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Kolumnen_ Miststück der Woche III/89

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Friedrich Liechtenstein: "Belgique, Belgique"


Manfred Prescher ist gerade unfaßbar träge. Er hat keine Lust aufs Schreiben und hört abwechselnd Franz Joseph Haydns "Lob der Faulheit" und "Waterloo Sunset" von den Kinks. Er würde glatt Paul Lafargues Büchlein "Das Recht auf Faulheit" lesen, wenn ihm die wenigen Seiten des Werks nicht viel zu aufwendig wären. "Hallo, hier Micky" und Friedrich Liechtenstein tun´s doch auch - findet euer Kolumnist.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

Was soll man nur hören, wenn man mehr oder minder rechtschaffen in den Seilen hängt, darauf wartet, daß es - ganz wie Joseph Reinberger es prophezeite - Abend werde ... und abhängt, um gemeinsam mit der Liebsten dabei zuzuschauen, wie der dicke Adrian Lewis mit offenem Mund, wie Nemos Vater beim unfreiwilligen Ausflug an die Luft, seine Darts schießt. Ja, ihr habt richtig gelesen, die Pfeile mit den extravaganten Flights werden ab sofort und sprachlich korrekt geschossen - dafür verbürgt sich meine sprachlich sehr versierte beste Liebespartnerin von allen persönlich.

Was hab´ ich heute nicht alles versucht! Die neue Spoon-CD. Muß man schön krachend laut hören, das treibt einem aber glatt die Schweißperlen in die matten Ohren - deshalb gibt´s die Jungs erst nächste Woche. Irgendwann muß man doch in die Puschen kommen. Nur so gelangt man schließlich auch wieder aus ihnen raus ... Oder wie wäre es stattdessen mit der neuen vom alten Tom Petty? Die ist tatsächlich sogar für Menschen hörenswert, die nicht mit Dreitagebart durch die Wildnis stapfen, sich vom Weibe fernhalten und zum Rock-Eremiten verkommen. Sehr schön, was der Onkel Tom da macht, aber dazu auch irgendwann später. Oder vielleicht auch gar nie nicht. Denn wie ihr ja hoffentlich mitbekommen habt, nähern wir uns - heute mal sehr bedächtig, aber immerhin - der 300. Kolumne. Und bei der dürft ihr da draußen an den mit GEMA-Raubzoll belegten oder mit Prilblumen beklebten Computeranlagenipaddingern mitmachen. Schaut doch mal ins Gesichtsbuch und sucht nach mir. Wenn ihr mich findet, postet mir einfach euren Liedwunsch, und ich fabulier´ darüber, was das Zeug hält. Ich hab´ echt beschlossen, alle eure Wünsche zu erfüllen; vorher hör´ ich mit der Kolumne nicht auf. Aber jetzt fange ich besser mal damit an - und zwar mit Friedrich Liechtenstein. Zunächst höre ich jedoch noch einmal "Waterloo Sunset" und wünsche mir ... ach, das mit dem Abend schrieb ich ja bereits.

 

Der Friedrich Liechtenstein ist in Stalinstadt - das heute Eisenhüttenstadt heißt - geboren und war schon vor der Wende nicht "das Volk", sondern ein ausgewiesener Lebemann mit Kunstverstand und schauspielerisch-komödiantischem Talent. Mittlerweile ist er in Berlin angekommen und hat unter anderem mit den "Supergeil"-Spots bzw. dem dazugehörigen, durchs Sortiment führenden Slow-Rap dafür gesorgt, daß Fritten, Dorsch und Klopapier irgendwie "supergeil" wurden. "Bio" ist eh "supergeil", da hat er recht. Bleibt zu hoffen, daß der Einkauf dadurch wieder bewußter erlebt wird und die "Dinge des täglichen Bedarfs" nicht wie bis dato achtlos und gestreßt in den Einkaufswagen geworfen werden. Mir geht dadurch nämlich immer mindestens ein Becher Sahne schmierig auf den Schnürsenkel. Naja, selbst der Reim "Superuschi-Supermuschi-Supersushi" ist irgendwie, nein, nicht "supergeil", aber OK. In den Spots werden zum Beispiel Männer, Frauen und Kollegen ("supergeile Stifte übrigens") mit sonorer Stimme geadelt.

Und dann stellt sich Liechtenstein eines Nachts auf die Terrasse seiner Berliner Dachwohnung und winkt dem recht unbeteiligten Volk in der deutschen Hauptstadt zu. Das sollte ihm eigentlich huldigen, denn er ist ein cooler Hund, aber irgendwie ist es nicht wie beim Empfang des Bundesgauck. Es könnte aber so sein. Dies zeigt zumindest Liechtensteins brandneue CD "Bad Gastein". Der Ort muß irgendwo in Österreich liegen, ich war jedenfalls noch nicht dort. Muß direkt später mal die beste Liebespartnerin von allen fragen, ob sie auf ihrem Lebensweg schon mal dort vorbeigestromert ist. Eigentlich glaub´ ich auch nicht, daß Liechtenstein dort am Fuße des Graukogels schon mal einkehren durfte.

Dank Wikipedia weiß ich jetzt also grob, wo dieses schlumpfhaft winzige, vermutlich dennoch nicht allzu stille Örtchen auf der Landkarte zu finden ist. Und noch was hab´ ich eben erfahren: "Neben den Kuranwendungen bietet das Tal Gelegenheit zu Erholung und Sport während des ganzen Jahres." Aha, denk´ ich mir, das scheint eines dieser verzweigten, etwas zu groß gewachsenen Bauerngehöfte zu sein, die mittlerweile vom Tourismus ganz ordentlich leben können. Vielleicht ist die ganztägige Erholung schon was für den Herr Liechtenstein? Der Sport wohl eher weniger.

 

Ist auch egal, wo Friedrich Liechtenstein bislang in 56 Lebensjahren war. Auch Max Goldt hat schließlich die von ihm bedichtete Stadt erst Jahre nach seinem Hit "Wissenswertes über Erlangen" besucht. Der Liechtenstein erzählt uns die Geschichten vom Pferd, vom Alfa Romeo, vom Electric Ladyland - einer Butze mit Nancy, Louise und Douey, die sich irgendwie alle in ihn verlieben. Das war in "Belgique, Belgique", und zwar 1958. Damals war der kleine Fritz allerdings in realiter gerade mal zwei Jahre alt und weckte vermutlich mütterliche Gefühle - "a - a - a - wie ist der niedlich!" - bei den Damen in den "Brandenburger Wäldern".

Das Stück dauert kurzweilige 10:21, ist eine dahinschlurfende Hommage an Münchhausen, und Liechtenstein kommt darin insgesamt dreimal in der belgischen Hauptstadt an - nach ´58 auch noch 1970 und 2000. Obwohl der Refrain genau das Gegenteil erklärt: "Belgique, Belgique, Belgique!/ Er kommt nie mehr zurück, Brigitte/Je suis fatigué, Bruxelles/Sous la neige". Ist auch alles wurscht. Während seiner Erzählung stirbt er, wird als "Elevator Man" wiedergeboren und dann in eine Disco geschubst.

Der Schluß ist jedenfalls irgendwie weise: "Das Leben kann sehr kurz sein, wenn man sich auf zu wenig Dinge konzentriert" - oder eben auch nicht. Weil nun mal Streß und Hektik, um es mit dem berühmten Kardiologen Bernard Lown zu formulieren, "nicht gesundheitsförderlich sind". Mit "Bad Gastein" verhält es sich genauso: Die Platte ist irgendwie richtig gut, aber eben auch wieder nicht. Und ich hab´ jetzt jedenfalls, Lown sei Dank, ein Herz für mein Herz, stell´ mich kurz auf den Balkon und winke den Franken zu, die mal wieder nicht besonders zahlreich an meiner Wohnstatt vorbeiziehen. Auch gut, dann setze ich mich eben hin und wünsche euch eine schöne Woche. Bleibt mir gewogen - und vergeßt nicht, daß ihr euch ab sofort und via Gesichtsbuch Lieder für diese Kolumne wünschen dürft. Ab der Ausgabe 291, also schon in zwei Wochen, geht es mit euren Songs los. Nächstes Mal schreibe ich - wie angedeutet - über Spoon und gebe dann den Löffel an meine Leser ab.

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Friedrich Liechtenstein: "Belgique, Belgique"

Enthalten auf der CD "Bad Gastein" (HEAVYLISTENING Records)


Kolumnen_ Schein-Angriff #3

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Außergerechnet


Im Zuge eines Projekts kommt für jeden Projektmanager der Punkt, an dem er am Projekt zu zweifeln beginnt. In der Fahrschule ist das jedes Mal der Fall, wenn ich das Wort "außer" höre.

Selbst der eingefleischteste Grünwähler kommt irgendwann auf den Punkt. Mein Punkt tauchte vor einem Jahr auf, als der Schwedenofen beim besten Willen nicht auf den Gepäckträger gepaßt hat. Also mach´ ich ihn jetzt. Das große Abenteuer. Die große Freiheit. Mobilität per Gaspedal - den Führerschein. Und das in meinem Alter!

 

"Auf einer Vorrangstraße im Ortsgebiet dürfen Sie nicht umdrehen." Paßt. Merk´ ich mir. Heißt: Wenn ich das gelbe Schilderl sehe, werde ich mich vor einem plötzlichen Richtungswechsel hüten. Na bitte, ist ja nicht so schwer. "Außer ..." Und schon ist es da, das unbeliebte Wort. Denn die Ausnahmen haben die Regeln längst überholt und bilden eine starke Phalanx gegenüber der Norm.

Aber was ist schon normal? Im Straßenverkehr leider gar nichts. Nicht einmal Rot ist noch Rot, denn ein grüner Zusatzpfeil behauptet Gegenteiliges und erzeugt bei Nichtbeachtung ein wunderschönes Hupkonzert in D-Dur mit dem Namen "Wos fahrst denn ned, du Trottel?!"

