

Sony Classical (D 2018)

Akzente_ Sommerpause 2018

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Zeit für Freizeit

Das bedingungslose Grundeinkommen werden wir wahrscheinlich nicht mehr erleben. In der Zwischenzeit können wir uns ja der künstlichen Aufregung um den 12-Stunden-Tag anschließen (und uns wünschen, daß man auch unsere Arbeitszeit einmal auf diesen Wert reduziert). Aber nein - da verabschieden wir uns lieber gleich in den jährlichen Sommerurlaub!

Die EVOLVER-Crew verabschiedet sich mit sofortiger Wirkung in eine längst fällige Pause und freut sich darauf, Sie Ende des Sommers oder Anfang Herbst wieder begrüßen zu dürfen.

Kino_ The Meg

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Statham vs. Urzeithai

Wie weit unser liebster britischer Faustwatschen-Austeiler kommt, wenn er es mit einem gigantischen Urzeithai zu tun hat? Die Antwort darauf liefert Jon Turteltaub in "The Meg". Andreas Stadler hat sich den Film angesehen.

Vor rund 40 Jahren kam ein Film in die Lichtspieltheater, der die Welt des Kinos entscheidend verändern sollte. War der Sommer für Kinobesitzer vordem eine schwierige Sauregurkenzeit, so gab es nun eine neue Sparte: den Blockbuster.

"Der weiße Hai" von Steven Spielberg war ein Film über eine fiktive amerikanische Kleinstadt und deren Bewohner, die vom titelgebenden Meeresmonster heimgesucht werden. Ich erinnere mich noch genau, was mein Lehrer im Filmseminar an der Universität über diesen Film gesagt hat: Es geht gar nicht um den Hai. Spielbergs Kassenschlagers ist vielmehr deshalb so besonders, weil es in ihm um die Bewohner des Küstenorts Amity und die Provinz an der amerikanischen Ostküste geht, wo reiche Rentner und regelmäßig auch US-Präsidenten ihren Urlaub verbringen. Rhode Island, Cape Cod, Martha´s Vineyard und so weiter ...

Die Bewohner sehen nach der Haiattacke ihre Felle davonschwimmen. Vorher war ein Händler für Andenken und Krimskrams noch verzweifelt, weil er bis zum 4. Juli (amerikanischer Unabhängigkeitstag) keine Sonnenschirme mehr bekommen konnte - alles ausverkauft, weil es ein Supersommer werden sollte. Die Hotels der Insel waren schon Monate vorher ausgebucht. Doch was, wenn die Besucher plötzlich ausbleiben? Der Kriegsveteran und Haijäger Quint spricht die bittere Wahrheit aus: Dann heißt es Konkurs und Sozialhilfe.

Der zwielichtige Bürgermeister der Stadt klebt auf seinem Sessel im Stadtrat und will die Sommerdollars auf keinen Fall riskieren. Er spielt die Gefahr herunter und verhindert die Sperrung der Strände. Auch die örtliche Presse veranlaßt er dazu, ihre Berichterstattung zu ändern. Wer etwas über Gesellschaft und Politik lernen will, ist bei diesem Film genau richtig.

Merkwürdig, daß "Der weiße Hai" immer noch als Horrorfilm bezeichnet wird, wo er doch vielmehr eine Parabel ist. Und schade, daß weder seine direkten Fortsetzungen noch Rip-offs diese Prämisse übernommen haben.

 

 

 

Das gilt auch für den neuen Hai-Streifen "The Meg" - einen Film über einen riesigen Urzeithai, der mindestens fünfmal so groß ist wie das "Jaws"-Wassermonsters. Steve Altens Romanvorlage erschien übrigens bereits 1997 und bietet Neugierigen unzählige Sequels. Die Verfilmung wurde über Jahre hinweg angekündigt, doch dann verschoben sich Drehbeginn und Release-Datum immer wieder. Der Film ist dadurch nicht etwa besser geworden, im Gegenteil: als Riesenhai losgesprungen, als Ölsardine auf der Leinwand gelandet.

Das Kinopublikum teilt sich bekanntlich in zwei Gruppen: die Leute, denen die Story wichtig ist, und die anderen, die Effekte, Explosionen, Stunts und viel Blut sehen wollen. Denen ist die Story halt dann nicht so wichtig … Und "The Meg" ist zweifellos etwas für die zweite Gruppe. Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein Wissenschaftler-Team forscht im Marianengraben nach erneuerbaren Energien und Mikroben, die unter extremen Bedingungen leben können. Dabei stoßen sie durch eine unbekannte, die sogenannte hadale Zone, also die Schicht unterhalb des sichtbaren Meeresbodens. Dabei kann ein Exemplar der Gattung Megalodon entweichen - ein Riesenhai, der seit mehr als 10.000 Jahren als ausgestorben gilt. Nun ist das Ungeheuer frei. Die eine Gruppe will ihn erforschen, die andere sieht lediglich eine Bedrohung in ihm. Und der Meeresbiologe und Tiefseetaucher Jonas Taylor, gespielt vom großen Jason Statham, soll versuchen, das Biest unschädlich zu machen.

 

Wo immer Statham mitspielt, gibt es Action und oft nichts als Action. Gewiß, die Bilder vom Hai sind überwältigend. Natürlich ist er CGI, aber immerhin sehr realistisch. Doch das war es auch schon. Die Handlung gibt nicht viel mehr her als die sattsam bekannte Jagd nach dem Ungeheuer. Und das ist bei soviel Vorlaufzeit doch etwas enttäuschend.

Die Romanvorlage bot da handlungsmäßig schon um einiges mehr. Warum man sich dieser Inhalte nicht bediente, bleibt ein Rätsel. Wenigstens bringt Stathams Charakter ein bißchen Hintergrundgeschichte mit, damit er halbwegs plausibel rüberkommt. Trotzdem wäre der Film ohne den britischen Action-Helden wahrscheinlich besser geworden, da schon die Erwartungshaltung bei Schauspielern wie ihm eine ganz andere ist.

Das macht auch den Unterschied zum eingangs erwähnten "Weißen Hai" aus - der wurde mit Schauspielern besetzt, die eine breite Palette an Ausdrucksmöglichkeiten hatten und das Drehbuch glaubhaft und spannend auf die Leinwand brachten.

So ist "The Meg" ein schnelles Sommer-Filmvergnügen für Special-Effect-Fans; nichts für Cineasten, sondern ein Kinowerk, bei dem sich die neue Freundin eng an einen klammert. Aber nein, das ist ein Klischee - genau wie die Charaktere in diesem Film.

The Meg

ØØØ

USA 2018

113 Min.

 

Regie: Jon Turteltaub

Darsteller: Jason Statham, Ruby Rose, Bingbing Li u. a.

Musik_ Beachtenswertes Grafenegg-Academy-Projekt

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Holpriger Start

Die Tonkünstler als Hausorchester legten mit ihrem ersten Grafenegger Sommerkonzert für 2018 einen etwas holprigen Start hin. Neben einem uninteressanten Chopin-Klavierkonzert hörte man die Wunschkonzertmelodien aus "Peer Gynt" - aber nicht wirklich berauschend. Die Grafenegg Academy wiederum wäre prinzipiell ein interessantes Projekt, doch organisatorisch gibt es noch einiges Lernpotential.

Im zwölften Jahr seines Bestehens gebar das Management des großartigen Musikfests in der Kamp-/Donauregion ein neues Projekt namens "Grafenegg Academy". Das eigens dafür gegründete Orchester setzt sich aus jüngeren Musikern aus der ganzen Welt zusammen. Sie bekommen hier die Gelegenheit, mit anerkannten Dirigenten interessante Werke einzustudieren.

 So weit die ursprünglichen Intentionen - aber was auf dem Papier gut klingt, ist in der Umsetzung doch etwas überarbeitungswürdig. Das wirklich phantastische Orchester wurde von Campus-Chef Leon Botstein und seinen Assistenten brillant präpariert und einstudiert. Da hätten sich die Musiker ein breiteres Publikum verdient. Es war eigentlich noch nie der Fall, daß der Wolkenturm nicht einmal zur Hälfte besucht war. Das Projekt "Humanismus in der Musik - Das künstlerische Gewissen" wurde mit vielen interessanten Konzerten und Vorträgen/Workshops fast philosophischer und politischer Natur gestaltet. Nur stellt sich hier die Frage, ob das für das Grafenegger Publikum nicht doch zu "sophisticated" ist; die Antwort gibt da (leider) die magere Besucheranzahl des Abschlußkonzerts.

 Darüber hinaus stellt man das Orchester hier in direkte Konkurrenz zum European Youth Orchestra, das in Grafenegg mit viel "gängigeren" Programmen auftreten darf. Schade - die Musiker des Academy Orchesters hätten es verdient, einem viel größeren Personenkreis vorgestellt zu werden. Eine Möglichkeit wäre, wirklich prominente Dirigenten dafür zu engagieren. Das 1988 in Wien gegründete Festival "Wien Modern" konnte letztlich nur durch seine Gründungspersönlichkeit Claudio Abbado florieren. Ebenso prominente "Zugpferde" wären in Grafenegg notwendig.

 Mit Neeme Järvi wäre wenigstens ein wirklich prominenter Dirigent zu sehen gewesen. Nur gab es da (höflich gesagt) einige Ungereimtheiten. Bis zum Konzert vermeinte das nicht-internetlesende Publikum, es hätte die Dirigenten Neeme Järvi und Leon Botstein vor sich. Obwohl der neue Geschäftsführer sogar einleitende Worte zum Konzert und vor allem über das Academy Orchester sprach, erwähnte er mit keinem Wort, daß Neeme Järvi NICHT auftreten (wirklich schade!) und die Dirigentin Rebecca Miller den ersten Teil des Konzertes dirigieren würde.

 Das Konzert war dann wenigstens hochinteressant und hervorragend gespielt. Hartmanns "Miserae" und vor allem die Vertonung von Gottfried Kellers Versfolge "Lebendig begraben" waren eine Bereicherung des Konzertalltags. Hartmanns Stück ist eine musikalische Umsetzung der Angst, des Aufbegehrens und der Ungerechtigkeit im NS-Regime.  Othmar Schoecks Vertonung der Gedichte seines Schweizer Landsmanns Gottfried Keller ist eine Lautmalerei und musikalische Retrospektive auf viele Komponisten des beginnenden 20. Jahrhunderts. Hier hört man immer wieder Mahler, Richard Strauss, Zemlinsky, den spätromantischen Schoenberg usw. heraus. Die 14 Gesänge wurden vom ungarischen Bariton Michael Nagy hervorragend interpretiert. Die Gesänge, die nahtlos ineinander übergehen, sind für einen Bariton sehr tief komponiert; es war phantastisch, wie Nagy das (manchmal allzu) lange Werk durchhielt. Die Fünfte von Schostakowitsch am Schluß, ein Höhepunkt für die musikinteressierten Konzertbesucher, wurde dann von Botstein sehr brav und umsichtig dirigiert. Das Werk hätte sich viel mehr Sarkasmus, Schwärze, Trauer etc. verdient. Hier sollte ein Maestro ans Werk, der das symphonische Wechselspiel der Gefühle mit interpretatorischer Tiefe auslotet. Leider kratzte der anwesende Dirigent nur an der Oberfläche, obwohl das Orchester hier hervorragend war.

 

Beim Eröffnungskonzert unter dem Titel "Norwegische Träume" bewiesen die Tonkünstler wieder einmal mehr, wie sehr ihre Qualität vom Dirigenten abhängt. Der in Deutschland geborene Jun Märkl ist ein umsichtiger Kapellmeister mit einer hervorragenden Schlagtechnik. Nur ist diese Technik manchmal so übergenau, daß sie den musikalischen Fluß regelrecht stört. Das war vor allem bei Debussys "Prélude" und Griegs "Peer Gynt"-Suiten zu hören. Gerade "Wunschkonzertmelodien" wie die "Morgenstimmung" oder die "Halle des Bergkönigs" waren da nicht wirklich eine großartige Referenz.

 Auch bei Chopins Klavierkonzert standen Pianist und Dirigent einander im Weg. Das führte öfters zu gewissen Unstimmigkeiten. Der tschechische Pianist Ivo Kahánek verließ sich viel zu oft auf das Pedal, was bekannterweise verwaschene Klänge produziert. Als Zugabe bedankte sich der Pianist dann mit Chopins "Fantaisie-Impromptu", das hierorts bereits 2017 vom Klaviergenie Daniil Trifonov gegeben wurde. Hier zeigte sich fast brutal, welche Welten zwischen den beiden Pianisten liegen.

 

Unter dem Titel "Somewhere Over the Rainbow" bescherte das überaus exzellente BBC Concert Orchestra unter Richard Balcome dem Publikum einen interessanten Abend mit Sinatra/Garland-Nummern unter anderem aus den Filmen "Girl Crazy" und "Wizard of Oz". Auch vom Jubilar Leonard Bernstein waren ein paar Nummern aus "On the Town" zu hören.

So exzellent die Sänger Louise Dearman und Graham Bickley waren - sie sind halt weder eine Judy Garland noch ein Frank Sinatra. In Filmen mag die Musik recht nett sein, im Konzert sind die mehr als zwei Stunden doch etwas ermüdend. Für das superbe Orchester hätte man ein "gehaltvolleres" Programm kreieren können.

Die Sommerkonzerte endeten für den EVOLVER-Klassikexperten mit dem in Grafenegg zur Tradition gewordenen Konzert des Europäischen Jugendorchesters. Das Orchester wurde 1974 in London gegründet, nahm aber erst 1978 mit seinem damaligen Mentor Claudio Abbado so richtig Fahrt auf. Mittlerweile hat es schon einige "politische" Krisen überstanden, da die EU ein paar Mal die Förderungen streichen wollte und das Orchester vor der Schließung stand. In Grafenegg ist das großartige Ensemble ein gern gesehener Gast und konnte bei seinem jüngsten Konzert beweisen, welches Potential in ihm steckt.

 

"Klangrausch und Opern-Duette" hieß das Programm, bei dem die berühmteste Konstellation Schwiegervater/Schwiegersohn der Musikszene auftrat. In familiärer Vertrautheit sangen Thomas Hampson und Luca Pisaroni Arien und Duette von Mozart, Rossini, Bellini, Verdi und Donizetti.

Hier zeigte sich allzu deutlich, daß Alter offenbar nicht wirklich einen Einfluß auf die Qualität hat. Während der "alte" Hampson (trotz gesundheitlicher Indisposition) bis auf ein paar Schwächen (in den Höhen) so richtig brillierte, war des Schwiegersohns Auftritt nicht wirklich beeindruckend. Pisaroni, der sich gern als Baß sieht, ist mehr ein dunkel gefärbter Bariton mit (leider) fehlender Tiefe. Beim Duett Philipp-Posa aus Verdis "Don Carlos" war das schmerzlich zu vernehmen. Noch dazu hörte man deutlich, daß Hampson begeistert interpretierte, während man bei Pisaroni manchmal (vor allem bei Mozart) das Gefühl hatte, daß er aus dem Telefonbuch vorlas. Trotzdem waren die Gesangsnummern eine Freude; der Höhepunkt war die Zugabe mit einem Duett aus Donizettis "Don Pasquale", bei dem die beiden einander übertrafen.

Großartig war das Orchester nicht nur bei den Opernszenen, sondern vor allem bei der "Rosenkavalier-Suite" und den "Pini di Roma". Honeck setzte hier nicht so wie früher auf oberflächliche Klangeffekte, sondern musizierte begeistert mit den netten jungen Leuten. Man konnte hier phantastische Musiker ausmachen, ob Soloklarinette oder das erste Horn oder noch mehr den hervorragenden Paukisten. Den Burschen sollte man sich merken - und sich gleichzeitig fragen, warum in vielen berühmten Orchestern dieses Instrument so langweilig gespielt wird. Vielleicht könnten einige der langjährigen Profis einmal bei den jungen Leuten Unterricht nehmen.

Norwegische Träume

ØØØ 1/2
Orchesterkonzert

Claude Debussy: "Prélude à l'après-midi d´un faune"

Frédéric Chopin: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 in e-moll

 

Edvard Grieg: Peer Gynt-Suiten Nr. 1 und Nr. 2.

 

Ivo Kahánek, Klavier

 

Tonkünstler-Orchester Niederösterreich/Jun Märkl

 

Konzert am 30. Juni 2018 im Wolkenturm

 

Photo: Millot Jean Baptiste

Das künstlerische Gewissen

ØØØØ
Grafenegg Academy

Karl Amadeus Hartmann: "Miserae" Poème Symphonique für Orchester

 

Othmar Schoeck: "Lebendig begraben" - Vierzehn Gesänge nach der gleichnamigen Gedichtfolge von Gottfried Keller für Bariton und Orchester op. 40

 

Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 5 in d-moll op. 47

 

Michael Nagy, Bariton

 

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

 

Dirigenten:  Rebecca Miller (Hartmann)

                  Leon Botstein (Schoeck, Schostakowitsch)

 

Konzert am 8. Juli 2018 im Wolkenturm

 

Photo: Matt Dine

Somewhere Over the Rainbow

ØØØØ 1/2
Orchesterkonzert

Musiknummern aus den Filmen "The Wizard of Oz", "Girl Crazy" etc.

 

Louise Dearman, Graham Bickley - Gesang

 

The BBC Concert Orchestra/Richard Balcombe

 

Konzert am 28. Juli 2018 im Wolkenturm

Klangrausch und Opern-Duette

ØØØØØ
Symphoniekonzert

Werke von R. Strauss, W. A. Mozart, G. Rossini, G. Verdi, V. Bellini und O. Respighi

 

Solisten: Thomas Hampson und Luca Pisaroni

 

European Youth Community Orchestra/Manfred Honeck

 

Konzert am 4. August 2018 im Wolkenturm


Kino_ Film-Tips September 2018

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Late to the Chopper

Liefert Shane Black endlich das "Predator"-Sequel, auf das wir seit den Achtzigern warten? Lehren uns rumänische Dämonen wirklich noch das Fürchten? Peter Hiess und Hans Langsteiner wollten es wissen und waren im Kino.

The Nun


Filmstart: 7. September

Eine Nonne und ein Priester brechen von Rom aus ins ferne Rumänien auf, um dort auf den Spuren eines rätselhaften Selbstmords an böse Dämonen zu geraten, die in einem Karpatenkloster ihr Unwesen treiben. Klingt wie die Vorlage zu einem Hammer-Film aus den sechziger Jahren, ist aber leider nicht halb so gut. Obwohl vollgestopft mit Jump-Scares und schaurigen Synthesizern auf der Tonspur, ist dies einer der langweiligsten Horrorfilme der letzten Zeit. Schwer zu sagen, woran es liegt: an der jederzeit vorhersehbaren Handlung, an den optischen Klischees, die man schon tausendmal gesehen hat (kahle Mauern, offene Gräber usw. usf.) oder am mäßig inspirierten Stil der Darsteller? Unter ihnen bleibt Taissa Farmiga, die jüngere Schwester der ungleich begabteren Vera F., in Erinnerung - aber hauptsächlich, weil sie der spitznasigen Lydia aus der Witzesendung von Puls 4 wie aus dem Gesicht gerissen ähnlich schaut. Das Ganze ist, für Kenner sei´s angemerkt, eine Art Prequel zur amerikanischen "Conjuring"-Filmserie, aber das macht die Sache auch nicht besser. Terence Fisher, Mario Bava, wo seid ihr, wenn man euch wirklich braucht?  (HL)

 

 

Alpha


Filmstart: 7. September

Als "prähistorisches Survival-Drama" wird diese Produktion vermarktet, doch Vorsicht: Wer hier eine Art "The Revenant 2" erwartet, sitzt unvermutet in einem naiven Jugendfilm à la "Wolfsblut"! Es geht um einen jungen Krieger aus der Eiszeit, der sich allmählich mit dem titelgebenden Wolf anfreundet. Hat man Disney-Filmen seinerzeit die haarsträubende Vermenschlichung animalischen Verhaltens vorgeworfen, so muß man dem Mäusekönig jetzt Abbitte leisten - so weit wie hier hat selbst der alte Walt die Absurdität nie getrieben. Da erkennt Alpha etwa sein unter einer Eisschicht treibendes (!) Herrl auf Anhieb wieder und rettet ihm das Leben ... Ein Blick ins Netz wirft Fragen auf: Wikipedia berichtet von einer eigens für den Film entwickelten untertitelten Eiszeitsprache, doch zumindest in der deutschen Version reden die Figuren bestes Wenzel-Lüdecke-Idiom. Bemerkenswert sind einzig die tollen Bilder, die der österreichische (!) Star-Kameramann Martin Gschlacht hier hat basteln dürfen, doch das genügt nicht, um "Alpha" aus dem übermächtigen Schatten vergleichbarer Versuche wie "Am Anfang war das Feuer" (1981) oder "Der Bär" (1988) treten zu lassen. Wäre an sich nur schade ums Geld, hätten für diesen Ödfilm nicht Tiere (Bisons) ihr Leben eingebüßt - weshalb "Alpha" auch die übliche Post-Credit-Versicherung, ("... keine Tiere zu Schaden gekommen") verwehrt blieb. So aber wird die fade Angelegenheit auch noch widerlich.  (HL)

 

Predator - Upgrade


Filmstart: 13. September

Nein, niemand will mehr sehen, wie Arnie gegen den Predator - den Angehörigen einer außerirdischen Jägerspezies, die wir in den 80er Jahren kennenlernen durften - kämpft, um eventuell den Pensionsschock zu überwinden. Leider bekommen wir auch keine Gelegenheit mehr, eine weitere Folge des Crossover-Actioners "Alien vs. Predator" zu betrachten, weil Teil zwei bereits so tief in US-Kleinstadt-Fadesse abstürzte. Und eigentlich hätte ja schon nach dem sagenhaft mißlungenen "Predators" (2010) endgültig Schluß sein sollen. Aber die Industrie kennt kein Erbarmen ...

Aus diesem Grund wurde für "Predator - Upgrade" (Ist es ein Sequel? Ist es ein Prequel? Ist es Unfug?) Shane Black engagiert, der als Drehbuchautor ("Lethal Weapon", "Last Action Hero") und Regisseur ("Kiss Kiss, Bang Bang", "The Nice Guys", "Iron Man 3") bewiesen hat, daß er Big-Budget-Action, supercoole Dialoge und Buddy-Comedies bestens drauf hat. Und viel Ironie. Nur hat eben außer der Action keines dieser Elemente etwas beim Predator verloren, schon gar nicht die Ironie, die lasert der Außerirdische jedem Hipster sowieso gleich aus dem leeren Schädel. Bevor er aber soweit kommt, muß er sich durch eine ziemlich unentschlossene Handlung über abgestürzte Raumschiffe, entwendete Technologie, ein Militärgefängnis für psychiatrisch auffällige Veteranen und noch ein paar Predator-Kollegen raufen und in Millennial-Humor versuchen. Daß darunter bei allem Tschinbumm die Spannung leidet, ist logisch ...

Vielleicht sollten wir uns doch lieber Arnie zurückwünschen.  (ph)

 

Mile 22


Filmstart: 14. September

Man muß es einmal sagen: Peter Berg ist kein sympathischer Mensch. Der Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur etc., der erstmals so richtig in der Rolle von "kein sympathischer Arzt" in der Spitalsserie "Chicago Hope" auffiel, begann 1998 selbst Filme zu drehen. Nur deren erster, "Very Bad Things" (mit keinen sympathischen Junggesellen, die genau das kriegen, was sie verdienen), wußte wirklich zu überzeugen. Alles danach wurschtelte sich so durch, ob mit "The Rock" ("Welcome to the Jungle") oder Will Smith (die überaus mäßige Superhelden-Satire "Hancock") oder dem uralten Gesellschaftsspiel "Schifferl versenken" (die völlig schwachsinnige Hollywood-Großproduktion "Battleship").

Erst in letzter Zeit tat sich Berg mit "Marky" Mark Wahlberg (richtig eingeschätzt: wieder so ein Unsympathler!) zusammen, um patriotisch-amerikanischen Tragödien-Kitschstoff zu verfilmen. Ob Antiterror-Einsatz in Afghanistan ("Lone Survivor"), eine brennende Ölplattform ("Deepwater Horizon") oder der Terroranschlag auf den Boston-Marathonlauf ("Boston") - immer ging es um tatsächliche, für Amis "traumatisierende" (wenn man den Medien glaubt, aber wer tut das schon?) Ereignisse, die aber in den Händen von Berg und Wahlberg stets zu banalem "Fernsehfilm der Woche"-Stoff degenerierten.

Mit "Mile 22" haben die beiden es jedoch endlich geschafft: Der Streifen über Angehörige einer supergeheimen Geheimorganisation, die einen Spion vor einem Attentat retten soll, ist endlich so unsympathisch wie Regisseur und Hauptdarsteller selbst - und gilt bereits als einer der schlechtesten Filme des Jahres 2018. Wenn ein heimisches Gratisblättchen, das nicht umsonst umsonst ist, seine Rezension ungeschickt mit "Blutiger Ballerporno mit Ungustl und Macho-Frauen" betitelt, möchte man "Mile 22" zwar reflexhaft mögen ... aber man kann es nicht, selbst wenn man den berühmten besten Willen hätte. Glauben Sie mir.  (ph)

 

Musik_ Orchester-Entdeckungen in Grafenegg

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Verborgene Schätze

Aus diversen Gründen fiel die Grafenegg-Saison 2018 des EVOLVER-Klassikexperten relativ kurz aus. Wettermäßig waren die Abende recht daneben - der Großteil der besuchten Veranstaltungen fand "indoor" statt. Dafür gab es künstlerisch hochinteressante Neuentdeckungen. Man kann dem Grafenegg-Team dankbar dafür sein, daß es solche Künstler aufs Podium brachte.

2018 ist ja ein großes Gedenk- und Bedenkjahr - wobei man ja sowieso bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit an die große Erbsünde Nr. 2 erinnert wird. Nun hat man in Grafenegg die Gelegenheit genutzt, mit Brittens "War Requiem" ein monumentales und nicht bombastisches Werk zum Gedenken aller (Kriegs-)Toten aufzuführen.

Das Requiem hat eine interessante Besetzung: ein großes Orchester und dazu einen großen Chor und einen Kinderchor; dazu kommt noch ein zwölfköpfiges Kammerorchester. In dem Stück singen die Chöre und die Sopransolisten die liturgischen Worte des Requiems, während das Kammerorchester Tenor und Bariton zu Texten des britischen Dichters Wilfred Owen begleitet. Owen war nicht nur Dichter, sondern auch Soldat, der ergeben der britischen Armee diente. Fatalerweise fiel er bei einer Schlacht exakt eine Woche vor Beendigung des Krieges.

Das Werk wurde 1962 in Großbritannien uraufgeführt, als meisterhafter Komponist zeichnete Benjamin Britten für die Musik verantwortlich. Daß er einer der besten Instrumentierer und Techniker war, kann man bei seinen Opern und symphonischen Werken immer wieder bewundernd feststellen. Doch in all die Perfektion hat sich ein gewisses Maß an Distanziertheit eingeschlichen. Man kann Brittens Technik und seine Kunst nur bewundern - ob er die Hörer aber tatsächlich emotionell berührt, muß jeder für sich entscheiden.

Die Grafenegger Festivaleröffnung 2018 war jedenfalls ein voller Erfolg. Die Tonkünstler brillierten unter ihrem Chef, die Chöre sangen meisterhaft, und bei den Solisten waren die Herren großartig, während die Sopranistin leider manchmal recht schrill erklang. Übrigens war dem Requiem eine Fanfare mit Trompeten (hinter dem Podium) als Uraufführung des "Composers in Residence" Ryan Wigglesworth vorangestellt, die man während des Einzugs des Publikums einfach abspielte. Ob ungeschickt geplant oder aufgrund sonstiger "Sachzwänge" - als Komponist könnte man sich dadurch schon etwas mißachtet vorkommen ...

 

Ein Orchester, das man immer wieder im Radio hören kann und trotzdem viel zu wenig beachtet, sind die Bamberger Symphoniker. Heuer waren sie erstmals zu Gast in Grafenegg, und man merkte, was das Ensemble für ein verborgener Schatz ist.

Mit ihrem sympathischen Chef Jakob Hrusa spielten die Bamberger ein deutsch-slawisches Programm. Das Violinkonzert von Johannes Brahms bekommt man zwar oft zu hören, aber selten in so einer begeisterungswürdigen Produktion. Der großartige Geiger Nikolaj Znaider (u. a. Schüler von Boris Kuschnir am Wiener Konservatorium) zelebrierte geradezu das musikalisch und technisch extrem schwierige Werk. Mit seiner traumhaft klingenden Guarneri ließ er die berührenden Kantilenen von Brahms durch den Saal fließen. Nach dem Konzert bedankte er sich für den kräftigen Applaus mit einem Bach - "zur Abkühlung", wie er sagte.

 

 

Nach der Pause ließ der tschechische Maestro Hrusa Musik aus seiner Heimat erklingen. Bei den ersten vier Teilen aus Smetanas "Mein Vaterland" hörte man voller Begeisterung, wie sehr Orchester und Dirigent aufeinander eingehen. Das Ensemble ist in jeder Gruppe hervorragend besetzt; selten noch hat man Smetanas symphonisches Hauptwerk so farbig und mitreißend gehört. Wenn an dem Konzert etwas auszusetzen war, dann vielleicht, daß die letzten beiden Teile von Smetanas Werk fehlten. Sie hätten wahrscheinlich den zeitlichen Rahmen gesprengt ... aber wenigstens hatte noch der letzte "Ungarische Tanz" von Brahms Platz als Zugabe.