Wieder bin ich es, die die Regeln beachtet und nicht die Ausnahmen. Dabei bestätigen diese längst nicht mehr Obiges, sondern sind die Regel. Unsere Welt ist kompliziert geworden. So kompliziert, daß uns ein Schilderwald - ein ganzer südamerikanischer Urwald samt Affen und Boas – den Straßenverkehr erleichtern soll. Nun sind es aber gerade die Affen und Boas, die uns zusätzlich verwirren; beziehungsweise die Wahlplakate, die sich zwischen die wirklich wichtigen Dinge im Leben drängen. Hab´ ich hier Vorrang? Egal, da schau her, was der Strache schon wieder für einen dummen Spruch auf den Lippen hat ...

Und schon quietschen die Reifen, und die Wiener Auto-Philharmoniker stimmen ihr liebstes Instrument. Apropos Hupe: Es gilt übrigens noch, das Hupverbot. Außer, um den Vordermann vor Gefahr zu warnen - zum Beispiel, wenn er heiratet.

Man wünscht sich fast wieder biblische Zeiten herbei. Damals, beim Herrn Moses, da war alles noch einfacher, ohne links und rechts und Gegenverkehr. Auf den steinernen Tafeln stand ja auch nicht: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, außer es ist Heidi Klum. Wahrscheinlich, weil es extrem aufwendig gewesen wäre, all die Ausnahmen in Stein zu meißeln.

Moses war eher der schlichte Typ. Heute (dem technischen Fortschritt und industriell erzeugten Geboten sei Dank) steht hingegen geschrieben: Du sollst fahren nach der Rechtsverkehrsregel, außer du hast Vorrang. Außer bei einem Kreisverkehr, bei dem du Nachrang hast. Außer ... du siehst Heidi Klum auf der linken Straßenseite, dann darfst du auch auf einer Vorrangstraße links zufahren.

Heute habe ich die theoretische Prüfung. Außer ich hab mich im Schilderwald erhängt.

 

Kolumnen_ Miststück der Woche III/90

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Spoon: "Rent I Pay"


Man zahlt ja immer irgendwie für irgendwas. Und bekanntlich meistens sogar drauf. Aber ab nächster Woche bekommt ihr etwas dafür, daß ihr der Kolumne aufmerksam folgt. Manfred Prescher schreibt über eure Lieblingslieder - und jetzt läßt er es noch einmal ordentlich rocken.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

"Ich weiß zwar, daß wir es hier mit Popmusik zu tun haben und nicht das Rad neu erfinden, aber ich will wenigstens das Gefühl haben, daß wir etwas tun, das zumindest für uns völlig neu ist". Diese weisen Worte stammen von Britt Daniel, dem Sänger und Gitarristen der texanischen Indierockband Spoon. Abgesehen davon, daß "Indierock" ein extrem dämlicher Begriff ist - den zugegebenermaßen ich hier auf die Tafelrunde geworfen habe - paßt der Spruch sogar auf diese Kolumne. Denn die beste Liebespartnerin von allen hatte vor einiger Zeit eine Idee, die ich praktisch umgehend für spannend hielt, weil sie zwar nicht den Weltenlauf aus den Schienen hebt und auf völlig neue Gleise setzt, sich aber doch für mich sehr ungewohnt anfühlt.

Ich betrete also mit euch fremdes Terrain. Ein großer Schritt für die Kolumne sozusagen - und ein hoffentlich interessanter, witziger und persönlicher für euch. Schließlich feiern wir miteinander in ein paar lausigen Wochen die 300. Kolumne. Würde man die sieben Intermezzi und den Teaser vor Nummer 201 mitzählen, dann wären wir jetzt schon bei der 298 und hätten das Jubiläum unmittelbar vor den erlauchten Rübennasen. Aber so dauert es halt noch ein wenig. Ihr habt also noch Zeit, euch einen Song rauszusuchen und ihn hier oder auf einer meiner Gesichtsbuchseiten (Manfred Prescher oder Miststück) zu posten. Alle eure Lieder werden garantiert in typischer "Miststück"-Manier besprochen. Ach ja, ehe ich es vergesse: In Nummer 300 werden justament hier an dieser Stelle drei E-Reader unter den Teilnehmern verlost. Darauf findet Ihr das von den EVOLVER-BOOKS-Kollegen liebevoll umgestaltete virtuelle Buch mit den ersten 200 Kolumnen - und ihr müßt euch nicht mehr aufwendig durch dieses Portal blättern. Was sich aber andererseits sehr lohnt ...

 

Ab nächster Woche werde ich den Löffel sozusagen an euch abgeben und feierlich geloben, daß ich mich erst frühestens in die Hölle oder sonstwohin abberufen lasse, wenn ich eure Wünsche completamente erfüllt habe. Ich habe nämlich vor kurzem ein feierliches Gelöbnis abgelegt. Bei einem nächtlichen Spaziergang durch Obereinherz schwor ich mir, mindestens einmal pro Woche eine gute Tat zu begehen. So wie damals beim Fähnlein Fieselschweif, die bei Carl Barks übrigens Junior Woodchucks heißen.

Noch hab´ ich aber das Löffelchen noch. Daher bringe ich es jetzt in Stellung, rühre die Tasse mit dem koffeinfreien Cappuccino - sowas gibt´s wirklich - um und spreche von der Band Spoon. Die erfindet das Rad zwar auch nicht neu, aber ihre Musik ist wohltuend frisch. Ich habe an anderer Stelle mal geschrieben, daß derzeit praktisch überall nur zitiert wird; auch Spoon machen da keine Ausnahme. Aber fairerweise muß ich doch konstatieren, daß das auch schon zu den Zeiten von Fred Feuerstein, Louis Jordan oder Sepp Zeppelin schon so war.

Schon der Name "Spoon" ist ein Zitat. Selbstverständlich hat die Band das Wort aus dem Katalog von WMF bzw. aus der elterlichen Besteckschublade entliehen. Nein, das ist Quatsch. Er stammt vom bekanntesten Stück einer der besten deutschen Formationen aller Zeiten: Can und ihr "Spoon" erreichten damit 1972 sogar vordere Hitparadenplätze - das Lied wurde nämlich im Durbridge-Straßenfeger "Das Messer" eingesetzt. Es war aber dennoch seiner Zeit voraus und verbindet Ambient-, Dub- und House-Grooves miteinander, ohne daß es die damals schon offiziell gab. Das Teil kann man daher heute noch gut auf den Partys kluger und geschmackssicherer Menschen einsetzen. Und von so einem Event her müßten Daniel und seine Mitstreiter den Track auch kennen. Würd mich jedenfalls nicht wundern.

Die Bandgeschichte von Spoon ist genauso wechselhaft wie die von Can, tut hier aber nichts zur Sache. Vor kurzem erschien ihr achtes Album in gut 20 Jahren mehr oder weniger friedlicher Gruppenexistenz. Eine vierjährige Trennungspause und das Gefühl, trotz wachsenden Erfolgs künstlerisch ausgebrannt zu sein, ist nun mit "They Want My Soul" überwunden. Erstmals war mit Joe Chiccarelli, der unter anderem auch bei Morrisseys gutem neuen Album "World Peace Is None Of Your Business" und Alanis Morissettes demnächst erscheinender CD "Havoc And Bright Lights" an den Reglern saß, ein Produzent gewählt. Das hört man dem vielschichtigen, irgendwie an einen leckeren provenzalischen Gemüseeintopf erinnernden Werk auch an: "Outlier" ist zum Beispiel ein kleines, feines Disco-Stück, das sich intelligent aus dem Dance-Einheitsbrei erhebt - und daher wie die meisten Songs von Can eher nicht auf dem Tanzflur eingesetzt werden sollte. "Let Me Mine" klingt nach einer von Damon Albarn und Noel Gallagher erzeugten Britpop-Hymne: Schräge Soundideen von Blur verbinden sich mit dem catchy Refrainchen von Oasis. Sehr schön zitiert, meine Herren.

Um es mit dem weisen und greisen Meister Yoda zu sagen: "Sicher ich bin", daß der Opener "Rent I Pay" auf Indie-Partys funktionieren wird. In ihm grungt es in bester Soundgarden- oder Alice-In-Chains-Manier. Auch Rockmucke aus den siebziger und achtziger Jahren findet man wieder - Mott The Hoople, Alex Harvey oder The Tubes sind erkennbar. Wenn man bzw. frau das erkennen möchte - aber das muß ja auch gar nicht sein, der Song ist für sich genommen onewallfree.

 

Im Gegensatz zu vielen anderen Stücken von Spoon ist "Rent I Pay" übrigens nicht gesellschaftspolitisch zu verstehen. Britt Daniel erzählt davon, wie es ist, ein Indie-Star zu sein bzw. welchen Druck der Ruhm auf die Kreativität ausübt, wenn man hochbegabt und sensibel ist. Aber auch das muß niemand - um es in Fußballreporterdeutsch zu sagen - "antizipieren". Andererseits ist es auch die Chance, den Menschen Britt Daniel zu verstehen. Auf jeden Fall tut das Lied eines hundertprozentig: es rockt recht rüstig vor sich hin. Sowas gefällt auch der besten Liebespartnerin von allen.

Alles in allem sind das neue Album und das Eröffnungsstück "Rent I Pay" wirklich großartig, besser noch als das 2007er-Großwerk", dessen Titel "Ga Ga Ga Ga Ga" in seiner ergreifenden Schlichtheit schlicht ergreifend ist. "They Want My Soul" ist auch ein ordentlicher Albumtitel. Das Fazit der CD ist einfach: "Ihr wollt meine Seele? Ihr bekommt mich bzw. meine Musik." 