 

Tatsächlich den zeitlichen Rahmen sprengte am Tag danach die "Bernstein-Gala". Schuld daran war einzig und allein der zu 90 Prozent entbehrliche "Moderator" Christoph Wagner-Trenkwitz. Ein leicht selbstverliebter und vor allem von seinem eigenen Humor (?) begeisterter Vielplauderer dehnte das Konzert zu einer unerträglichen Länge und ließ das Orchester und den Dirigenten immer wie Schulkinder warten.

Konzerte zu moderieren ist wahrlich eine Kunst. Einerseits will man dem Publikum auf lockere Weise Informationen näherbringen, andererseits aber sollte das so komprimiert erfolgen, daß die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht nachläßt. Noch dazu herrscht die Gefahr, daß der Redner leicht in Peinlichkeiten abrutscht.

Und das ist Wagner-Trenkwitz leider oft genug passiert. Natürlich brachte er interessante Informationen zu den aufgeführten Werken - aber wer braucht dazu eine Art "Seitenbühne-Getuschel"? Und noch dazu eine unnötige, aber politisch gefällige Anti-Trump-Äußerung? Viele derartige Moderatoren (auch Barbara Rett) sollten vielleicht einmal genau zuhören, wie Alfred Eschwé zum Jahreswechsel seine Konzerte moderiert. Pointiert, straff, gehaltvoll und mit sympathischem Humor wird da im Publikum eine positive Stimmung erzeugt.

Musikalisch hätte man den Jubliar Leonard Bernstein aber nicht besser würdigen können. Das niederösterreichische Hausorchester unter seinem Chef Sado brachte ein wunderschönes Panoptikum der Werke des amerikanischen Musikgenies, angefangen von der brillanten (und extrem schwierig zu spielenden) "Candide"-Ouvertüre über die Suite aus "Waterfront" bis hin zu einem Potpourri aus Bernsteins Magnum Opus "West Side Story". Das Orchester war in absolut blendender Form, ebenso wie Elisabeth Kulman und der ausbaufähige Tenor Peter Kirk; brillant auch Patricia Petibon. Keinesfalls vergessen darf man an dieser Stelle den exzellenten Cellisten Leonard Elschenbroich, der die "Meditations" richtig zelebrierte.

 

Das letzte Konzert der Saison fand wetterbedingt ebenfalls im Auditorium statt, was aus akustischen Gründen ein großer Vorteil war - sonst hätte man das Violinkonzert von Sibelius mit der phantastischen Hillary Hahn nie so unmittelbar und akustisch "unbehandelt" hören können. Die von Lorin Maazel entdeckte Amerikanerin ist die wahrscheinlich größte Geigerin der Gegenwart. Es ist geradezu unglaublich, mit welcher Emotion, Technik und welch berührenden Klängen sie die Musik des finnischen Komponisten dem Publikum zum Vortrag brachte. Hahn begeisterte die (ansonsten mit Applaus sparsamen) Zuhörer so sehr, daß sie sogar zwei (!!) Zugaben spielte - natürlich von J. S. Bach. Auch hier zeigte sich ihre unschlagbare Größe.

Eine ebensolche Größe bewiesen der oft witzige Dirigent Mikko Franck und das Orchestre Philharmonique de Radio France. Die Franzosen überraschten genauso wie die Bamberger Symphoniker mit einer nachahmenswerten Orchesterkultur. In allen Stimmgruppen überzeugten die Musiker, während sich Franck als meisterhafter Einstudierer erwies, der jede Klangnuance auslotete. Man wird sich noch lange an das sanfte Flirren erinnern, mit dem das Sibelius-Konzert begann. Ravels "Tombeau" und die oft abgedroschene Fünfte von Beethoven waren ebenso auf einem hohen meisterlichen Niveau gespielt. Und mit der Zugabe von Sibelius´ "Valse triste" erwies der finnische Maestro seinen Musikern eine Reverenz, da dieser Walzer eigentlich eher französisch klingt als finnisch.

Man darf sich auf den nächsten Grafenegger Sommer freuen.

Benjamin Britten - War Requiem

ØØØØ 1/2
Festivaleröffnung

Solisten: Anna Samuil, Lucas Meachem, Christian Elsner

 

Wiener Singverein, Wiener Sängerknaben

Tonkünstler-Orchester Niederösterreich/Yutaka Sado (Yukari Saito: Dirigentin des Kammerorchesters)

 

Konzert am 17. August 2018 im Wolkenturm

Bamberger Symphoniker

ØØØØØ
Orchesterkonzert

Johannes Brahms: Konzert für Violine und Orchester in D-Dur op. 77

Friedrich Smetana: "Mein Vaterland" (Teile 1-4)

 

Nikolaj Znaider, Violine

 

Bamberger Symphoniker/Jakub Hrusa

 

Konzert am 24. August 2018 im Auditorium/Grafenegg

Bernstein-Hommage

ØØØØ 1/2
Orchesterkonzert

Werke von Leonard Bernstein

 

Patricia Petibon, Elisabeth Kulman, Peter Kirk - Gesang

Leonard Elschenbroich - Violoncello

 

Christoph Wagner-Trenkwitz, Moderation

 

Tonkünstler-Orchester Niederösterreich/Yutaka Sado

 

Konzert am 25. August 2018 im Auditorium/Grafenegg

Hilary Hahn & das Orchestre Philharmonique de Radio France

ØØØØØ
Orchesterkonzert

Werke von Maurice Ravel, Jean Sibelius und Ludwig van Beethoven

 

Hillary Hahn, Violine

 

Orchestre Philharmonique de Radio France/Mikko Franck

 

Konzert am 30. August 2018 im Auditorium/Grafenegg

Kino_ Film-Tips Oktober 2018

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Sequels, Spin-offs, Rohrkrepierer

Todesmutig und ganz ohne Cape haben sich Peter Hiess und Hans Langsteiner in einen weiteren Kinomonat gestürzt. Mit dabei: Tom Hardy als Quasi-Spider-Man, ein deutscher Langweiler, Jamie Lee Curtis und ihr legendärer Leinwandbruder sowie ein österreichisches Gustostückerl.

Werk ohne Autor


Filmstart: 4. Oktober

Es hätte so schön sein können: Der deutsche Oscar-Preisträger Florian Henckel von Donnersmarck ("Das Leben der Anderen") kehrt nach seinem wenig erfolgreichen Hollywood-Ausflug ("The Tourist") in die Heimat zurück und feiert mit einem dreistündigen Geschichtsfresko ein glanzvolles Comeback. Hätte - ist aber nicht. Dabei ist dem "Werk ohne Autor" der Ehrgeiz bis ins letzte Fuzerl anzusehen. Großes Familiendrama und ausgreifendes Historienepos, Nazi-Spuk und Kunstreflexion, Entwicklungsroman und Schlüsselfilm ... alles will diese uneingestandene Biographie des deutschen Malerstars Gerhard Richter zugleich sein und ist doch nur bleischweres, ungelenkes Renommierkino, wie es die selige UFA noch in ihren schlechteren Tagen besser zustandegebracht hätte. Es geht um einen sensiblen jungen Mann (Tom Schilling), der im Faschismus aufwächst, dann in die DDR verschlagen wird und erst im Westen seinen künstlerischen Weg als Maler photorealistischer Porträts findet. Das ist sehr aufwendig gemacht (noch der Luftangriff auf Dresden wird CGI-technisch illustriert), prominent besetzt (Sebastian Koch ist als Supernazi auch hier wieder ganz toll) und überzeugt doch in keiner Hinsicht. Ein Beispiel: Der Film beginnt mit der berüchtigten NS-Ausstellung über "Entartete Kunst". Zwei Filmstunden später besucht der angehende Maler die Kunstakademie Düsseldorf, wo ein anonymisierter Joseph Beuys (Oliver Masucci in absurder Karikatur) auf ihn aufmerksam wird. Im Film sieht das dann so aus, daß in jeder Ecke der Akademie hippieske Studenten an Kunstobjekten arbeiten, die - von bemalten Körpern bis zu zerschnittenen Leinwänden - genauso denunziatorisch der Lächerlichkeit preisgegeben werden wie zuvor die Werke der "Entarteten". Kurz: Der Film ist so mißglückt, daß man im nachhinein ganz unsicher wird: War vielleicht schon "Das Leben der Anderen" nicht so gut, wie man´s in Erinnerung hat?  (HL)

 

 

Venom


Filmstart: 5. Oktober

Wie leben schon in seltsamen Zeiten, wenn sogar eine Superhelden-Gewandung ihren eigenen Kinofilm kriegt. Aber da Disney/Marvel anscheinend vorhat, so ziemlich alles, was je als Comic (mehr oder minder) erfolgreich war, auf die Leinwand bzw. den TV-Bildschirm zu bringen, bekam auch Venom seine Chance. Der begann seine Bildergeschichten-Existenz als Ersatzkostüm für Spider-Man (für den der Unterhaltungs-Megakonzern ja mittlerweile auch die Rechte hat) und entpuppte sich als Alien-Symbiont, der seinen Träger wie ein schwarzer Schlatz umschließt und ihm allerlei übermenschliche Kräfte verleiht. Anfangs war Venom ein Superbösewicht, aufgrund seiner großen Beliebtheit entwickelte er sich dann allerdings zum Antihelden - zwar äußerst gewalttätig und unmoralisch, aber irgendwie doch immer auf der Seite der Guten.

Im Kino stülpt sich "Venom" über den Photojournalisten Eddie Brock, den wir schon aus "Spider-Man 3" kennen, der aber mittlerweile von Tom "Mad Max" Hardy verkörpert wird. Der stößt bei seinen Recherchen auf den Symbionten, verbündet sich mit ihm gegen die handelsübliche bösartige Kapitalistenfirma und bekommt es im Lauf der Handlung mit einem noch übleren Gegner zu tun, der sich Carnage nennt. Besagter Carnage wiederum ist eine Kombination aus psychopathischem Alien-Symbionten und einem Serienmörder ... aber was erzähle ich Ihnen da? Wenn Sie Fan der Marvel-Filme sind, schauen Sie sich das Werk an; es zählt zwar nicht zu den besseren der Superheldenfabrik, bietet aber wenigstens die Balla-balla-Action, die man sich von dem Genre erwarten darf. Und wenn nicht, dann ist Ihnen das sowieso alles wurscht ...  (ph)

 

The Dark


Filmstart: 12. Oktober

Karl Markovics spielt mit, die heimische Dor-Film hat produziert - doch Verächter des Austrofilms können erleichtert aufatmen. Dieser Horrorstreifen schaut echt aus wie die Arthaus-Version eines Hollywood-Edelslashers. Gedreht in Kanada und besetzt mit überwiegend englischsprachigen Jungstars, erinnert die in jeder Hinsicht dunkle Geschichte mehr an subtilen Zeitlupenspuk à la "A Ghost Story" denn an Brutalstoffe vom Schlage der "Walking Dead"-Serie. Viel spoilern sollte man nicht. Je weniger man von der Handlung weiß, desto effektiver fährt sie ein. Es geht, soviel darf man verraten, um ein junges Mädchen, das sich im Wald von Blut und Eingeweiden ernährt und dabei auf einen gleichaltrigen Blinden trifft. Gefilmt in ruhigen, präzise kadrierten Tableaus und unterlegt mit wirkungsvollem Gewummere hat "The Dark" (Regie: Justin P. Lange, den Namen sollte man sich merken) das Zeug zu einem kleinen Kultfilm. Die Vorstellung im Rahmen des "slash/"-Festivals, die ich besuchte, war gesteckt voll mit durchaus drastischen Bierdosentypen. Nach zehn Filmminuten herrschte beklommenes Schweigen ...  (HL) 

 

Halloween


Filmstart: 25. Oktober

Der In-Österreich-gibt´s-diesen-blöden-Feiertag-nicht-Horrorklassiker "Halloween" aus dem Jahre 1978 erlebte so viele Fortsetzungen, Remakes und Prequels, daß es nach vier Jahrzehnten endlich Zeit wurde, reinen Tisch zu machen. Nach dem Prolo-Schwachsinn, den Schwachsinns-Prolo Rob Zombie mit seinen beiden "Halloween"-Verschnitten auf die wehrlosen Kinoleinwände der Welt gebracht hatte, schien das Todesurteil für das Slasher-Franchise ohnehin schon gesprochen. Umso überraschender und erfreulicher ist es, daß sich mit David Gordon Green ("Pineapple Express", "Bad Sitter") ein Regisseur fand, der sämtliche Sequels ignorieren und direkt am Original ansetzen wollte. Mit John Carpenter, dem legendären Regisseur des ersten Teils, in der Rolle als Produzent konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen - und Michael Myers hatte wieder die Chance, zur "Naturgewalt" (so Carpenter) des Grauens zu werden. Der Plot der 2018er-Version von "Halloween" spielt präzise 40 Jahre nach dem ersten Teil, an dessen Ende der Messermörder Myers - im Gegensatz zur ursprünglichen Timeline - wieder in die geschlossene Psychiatrie kam. Aus dieser kann er nun aber dank der Einmischung sensationsgeilen Journalistenabschaums wieder entkommen und macht sich sofort auf die Suche nach dem Opfer, das ihm damals entkam: Laurie Strode (Jamie Lee Curtis). Doch die ist nach einem traumatisiert-verpatzten Leben auf ihn vorbereitet.

Auch wenn es dem Drehbuch- und Regieteam nicht ganz gelingt, die geniale Einfachheit des Carpenter-Originals nachzuempfinden (die entsprechenden Versuche wirken immer etwas gekünstelt), hat dieser "Halloween"-Eintrag das Zeug dazu, die Serie wiederzubeleben und funktioniert als Slasher-Horror bestens. Schließlich ist einem der psychopathische Messermörder im Kino lieber als der, der einem heutzutage täglich auf der Straße begegnen kann ...  (ph)

 

Kolumnen_ Al Cook im EVOLVER #5

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"Der Bus ist abgefahren ..."

Der EVOLVER veröffentlicht die Kolumne, die der heimische Blues-Traditionalist Al Cook jahrelang für eine heimische Website schrieb, auf seinen Seiten neu - nicht nur, damit die Texte nicht verloren gehen, sondern weil sie so gut sind. Diese Folge handelt davon, wie es mit Robert Johnsons "Cross Road Blues" weiterging.

1936. Der gescheiterte Postkartenmaler aus Braunau eröffnet in Berlin die Olympischen Sommerspiele und muß hilflos zusehen, wie der schwarze Jesse Owens die "überlegene arische Rasse" hinter sich läßt. Indigniert verweigert der "deutscheste aller Deutschen" dem "Nigger" den Handschlag für die Goldmedaille und verläßt blamiert das Stadion.

Ja, sie haben es gelernt, die Schwarzen, wie man den Bluthunden der Klan-Sheriffs entkommt. In jenen Tagen gab es nämlich auch im Süden der USA ein ungeschriebenes Gesetz, das es Farbigen verbot, sich nach Sonnenuntergang noch auf der Straße blicken zu lassen.

 

 

San Antonio, Texas, im November desselben Jahres. Der Großteil von Johnsons Plattenrepertoire ist im Kasten. Er wartet an einer Bushaltestelle, wahrscheinlich an einer Kreuzung, und der Bus kommt nicht oder ist bereits abgefahren. Die Sonne sinkt, Bobby bekommt kalte Schweißperlen auf der Stirn und versucht per Anhalter ins Hotel zu gelangen, wo er während der Aufnahmen untergebracht war. Aber niemand bleibt stehen, weil ihn hier keiner kennt. Im tiefsten Texas wünscht er sich einen Freund - den armen Willie Brown - herbei, der ihm aus dieser Scheiße helfen soll. Resignierend sinkt der scheppernde Robert zu Boden, und in der Tat greift ihn die Highway Patrol auf und wirft ihn in den Karzer. Man zertrümmert seine Gitarre und gibt ihm die Knute. Erst am nächsten Morgen löst ihn der weiße Aufnahmeleiter Don Law aus, und Robert Johnson kann weitermachen.

Tags zuvor hatte er nur eine einzige Nummer aufgenommen, nämlich den "32-20 Blues". Das Leben der Schwarzen war ein permanentes Hasardspiel - und die Pistolenkaliber, über die gesungen wurde, wechselten je nach Interpretation von .44 zu .38 Special.

Was an diesem Tag tatsächlich passiert war, weiß heute keiner mehr. Man sagt, daß Betrunkene die Techniker mit Messern attackiert und die Matrizen mit Billardstöcken zerschlagen haben sollen. Im heute nicht mehr existenten Blue Bonnet Hotel (nicht, wie kolportiert, im Gunter) hatte eine lokale Radiostation eine Etage gemietet, um weiße Country- und mexikanische Tanzmusiker aufzunehmen. Es ist daher höchst unwahrscheinlich, daß Unbefugte Zugang zu den Aufnahmeörtlichkeiten hatten. Wahrscheinlich war man mit der Chuck Wagon Gang, dem Gitarrenduo Andres Berlanga und Francisco Montalvo beschäftigt und hatte für den Gitarrenteufel aus dem Delta nur mehr eine oder zwei Alu-Rohlinge frei.

Als John Hammond sen. Robert Johnson für sein "Spiritual to Swing"-Konzert haben wollte, war Robert schon tot. Don Law witterte da scheinbar Publicity und erzählte die wildesten Schauergeschichten um eine noch irgendwo existierende 30. Nummer, die der Zerstörungswut des Mobs entgangen sein mußte. Offensichtlich stilisierten später halbgebildete Jazz-Journalisten die Legende unfreiwillig zum Mythos hoch - und so wurde der von tausend Teufeln getriebene Robert Johnson zum überirdischen Blues-Idol. Zu seiner Zeit war Johnson nichts als ein postpubertärer Herumtreiber, der sich laut Johnny Shines´ Schilderungen besoff und ein "Hosenpisser" war. Son House bezeichnete ihn als "Monkey Man", also einen, der solange vor den Weibern herumscharwenzelt, bis er bekommt, was er will, und sich dann wortlos aus dem Staub macht (siehe "Walking Blues").

 

Aber zurück zum "Cross Road Blues":

Die Plattenfirmen verlangten damals, daß man wenigstens vier selbstkomponierte Stücke vorweisen mußte, um zu einer Aufnahme zu kommen. Das melodische Repertoire der meisten Bluessänger war auf zwei oder drei Muster beschränkt, die sich nur durch den Textinhalt unterschieden. Im Blues spielt die melodische oder stilistische Vielfalt eine untergeordnete Rolle. Das Instrument hat nur die Funktion eines den Sänger bestätigenden Gesprächspartners. Wie heißt es doch: "He makes his guitar talk." Die superschnellen Gitarrenfuzzis, die glauben, das Griffbrett mit einer Rennbahn verwechseln zu müssen, sind also zumindest in der Bluesmusik auf dem Holzweg - und mein Ausdruck "Monza-Gitarrist" trifft auf diese Leute sicher zu.

 

 

Damals wollte man von Schwarzen nur Blues aufnehmen; womit assoziierte man den Cotton-Picker denn sonst? Also mußte noch eine deftige Bluesnummer her. In dieser Situation mag Robert noch der "Cross Road Blues" eingefallen sein - und so wurde ein sogenannter Studiosong draus. Kein Zeitgenosse kann sich daran erinnern, daß er die Nummer je live gesungen hätte. Roberts Hit war zu der Zeit der "Terraplane Blues"; gut kamen auch die aktuellen Tagesschlager wie "How Long Blues" und ein paar Ragtime-Stücke an, wie z. B. das total aus der Art schlagende "They´re Red Hot" beweist. Wie heute versuchten die Bluessänger schon in jenen Tagen, ihr Publikum zu unterhalten, indem sie sich möglichst an das Vorbild der Stars aus den Großstädten hielten.

Der Gitarrist Lonnie Johnson war ein allseits bewunderter Capo auf seinem Instrument. Robert bezeichnete ihn frech als "Cousin", da er wie sein berühmter Namensvetter klingen wollte. Er nahm zwei Nummern in Lonnies Stil auf, mußte aber dabei seinen aggressiv-schneidenden Gesang an Lonnies selbstmitleidig klingende Stimme anpassen. Das Ergebnis waren zwei etwas jämmerlich geratene Imitationen, nämlich "Malted Milk" und "Drunken Hearted Man". Robert konnte tun, was er wollte - Schwarz und Weiß liebten seinen "Terraplane Blues" einfach am meisten.

Wie es mit der Odysee des Teufelsmärchens an der Kreuzung weiterging, das werde ich euch in der nächsten Folge erzählen.

 

Euer Al Cook

(The White King Of Black Blues)

Al Cook im EVOLVER

Unverfälscht, traditionsbewußt und weitab vom Kommerz-, Radio- und Social-Media-Mainstream: So wie Al Cook Musik macht, schreibt er auch - und zwar exklusiv im EVOLVER. Lesen Sie hier seine sehr persönliche Einführung in die Welt des authentischen Blues-Genres und seiner Position im populärkulturellen Musikgeschehen.

Musik_ EVOLVER-Klassikexperte auf Abwegen

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"A wüds Wossa" am Kamp

Genau zwischen den Sommerkonzerten und dem Festival 2018 hatte die steirische Erfolgsband Die Seer ihren großen Auftritt in Grafenegg. Das Rezept für diesen großartigen Abend war eigentlich ganz einfach: acht phantastische Musiker, Superlieder, eine ebensolche Akustik, beeindruckende Videos - und nicht zuletzt ein Traumwetter.

1996 war offenbar ein gutes Jahr. Nicht nur, daß damals die Tochter des EVOLVER-Klassikexperten zur Welt kam; es war auch das Gründungsjahr einer musikalischen Erfolgsgeschichte aus dem steirischen Salzkammergut. Der sympathische Alfred Jaklitsch wollte damals ein Experiment starten, das Volks- und Popmusik miteinander kombiniert. Für die Musiker war es sicher ein steiniger Weg, dorthin zu gelangen, wo sie heute sind.

Mittlerweile kann der Frontman eine stolze Anzahl von 422 (!) Liedern vorweisen, die alle aus seiner Feder stammen. "Oft bekomme ich während einer Autofahrt beim Anblick einer Landschaft einen Impuls." Und diese Ideen notiert er dann sofort - notfalls sogar am Handy. Viele seiner Hits haben einen starken persönlichen Bezug. "Junischnee" komponierte er damals, als seine Tochter relativ plötzlich geboren wurde. So bleibt ihm und seinen Fans zu wünschen, daß er auch in Zukunft noch viele solcher Impulse für so großartige Lieder bekommt.

Während andere aufgrund einer gewissen Abgehobenheit (leider) scheiterten, haben Die Seer heute ihren fixen Platz in der (deutschsprachigen) Musikszene. Der Grund ist einfach: Alfred betont selbst, daß die Band immer authentisch geblieben ist, auch so bleiben wird und sozusagen auf "Augenhöhe" mit dem Publikum musizieren will.

 

Das ist ihnen gut gelungen, wie das Konzert am Marienfeiertag 2018 im Wolkenturm gezeigt hat. Alfred und die großartigen Musiker (natürlich vor allem die beiden Damen Sabine und Astrid mit ihren Superstimmen) führten durch ein zweieinhalbstündiges Programm mit all ihren Hits und quer durch alle Musikrichtungen. Ob Reggae, Rock´n´Roll oder ein lustiger Rap (von Alfred gesungen!) - Die Seer brillierten in allen Genres.

Nicht zu vergessen sind hier natürlich die zu Herzen gehenden Balladen, wie "Hoamatgfühl" als schönste musikalische Fremdenverkehrswerbung oder am Schluß "Wüds Wossa".

Von den Seern gibt es logischerweise bereits viele CDs und DVDs. Der bisher letzte Tonträger erschien 2017 - und für den kommenden, für 2019 geplanten, hat Alfred schon viele Ideen. Auf der Band-Homepage sind alle Konzerttermine ersichtlich; empfehlenswert ist vor allem das vorweihnachtliche Unplugged-Konzert am 22. Dezember 2018 im Wiener Konzerthaus. Wahrscheinlich die beste Gelegenheit, den Irrsinn des "stillen Fests" zu überstehen ...

 

Drei Fragen an Alfred Jaklitsch:

 

F: Woher nimmst du die Ideen für deine Lieder?

A: Ja, oft sind es so Erlebnisse, die so emotional sind; da möchte man gern ein Lied schreiben. So wie "Junischnee" bei der Geburt der Tochter oder "Wüds Wossa" bei der Geburt des Sohnes. Es ist auch die Inspiration der Ausseer Landschaft. Oft auf der Westautobahn möchte ich das ins Handy reintippen oder reingrölen ... Am liebsten ist´s mir, wenn nach dem Konzert wer zu mir kommt und sagt, das Gefühl kenne ich.

 

F: Wie fühlst du dich da in Grafenegg?

A: Für mich ist es eine große Ehre, hier zu sein. Vor allem, wenn man weiß, welche Kapazunder hier sonst auftreten.

 

F: Welches deiner Lieder hast du am liebsten?

A: Ich möchte eigentlich keines bevorzugen, aber am liebsten sind mir dennoch die Lieder mit autobiographischem Inhalt. Die Lieder, wo man das Gefühl hat, diese Probleme und Alltagssorgen haben wir gemeinsam.

Die Seer

ØØØØØ
Open-Air

Die Seer

 

Konzert am 15. August 2018 im Wolkenturm/Grafenegg

 

Photo: Simone Attisani Photography

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Schmauchspuren #62

Als Krimirezensent lernt man im Lauf der Jahre einige Autoren auch persönlich kennen. Deshalb wendet sich unser Kolumnist Peter Hiess diesmal direkt an die kriminellen Schreiber - mit Postkarten von der Lesefront.

J. J. Preyer

Die Beichte des Großinquisitors; Blitz Tb. 2015

Rosmarie Weichsler und das Echo von Steyr; Ennsthaler Pb. 2014

Hassmord; Gmeiner Pb. 2015

 

Lieber Josef Preyer!

Du schreibst mehr, als der Durchschnittsösterreicher in einem Jahr liest - aber das weißt du eh. Und für den Durchschnitt tust du das ja auch nicht. Diesmal habe ich gleich drei Romane von dir auf dem Schreibtisch liegen. Im ersten, "Die Beichte des Großinquisitors", beginnst du die "neuen Fälle des Pater Brown" aufzurollen. Wer sich noch an den gemütlichen geistlichen Ermittler erinnern kann, wird bei der Lektüre aber nicht an seinen Filmdarsteller Heinz Rühmann denken; dazu hast du die Handlung zu weit in die Gegenwart verlegt - und bei den Mordfällen an "Sündern" in einem südenglischen Kaff mit modernen Themen gearbeitet. Doch das bekommt ihm ganz gut, dem Pater (der wie alle deine Helden gern ißt ...).

Dein zweiter Ermittler ist eine Frau, also eigentlich zwei Frauen, und wirkt in der oberösterreichischen Stadt Steyr: Die Zwillinge Rosa und Marie Weichsler treten in der Öffentlichkeit - ob als Trafikantin oder als kriminalistische Gehilfin eines eher tumben Polizisten - immer nur einzeln auf; warum das so ist, soll der Leser selbst herausfinden. "Rosmarie Weichsler und das Echo von Steyr" beginnt mit dem Mord an einem Journalisten, der mit seinen "Steyrleaks" (genial!) in einer Lokalzeitung scheinbar brave Bürger bloßstellt und wahrscheinlich deshalb sterben mußte. Wie skurril deine Rosmarie mit ihren männlich-hilflosen Kompagnons dem Täter nachstellt, das verlegt dein Buch wohl ins Reich der "Cozy-Krimis", aber die muß - und soll - es ja auch geben.

Das beste, spannendste und stimmungsvollste deiner neuen Werke ist jedoch "Hassmord", der Nachfolger des hierorts gelobten Buchs "Mörderseele", in dem Exjournalist Christian Wolf in seinen Heimatort Steyr zurückkehrt, dort gleich einmal fast am Wundstarrkrampf verstirbt, aber im Zuge der Rekonvaleszenz seinem Polizistenfreund hilft, den Mord an einem allseits verhaßten Magistratsdirektor zu klären. Da sieht Steyr, wo auch du wohnst, ganz anders aus: viel düsterer, nachdenklicher und traumatisierter - wie sich das für einen gelungenen Psychothriller gehört.

Martin Krist

Engelsgleich; Ullstein Tb. 2014

 

Lieber Marcel Feige!

Wieder hast du unter deinem Pseudonym Martin Krist einen Berlin-Krimi geliefert, den man gern in einem Zug verschlingt, weil er so packend erzählt ist und all die Zeitsprünge und Überraschungen so gut in den Plot einbaut. Gut, das Thema Kindesmißbrauch/mord haben du und deine Kollegen jetzt wirklich schon zur Genüge durchgekaut – aber wenn dein Hauptkommissar Paul Kalkbrenner wieder einmal in eine Welt von Snuff-Pornographen, Pädophilen, seelenlos-brutalen Ostblockmafiosi, fürsorglichen Lesben, Meth-Süchtigen-Abschaum, deutschen Slums und tschechischen Billigpuffs eintaucht, dann paßt das perfekt in die aktuelle Popkultur. Und macht immer noch Lust auf mehr.

Gerhard Loibelsberger

Kaiser, Kraut und Kiberer; Gmeiner Pb. 2014

 

Lieber Gerhard Loibelsberger!

Ich staune selber, wie sehr mir jeder deiner bisherigen Criminalromane um den Inspector Nechyba im k&k Wien gefallen hat - von der Atmosphäre, den Figuren, der Story und der historischen Genauigkeit her. Worüber ich aber anhand deines neuen Werks "Kaiser, Kraut und Kiberer" noch mehr staune, das ist die Tatsache, daß mir plötzlich Kurzgeschichten gefallen (was ich sonst gar nicht mehr von mir gewöhnt bin). Nechybas kleine Ermittlungen am Naschmarkt und am Heustadelwasser, in Venedig und im Weinviertel sind witzig erzählt, gut konstruiert, erfreulich und angenehm verfressen. So kennt und liebt man den Mann.