So. Ich geh´ jetzt mal raus hier, und ab nächster Woche erfülle ich eure Wünsche. Beginnen werde ich mit den Smiths und "There´s A Light That Never Goes Out". Schöner Klassiker von Morrissey und Marr, fürwahr, fürwahr. Ich wünsche euch und mir bis dahin schon mal, daß die Lichter bei euch tatsächlich nie ausgehen. Also auf auf in den nächsten Baumarkt und ein paar Birnchen gekauft. Mein guter Rat: Haltet den Menschen fest, den ihr liebt. Sorgt dafür, daß in der Kathedrale eures Herzens der Kerzenleuchter für eure Herzdamen oder -buben ewig brennt. Dann wird auch alles gut. Darauf jetzt ein Teelöffelchen Zucker. Ist laut Mary Poppins übrigens eh die beste Medizin, weil es gegen Gott und die Welt hilft.   

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Spoon: "Rent I Pay"

Enthalten auf der CD "They Want My Soul" (Anti/Indigo)

Print_ Print-Tips Spezial

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Schmauchspuren #33

Kaum ein Krimiautor hat sich bisher beim Herumstochern in menschlichen Abgründen über eines der größten Verbrechen getraut: die Außenpolitik der USA. Schon deswegen muß man Don Winslow verehren - meint Thrill-Experte Peter Hiess.

Don Winslow -Tage der Toten


Suhrkamp Tb. 2010

Es ist ein blutiger Krieg, das wird gleich zu Beginn von Tage der Toten klar. Und es ist ein Krieg, den man nicht gewinnen kann - oder nur dann, wenn man auf der Seite der Rauschgifthändler steht.

Don Winslow, der in letzter Zeit durch seine Krimis im Umfeld der Surfer-Kultur auch im deutschsprachigen Raum bekannt wurde, behandelt in seinem Monumentalwerk Tage der Toten den amerikanischen "War on Drugs" (ein Begriff, der übrigens von "Tricky Dick" Nixon geprägt wurde) und all die üblen politischen Machenschaften, die dahinterstecken. Sein Protagonist heißt Art Keller, ist Veteran einer Vietnamkriegs-Killertruppe und arbeitet 1975 für die Ami-Rauschgiftbehörde DEA. Während er in Mexiko Mohnfelder niederbrennt, freundet er sich mit dem Barrera-Clan an, verhilft dessen Patriarchen und seinen zwei Neffen jedoch unabsichtlich zur Übernahme des landesweit größten Drogenkartells. Später, nach dem Foltermord an einem DEA-Kollegen, werden die Barreras Kellers erbittertste Feinde. Er jagt sie drei Jahrzehnte lang, geht dabei fast drauf und verliert über diese Obsession auch seine Familie.

Das wirklich Spannende und Umwerfende an der epischen Story sind jedoch die Beobachtungen, die Keller über die amerikanische Politik dieser Jahrzehnte macht: die von der CIA ausgebildeten südamerikanischen Todesschwadronen, die Iran-Contra-Affäre, die Ausbeutung durch das ekelerregende NAFTA-Abkommen, die von der eigenen Regierung betriebene Überschwemmung der Vereinigten Staaten (und vor allem ihrer Slums) mit Heroin, Kokain und Crack. Winslow zeigt deutlich, wie eine Supermacht funktioniert - und warum man den USA niemals trauen darf, egal, welche Präsidentenmarionette sie gerade installiert haben. Ein wahres Meisterwerk.

John Sandford - Im Sog des Bösen


Goldmann Tb. 2010

Nach einer derart erbaulichen Lektüre fällt einem viel eher auf, wenn ein Autor zwar routiniert, aber ohne echte Inspiration schreibt. John Sandford zum Beispiel, der mit seinen Thrillern um den Ex-Spieleentwickler und Immer-noch-Polizisten Lucas Davenport wahrscheinlich schon vor einigen Büchern hätte aufhören sollen - aber das ist halt schwierig, wenn man immer in der Bestsellerliste landet. Trotzdem: Im Sog des Bösen, wo Davenport in einer Mordserie unter der Goth-Population Minnesotas ermittelt, erfreut zwar wieder durch die minutiösen und nachvollziehbaren Beschreibungen der Polizeiarbeit, wagt sich aber mit seiner Auflösung auf Brian-De-Palma-Terrain, was dem Roman nicht gerade guttut. Da ist die Nebenhandlung um die Beschattung einer Gangsterbraut schon um einiges witziger und realistischer ...

Ilona Mayer-Zach - Schlangenwald


Wien live/Echomedia Tb. 2010

Aber daß es in Kriminalgeschichten nicht um Realismus gehen muß, wußten ja schon Alfred Hitchcock und Agatha Christie. Letztere ist eindeutig eines der Vorbilder der Autorin Ilona Mayer-Zach, deren beliebte Heldin Paula Ender - selbst Schriftstellerin und Promotion-Texterin - in ihrem dritten Abenteuer Schlangenwald einen willkommenen Ausflug aus der sozialdemokratischen Idylle Wiens macht. Ein Großauftrag führt die Hobbyermittlerin nach Costa Rica, wo sie Werbebroschüren für ein neues Öko-Urlaubsresort recherchieren soll. Dort ist natürlich auch nicht alles so sonnig und freundlich, wie es auf den ersten Blick scheint, also schnüffelt Paula herum, wo sie nicht soll. Und bald erweist sich der Manager der Feriensiedlung, der ihr anfangs so attraktiv schien, als äußerst verdächtiger Charakter. Daß der Roman dann doch nicht "das Spannungsfeld zwischen Tourismus und Ökologie" behandelt, wie der Klappentext so anödend behauptet, ist dem sympathischen Humor der Hauptfigur und dem Können der Autorin zu verdanken. Weil: Wenn’s nicht wahr ist, dann sollte es doch zumindest gut erfunden sein.

Lester Dent - Honey In His Mouth


Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2009

Das gilt natürlich auch für alten und neuen Pulp, wie er in der Reihe Hard Case Crime zur Freude dieser Kolumne seit einigen Jahren regelmäßig erscheint. Das vorliegende Taschenbüchlein mit dem verführerischen Cover, Honey In His Mouth, stammt von Lester Dent, dem Verfasser der wunderbaren Abenteuer um Doc Savage, und wurde 1956 (in wahrscheinlich zwei Wochen) runtergeschrieben. Sein Protagonist Walter Harsh ist A. ein kleiner Gauner und B. alles andere als sympathisch oder C. intelligent. Aber er ist einem südamerikanischen Diktator wie aus dem Gesicht gerissen - was ein paar geldgierige Landsleute des Politikers auf die Idee bringt, mit Hilfe des Doppelgängers an ein paar Millionen Dollar auf den Auslandskonten von „El Presidente“ zu kommen. Walter läßt sich auf das gefährliche Spiel ein, sieht die Chance seines Lebens gekommen, ist jedoch als geborener Loser und mieser Charakter nicht imstande, sie zu nutzen. Bis zum bitteren Ende.

Das übrigens ist entgegen aller Befürchtungen für Hard Case nicht gekommen. Wie vor kurzem verlautete, hat der britische Verlag Titan Books die plötzlich heimatlose Serie gekauft und plant sie ab Herbst 2011 weiterzuführen.

Manche Geschichten gehen ja doch gut aus ...

"Schmauchspuren"

... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Video_ The Strain

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Saugschwengel-Apokalypse

Gegen "The Strain", die Vampir-TV-Serie unter der Schirmherrschaft von Guillermo del Toro, sieht "The Walking Dead" blaß aus. Das Team des Mexikaners schafft einen neuen Rekord beim Qualitätsniveau im Genrefernsehen, wie Klaus Hübner findet.

Die erste Staffel der alles andere als blutleeren Vampirserie "The Strain" dreht sich um Draculas Rückkehr - nach New York City. Kratzt sich jetzt jemand zweifelnd am Kopf? Wäre verständlich. Laßt mir doch die Würde von Bela Lugosi, Christopher Lee, George Hamilton und vielleicht Gary Oldman unangetastet, möchte man einwerfen.

Doch "The Strain" macht einen stumm. Binnen drei Folgen fährt del Toro die Adrenalinpumpe dermaßen auf Hochtouren, daß man ganz schwindlig wird. So aufsehenerregend waren seit "Twin Peaks" nur sehr wenige TV-Episoden. Tatsächlich müssen sich viele Serienmacher, die bislang auf sich stolz sein durften, durch die meilenweit überlegene Ästhetik, das phantastische Erzähltempo und die Klugheit, mit der die Geschichten ineinander verstrickt sind, ein bißchen blamiert fühlen. Da entsteht ein Sog, der jeden Widerstand zwecklos macht. Man will einfach wissen, wie das Monster aus allen düsteren Zwischenwelten der Weltreligionen zur Strecke gebracht wird - oder ob überhaupt.

Nähere Details aus den ersten drei Folgen, die jeden sofort "Muß ich sehen!" schreien lassen würden, wären Spoiler - und sowas machen wir nicht. Der Titel dieser Rezension verrät schon genug. Hier verwandeln sich Menschen jedenfalls in grauenerregende, aggressive Ungeheuer, wie man das seit Cronenbergs "Die Fliege" nicht besser gesehen hat, und Dracula ist ein mutierter Humungus aus der Hölle, den del Toro genüßlich langsam ins Bild rückt. Das treibt den Grusel ordentlich an. Sogar hinter der gefühlstechnisch schwierigen Scheidungsgeschichte des Chefermittlers möchte man mehr vermuten als nur eine "emotionale" Nebenhandlung ...

Also, ganz einfach: erste Folge anschauen, schon hängst du am Haken. Hier ist eine absolute Spitzenkraft des globalen Filmgeschehens am Werk - und Guillermo hängt sie alle ab. Die Serie ist hochgradig aufwühlend, und der Horror geht durch Mark und Bein. Angsthasen bleiben daher lieber bei "Twilight".

 

The Strain

FX Network (USA 2014)

 

Created by: Chuck Hogan & Guillermo del Toro

Darsteller: Richard Sammel, Corey Stoll, Mia Maestro u. a.

EVOLVER-Buch-Tip: Guillermo del Toro u. Chuck Hogan - The Strain

William Morrow (USA 2009)

 

dt. Fassung bei Heyne (D 2010)

Stories_ Calypso Craze

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Calypso is everywhere

Schon "Calypso Craze" - der Titel einer neuen 6-CD/DVD-Box des ambitionierten Raritätenlabels Bear-Family - tut kund, daß dieser Sommer noch einen Tick "heißer" werden kann! Emmerich Thürmer berichtet über die Geschichte eines exotischen Musikstils.

Rocking In The Congo?


In den Annalen der Musikgeschichte sind die fünfziger Jahre eindeutig das Jahrzehnt des Rock´n´Roll und all seiner Spielarten, von Rockabilly bis zum "rockin´ Rhythm´n´Blues". Elvis, Johnny Cash, Bill Haley oder Hank Thompson dominierten die Medien sowohl in der Jugendkultur als auch der Erwachsenenwelt - und Modeszene sowie Charts natürlich genauso. Dennoch waren die Vereinigten Staaten und später auch der Rest der Welt in diesem Jahrzehnt zugleich Anlaufstelle, Zufluchts- oder gar Heimathafen für andere, exotischere Musikstile aus der Ferne, beispielsweise aus der Karibik oder von den polynesischen Inseln (man höre sich nur die wehmütigen Twang-Gitarren der Hillbilly-Cowboys an!).

Folglich schossen neben Rock´n´Roll-Jukejoints einerseits auch diverse Restaurants mit Tiki-Ambiente aus dem Boden, ausstaffiert mit polynesischen Accessoires und musikalischen Pazifik-Perlen in den Jukeboxes, zum anderen avancierte ziemlich genau die Mitte der "rocking Fifties" zum großen Höhepunkt des "Crazy Calypso Sound".

 

 

Auf einmal, für knapp eineinhalb Jahre, hauptsächlich zwischen 1956 und 1957, tobte der "Calypso Carnival" auch im Kulturbetrieb Amerikas: Zum Beispiel wissen nur wenige, daß es kein Elvis-Album war, das erstmals die Millionen-Schallmauer bei den Verkaufszahlen durchbrochen hat, sondern Harry Belafonte mit seinem 1956 erschienenen Album "Calypso". Im Dezember dieses Jahres titelte dann auch das prestigeträchtige Lifestyle-Magazin "Variety" zum Höhepunkt der Calypso-Welle: "Hot Trend: Trinidad Tunes". Und einige ganz vorschnelle Zeitschriften und Kulturexperten intonierten gar schon den Abgesang auf den Rock´n´Roll, wie beispielsweise ein Musikjournalist aus Boston: "Warning: Calypso Next New Beat; RIP for R´n´R?"

Neben Elvis, Perkins und Co. waren plötzlich die Interpreten, Sounds und Beats aus Trinidad, St. Thomas, Nassau oder sogar Kingston überall in den USA zu hören. "Originale" amerikanische Künstler und Ikonen wie Nat King Cole, Louis Armstrong oder Leinwandbösewicht Robert Mitchum zogen musikalisch nach oder legten vor, Wirtschaft und Kulturindustrie machten mit Calypso-Witterung in den Nasen begeistert mit: Kinderspielzeug, Kartenspiele, Szenerestaurants, Nachtclubs und Bars mit Calypso-Cocktails oder -Feeling wie Fischernetzen an der Decke oder Holzbootwandschmuck - die westindischen Inseln als Szenevorbild. Vor allem in der Mode, vom klassischen Strohhut über die berühmten, zu kurzen und etwas abgewetzten Stoffhosen bis zu Lippenstiften - "sways to the rhythm" by Max Factor! - galt das Motto: "Calypso is everywhere".

 

 

The Calypso Way


Rückblende - The History Of The Calypsonian Beat: Calypso war die Party- und Tanzmusik, die eigentliche Volksmusik der Karibik. Im 17. Jahrhundert zusammen mit den afrikanischen Sklaven "angekommen", adäquat zur Geschichte des Rock und Rockabilly aus Jazz und Blues auf dem amerikanischen Kontinent.

Die Wurzel des zweitaktigen Calypso liegt wahrscheinlich auf der Insel Trinidad. Die großen Stars des vor allem für Freizeit, Ablenkung und Karneval komponierten Calypso, z. B. Andre Toussaint, Sir Lancelot, Lord Kitchener oder Mighty Panther musizierten in den 30er, 40er und 50er Jahren, wobei die Texte dieses Sounds trotz der Party-Atmosphäre - oder vielleicht auch gerade deswegen - schon immer vor Witz, (Selbst-)Ironie, Sarkasmus und sozialkritischer Bissigkeit strotzten. Später werden in England manche Calypso-Lieder aufgrund ihres anzüglichen Spotts und ihrer Gesellschaftskritik staatlich indiziert oder ganz verboten: "Working Fo´ The Yankee-Dolla ...." (aus "Rum And Coca-Cola") oder Songs wie "Stone Cold Dead In Thee Market" zum Beispiel. Es war eben eine Musik mit viel Geschichte, Humor und politischem Potential.

 

 

Calypso Craze


Bear Family hat nun als Raritätenlabel zum zweiten Mal diesem Sound eine ganze Box gewidmet. Vor knapp zehn Jahren erschien dort bereits der Vorläufer West Indian Rhythm, Trinidad Calypsos 1938-1940 als 10-CD-Set. Um ein Bindeglied zwischen der damaligen Box und diesem Set zu kreieren und die neue Box als kompositorisches Kunstwerk sinnvoll ins Gesamtkonzept einzufügen, beginnt die erste der sechs CDs von "Calypso Craze" zwecks zeitlicher Einordnung nochmals in der Prä-Durchbruchsphase des Calypso, mit den Hits der Dreißiger, Vierziger und frühen Fünfziger, mit den Ursprüngen auf den Westindischen Inseln, den großen Sängern und Calypso-Combos aus der Karibik und den ersten kleinen, lokalen amerikanischen Zentren. Die zweite Scheibe dokumentiert dann komplett den Calypso-Ausnahmekünstler Harry Belafonte als "The Reluctant Calypso King", dann geht es rasant weiter zum "Zombie Jamboree" und der Großinvasion der Vereinigten Staaten ("Calypso Is Everywhere").

 

 

Dort, in den USA, breitete sich der Sound blitzschnell von den Charts bis ins Kino aus ("Calypso Goes To The Movies"). Es gibt z. B. eine brillante Calypso-Tanzszene in einem Film der Reihe Der dünne Mann mit William Powell und Myrna Loy), und dort okkupierten auch flott die renommierten US-Stars (Fred Astaire, Eartha Kitt, Hank Snow, The Kingston Trio, Nat King Cole und andere) sowohl den erfolgreichen exotischen Beat als auch diverse Ideen aus der Welt des Calypso, "Calypso Across The Pond", bis dessen Soundwaves dann sogar nach England (voller Neid sei hier auf den "Manchester United Calypso" von Eric Connor aus dem Jahre 1957 verwiesen - so einen Kultklassiker wünscht man seinem Lieblingsverein definitiv auch!) und Resteuropa überschwappten, bis zum "weißen Calypso": "Calypso Goes Global" ...

Die zusätzliche DVD in der Box beinhaltet einen äußerst selten Film von 1957: "Calypso Joe" mit Herb Jeffries und Angie Dickinson mit viel toller Musik; dazu vier kurze Filmausschnitte aus den vierziger und fünfziger Jahren. Das Begleitbuch liefert - wie immer bei Bear Family - eine komplette Diskographie und auf 175 Seiten jede Menge informative Texte, illustre Bilder der Künstler, Zeitungsanzeigen und schräges Werbematerial. Eine gelungene, runde Sache!

 

 

Der "Exotica-Hafen" in Nürnbergs Bar-Szene:Die Blume von Hawaii


Calypso-Captain Zack Koma Stingl, Exotica-Experte, Bar-Chef und Tresen-Magier. hat exklusiv für die Bear-Box zwei Calypso-Cocktails kreiert:

 

Calypso Craze:

3 cl Limettensaft

3 cl Falernum

1,5 cl Creme de Cassis

3 cl Barbados-Rum

1 cl J Wray & Nephew Overproof Rum

Auf Eiswürfeln schütteln und in eine Cocktailschale abseihen.

 

Calypso Colada:

2 cl Sahne

3 cl Honigsirup

1 cl Mandelsirup

3 cl dunkler Jamaikarum

3 cl heller kubanischer Rum

6 cl Ananassaft

1 Prise Zimt

Mit einer Schaufel zerkleinertem Eis in einem elektrischen Mixer ca 20 Sekunden laufen lassen.

Als Dekoration einen Spalt Ananas auf den Glasrand - und ein Cocktailschirmchen.

Various Artists - Calypso Craze (1956-57 and beyond)

6-CD/DVD-Box

Bear Family (D 2014)

 

(Photos: Bear Family)

Lokaltip: Die Blume von Hawaii

Cocktails, Calypso & Coolness,

Rosental 15, 90403 Nürnberg

 

(Photo: Alex Küffner)

Groovende Geschichte


West Indian Rhythm

Zehn CDs beleuchten den Karibik-Sound der Jahre 1938 bis 1940 - und der klingt auch heute noch sehr munter. Manfred Prescher lauscht ergriffen dem Hohelied der Perfektion.

Stories_ Rokko´s Adventures im EVOLVER #73

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Im Banne des Skinwalkers


Verfluchtes indianisches Land, eine Ranch, die ihre Besitzer durch allerlei Spuk fast in den Wahnsinn treibt, und ein mysteriöser Milliardär, der UFO-Technologie an sich reißen will. Willkommen am zur Zeit wahrscheinlich berühmtesten paranormalen Hotspot der Welt: der Skinwalker Ranch.