Michael Crichton

Drug of Choice/Binary; Hard Case Crime 2013

 

Lieber Michael Crichton!

Wir haben einander zwar nie direkt kennengelernt, aber nach der Lektüre der acht Sixties-Krimis, die du unter dem Pseudonym John Lange verfaßt hast, und dem Rest deines Gesamtwerks in früheren Jahrzehnten habe ich das Gefühl, dich wenigstens von der schreiberischen Seite mehr als gut zu kennen. Ich freue mich, daß deine Frühwerke bei meinem Lieblings-Pulp-Verlag Hard Case Crime erschienen sind - und noch mehr, daß die letzten zwei, die ich noch nicht kannte (die Taucher-Story "Grave Descend" wurde in dieser Kolumne schon besprochen) eine Brücke zu deinen späteren Bestsellern schlagen. "Drug of Choice" zum Beispiel behandelt eine neue, hochtechnisierte Ferienanlage mit einem dunklen Geheimnis (und verweist somit auf "Westworld" und "Coma"), während "Binary" schon dein späteres Interesse an Computern, Biomedizin (es geht um ein neues Nervengas) und starken Protagonisten - auf beiden Seiten - vorwegnimmt. Gut, daß man das jetzt auch alles weiß.

Andreas Gruber

Todesurteil; Goldmann Tb. 2015

 

P.S.

Lieber Andreas Gruber!

Gerade ist "Todesurteil", dein neuer Roman um den exzentrischen Profiler Maarten S. Sneijder, mit der Post gekommen. Danke, daß du das Buch auch mir gewidmet hast. Aber muß ich deshalb jetzt als Rezensent "befangen" sein? Na gut, reden wir später einmal drüber ...

Kolumnen_ Al Cook im EVOLVER #6

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Der Wilde mit seiner Gitarre

Der EVOLVER veröffentlicht die Kolumne, die der heimische Blues-Traditionalist Al Cook jahrelang für eine heimische Website schrieb, auf seinen Seiten neu - nicht nur, damit die Texte nicht verloren gehen, sondern weil sie so gut sind. Diesmal erfahren Sie, warum Bluesman und Frauenheld Robert Johnson zum Idol junger weißer Europäer wurde.

Am 20. Juni 1937 trat Robert Johnson seine letzte Plattensession an. Diesmal wählte man Dallas, wieder Texas. Offensichtlich hatte er mit einigen seiner Lieder Erfolg gehabt - und man entschloß sich, wieder nach Robert zu suchen und ihn vors Mikrofon zu setzen.

Um auf Nummer sicher zu gehen, nahm er Lieder im bekannten Erfolgsmuster auf und versuchte sich an Lonnie Johnson und schlußendlich an Leroy Carr, einem kommerziell äußerst erfolgreichen Singer-Songwriter und Pianisten. "When The Sun Goes Down" war ein sehr populäres Thema, das von vielen interpretiert wurde, und Robert wollte da nicht nachstehen. Eine seiner zahlreichen Bettwirtinnen war eine gewisse Willie Mae Powell, der er offenbar sein "Love In Vain" widmete. Als sie von John Hammond Jr. lokalisiert und interviewt wurde, schmunzelte sie mit leerem Blick vor sich hin, während er ihr die Aufnahme vorspielte. Ja, sie seien ein paar Monate miteinander gegangen, und das war´s dann auch. Offensichtlich trug ihr der arme Robert nicht die Koffer zum Zug, sondern verschwand - wie so oft von Johnny Shines beschrieben - einfach im Morgengrauen auf Nimmerwiedersehen aus dem Blickfeld seiner Geliebten. Willie Mae, die schmerzlich Verlorene, hat "Love In Vain" nie direkt von ihm zu Gehör bekommen.

Vielleicht ist sie ihm während der Aufnahmen eingefallen, weil die Produzenten mit einem Hit à la Leroy Carr ein paar sichere Bucks (Dollars, Anm. d. Verf.) machen wollten. Dasselbe passierte Son House bei seiner legendären Session am 28. Mai 1930, als er unbedingt etwas wie Blind Lemon Jeffersons "See That My Grave Is Kept Clean" aufnehmen sollte. Das bis heute verschollene "Mississippi County Farm Blues" ist eine der gesuchtesten Relikte der Bluesgeschichte.

 

 

Aber nun wieder zu Robert Johnson.

Seine manchmal klagende Slide-Gitarre, wie sie in "Hellhound On My Trail" oder in "Milkcow´s Calf Blues" - seiner letzten Nummer - zu hören ist, macht mir eher den Eindruck, als habe Robert hier die richtigen Töne gesucht. Das pentatonische Erbe afrikanischer  Musikauffassung ließ in manchen Positionen keine klare Intonation zu. Zwar kannte man die Blue Notes, die irgendwo zwischen großer und kleiner Terz lagen, aber da gab es noch viel mehr - und diese Tonalität klang für europäisch-abendländische Ohren wie klagendes Weinen.

Später machte man aus Robert Johnson einen von Teufeln und hundsgemeinen Weibern gequälten Landgockel, der verzweifelt nach Liebe und Seelenfrieden suchte, aber dabei nur draufzahlte. Meiner und auch Johnny Shines´ Meinung nach war er vielmehr ein unsteter, bindungsunfähiger Egomane, dem eigentlich egal war, wie eine Frau aussah - Hauptsache, er hatte einen vollen Magen und eine Schlafstätte mit femininem Thermophor. Wenn man sich das Bild seiner zweiten Frau Caletta Craft ansieht, kann man nicht gerade von einer Ebenholzperle sprechen. Er verließ sie auch, wie er sie geheiratet hatte, um dann mit Robert Lockwoods Mutter eine neue Zweckbeziehung einzugehen.

Caletta, die ihren Robert vergötterte, starb kurze Zeit später, wahrscheinlich an gebrochenem Herzen oder an Syphilis, die ihr möglicherweise von ihrem Gitarrero angehängt wurde (siehe nächste Folge: "Robert Johnsons Glück und Ende").

 

 

Robert Johnson war somit der perfekte James Dean des Blues. Wer den Zerrissenen in seinen Filmen gesehen hat, wird mir beipflichten. Es sollten aber noch mehr als 20 Jahre vergehen, bis ein gewisser Eric Clapton, der später Gitarrist bei der Beat-Gruppe The Yardbirds werden sollte, sich in einem Plattengeschäft die legendäre "King Of The Delta Blues" zulegte. Ein Jüngelchen namens Alois Koch, das sich von nun an Al Cook nannte und ein paar Monate älter als der gute Eric war, tat das gleiche. Die Liner Notes von Frank Driggs waren reißerisch geschrieben, und der Inhalt der Platte hielt, was das Cover versprach. Für unsere Generation, der Elvis bald nicht mehr wild genug war, offenbarte diese LP den totalen Wahnsinn. Viele Musiker aus der klassischen Rock´n´Roll-Ära waren von Johnsons Gesang und seinem schneidenden Gitarrenspiel total von den Socken - und die meisten, wie auch ich, glaubten die phantastischen Schauergeschichten um seine Person. Die postpubertären Bubis, die wir damals waren, sahen in Robert Johnson einen Typ, wie Marlon Brando ihn in dem Film "Der Mann in der Schlangenhaut" darstellte ... nur schwarz und viel wilder.

Eines schönen Tages aber mußte Robert Johnson seine Zeche an das Schicksal bezahlen. Der Tag seines Todes nahte. Son House, der ihn ein gutes Stück seines Weges begleitet hatte, war der Ansicht, daß es an ein Wunder gegrenzt habe, daß Robert überhaupt so alt (27!) wurde und man ihn nicht schon früher umgebracht hatte.

 

 

Aber darüber will ich euch dann in der nächsten Episode erzählen. Dort erfahrt ihr, welche neuen Erkenntnisse es über Johnsons Tod gibt und wie Popmusiker mit seinem Namen Blutgeld verdienen.

 

Euer Al Cook

(The White King Of Black Blues)

Al Cook im EVOLVER

Unverfälscht, traditionsbewußt und weitab vom Kommerz-, Radio- und Social-Media-Mainstream: So wie Al Cook Musik macht, schreibt er auch - und zwar exklusiv im EVOLVER. Lesen Sie hier seine sehr persönliche Einführung in die Welt des authentischen Blues-Genres und seiner Position im populärkulturellen Musikgeschehen.


Kolumnen_ Depeschen aus der Provinz/Episode 5

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Under my Wheels

Der gemeine Radfahrer leidet nicht nur am "Restless-Legs-Syndrom", sondern ist auch sonst schwer bedient. Leider entkommt man ihm nicht einmal als Stadtflüchtiger.

Der Schoitl erwacht im Morgengrauen. Seine Beine zucken nervös. Er frühstückt ausgiebig: Speck mit Ei, einen Kübel Kakao, achtzehn Semmeln. Und Spam. Dann quetscht er seinen Leib in eine hautenge Hülle von so exzentrischer Farbgebung, als wäre er unter Papageien aufgewachsen. Er schwingt sich behende auf sein Kampfrad, wie das Nashorn auf die Nashörnin, und macht sich auf den Weg, den großen Fluß entlang.

Und so kommt es, daß ich ihm frühabends begegne. Auf der Donaupromenade, wo meine Gefährtin und ich den schwindenden Tag genießen wollen, schweigend ins Gespräch vertieft. Plötzlich dringen von hinten Geräusche an mein Ohr, ich wende mich um - und da kommt er gefahren, schnurstracks auf uns zu. Mit einer gebieterischen Handbewegung bringe ich ihn zum Halten und deute auf die andere Seite des Weges, der in beiden Richtungen menschenleer ist. Worauf der Kerl, offenbar ein Holländer, mit einer Stimme wie Rudi Carrell auf Rohypnol radebrecht: "Gehen ... muß ... rechts!"

Ich kratze den letzten Rest meines Wiener Charmes zusammen und entgegne: "Wos is, Gschissener, kannst ned ausweichn?!" Wenige Sekunden später strampelt er sich - nach beiderseitiger Androhung körperlicher Gewalt - auf den Horizont zu. Und läßt mich mit meinem wiedererwachten Zorn auf die Psychopathologie des Radfahrers zurück.

Gewiß gibt es zivilisierte Gegenden mit einer Radfahrkultur - vielleicht auf dem Saturn, wo gutgekleidete Veloisten elegant über die Ringe dieses schönen Planeten gleiten und sich nicht nur an die Verkehrsregeln, sondern auch an den intergalaktischen Anstand halten. Bei uns auf Erden kommt sowas nicht vor. Da gibt es bestenfalls die Notwendigkeits-Radler, meist Hausfrauen und Pensionisten, die in ländlichen Gegenden oder städtischen Außenbezirken zum Supermarkt fahren. Ihnen kann man nicht viel vorwerfen, außer eventuell, daß sie gern beim Tratschen Steg und Weg verstellen.

Zur psychiatrischen auffälligen Epidemie wurden Radfahrer erst durch die völlige Pervertierung des Freizeitgedankens. Man nehme nur diese Jungeltern, die ihre kugeligen Kinder zwischen Kebab und Konsole zur "körperlichen Ertüchtigung" anhalten, als wäre die HJ noch am Ruder. Oder die sogenannten Aktiv-Urlauber, die ihre Ferien damit zubringen, sich auf dem Rade einen Infarkt herbeizutreten. Dabei tragen sie, damit ihr Popscherl nicht wund wird, eine Art Erwachsenenwindel unter ihrer grauenhaften Sportkleidung - und Helme, die aussehen, als hätte H. R. Giger den Eierschalenhut von Calimero entworfen.

Andererseits: Den Helm brauchen sie garantiert, sonst ziehen sie sich beim Sturz noch eine Kopfverletzung und bleibende mentale Schäden zu. Und dann dürfen sie nur mehr in Wien radfahren. Und grün wählen. Das wünscht man nicht einmal seinem schlimmsten Feind. (Oder eigentlich doch ...)

Depeschen aus der Provinz

Peter Hiess lebte mehrere Jahrzehnte in Wien. Dann entschloß er sich, in die Provinz zu übersiedeln. Wie sich das anfühlte, erfahren Sie hier.

Kino_ Film-Tips November 2018

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Vergangenheitsbewältigung

Dario Argentos Hexen tanzen wieder. Peter Dinklage gräbt in seinen Erinnerungen. J. J. Abrams liefert uns finstere Nazi-Experimente, und Markus Schleinzer widmet sich dem Wiener "Hofmohren". Grau und neblig ist das Kino im November ...

Operation: Overlord


Filmstart: 8. November

Nazi-Zombies. Das ist ein Handlungselement, mit dem einfach nichts schiefgehen kann, wie ja auch schon "Dead Snow" trefflich bewiesen hat. (Der zweite Teil war dann leider Hipster-Schwachsinn.) Jetzt stürzt sich auch Superproduzent und -regisseur und Franchise-König und Spielberg-Zögling J. J. Abrams auf dieses freundliche Subgenre - mit einem Streifen, der den vielversprechenden Titel "Operation: Overlord", also den seinerzeitigen Decknamen (natürlich ohne Doppelpunkt, sowas brauchte man damals noch nicht) für die Landung der Allierten in Frankreich trägt. Am Vorabend des D-Day landet bereits ein Trupp amerikanischer Fallschirmjäger in einem kleinen französischen Dorf, wo die Soldaten einen Radarturm ausschalten sollen - aber halt! Obacht! Was haben die Nazis schon wieder angestellt? Oweh, sie führen Menschenversuche durch, unter einer Kirche, noch dazu mit okkultem Beigeschmack. Aber das ist alles egal, wichtig ist doch nur, was dabei herauskommt: Zombies. Nazi-Zombies. Und die sorgen für eine Menge Blut und Beuschel. Mehr kann und muß man dazu nicht sagen. Wer Nazi-Zombies liebt, wird auch diesen Film lieben. Wer Nazi-Zombies allerdings so liebt wie der Autor dieser Zeilen, den quält eine dräuende Frage: Habe ich genau diesen Plot nicht schon in ein, zwei Filmen gesehen? "Outpost" vielleicht, in einem oder dem anderen Teil? Eventuell auch in Computerspielen gespielt, in Comics gelesen oder in so manchem Zombieroman? Drum merke, Leser: Finger weg von Popkultur-Zombies (nein, nicht Justin Timberlake & Konsorten)! Zuviel davon schadet dem Gedächtnis.  (ph)

 