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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Das meiste, was man über die Skinwalker Ranch weiß, entstammt "Hunt For The Skinwalker", dem bislang einzigen offiziellen Buch zu den dortigen Vorfällen, verfaßt von dem Journalisten George Knapp und dem Biochemiker Colm Kelleher. Deswegen zunächst einmal eine Zusammenfassung der wichtigsten Behauptungen des Buches:

 

1994 bezieht die Familie des Landwirts und Viehzüchters Tom Gorman ein rund 200 Hektar großes Grundstück in der Nähe von Fort Duchesne im US-Bundesstaat Utah. Doch was der Beginn einer neuen Existenz sein soll, entpuppt sich schon bald als Konfrontation mit dem Unerklärlichen. Gleich beim Ausladen der Möbel begegnet der Familie ein Riesenwolf, der sich zunächst zahm gibt, dann aber nach einem Kalb schnappt. Der geübte Schütze Tom Gorman macht Gebrauch von Magnum und Jagdgewehr, hat sogar einen Durchschuß zu verzeichnen. Das Tier spaziert scheinbar unverletzt davon; Vater und Sohn nehmen die Verfolgung auf, doch mitten im Morast hören die gut sichtbaren Spuren einfach auf. Einige Tage später steht ein Wolf, viermal so groß wie ein übliches Tier und mit dem Kopf weit über das Dach reichend, neben Ellen Gormans Auto. Obwohl die Nachbarn den Gormans Wölfe bestätigen, verneint die örtliche indianische Polizei vehement deren Vorkommen. Nach einigen Wochen sind die Wolfssichtungen vorbei. Es gibt aber auch Episoden mit anderen Tieren, die plötzlich da sind und nach kurzer Zeit genauso schnell wieder verschwinden, etwa Riesenspinnen oder exotische Vögel.

Dann werden poltergeistartige Ereignisse festgestellt. Beispielsweise findet Ellen Gorman das Handtuch, das sie sich vor dem Duschen hergerichtet hat, trotz verschlossener Badezimmertür in der Mikrowelle wieder. Einmal räumt sie den Einkauf aus, geht kurz duschen, und als sie anschließend wieder in die Küche kommt, stehen die vollgepackten Einkaufstaschen wieder da. Tom legt seinen Stangenlochbohrer ab, dreht sich zur Seite, und als er wieder hinschaut, ist er weg. Er findet ihn zwei Tage später sechs Meter hoch in einem Baum wieder.

Es gibt auch seltsame Flugobjekte, etwa einen vermeintlichen Campingwagen, der plötzlich über den Zaun hinwegschwebt und sich bei näherer Betrachtung als kühlschrankförmiges Fluggerät herausstellt. Oder eine Art kleinen, lautlosen, mit bunten Lichtern bestückten Tarnkappenbomber, der den Boden mit Scheinwerfern absucht und auf das Geräusch von Toms knacksenden Knochen mit Davonfliegen reagiert. Einmal taucht das Objekt - den Boden mit roten, grünen, blauen und gelben Lichtern beleuchtend - über Ellens Auto auf. Als sie später nach Hause kommt, entdeckt sie bei einem Blick aus dem Fenster einen hellerleuchteten Wohnwagen. Darin sitzt eine schwarze Gestalt hinter einem Tisch, steht auf, tritt aus einer beleuchteten Tür heraus und starrt sie geradewegs an. Tom, der aus geschäftlichen Gründen über Nacht weg war, findet am nächsten Tag dort, wo der bestiefelte und einen Visierhelm tragende Mann gestanden haben muß, 50 Zentimeter lange Fußspuren.

Zirka zwei Kilometer westlich vom Wohnhaus erscheinen immer wieder sonderbare orange Strukturen am Himmel. Je nach Entfernung und Blickwinkel sehen sie komplett unterschiedlich aus, einmal wie eine untergehende Sonne, dann wieder wie eine schmale Wolke - vom Haus aus jedoch wie ein dreidimensionaler Tunnel. Oft hat Tom das Gefühl, dadurch in den Himmel einer anderen Welt zu schauen. Einmal sieht er gar ein schwarzes Dreiecksflugzeug herausfliegen.

Rinder verschwinden, eine Kuh etwa mitten in einem Schneesturm. Tom verfolgt ihre auf immer schnelleres Laufen hindeutenden Spuren im Schnee, bis sie auf einer Lichtung einfach aufhören. Rinder werden verstümmelt. Beispielsweise entdeckt Tom eine Kuh, die aus einem Wasserloch nicht herauskann, muß aber noch schnell ein Kalb einfangen. Es vergehen kaum 20 Minuten, bis er wieder bei der Kuh ist, nur um sie reglos im Wasser liegend vorzufinden. Sie ist förmlich zersäbelt, ein 15 Zentimeter breites Loch in sie hineingebohrt. Einer anderen Kuh werden Hinterleib und Ohr abgetrennt, alle Fortpflanzungsorgane herausgeschnitten. Neben dem Tier entdeckt Tom eine fremdartig riechende, braun spiegelnde und sich kühl anfühlende Flüssigkeit, die aber verdampft, bevor er sie einsammeln kann. Immer weisen die Tiere Präzisionsschnitte auf, wie sie nur in einem elaborierten Operationsverfahren möglich sind. Manche verwesen außergewöhnlich langsam. Der Boden am Tatort ist stets, die Tiere meist blutleer.

Einmal kommt ein Mann angereist, weil ihm eine innere Stimme befohlen hat, auf dem Grundstück zu meditieren. Tom und sein Sohn sehen ihm belustigt zu und hören plötzlich Kuhglocken in den Bäumen, obwohl ihre Kühe keine tragen. Dann sehen sie ein monströses Wesen, das aber durch eine Art Hitzeverzerrungseffekt nur schwer im Detail auszumachen ist, aus den Bäumen herausschießen und direkt auf den Meditierenden zulaufen. Gerade als Tom den Mann warnen will, bleibt die Kreatur stehen, brüllt laut, läuft wieder weg und löst sich in einzelne Pixel auf.

Orbs - in irrwitzigen, scheinbar intelligent gesteuerten Manövern herumfliegende Lichtbälle - sind allgegenwärtig. Weiße, rote, blaue. Eines Frühlingstags beobachten Tom und Ellen, wie ein blauer Orb um ihre Pferde herumschwirrt, als das Ding plötzlich direkt auf sie Kurs nimmt und in etwa fünf Metern Entfernung in der Luft verharrt. Es hat die dreifache Größe eines Baseballs, eine klar umrissene, glasartige Außenseite und scheint mit einer Art wallender Flüssigkeit gefüllt zu sein. Elektrostatisches Knistern ist zu hören. Die Gormans werden von einem überwältigenden Angstgefühl erfaßt, das nicht einmal Tom, der schon zweimal in Lebensgefahr gewesen ist, so kennt. Erst als Ellen ihre Taschenlampe auf den Orb richtet, läßt er von ihnen ab. Obwohl beide wissen, daß die Furcht künstlich erzeugt worden ist, sacken sie schweißüberströmt und weinend zusammen. Als sie später erschöpft im Bett liegen, sehen sie durchs Schlafzimmerfenster den blauen Orb am Haus vorbeiziehen. Dabei flackern die Lichter im Haus. Einige Zeit später wird Tom wieder von einem blauen Orb angeflogen, woraufhin er seine drei Treibhunde darauf hetzt. Der Orb spielt mit den Tieren, läßt sie herankommen und zuschnappen, weicht aus, lockt sie so Stück für Stück weiter weg, bis hinter ein Gebüsch. Dann hört Tom nur noch angsterfülltes Winseln und todeskampfgleiches Geheul. Er traut sich erst am nächsten Morgen nachzusehen - und findet bloß drei kreisrunde Flecken aus schwarzer Fettmasse.

Ab dem grausamen Tod der Hunde steht für die Gormans fest, daß die Ranch verkauft werden muß, nicht zuletzt auch, weil die Familie am Rande des finanziellen und persönlichen Ruins ist. Die beiden Kinder, einst Vorzugsschüler, haben sich in der Schule drastisch verschlechtert. Ellen hat ihren Job verloren. Vor lauter Angst schläft die Familie gemeinsam in einem Raum. Und Toms Vermögen und Zukunftsinvestition, sein kostbarerer Zuchttierbestand, wird von einem geheimnisvollen Eindringling, dem er nicht und nicht auf die Schliche kommen kann, dahingemeuchelt. In einem letzten Versuch, die Täter bloßzustellen, wendet sich Tom an den Reporter Zack Van Eyck von den "Deseret News", der zweitgrößten Zeitung Utahs. Dessen Artikel gelangt an den Hotel-Milliardär Robert Bigelow, der gerade erst die paranormale Forschergruppe NIDS (National Institut for Discovery Science) gegründet hat und die Ranch prompt für ein erstes Forschungsprojekt kauft.

 

NIDS: Die Untersuchungen

 

Unter der Leitung von Colm Kelleher nimmt im September 1996 ein mit jeder Menge mobilem Hochleistungsequipment - Magnetfeldsensor, Elektrofeldmeter, Alpha-, Beta- und Gamma- Röntgenstrahlendetektoren, Spektrometer, Infrarotsichtgeräte, Videokameras - ausgestatteter Wissenschaftlertrupp (die einzelnen Forscher wollten im Buch nicht namentlich genannt werden) die Untersuchungen auf. Die Gormans beziehen ein 70 Kilometer entferntes Anwesen; Tom kümmert sich für NIDS um seine alte Ranch und wird Teil des Projekts. Da Kühe das Phänomen zu verstärken scheinen, kauft NIDS ihm einen Teil seines Viehbestands ab. Bei der Erstbegehung des Terrains stoßen die Forscher prompt auf die ersten verstümmelten Rinder, zwei bei einem Nachbarn und eines auf eigenem Grund. Ausführliche Interviews mit den freundlichen, aber sehr reservierten Einheimischen werden geführt. Einige wenige berichten von ähnlichen Dingen, wie sie auch die Gormans erlebt haben - Lichter, Dreiecksflugkörper, Tierverstümmelungen. Ein sichtlich schockierter Nachbar erzählt, daß er einmal eine Kuh mit zwei gebrochenen Beinen fand, schnell eine Bergungsdecke holen ging, doch das Tier verschwunden war, als er ein paar Minuten später zurückkam. Als er einige Stunden später aus dem Fenster schaute, lag sie gut 50 Meter neben dem ersten Fundort und hatte vier gebrochene Beine. Die ansässigen Ute-Indianer sind weniger reserviert und erzählen recht freimütig von seit Jahrzehnten anhaltenden Sichtungen von seltsamen Flugobjekten und Lichtern.

Bei den nachfolgend zusammengefaßten markantesten Geschehnissen ist NIDS nicht immer direkt vor Ort, sondern kommt oft erst nach einem Anruf Toms per jederzeit startbereitem Privatjet vom Stützpunkt in Los Angeles leicht zeitverzögert hinzu.

NIDS sichtet und filmt wiederholt UFOs und Orbs, die Flugmanöver vollführen, die mit irdischer Technologie nicht denkbar sind. Ein blauer Orb, den das Team mit einem Suchscheinwerfer anleuchtet, reagiert und verschwindet in den Bäumen, woraufhin dort ein diffuser schwarzer Nebel erscheint und einer der Wissenschaftler telepathisch attackiert wird; er schreit plötzlich auf, verkündet, das Ding sei in ihm und hätte ihm mitgeteilt, daß sie beobachtet würden.

Die Tierverstümmelungen gehen weiter. Einmal mehr oder weniger hinter Toms Rücken, in aller Schnelle und Stille und wieder, ohne daß auch nur ein Tropfen Blut vergossen worden wäre. Ein anderes Mal sind die brutal auseinandergerissenen Teile eines Kalbs sorgfältig am Boden ausgelegt - das Ohr, das Tom kurz zuvor noch mit einer Ohrmarke versehen hat, fein säuberlich abgetrennt und nicht aufzufinden. Zur Untersuchung einer Verstümmelung werden zwei Veterinärmediziner, ein junger und ein alter, herangezogen. Allen bis auf den alten Veterinär ist klar, daß sie es nicht mit einer Raubtierattacke zu tun haben können, was auch vom jungen Veterinär bestätigt wird. Dann aber nimmt der alte den jungen beiseite und redet auf ihn ein, bis der schließlich seine Meinung ändert.

Hunde und Rinder verschwinden. Vier vermißte Stiere werden von Tom in einem Container, der nur durch ein nach wie vor versperrtes Gatter zu erreichen ist, wiedergefunden. Darin eingepfercht, stehen sie apathisch herum, und erst als Tom sie anschreit, erwachen sie aus ihrer Trance und geraten in Panik. NIDS mißt am Tatort ein sehr starkes Magnetfeld an. In einer Nacht, in der gelbe Orbs wild herumfliegen und die Hunde nervös heulen, entdeckt das Team in einem Baum die leuchtenden Augen eines Tiers. Tom schießt, meint getroffen zu haben, doch bis auf einen Krallenabdruck, der wie der eines Flugsauriers aussieht, ist nichts zu finden. Ein skurriles hyänenartiges Tier mit buschigem Schwanz und viel zu großem Kopf jagt und verletzt Toms Pferde und verschwindet spurlos inmitten eines offenen Felds. Einer der Wissenschaftler beschließt, das Phänomen mit Meditation herauszufordern, woraufhin eine gelbe Struktur am Himmel erscheint, die sich - durch das Nachtsichtgerät betrachtet - als größer werdender Tunnel erweist, aus dem ein schwarzes Wesen herausgekrochen kommt und in die Nacht hineinspaziert. Dort, wo der Tunnel gewesen sein muß, nimmt NIDS einen seltsamen Moschusgestank wahr; de facto stoßen die Wissenschaftler immer wieder, selbst in geschlossenen Räumen, auf diesen Geruch.

Einer der letzten Versuche, das Phänomen dingfest zu machen, ist der Aufbau von sechs Überwachungskameras an einem der aktivitätsreichsten Punkte der Ranch. Monatelang geschieht nichts, dann fallen drei Kameras plötzlich aus, werden von NIDS schwer zerstört vorgefunden. Da sie im Sichtfeld einer anderen Kamera waren, müßten die vermeintlichen Vandalen gefilmt worden sein. Doch an der Zeitmarkierung, die mit dem Ausfall der Kameras übereinstimmt, ist nichts zu entdecken, auch bei einer späteren digitalen Ausarbeitung des Videomaterials nicht.

Nach 1999 nimmt laut Kelleher und Knapp die paranormale Aktivität komplett ab - und mit 2004 soll NIDS das Feld gänzlich geräumt und den Fall aufgegeben haben.

 

NIDS: Die Schlußfolgerungen

 

Hinsichtlich möglicher Erklärungen ist NIDS allen nur erdenklichen Szenarien nachgegangen. Dabei stellt sich zuallererst die Frage nach einem möglichen Schwindel; auch deshalb, weil die meisten Dinge Tom widerfuhren und die Untersucher erst nachträglich dazukamen. NIDS schließt diese Möglichkeit nicht aus, weist aber darauf hin, daß sehr viel von dem Geschehenen selbst mit größtem logistischem Aufwand nicht durchführbar gewesen wäre.

Dann war zu klären, ob das auf der Ranch Erlebte eine psychiatrische, eventuell an ein spezielles Naturphänomen gekoppelte Ursache hatte. War es eine Form der Folie à deux? Löste irgendetwas nichtorganische Psychosen aus? Bluttests wurden gemacht, Streßhormone gemessen, seismische und elektromagnetische Daten ausgewertet, das Wasser nach Halluzinogenen, Luft und Boden nach psychoaktiven Pilzsporen untersucht. Doch man fand nichts.

Eine andere heiße Spur war das Militär - Toms Lieblingshypothese. Hatte er nicht immer wieder unterirdisches metallisches Gepolter gehört? War die Gegend nicht ungefähr seit Erstarkung des sogenannten militärisch-industriellen Komplexes ein UFO-Hotspot geworden? Hatte das Militär nicht in der Vergangenheit bewiesenermaßen vermeintliche UFOs als Mittel der psychologischen Kriegsführung getestet? NIDS beauftragte als komplementäre Forschungsergänzung fünf Fernwahrnehmer, die zwar nie von dem Fall gehört hatten, trotzdem aber teilweise extrem detailgetreu die Ranch und deren Umgebung beschreiben konnten. An jenen Orten, die immer wieder im Mittelpunkt seltsamer Begebenheiten standen, nahmen sie fremdartige Energiewirbel wahr. Sie visualisierten unter anderem Roboterdrohnen, US-Navy-Personal, ein US-Navy-Schiff, unterirdische elektronische Netzwerke, spürten Angst und Furcht und kamen zu dem Schluß, daß eine militärische Beteiligung sehr wahrscheinlich sei.

Dann gibt es die Verbindung zur indianischen Mythologie, die auch dem Buch seinen Titel gibt. In Utah gibt es eine konfliktreiche Geschichte zwischen den Navajo und den Ute. Die Ute hatten in der Vergangenheit unzählige Angehörige der Navajo als Sklaven verkauft, und auch im späteren amerikanischen Bürgerkrieg allerlei Grausamkeiten unter ihnen angerichtet. Deswegen glauben die Ute, daß sie als Rache mit dem Fluch des Skinwalkers belegt worden sind. Der ist ein bösartiger Zauberer, der sich, indem er ein Fell des entsprechenden Tiers trägt, in praktisch jedes nur erdenkliche Lebewesen verwandeln und dessen gesamte Fähigkeiten und Kräfte erlangen kann. Auch soll er Geist und Körper anderer kontrollieren können. Die Ute behaupten, daß seit rund 15 Generationen der Skinwalker das Uinta-Becken heimsucht und sein Hauptterritorium der nahe der Ranch gelegene Dark Canyon ist. Auch gibt es eine Häufung mysteriöser Todesfälle im nahen Bottle-Hollow-Wasserreservoire, auf dessen Grund immer wieder schlangenartige Wesen gesichtet werden. NIDS schlußfolgert, daß die Skinwalker-Legende bloß als indianisches Deutungsmuster für das nicht erklärbare - auch kryptozoologische - Geschehen im Uinta-Becken zu werten ist.

Insgesamt neigt NIDS zu einer Erklärung, die sich an der sogenannten Neuen Physik orientiert und parallele Welten, andere Dimensionen, Wurmlöcher, zeitliche Verschiebungen oder ähnliches vermutet - die tunnelartigen Himmelsportale werden als Indiz dafür gewertet. Auch wäre eine präkognitive, nichtmenschliche Intelligenz denkbar, die mit den Emotionen der Betroffenen interagiert. Oder eine Bewußtseinsform, die uns dermaßen fremd und überlegen ist, daß wir sie - etwa so wie Insekten uns - gar nicht richtig wahrnehmen können. Oder eine, die mit uns spielt und immer einen Schritt voraus ist, was natürlich jegliche wissenschaftliche Reproduzierbarkeit unmöglich macht; auch im vorliegenden Fall, wie NIDS sich selbst eingestehen muß. Außer signifikanten Zeugenaussagen, subjektiv Erlebtem und Aufnahmen verschwommener Lichter seien keine brauchbaren Daten im Sinne wissenschaftlicher Verwertbarkeit gesammelt worden, weswegen diese auch unter Verschluß blieben. So zumindest lautet die offizielle Begründung für eine für Robert Bigelow nicht untypische Vorgehensweise, und es stellt sich die Frage nach seinen Motiven und der Akkuratesse des Buches. Allerhöchste Zeit, sich nach anderen Quellen umzusehen.