Angelo


Filmstart: 9. November

Für Haneke-Hasser ist das nichts. Strenges 4:3-Format, starre Kamera, Schwarzblenden als Szenentrenner und durch Kapitel-Zwischentitel betonte Distanz zu Story und Personal: Schon formal macht Markus Schleinzer ("Michael") deutlich, daß er bei Österreichs Regie-Export Nr. 1 in die Schule gegangen ist. Das muß man, wie es so schön heißt, mögen. Wenn man´s mag, erlebt man faszinierende zwei Kinostunden. Erzählt wird die im Kern authentische Geschichte des einstigen Wiener "Hofmohren" Angelo Soliman, der durch sein finales Ausgestopftwerden traurige Berühmtheit erlangte. Schleinzer entkleidet die Geschichte aller historisierenden Gemütlichkeit. Alle Personen bleiben unbenannt, zu nostalgischer Besinnlichkeit fehlt jeder Anlaß, und das 18. Jahrhundert scheint hier fern wie eine fremde Galaxis. Das ist, auch im Austrofilm, nicht mehr neu ("Amour Fou", "Licht"), wird hier aber mit einer eisigen Konsequenz realisiert, die fast an Kubricks "Barry Lyndon" denken läßt. Wesentliches bleibt mitunter im Off: Angelo wehrt sich gegen Prügel, zu hören sind lediglich seine Protestschreie. Beim Hundekampf bleibt die Kamera auf den pittoresken Gesichtern der Zuschauer. Während einer italienischen Arie macht erst ein Kameraschwenk klar, daß hier ein bärtiger Countertenor am Werk war. Ob Angelo kolonialistisches Opfer oder aber Beispiel früher Integration war, läßt Schleinzer bewußt offen. "Ich bin ein Sohn Afrikas, aber ein Mann Europas", beschreibt Angelo selbst seine ambivalente Situation. Mit einem Afrikaner, den ihm der Kaiser als Gesprächspartner schickt, verläuft die Begegnung wortlos.  Sicher, das alles schreit ganz laut "KUNST", aber toll ist es auch.  (HL)

 

 

Rememory


Filmstart: 9. November

Apropos Gedächtnis: Es ist nicht leicht für einen Film, in dem es um Erinnerungen geht, gegen ein absolutes Meisterwerk wie "Memento" zu bestehen. Nicht einmal dann, wenn "Game of Thrones"-Star Peter Dinklage darin die Hauptrolle spielt. Dessen Protagonist Sam Bloom hat bei einem Autounfall seinen Bruder verloren. Er saß zwar selbst auch im Wagen und erinnert sich an das traumatische Ereignis - aber wie weit kann man seinen Erinnerungen trauen? Genau: gar nicht. Alles, was wir in unseren Gehirnzellen abspeichern, ändert sich spätestens dann zum ersten Mal, wenn es vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis wandert. Und ab dann immer wieder, unzählige Male, durch neue Geschehnisse, die Erzählungen anderer (die meisten Erinnerungen an die eigene Kindheit sind durch die Geschichten von Eltern, anderen Verwandten und Freunden gefärbt). Bloom will also herausfinden, was wirklich los war. Was würde sich dazu besser eignen als das neue Gerät eines Erfinders namens Gordon Dunn (Martin Donovan), das Gedächtnisinhalte aus den grauen Zellen extrahieren und zur externen Betrachtung aufzeichnen kann? Doch bevor Bloom den (nicht unverrückten) Wissenschaftler kontaktieren kann, wird dieser ermordet. Also bietet der kleine Mann der Witwe kurzerhand an, den Fall mit Hilfe der Wundermaschine aufzuklären.

Was dabei herauskommt, ist ein Whodunit-Krimi mit zahlreichen philosophischen Exkursen und vielen Fallstricken für den Zuseher. Weil - wie sollte es anders sein? - man nicht nur seinem Gedächtnis, sondern auch anderen Leuten nicht trauen kann. Weil mit jeder aufgedeckten Erinnerung eine neue Identität auftaucht, etc. pp. Das klingt nach einem interessanten Ansatz, funktioniert aber nur teilweise, da es Filme wie "Memento" eben nur einmal pro Jahrzehnt gibt. An die anderen kann man sich irgendwann einfach nicht mehr erinnern ...  (ph)

 

Suspiria


Filmstart: 15. November

Vorweg: Mit stilverwandten Giallo-Hommagen à la "Amer - ein Albtraum aus Angst und Begierde" hat diese Neuversion des Dario-Argento-Klassikers von 1977 nichts zu tun. Gleichgeblieben ist allenfalls die Grundstruktur der Handlung: Eine junge Ballettschülerin gerät in einer deutschen Großstadt (im Original Freiburg, jetzt Berlin) in eine Tanztruppe, deren führende Choreographinnen sich als hexenhafte "Mütter" entpuppen. Was bei Argento ein farbsatt-abstraktes finsteres Märchen war, ist nun fest in der jüngeren Zeitgeschichte verankert. Der neue "Suspiria"-Film von "Call Me By Your Name"-Regisseur Luca Guadagnino spielt auf dem Höhepunkt der RAF-Krise in den 70er Jahren und enthält auch Bezüge zur deutschen NS-Vergangenheit. Politfilm ist er dennoch keiner geworden, vielmehr ein funkelndes, vielschichtiges Zweieinhalb-Stunden-Horrorstück, das sich formal ausnimmt wie eine Kreuzung aus Nicolas Roeg ("Wenn die Gondeln Trauer tragen") und RW Fassbinder. Der Schrecken wird subtil aufgebaut: von ersten beiläufigen Verweisen wie einem "Mutter"-Spruch auf einem gehäkelten Wandbildchen bis zur finalen Grand-Guignol-Orgie in Blutigrot (die, nebenbei bemerkt, den absurd gehypeten "Mandy"-Trash lässig auf die Plätze verweist). Kamera, Schnitt und Musik (von Radiohead-Mitglied Thom Yorke!) lassen keinen Wunsch offen, und die Darsteller(innen) haben erkennbar viel Spaß an der sinistren Story. Vor allem Dakota Johnson zeigt, dass sie viel mehr drauf hat als das Sexhascherl in den "50 Shades of Grey"-Schmonzetten zu spielen; Tilda Swinton ist als Quasi-Pina-Bausch-Tanzimpresaria einmal mehr von eisiger Präsenz (und hat auch, wie sich inzwischen zweifelsfrei geklärt hat, noch eine zweite Rolle in dem Film übernommen); und die schrille Damenriege aus den einstigen Stars des Neuen Deutschen Films (Ingrid Caven, Angela Winkler etc.) outriert, daß es eine wahre Freude ist. Kurz: Nix wie hin!  (HL)   

 

Stories_ Rokko´s Adventures im EVOLVER #101

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Müllstierln in Purbach


Wenn etwas weggeschmissen wird, heißt das nicht, daß es weg ist. Erst dann fängt nämlich ein interessanter Verwertungsprozeß an, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Diesen Vorgang wollte sich Team Rokko genauer ansehen.

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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Purbach: Das Wahrzeichen des knapp 3.000 Einwohner zählenden Ortes beim Neusiedlersee ist der "Purbacher Türke": ein betrunkener Osmane, der in einem Schornstein steckt. Beim Autofahren schnallt sich hier niemand an, dafür grüßt jeder jeden mit routiniertem Handzeichen knapp überm Lenkrad. Der Künstler Christopher Sturmer (Stirn Prumzer) hatte hier einmal sein Atelier zu räumen und rief den Purbacher Mistplatz-Chef Gerhard Wein - von allen Gerli genannt - an, ob er an der Sammelstelle anzutreffen wäre. Gerlis Antwort am Telefon: "Sog amol, bist du komplett hin in der Marülln?!" Fünf Minuten später stand er Spalier. Sturmer entsorgte alte Bilder und Entwürfe, die einen Eindruck auf Gerli hinterließen. Er rief dem seine Zentrale verlassenden Sturmer nach: "Ans sog i da: In Purbach verkafst du nie a Büldl!" Sturmers Bilder sind damit vielleicht die einzigen, die hier beinhart entsorgt werden und keiner Rettungsaktion unterliegen. Sonst wird selbst jeder Malen-nach-Zahlen-Entwurf aus dem Müll geklaubt.

 

Es ist ein frischer Samstag im Dezember, 9 Uhr in der Früh. Gemeinsam mit Florian, einer anerkannten Person bei den Müllstierlern, gehen wir Richtung Mistplatz. Noch vor der Einfahrt steht eine Gruppe von Frauen aus Ungarn, die die Abfallieferungen im vorhinein abpassen und sich nehmen, was sie brauchen können. Schon aus der Ferne winkt Gerli und lotst uns in sein Container-Büro. "Jetz drah ma amoi des deppate Radio o", sagt er, damit wir ordentlich reden können. An den Wänden hängen zahlreiche Photos aus Gerlis verschiedenen Lebensphasen: "Ich war 35 Jahre Badewaschl und bin geworden beliebtester Bademeister Österreichs. Mit 60 bin ich in die Pension gegangen. Die Zeitung hat geschrieben: 'Bademeister schmeißt das Handtuch', da war ein Potzwirbel, die Musikanten haben gespielt 'Schade, ewig schade', und da haben die Leute gesagt: 'Der Nachfolger vom Herrn Wein tritt ein schweres Erbe an.' "

Gerli zeigt auf ein anderes Foto: "Das ist der richtige Papst, der war in Trausdorf, der tote Pollack. Und hier, das war beim Erntedankfest, da spiel ich immer mit, und bei dem hab ich den Papst gespielt, siehst eh." Zu sehen ist ein Bild, auf dem ein dem Papst äußerst ähnlich aussehender Herr bei einer Parade auf seinem "Papamobil" sitzt und die Bewunderer am Straßenrand weiht – mit einem Klobesen. "Jaja, da bin ich beim Altersheim vorbei, und die Weiber sind alle heraußen gesessen, haben alle getan: 'Poppa, Poppa, Poppa, Poppa!' Und wir: 'Boid seid´s es. Boid homma eich!' " lacht Gerli. Doch zum eigentlichen Thema: "2014 haben wir den 'Goldenen Mistkäfer' gekriegt", sozusagen den Oscar vom burgenländischen Müllverband. Daneben hängt eine Uhr, die aus einer Pfanne gefertigt worden ist: "Die 'Goldene Mistkäfer'-Uhr hat mir der Polizeikommandant Bogner gebracht. Der hat durchgebohrt das Reindl. Zu mir sagen sie hier BauMax. Meine Enkelin hat geschrieben in der Schule: 'Der Opa arbeitet beim BauMax.' Hat meine Tochter zu ihr gesagt: 'Bist jetzt schon ganz narrisch?! Der Opa arbeitet auf der Gemeinde, auf der Sammelstelle.' Hat sie gesagt: 'Nein, die Leute sagen: Fahren wir zum Gerli runter, da ist der BauMax.' Bei mir kriegt man alles."

Das Altstoffsammelzentrum wurde von der Gemeinde ins Leben gerufen, "weil sie vorher alle wild abgeladen und die Umwelt verschmutzt haben. Ich bin von der Gemeinde geringfügig gemeldet, und das wird alles sauber sortiert: Eisen, Papier, da drin haben wir Problemstoffe, schau dir an, wie das alles super ausschaut." Laut Schilderungen aus dem Ort gab es auch davor schon Mistplätze, die aber mehr geschadet als geholfen haben. Einmal einen im Schilfgebiet am See, dann, ebenfalls unweit vom Wasser, eine Verbrennungsanlage, wo alles zusammengekommen ist und man bis heute nichts anbauen darf: Sperrgebiet. Nur bei Gerli wird sortiert: Motoröl, Batterien, Medikamente, Autoreifen, Farbe ... "Wenn ein Container voll ist, ruf ich an, der wird abgeholt und kommt zu großen Verwertungsstellen." Doch dahin kommt nur, was nicht vorher aussortiert wird - entweder von Gerli selbst, oder von einem seiner Stammgäste, und derer gibt es reichlich. Während wir im offenen Büro stehen, sehen wir sie im zuverlässigen Takt hereinfahren. Viele bringen, andere stierln. Gerli begrüßt sie einzeln: "Franz, wie schauma aus? Hau´s Plastik dort eine, wo´s einegheat. Pauli, geh bitte schau, was der alles hat, daß der alles sauber macht. In den Letzten soll er´s eineschmeißen. Bleib bei eam. Grüß Gott, Herr Gmas! - Paßt ois, haut ois hin. Unser Projekt rennt, ois funktioniert."

Doch bevor wir das Büro verlassen, schauen wir noch die Photos an der Wand fertig: "Das bin ich als Polizist, das ist der Bürgermeister, das ist die Sisi, die Fernsehansagerin, die jetzt in Deutschland draußen ist, und das ist der Fleischhacker Willi. Da haben wir gefeiert herunten. Ich hab meinen 50er gehabt, der Willi den 60er. 300 Paarl Würschtel haben wir gehabt. Da ist alles weggekommen. Das war eine Feier, schau her da: Der da ist gestorben, da Schiwampl, und der Brenner hat einen Schlaganfall gehabt. Das war eh bei der Feier. Da sind wir gesessen, der Mann ist dann in die Stauden reingefallen, der wird was gesoffen haben. Hat er geschrieen 'Hüf ma, hüf ma!' "

 

Verwertung der Müllverwertung

 

Gerli selbst hebt auch auf, was geht: 60 Jahre alte Holzski, antike Luster, Radios, Fernseher - und in Purbach munkelt man über seinen Keller, in dem angeblich 1.000 Uhren hängen. Früher hatte er am Mistplatz auch massenweise Bügeleisen und Föhne hängen, erzählt Gerli: "Das ist aber alles auf Oberpullendorf gekommen. Da sitzen die Behinderten und zerlegen die Geräte, um das Gold, das Silber und die Elektronik rauszuholen. Das kommt alles extra und wird fortgeschickt, wer halt ein Rohmaterial braucht." Und was gar nicht mehr geht: "Das kommt auch auf Oberpullendorf, in eine große Halle. Da fährt der mit dem Caterpillar, das wird geschrottn, gefräst, das rennt ca. 3 km auf einer Laufbahn durch."

Doch die Leute werfen leichtfertig weg, meint der Experte: "Wir leben momentan in einer Wegwerfgesellschaft, die Leute wissen gar nicht, was sie wegschmeißen." Bei ihm wird die Wegwerf- zur Aufhebgesellschaft. "Wir haben in Purbach ca. 20 rumänische Frauen, die brauchen Gewand, für Winter und Sommer. Wenn ich was Gutes finde, stelle ich es auf die Seite und zeig es ihnen. Die freuen sich die Haxn aus, das kannst dir nicht vorstellen. Wir waren selber arme Leute, ich weiß, wie das ist. Aber was die Leute wegschmeißen, das ist unverschämt. Von den Essensresten angefangen bis zum Gewand, alles. Neue Schuhe! Die haben gekostet 75 Euro - waren noch eingepackt in der Schachtel, ganz neu. Hab ich das der rumänischen Frau geschenkt, hat die gesagt: 'Gerhard, heute Weihnachten.' Das war im Mai. Die kann sich nie um 75 Euro Schuhe kaufen. Ich selbst bin mir auch nicht zu schade: Wenn ein schönes Gewand ist, nehm ich mir das selber. Jetzt war eine Frau da, ihr Mann hat abgenommen, 30, 35 Kilo. Der hat 50 Leiberl gehabt, XXL. Ihm war das dann zu groß, ich hab´s genommen und alle verschenkt."