 

Zur Fortsetzung ...

aus: Rokko´s Adventures #13

Text: Daniel Krčál

Photos: © FSA Archive, LOC; Hersteller

 

Literaturverzeichnis:

 

Colm A. Kelleher, Ph. D./ George Knapp: "Hunt for the Skinwalker - Science Confronts the Unexplained at a Remote Ranch in Utah", Paraview Pocket Books 2005

 

Frank B. Salisbury: "The Utah UFO Display - A Scientist Brings Reason and Logic to Over 400 UFO Sightings in Utah´s Uintah Basin", Cedar Fort Inc 2010

 

John B. Alexander: "UFOs - Mythen, Verschwörungen und Fakten", Kopp, Rottenburg 2013


Kolumnen_ Miststück der Woche III/91 - Leserwunsch #1

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The Smiths: "There´s A Light That Never Goes Out"


Das große Jubiläum rückt näher. In zehn Wochen feiern wir gemeinsam die 300. Ausgabe dieser Kolumne. Zu diesem Behufe beschenkt Euch Manfred Prescher mit ganz besonderen Texten: Er erfüllt Eure Wünsche. Das Beste daran ist das Beste darin, denn das macht er – so Ihr fleißig Eure Lieblings-, Herzens- oder Sonstwassongs ins Gesichtsbuch postet – bis zum Miststück Nummer 400. Wohlan denn also!

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

Mit der Jugend verhält es sich so: Es ist eine ziemlich fiese Zeit. In der der Weltschmerz auf den zerbrechlichen Schultern lastet und man sich unendlich allein fühlt. Besonders für Hochsensible sind die Pubertät und die daran anschließenden Jahre eher ein schlimmes Fanal in Richtung einer noch schlimmeren Welt. Nicht wenige Menschen verfassen daher meist ziemlich krude Gedichte oder Lieder. So schrieb beispielsweise Morrissey im nicht mehr ganz so zarten, sondern eben doch schon an der Welt gehärteten Alter von 26 Jahren eine Hymne für intelligente Teenager, die am Lauf der Dinge um sie herum herumverzagen. Ich meinerseits verfaßte damals Gedichte, die ab und zu durchaus auch Zeiten überdauern konnten, aber doch oft vom Geist der verlorenen Kindheitsunschuld geprägt waren. Das hier hab ich vorhin in der Asservatenkammer meiner Seele wiedergefunden: Es heißt "Arschloch im Quadrat" und ist einem Freund gewidmet, der für mich damals so etwas ähnliches war wie Johnny Marr für Morrissey:

 

"Sitzend zur Rechten/Seiner Schreibtischlampe/Die traurig am Kabel hängt/Wie er am Rest seines Daseins/Sitzend zur Rechten/Dieser Lampe/Stellte er im Gegensatz zu dieser/Sein Licht unter den Scheffel/Wobei es ausging."

 

Doch genug von mir. Für die Leserin, die sich "There’s A Light That Never Goes Out" gewünscht hat, war dieses Lied auf jeden Fall von zentraler Bedeutung. So viel ist amtlich. Es bedeutete ihr, gab sie mir mit auf den Weg durch die Kolumne, als junge Frau sehr viel. Der Song gehört einfach zu den Liedern, die einen wichtigen Bereich ihres Lebens, ihrer Biografie begleitet haben. Versuchen wir mal, zu ergründen, warum das so war. Praktischerweise mag ich diesen Song der Smiths selber sehr gern, also gehe ich im eigenen Schwurbel auf Spurensuche.

Ich finde, daß Marr als Komponist und Morrisey als Textschreiber mehr als in jedem anderen Smiths-Song harmonieren. Das fand wohl auch die Plattenfirma, die das Kleinod 1992 als Single herausbrachte. Was aber, bei Lichte betrachtet, wohl doch eher daran lag, daß es die Schmidts zu diesem Zeitpunkt schon ein schnelllebiges halbes Jahrzehnt lang nicht mehr gab, daß die Gruppe ein eigentlich gar nicht so umfangreiches Werk hinterließ und dennoch immer weiter geliebt, neu entdeckt und gewürdigt worden war. Deshalb erschien 1992 erst eine und dann noch eine "Best"-CD. Auf der zweiten ist dieses bereits 1985 geschriebene Lied zu finden, das die juvenilen Fans natürlich schon bei der Erstveröffentlichung liebten. Es ist der vorletzte Track des dritten Smiths-Albums "The Queen is Dead", dem Opus magnum der Band aus Manchester. Es ragt als Erster unter Gleichen heraus, ist der "Pink Star" unter den musikalischen Diamanten dieser Platte. Für die Schlauberger, die gern mit Halbwissen brillieren wollen: Der "Pink Star" ist keine Apfelsorte, denn die heißt nämlich "Pink Lady", sondern einer der wertvollsten Edelsteine der Welt.

Vielleicht funkelt "There’s A Light That Never Goes Out" nur unter Teenagern wirklich luzid? Ich bin nicht sicher, ob man den Song nur versteht und zu einem Teil von sich werden läßt, wenn man ihn in der Lebensphase zwischen Kind- und Erwachsenenalter für sich entdeckt. Ich konnte ihn auf jeden Fall als Twen unmittelbar verstehen, erfühlen, ihn tatsächlich unter die Haut und in die Seele gehen lassen. Hätte er mich noch mehr getroffen, wenn ich ihn mit 15 statt mit 25 erstmals gehört hätte? Vielleicht hätte er mich unmittelbarer berührt. Auf jeden Fall war die Zeit, von der Morrissey erzählt, für mich damals noch sehr präsent: Als Teenager wünschte ich mir oft,  weit weg von zuhause zu sein. Am besten irgendwo auf einem anderen Planeten, wo nichts an die innerlich schon längst toten Eltern erinnern würde. Wo kein Wort der Verständnislosigkeit die Atmosphäre praktisch so vergiftet, daß man bei jedem Atemzug vermeint, ersticken zu müssen. Es war mir natürlich klar, daß dieser Ort hier auf der Erde nicht zu finden war, daß es hier praktisch überall kalt und unwirklich ist – und daß man höchstens in der eigenen Phantasie irgendwo in die Beteigeuze reisen kann. Was bleibt, sind dann Selbstmordphantasien, unterfüttert mit Büchern wie Carl Amerys "Hand an sich legen" oder Filmen wie "Rebel Without A Cause" mit James Dean, der den tragischen, an der Welt verzweifelnden jungen Mann spielt.

Ja irgendwie träumte ich damals auch noch von einer unsterblichen Liebe und davon, endlich so angenommen zu werden, wie ich bin. Mit all den Fragen, auf die ich keine Antwort wußte, den vermeintlichen Unzulänglichkeiten - und ohne Liebe nur gegen Leistung zu erhalten. Sondern einfach so. Bedingungslos. Ganz freiwillig. Heute weiß ich genauso wie Morrissey – man höre sich nur mal auf seiner aktuellen CD "World Peace Is None Of Your Business" um – daß dieses Ideal von Liebe sehr romantisch überhöht ist. Aber ich hätte trotzdem immer noch gern eine Beziehung, die ewig hält und die trägt, weil man den anderen so schätzt wie er ist.


Unsterbliche Liebe hat aber immer auch einen bitteren Beigeschmack – egal, ob bei Shakespeare, Emily Brontë  oder eben Steven Patrick Morrissey. Man liebt sich über den Tod hinaus, das Licht, das nie ausgeht, steht als Synonym für eine Fortsetzung im Jenseits, also an einem magischen Ort, an dem man diese Liebe ausleben kann. Bei Katholiken und Juden ist es das Symbol der ständigen Gegenwart Gottes – es spendet Trost in finsteren Zeiten und läßt die Gläubigen auf eine bessere, jenseitige Welt hoffen.

Unsere Welt ist schließlich schlecht: Als ich 15 war, war ich mit einem Mädchen zusammen, das ich wirklich sehr gern hatte. Meine Mutter intrigierte gegen die Beziehung, in dem sie erst die an mich gerichteten Briefe unter Wasserdampf öffnete und später gleich komplett vernichtete, bevor ich sie überhaupt zu Gesicht bekam. Um uns und unsere Liebe zu schützen, errichteten wir für uns einen geheimen Ort, der aber letztlich nicht so geheim war, daß er nicht doch entdeckt wurde. Wir waren verzweifelt, beschlossen aber nicht, gemeinsam in den Tod zu gehen. Doch der Gedanke daran lag in unmittelbarer Nähe. Morrissey griff ihn dann tatsächlich auf und verwandelte ihn in klare Worte: "And if a double-decker bus/Crashes into us/To die by your side/Is such a heavenly way to die/And if a ten-ton truck/Kills the both of us/To die by your side/Well, the pleasure – the privilege is mine". Ja, da traute sich endlich mal jemand, solche Gedanken zu thematisieren, was ich ich damals tatsächlich ziemlich tröstlich und cool fand.

 

 

"There’s A Light That Never Goes Out" ist ganz sicher einer der am wenigsten zynischen, wohl aber authentischten Texte von Morrissey. Er geht direkt ins Herz und auf die Tränendrüsen: "To die by your side is such a heavenly way to die", das ist so eine schöne, unglaubliche Textzeile – aus Teenager-Sicht wohlgemerkt. Später weiß man es eh besser: Eine echte Liebe in einer Partnerschaft bedeutet, daß man den anderen leben läßt. Man kann sich aber, finde ich, immer noch ab und an gemeinsam gegen den Unbill auf dieser Welt zur Wehr setzen. Die Geister der eigenen Kindheit muß man allerdings selber verjagen. Auch dafür hat Morrissey das eine oder andere Lied parat: "The Father Who Must Be Killed" oder "I Have Forgiven Jesus" zum Beispiel.