Seine Großzügigkeit ist keine, wie sie aus diversen populistischen Richtungen geheuchelt wird, sondern eine grundehrliche. Gerli zeigt Richtung Ausgang seines Reiches: "Draußen, da stehen unsere ungarischen Nachbarn, die sammeln Sperrmüll, Gewand, Schuhe ... Wir sagen zu ihnen 'die Zigeuner', aber das sind genauso Menschen wie wir. Hereinfahren dürfen sie nicht, jetzt stehen sie beim Türl draußen. Die Gemeinde kann nix machen, die Polizei jagt sie ab und zu fort, aber die kriegen auch was von mir: Wenn ich ein Gewand oder so hab, geb ich ihnen das - die freuen sich natürlich auch. Früher haben sie genommen Eisen, so was geben wir ihnen nimmermehr, weil fürs Eisen kriegt die Gemeinde Geld. Aber lästig sind sie überhaupt nicht, die tun keinem Menschen was." Gerli ist ein gutes Beispiel für das (unbewußte) Ignorieren einer der gegenwärtigen Political Correctness angepaßten Sprachschulung, die von den Orthodoxen, die selbst oft die größten Faschos sind, eingefordert wird, der aber dann viel mehr wirkliche Taten vollbringt als ganze verbissene Organisationen.

Und auch, wenn Leute der von ihm angekreideten Wegwerfkultur blind vertrauen, sagt er nicht ätsch-bätsch, sondern hilft ihnen: "Eine Frau ist gekommen, die hat ein Münzenbiachl weggeschmissen: Da waren die 100er, die 25er, ein 500er, alles in Schilling drinnen. Na, das hab ich ihnen zurückgegeben. Die wissen gar nicht, was sie tun." Er hingegen nützt die Ressourcen: "Ich heize jetzt schon sechs Jahre mit dem Holz, was die Leute wegschmeißen. Die bringen Nußbäume, Kirschbäume, alles." Aber auch Giftstoffe sind dabei, mit denen man den richtigen Umgang kennen sollte, so Gerli: "Du mußt Prüfungen und Schulungen machen. Wenn jemand Quecksilber bringt, da mußt du schon verdammt aufpassen. Die Leute stierln herum, jeder macht was auf. Wenn sie was bringen würden, eine Bombe oder was, wir würden das reinhauen, daß es einen Pumperer macht. Dann würden wir rennen, wenn wir noch rennen können." Ob schon jemand Waffen gebracht hätte? "Mit einer Puffn ist noch niemand gekommen, aber eine Geschichte kenn ich: Da hat einer Elektrogeräte weggeschmissen, vom Bundesheer. Wir haben nicht gewußt, was das ist, wie ein Geigerzähler, und wir haben uns das umgehängt", lacht er. "Wir haben herumgeblödelt, bis einer daherkommt und sagt: 'Na heast, des kann ja gfährlich a sein!' "

Passiert ist noch nichts am Müllplatz, aber selbstverständlich rundherum. Gerli bekommt viel mit und schaltet sich ein, wenn´s paßt: "Wenn irgendwer in Purbach stirbt, sag ich schon: Hat die Mutter eine Uhr gehabt?" Auf dem Hügel vorne, beim Eingang, steht ein Kreuz. Gerli zeigt darauf und sagt: "Das haben sie runtergebracht vom Friedhof, das haben sie weggeschmissen, jetzt hab ich es da raufgestellt. Wenn ich sterbe, sollen sie mich darunterlegen", scherzt er und fährt fort: "Das war ein junger Bursch, der hat sich erschossen. Und wie sie den Grabstein bekommen haben, haben sie das Kreuz heruntergebracht. Das war ein ganz ein normaler Mensch, 20 Jahre, aber ist mit dem Leben nicht zurecht gekommen."

 

Tausend Ticks

 

Er zeigt auf eine Länge von montierten Fahrrädern und sagt: "Da ist gehängt das ganze Geschirr: Reindl, Schissl, Scherbal. Wenn der Südwind gegangen ist, hat das pumpert und gscheppert, jetzt haben die nicht schlafen können oben. Da hast du geglaubt, ein Reindlbinder ist da: bumm, klesch, bumm, klesch. Dann hab ich gehört, die Nachbarn regen sich schon auf, die schreien schon Feuer. Also hab ich das weggeben müssen, na freilich hat mir das leid getan. Radl haben sie mir gebracht, hab ich mir gedacht, na probierst einmal Radl aufhängen: 1, 2, 3, 4, na, über 50 Radl hab ich gehabt. Hergegeben hab ich welche, geschenkt hab ich sie den rumänischen Frauen, der Florian hat ein paar genommen. Der Florian hat dann alles mit heimgenommen, jetzt schreien seine Nachbarn schon Feuer. Der hat sich alles hingehängt - warst du schon oben, wie´s ausschaut bei dem? Wenn du das siehst, das ist ein Wahnsinn, wie in Rumänien. Sowas hast du noch nicht gesehen. Hinten hat er eine Sau, da schaut´s aus, das kannst du dir nicht vorstellen. So hoch in Gatsch, dann hat er einen Hochstand, die Nachbarn werden schon völlig narrisch. Jetzt sind sie schon beim Bürgermeister gewesen. Schad um das Haus! Das mußt du dir anschauen", lacht Gerli. "Der Florian wohnt jetzt im Haus von seiner Freundin, von der Maria. Da räumt er auch schon so ein, sagt sie. Ihr taugt es mittlerweile auch schon, und sie kommt her. Den kleinen Bub tun sie auch schon anlernen."

Florian ist in Sichtweite, und Gerli ruft ihn herbei: "Das, das kann die Taliban brauchen, oder?" und zeigt auf einen alten Tisch. "Zu Florian und seinen Freunden sag ich immer: 'Die Taliban san scho wieder do!' Weil´s so ausschauen, wild, mit dem Bart. Is nix Schlecht´s gmoant. Sie sind sehr hilfsbereit, der Florian ist ein Himmelvater, der zaht alles heim. Am liebsten täte er ja hier wohnen." Florian nickt und sagt ruhig: "Na, sicher." Gerli setzt fort: "Warum? Das ist halt aso. Wenn ich mehr Platz hätte zu Hause, täte ich auch mehr mitnehmen. Da Florian ist so ein Stierler, die kommen her und schauen, was sie brauchen. Das macht mir nix, das paßt, da kommen sechs, siebene. Der eine zwickt die Kabeln ab, der eine sammelt Alu, der andere sammelt Wasserleitungshähne, und der Florian will alles Zeug haben. Der soll ein Dorfmuseum aufmachen, das wär der richtige Museumswärter."

Ich spreche Gerli auf seinen mythenumwobenen Keller an, von dem viele schon gehört haben, wo aber noch niemand war. Daraufhin nimmt er sein Handy, um Photos als Beweis herzuzeigen: "Geh, i bring meine Photos ned zamm. I brings heid ned hin." Nach längerem Herumprobieren meint er: "Aber ihr könnt rauffahren, ihr könnt euch das anschauen. Ich ruf meine Frau an, der Hund tut euch nix, der mocht nur an Wirbel, der gfallt da glei. Sowas hast noch nicht gesehen. Über tausend Uhren, im ganzen Keller hörst du nur: tick-tick-tick, tick-tick-tick. Handy hab ich da unten 1.160. Die geb ich jetzt ab fürs Licht ins Dunkel. Und der ganze Keller ist angehängt mit meinen Photos. Das schauts euch an, und wenn ihr einen Durscht habt, trinkts was. Der ganze Keller voll Wein, Schnaps ... Und alles, was du da siehst, ist von hier herunten." Er nickt: "Nur den Hund laßt´s ma ned auße. Wann dem Hund was passiert, darf i ned heimkommen." Schon kommen die nächsten Fuhren: "Bruada, servas, wie schau ma aus, paßt ois?! Stöh na do eine, Fredi."

Wir fahren mit Florians vollgeräumten Zweitürer zur genannten Adresse, die eigentlich in Gehweite wäre, und stehen vor einem schmucken Haus mit Weihnachtsdekoration, die, so kann man annehmen, auch vom Mistplatz stammt. Wir läuten an, werden zuerst vom Hund, dann von Gerlis Frau begrüßt. Sie bringt uns in den Keller und schüttelt den Kopf: "So viel Zeit verbringt er im Keller, sagt, er muß umhängen. Die lauten Uhren hab ich abgestellt. Das ist ja ned normal, da schreckt´s dich. Wenn er eine Kuckucksuhr hätte, hätte ich ihm schon den Kragen abgedreht. Ich sammel ja nicht mit. Einer in der Familie reicht." Der Raum ist nicht besonders groß, vielleicht 25 m², aber um ihn zu erfassen, braucht man dennoch Zeit: kein Quadratzentimeter bleibt ungenützt. Neben Küchenuhren, Taschenuhren, Stehuhren, Armbanduhren, Pendeluhren, Wecker, Uhren in Schatullen, in allen Größen und Formaten, sieht man Schwimmkursabzeichen, Fischereischeine, Gemälde, Feitln, Medaillen, Gerli als Rauchfangkehrer, als Bademeister, eine Geburtstageinladung "zum doppelten 30er", Hufeisen, Jagdhörner, Schlüssel, Nudelwalker, Pfeffermühlen. Ob er bald eine Wand dazubauen wird? Die Frau seufzt: "Es ist ihm alles zuzutrauen."

Wir packen uns zusammen mit Ziel Florians "rumänisches" Haus.

 

Auf nach Rumänien

 

Wieder sitzen wir im kleinkalibrigen Vehikel und fahren auf einen Hügel etwas außerhalb vom Ort. Florian dreht sich eine Zigarette und kutschiert uns, bis wir am Gipfel stehenbleiben. Alle Häuser ringsherum sehen aus, als wären sie in den letzten paar Jahren von Wiener Zahnärzten gebaut worden - nur nicht das von Florian. Er ist Sozialarbeiter, nennt sich "Mistplatzspezialist" und erzählt, daß er das Haus vor zehn Jahren in desaströsem Zustand gekauft und anschließend renoviert hat. Das einzige, was damals noch in passablem Zustand war, war der Schweinestall, und so rennen heute noch eine füllige Sau, ein paar Hendln und Truthähne durch den Garten, wo sonst eine Weinpresse, eine alte Munitionskiste, ein Muschelstein aus dem Schloß Esterhazy, ein Gerät zum Flaschenkorken, ein Gartenzwerg, Orgelpfeifen, Eislaufschuhe ... stehen. Es wirkt chaotisch und weckt den Eindruck, daß Gerli alles systematisiert, bei Florian hingegen die Systemlosigkeit regiert. Auch, was man nicht braucht, wird nicht weggeschmissen. Er zeigt auf einen Hochstand mitten im Garten, auf dem eine lebensgroße Keramikfigur eines schwarzen Saxophonisten steht "Der Hochstand ist von den Mörbischer Seefestspielen, da hat meine Freundin gearbeitet. Da hat schon der Serafin oben gesungen."

In diesem Haus leben heute vier Flüchtlinge: zwei aus dem Iran, zwei aus dem Irak. Florian hat seine Behausung freiwillig zur Verfügung gestellt, weil seine Freundin hier ohnehin nicht einziehen wollte. Bei ihr sieht es ganz normal aus, - noch - ohne Schwein und Hochstand im Garten. Gefüttert wird das Tier von den Flüchtlingen. Wie ihr Verhältnis zum Schwein ist? "Das haut schon hin, die nehmen das locker", mein Florian lakonisch. Und wie das Verhältnis zu den Nachbarn ist, deren Häuser nicht nur sauber, sondern rein aussehen? "Reden wir im Keller drüber." Später erzählt er, daß sie ihn "die zweite Müllabfuhr" nennen, und da sind wir schon am Weg zu Paul, seinem einzigen Verbündeten am Hügel, so Florian: "Wir sind hier die zwei Bergdeppen."

Paul ist eine Minute entfernt, bei ihm sieht es ähnlich wild aus. Nach dem Anläuten öffnet der "Langzotterte" ein Fenster und grinst euphorisch heraus: "Griaß eich!" Der gelernte Schlosser kocht gerade, aber wir dürfen ruhig in seinen Garten: Holdzstadln, improvisierte Grillauben, Schreibtischsesseln, Barhocker, Waschmaschinen, Siebe, Liegen, Kukuruz, Gänse, Hühner, ein Tischtennistisch in fragwürdigem Zustand und Käfige in allen Größen - einer davon für seinen Buben als Spielzeug. Paul kommt nach ein paar Minuten gutgelaunt mit seinem Junior aus dem Haus. Die Hendlarmee wird freigelassen, und sein Bub spielt mit ihnen, füttert sie mit Maiskörnern, während sich Paul eine Zigarette bastelt und grinst: "Jetzt kemman´s, de Lauser!" Der Sprößling zermatscht einen Kürbis, "damit sie gscheide Eier legen", wie es heißt. "Gestern hab ich eine Ente mit 1,10 kg geschlachtet, die ist grad im Rohr. Zu viele darf man nicht haben, auch nicht bei den Hendln. Sie fangen zu streiten an, wenn zu viele Hähne auf zu wenig Hendln sind, das geht sich nicht aus."

Nach einer kleinen Inspektion geht es zur nächsten Station: zu jenem Haus, in dem Florian mit seiner Freundin Maria und dem gemeinsamen Kind wohnt. Oben sieht es tadellos aus - hier hat die Frau das Sagen -, aber im Keller darf sich der "Taliban" ausleben: Krimskrams, Nachtkastln, Gläser, elektrische Kühlboxen, Bücher, ein Globus, ein Bumerang, Glocken, Photoalben fremder Familien und und und. "Ich weiß mehr über die Purbacher als irgendwer sonst. Stammbücher, Notizhefte, alles wird weggeschmissen", erzählt Florian. An der Wand hängt "das traurigste Schülerphoto, das ich je gesehen habe, aber gehen wir zur Heiligengalerie", sagt er und wechselt in den nächsten Raum, der gefüllt ist mit Bildern von Schutzengeln. Die Sammlung "wächst wöchentlich", sagt er. "Ich hab meinem Kind noch nie Spielzeug gekauft, vor allem nicht solches Plastikklumpad", aber es liegt, hängt und steht hier massenweise herum, genug für die nächsten 100 Jahre. Danach werden Theaterkostüme der absurden Art vorgeführt, gefüllte Nähkästchen und Schustertaschen präsentiert, ein Profischlauchboot begeistert aus der Stellage geräumt. Ob er das schon einmal ausprobiert hat? "Nein, aber ums Wegschmeißen wär mir schade. Entweder ich verwende es irgendwann selber, gebe es weiter, oder es steht halt hier." Mit wenig Geld kommt man auch so zu Luxus, den man sich sonst vielleicht gar nicht kaufen möchte. Die schönsten Treffer sind Überraschungstreffer, die nicht von langer Hand geplant werden.

An diesem Tag streunen noch mehrere Zauberer durch das obere und das untere Purbach samt Kellergasse, die es, ohne sich überzustrapazieren, zu zwei bis drei Häusern gebracht haben oder in aufgelassenen Hotels wohnen, ohne Miete zu zahlen. Das geht nur an wenigen Flecken, und das Burgenland gehört dazu. In einer Zeit, da 90 Prozent pleite sind, weil die anderen 10 Prozent für 2 Cent sogar ihren Nachbarn töten würden, vielleicht gar kein so verkehrter Ansatz.

aus: Rokko´s Adventures #18

Text: Rokko

Fotos: Christopher Sturmer

Kolumnen_ Al Cook im EVOLVER #7

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Kein Glück nach dem Ende

Der EVOLVER veröffentlicht die Kolumne, die der heimische Blues-Traditionalist Al Cook jahrelang für eine heimische Website schrieb, auf seinen Seiten neu - nicht nur, damit die Texte nicht verloren gehen, sondern weil sie so gut sind. Diese Folge behandelt nicht nur Robert Johnsons vorletzte Tage, sondern auch die vielen Plagiatoren, die den Ruf des großen Bluesman bis heute schänden.

In der vorliegenden Episode, liebe Blues-Fans und Johnsonites, wende ich mich langsam der Endphase von Roberts kurzem, aber ereignisreichem Leben zu - und dem traurigen posthumen Schicksal des legendären Musikers. Immerhin waren die Mythen und Geschichten, die sich um seinen Tod ranken, der ideale Humus für wilde Spekulationen, die dann eine gewisse Eigendynamik bekamen.

Als ich letztens den EMI-Shop in der Wiener Kärntnerstraße besuchte, fiel mir die CD eines der unzähligen Johnson-Jünger auf. Da kein Bild auf dem Cover war, weiß ich nicht einmal, um wen es sich dabei handelte. Anstatt einer Frontpage-Illustration stand da etwa folgendes Statement: "Robert Johnson was found dead in a hotel room." Haben ihn die Schreiberlinge im Feuereifer mit Jimi Hendrix verwechselt oder glaubten sie, mit einem solchen Schmarren die Verkaufszahlen zu pushen?

In den 70ern veröffentlichte CBS eine LP von Bukka White mit einem mega-grauslichen Cover, das bereits Seltenheitswert hat. In einem schmutzigen Glas mit abgestandenem Wasser lag eine Zahnprothese mit schwimmendem Goldfisch und drumherum ausgedrückte totenfarbene Zahnpasta. Wenn ich nicht gewußt hätte, was sich auf der Platte befand, hätte ich die Verkäuferin um ein Speibsackerl gebeten. Was denkt sich die Pop-Industrie noch aus in ihrem perversen Glauben, seriöse Kunst nur mit (schon lange nicht mehr) aktueller Antiästhetik verkaufen zu können?! Als ich 1970 meine erste LP veröffentlichte, hatte ich auch "meinen Kampf" mit den Plattenbossen, die mein Cover mit der Abbildung eines dreckigen alten Schuhs in einer Lache verschandeln wollten.

 

 

Doch was hat das mit Robert Johnson zu tun?

Einiges, würde ich sagen. Die Entdeckung seiner Musik durch Protagonisten der sogenannten "progressiven Popkultur" in den Sixties katapultierte ihn und seinen Blues in eine Zeit, in die beide nicht paßten. Woodstock  war der Auslöser für viele Unbedarfte, sich mit dem Blues auseinanderzusetzen. Aber braucht man wirklich eine Rockband wie Canned Heat, um Henry Thomas kennenzulernen, oder die heiligen Stones, um durch deren fürchterliche Version von "Love In Vain" Robert Johnson kennenzulernen (dem sie sogar die Urheberschaft gemopst haben, indem sie frech "Jagger/Richard" unter den Titel setzten)? Ich glaube einfach nicht, daß das Musikpublikum so borniert und dumm ist, authentischen Blues nur über dessen Vergewaltigung zu begreifen. Aber wie soll es anders gehen, wenn die Medien die Wahrheit mittels ihrer Quotenpolitik verrotten lassen und das Publikum durch Gleichschaltung indoktrinieren?

Ich glaube den diversen Musikern durchaus, daß sie es mit ihrer Verehrung für Robert Johnson ehrlich meinen. Ihr grundlegender Fehler liegt jedoch darin, daß sie sich nie mit der Zeit und den Umständen auseinandergesetzt haben, in der diese Musik entstanden ist. Kurz und gut: sie sehen die 20er und 30er Jahre durch die Brille und mit dem Verständnis der heutigen Zeit. Das geht eben nicht. Man kann die Zeit Mozarts nicht in die Disco versetzen - und doch haben sie genau das getan. Für Falco & Co. war sowas ja offensichtlich auch keine Schwierigkeit.

Besonders fiel mir dieser Umstand bei meinem immer wieder zitierten "Spezi" Eric Clapton auf. Hört man dessen Version von "Cross Road Blues", so entdeckt man, daß er offensichtlich mit einem Originalvers nichts anzufangen wußte. Bei Johnson heißt es: "Well, the sun goin´ down, dark gon´ catch me here." Auf der Suche nach einem Einfüger stellte Clapton einfach eine aus dem Zusammenhang gerissene Textstelle aus dem "Travelin´ Riverside Blues" in den Raum: "I´m goin‘ to Rosedale, take my rider by my side, we can still barrelhouse, cause it´s on the riverside". Was hat das bitte mit der Thematik vom "Cross Road Blues" zu tun??

Ein weißer Engländer der Sechziger hat eben keinen Bezug zu den für ihn nicht existenten Ängsten eines vagabundierenden Schwarzen im tiefen Süden der 30er Jahre. Aber fragen Sie einen Puff Daddy, ob er die ungeschriebenen Regionalgesetze unterhalb der amerikanischen "Weißwurstgrenze" kennt und achtet ... Onkel Tom ist mit der Bürgerrechtsbewegung gestorben - und aus diesem Grund kann man den Blues nur in seiner Ganzheit begreifen, wenn man in den Rückspiegel sieht.

 

Robert Johnsons letzte Jahre sollen angeblich bereits eine Urbanisierung seines Performance-Stils angekündigt haben. Er reiste in den Norden, um in Brooklyn bei der "Major Bowes Show" mitzumachen. Sogar in Kanada nahm er an der "Elder Moten Hour" - einer lokalen Radioshow - teil. Was Robert dort spielte, weiß man nicht, aber es waren sicher keine schmutzigen Barrelhouse-Songs. Er soll auch mit Combo und elektrifizierter Gitarre gespielt haben, was mir aufgrund der Rarität ländlicher Stromanschlüsse und unvergleichlich teurerer Jazzgitarren eher unwahrscheinlich klingt.

Johnson soll sich dann schnell zum lokalen Star entwickelt haben. Der schon damals erscheinende "Melody Maker" schrieb: "Robinsonville’s star is still Robert Johnson". Tatsächlich hat er die Generation der Pattons hinter sich gelassen und mit seinem aggressiven Stil die Weiber sehr direkt angesprochen. Zwar waren die besoffenen Barrelhouse-Schwalben keine Schönheiten, aber in seiner Welt hatte er Erfolg. Scheinbar war es sogar zuviel Erfolg ... Son House, der sich so gern als Roberts väterlicher Freund sah, gab ihm damals den Rat, nicht so furchtbar geil unterwegs zu sein, weil ihn das eines Tages in Teufels Küche bringen würde.

Der August 1938 war nun in drohende Nähe gerückt - und der Löffel, den Robert Johnson bald abgeben mußte, wurde immer schwerer. Papa Legba war auf dem Weg, seine Schuld mit Zinseszinsen einzufordern.

Was den armen Herumtreiber dann schließlich wirklich auf die Bretter schickte, verrate ich nächstes Mal.

 

 

Euer Al Cook

(The White King Of Black Blues)

Al Cook im EVOLVER

Unverfälscht, traditionsbewußt und weitab vom Kommerz-, Radio- und Social-Media-Mainstream: So wie Al Cook Musik macht, schreibt er auch - und zwar exklusiv im EVOLVER. Lesen Sie hier seine sehr persönliche Einführung in die Welt des authentischen Blues-Genres und seiner Position im populärkulturellen Musikgeschehen.

Print_ Robert Hübner – kunst werk bild

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Wovon man redet, wenn man "Kunst" sagt

Der Maler und Digitalkünstler Robert Hübner, langjähriger Mitarbeiter der Linzer Kunsthochschule, legt mit seiner ersten Wissenschaftspublikation einen Meilenstein der kontemporären Kunsttheorie vor: eine lange überfällige akademische Neustrukturierung des Kunstbegriffs, quasi als Anpassung an die zeitgenössische Realität.

Kunst, Kunst, kunnst mir einen Hunderter leih´n? Viele sich verdrehende Augenpaare sind garantiert, wenn ein Kunstbeflissener mit einem mehr oder weniger willigen Gesprächspartner über das gemeinsame Lieblingthema zu fachsimpeln beginnt. Was da nicht alles Kunst wäre, wenn es nach denen ginge! Es deucht einem fast, daß man nur auf ein silbernes Tellerchen urinieren und mit der Kamera draufhalten müßte - und schon möge es allein deshalb Kunst genannt werden, weil die chinesische Geschäftsfrau oder der Scheich dafür einen Preis bezahlen. Falls dem so ist. Wofür wiederum ein hoher Preis zu zahlen ist. Aber dafür sorgen ja die Galeristen, die mit allerlei Tricks auch zu bewerkstelligen wissen, daß "ihre" Künstler im Kurs steigen.

Aber was ist eigentlich Kunst? Wann dürfen wir von Kunst reden und wann nicht? Ist es am Ende doch keine Kunst, dies oder das zu fabrizieren? Wirkt etwas zu künstlich? Erhalten wir Sicherheit durch Kunstfleisch nur auf einem Plattencover der Band Ideal?

Es mag noch irgendwie vertraut klingen, daß es einst, vor langer Zeit, die "schönen Künste" gab, und alles andere, was nur künstlerisch angehaucht war, als "banausisch" verstanden wurde. Aber was hat das mit der heutigen Zeit zu tun, in der sich Cosplay und Prostitution, Malerei und Projektion, reale und virtuelle Welt in einer unüberschaubaren Aufgefächertheit präsentieren? Das kann keiner mehr so richtig sagen.

Keiner?

Doch, einen gibt es. Sein Name ist Robert Hübner, und er hat ein Buch darüber geschrieben, wo der Kunstbegriff herkommt, wie sehr er sich über die Jahrtausende und vor allem in den letzten paar Jahrzehnten gewandelt hat und wie er heute in legitimer Form handzuhaben ist. "kunst werk bild" hat vielleicht auf den ersten Blick ein sprödes Thema, das sich vor allem fürs Akademische anbietet. Aber dem Autor gelingt dank der Kürze seiner Kapitel und der Modernität seines Zugangs doch eine große Kurzweiligkeit, die bei der vorliegenden akademischen Hochgestochenheit auch dringend benötigt wird, um bewältigbar zu bleiben.

Aber nicht so hastig: Das Buch mag flüssig, ja bisweilen "süffig" geschrieben sein, wird aber schnell auch sehr theoretisch und abstrakt. Einige Kapitel verlangen viel Konzentration, um wirklich zu verstehen, was da steht. Auch führt der Autor einige neue Worte in den Sprachgebrauch ein, sogenannte Neologismen, mit denen man sich erst einmal anfreunden muß.

Andernorts liefert das Werk eine sehr schöne Abhandlung über die Begriffe "autographisch" und "allographisch": Mozarts Original-Notenblatt-Handschrift wird da zu einem vergänglichen Fan-Artikel, was wiederum ein lustiges Bild auf den modernen Kunstmarkt wirft. Auch die historischen Hintergründe sind mannigfaltig und packend beschrieben.

Zwischenzeitlich mag Widerstand spürbar werden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Autor ab und an die Prähistorie bemüht. Archäologie ist eindeutig nicht sein Fachgebiet, wodurch die meisten Bezugnahmen auf die Urgeschichte etwas flach und ohne Quellenangaben ausfallen. Das schadet dem Fokus des Buchs aber keineswegs: Es dreht sich um den Kunstbegriff des Westmenschen im Jahr 2018, nicht um jenen der Sumerer oder gar solcher, die vor der letzten großen Flut existiert haben mögen.

Auch anderswo taucht durchaus Kritikwürdiges auf. Mittelschwer wiegt es wohl dort, wo es um den wahrnehmenden Verstand und seine Bedeutung für das Phänomen Realität geht - auf Seite 264 etwa: Ist es nicht eher das Zusammenspiel aus sechs Sinnen, nämlich Sicht, Geruch, Gehör, Geschmack, Tastsinn und der logisch-geistigen Reflexion, welches die entstehen läßt? Bzw. sind unsere sechs Sinne nicht auch bloß Flaschenhälse, die unsere Wahrnehmung der Realität massiv einschränken, und ist der sechste Sinn nicht bloß das von den anderen fünf Sinnen ausgehende Kratzen an der Oberfläche der unendlichen Welt des Geistes? Wer sich in diese Weltsicht versteigt, landet dort, wo die von Robert Hübner vorgeschlagene Polarität aus Empfinden versus kognitives Verstehen zerfällt.

Man mag schließlich feststellen, daß das Buch - wie die Kunst allgemein - als durchaus eitel verstanden werden darf. Es kreist ein wenig um sich selbst und nimmt sein Thema, ohne das wir problemlos (wenn auch musisch ungeküßt) leben könnten, sehr ernst. Dabei verursacht es auch dem akademisch geübten Leser immer wieder erheblichen Aufwand. Aber durch all die vielen Zeilen auf den mehr als 300 Seiten dringt ein Geist, der dazu fähig ist, auch bei überaus komplexen Sachverhalten den Überblick zu bewahren und die Dinge so zu ordnen, daß ein lückenloses Gesamtbild der möglichen Argumentation entsteht. Anders gesagt: Das Buch ist eine beachtliche Leistung für ein einzelnes Gehirn - eine überaus eloquente noch dazu, die von einer sehr breiten humanistischen Bildung zeugt.

In Summe ist "kunst werk bild" für das zeitgenössische Kunstwesen und den zugehörigen akademischen Kanon ein Meilenstein. An dem darin dargelegten Modell wird sich die Kunst der nächsten Jahrzehnte erklären und messen wollen. Vor allem auch weist es die Halbgebildeten, die Wichtigmacher und Gescheitdaherreder, von denen es auf dem Kunstmarkt Scharen aus aller Herren Länder gibt, in langersehnte und für den ernsten Diskurs bitter nötige Schranken. Keiner kann ab jetzt mehr sagen, dies oder das sei Kunst und dies oder das nicht - es sei denn, es geht konform mit dem Modell dieses Buchs.

Robert Hübner - kunst werk bild

ØØØØØ
Handbuch zur Begriffsbenutzung

Verlag Bildmanufaktur (Ö 2018)

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