Doch zurück zu "There Is A Light That Never Goes Out": Dafür sollte man Morrissey und Marr auf ewig dankbar sein. Ich bin es, wie schätzungsweise auch die Leserin, die sich das Lied wünschte, ganz eindeutig – nicht nur wegen des Textes. Sondern auch wegen der ergreifenden, eben unsterblichen Melodie, die mich heute in Moll und mit Flötentönen auf eine Zeitreise mitnehmen kann und immer noch über Schmerzen hinwegzutrösten weiß.  

Ich gehe jetzt erst einmal in die Kathedrale meines Herzens, schau nach, ob das ewige Licht darin noch brennt. Nächste Woche geht es hier in einem weiteren Wunschlied um das Ende einer Beziehung. Eine Leserin wünschte sich den steinalten Country-Hit "D-I-V-O-R-C-E" von Tammy Wynette. Und auch Ihr könnt Euch fleißig Songs heraussuchen, über die ich mir Gedanken machen soll. Ich finde das ungeheuer spannend und hoffe, Euch geht es genauso. Paßt auf, daß Euch die Kerzen, Energiesparlampen oder Xenonscheinwerfer nicht ausgehen. Wenn doch, verrät die "Rocky Horror Picture Show" wo Ihr Licht finden könnt: "There’s a light over at the Frankenstein Place."

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER


Stories_ Rokko´s Adventures im EVOLVER #74

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The answer, my friend ...


Welches Geheimnis sich hinter den Geschehnissen auf der Skinwalker Ranch im Bundesstaat Utah verbirgt, werden wir wohl nie erfahren. Daniel Krčál hat es jedoch keine Ruhe gelassen - und so ging er für Team Rokko auf Forschungsreise in Sachen Skinwalker: Mythen, Verschwörungen und Fakten.

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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Verfluchtes indianisches Land, eine Ranch, die ihre Besitzer durch allerlei Spuk fast in den Wahnsinn treibt, und eine mysteriöser Milliardär, der UFO-Technologie an sich reißen will. Willkommen am zur Zeit wahrscheinlich berühmtesten paranormalen Hotspot der Welt: der Skinwalker Ranch. Lesen Sie hier den ersten Teil.

 

 

Die Gormans gibt es wirklich und sie heißen Shermans. Die NIDS-Wissenschaftler sind im großen und ganzen die üblichen Verdächtigen, wenn es um die Erforschung des Übersinnlichen geht - etwa der legendäre UFO-Forscher Jacques Vallée, der bestätigt, daß unerklärliche Dinge geschahen, sich aber sonst strikt an Bigelows Schweigepakt hält. Gleich vier der Involvierten sind dafür bekannt, maßgebliche Akteure bei geheimdienstlichen und militärischen Programmen zur Nutzbarmachung paranormaler Phänomene gewesen zu sein: Christopher Kit Green, Eric Davis, Harold E. Puthoff und John B. Alexander (dessen Geschichte im Film "Männer, die auf Ziegen starren" erzählt wird). Davis bestätigt die telepathische Attacke. Er sei mit all seinen Sinnen wie eingefroren gewesen, während aus dem Nebel, den er als multiple Intelligenz empfunden habe, eine Vielzahl an Stimmen in seinen Kopf gedrungen sei. Alexander geht in seinem 2011 erschienen Buch "UFOs - Myths, Conspiracies and Realities" auf die Skinwalker Ranch ein und verrät zwei interessante Details zum Kamera-Vorfall. Auf den Bändern, die den Vorfall hätten zeigen müssen, sind Kühe zu sehen, die unaufgeregt weitergrasen, was dafür spricht, daß tatsächlich niemand zugegen ist. Andererseits ergaben die Untersuchungen, daß die Kabel mit einem rostigen Gegenstand zerschnitten wurden, was wiederum menschlich klingt. Doch im Bruchteil einer Sekunde und ohne gefilmt zu werden?

Ein Buch, auf das sich "Hunt For The Skinwalker" bei der Beschreibung von Utah als UFO-Hotspot bezieht, ist das 1974 erschienene "The Utah UFO Display" von Frank B. Salisbury. In Utah, so sagt man, habe mindestens die Hälfte der Bevölkerung schon ein UFO-Erlebnis gehabt; selbst in den Berichten der spanischen Eroberer gibt es UFO-Beschreibungen. Doch darüber geredet wird in dem mormonisch geprägten Land höchstens hinter vorgehaltener Hand. Dem Lehrer Joseph Junior Hicks gelang es kraft seiner lokalen Eingebundenheit, dennoch viele zu einer Aussage zu bewegen. Mehr als 400 Fälle hat Salisbury für sein Buch aufgegriffen und erweitert. In der Neuauflage von 2010 fügte er ein Kapitel hinzu, in dem er der Faktenlage rund um die Skinwalker Ranch nachgeht. Nicht alles, was in "Hunt For The Skinwalker" steht, scheint ganz korrekt zu sein.

So wird behauptet, die Ranch sei jahrelang unbewohnt und noch länger schon allseits bekannter Hotspot gewesen. Auch seien alle Fenster und Türen des Wohnhauses mit massiven Schlössern abgesichert und dicke Hundeketten bei den Eingängen angebracht gewesen. Außerdem habe der Mietvertrag einen obskuren Grabeverbot-Passus beinhaltet; und tatsächlich, immer wieder, so behauptet das Buch, seien bei Arbeiten im Erdreich paranormale Aktivitäten getriggert worden. Der Schwager der Vorbesitzerin, Garth Myers, widerspricht alldem. Bis zuletzt habe seine Schwägerin dort gewohnt und nur einen dreibeinigen Hund gehabt. Nie habe sie - oder zu Lebzeiten ihr Mann Kenneth - ihm auch nur andeutungsweise von seltsamen Erlebnissen berichtet. Und im Mietvertrag seien bloß Ölrechte geregelt gewesen. Allerdings, räumt Salisbury ein, ist Myers ein Skeptiker, der alles, was mit UFOs oder Paranormalem zu tun hat, rigoros ablehnt, und es könnte immerhin sein, daß ihm genau deswegen nie etwas erzählt wurde.

Salisbury gelingt auch ein kurzes telefonisches Interview mit dem medienscheuen Terry Sherman. Bezüglich der Vorgeschichte der Ranch bestätigt dieser Garth Myers Version. Außerdem habe er bis zu dessen Erscheinen nichts vom Buch gewußt, George Knapp habe ihn nur einmal kurz angerufen, aber keine weiterführenden Fragen gestellt. Grundsätzlich stimme aber, was im Buch steht, wenn auch manche Ereignisse recht verfremdet dargestellt und andere wieder komplett weggelassen worden seien. Daß ihm auch Nachbarn von außersinnlichen Erlebnissen erzählt hätten, bestätigt Tom.

Einer dieser Nachbarn ist John Garcia, in "Hunt For The Skinwalker" Mr. Gonzales genannt. Seit den 1970ern ortsansässig, will er schon Seltsames gesehen haben, als noch die Myers auf der Ranch lebten ( etwa ein hausgroßes UFO), glaubt aber nicht, daß diese davon etwas mitbekommen hätten. Charles Winn, ein anderer Nachbar, erzählt Salisbury, daß ihn 1997 - also, als NIDS schon involviert war - eines Nachts ein lautloser Lichtball gejagt habe. Er habe sich nur durch einen Sprung in den Wassergraben retten können, und dann sei das Licht direkt auf einen Felsen zugeflogen und habe sich, gleich einem Hologramm, in Luft aufgelöst. Ihm zufolge habe Kenneth Myers tatsächlich immer wieder bekundet, daß man nicht zu tief graben dürfe, weil sonst üble Dinge geschähen. Und daß weiß-blaue Lichter in seine Schränke hineinfliegen würden, weswegen er extra Schlösser montiert habe.

 

Es gibt aber auch noch andere, die sich abseits von Robert Bigelows Einfluß der Erforschung von Ranch und Umgebung verschrieben haben.

Christopher O´Brien kannte den Fall noch vor NIDS und beanstandet chronologische Fehler in "Hunt For The Skinwalker". Er hat schon Paranormales rund um die Ranch erlebt - Orbs oder versagende Elektrogeräte beispielsweise.

Ryan Burns vermutet, daß die paranormale Aktivität durch geologische Besonderheiten (beispielsweise das weltweit einzige Vorkommen natürlichen Gilsonits) und Hochspannungsleitungen, die direkt neben der Ranch verlaufen, verstärkt wird. Er selbst habe schon einmal einen Riesenwolf beobachtet, der sich in eine Hyäne verwandelt hat. In der Gegend gebe es alte indianische Petroglyphen, die UFOs zeigen. Orbs seien den Bewohnern seit jeher als ghost lights bekannt. Es gebe auch Sichtungen von klassischen Aliens, und J. Allen Hynek habe in der Region für das "Project Blue Book" Entführungen durch Außerirdische untersucht. Schwarze Fluggefährte - Dreiecke, Helikopter und eine Art bodenabsuchende Drohne - würden ständig gesichtet; seiner Meinung nach ein Zeichen für militärische Aktivitäten. Außerdem würden, dem Beispiel Bigelows folgend, jede Menge Privatleute weitere Ranches als vermeintliche Hotspots aufkaufen, deren bewaffnete Securities wahllos Autofahrer anhielten und bedrohten. Burns Beobachtungen von seltsamen Tieffliegern und dubiosen Privatarmeen könnten aber natürlich auch auf Drogengeschäfte hinweisen; immerhin gibt es in "Hunt For The Skinwalker" eine kurze Erwähnung regen Schmuggelflugverkehrs. Ganz aktuell ist es Burns gelungen, das immer wieder auftretende Tunnelphänomen mitsamt daraus herausfliegenden Lichtern zu filmen (auf YouTube unter "Skinwalker Ridge portal" zu finden).

Ryan Skinner war einmal mit einer Gruppe in Richtung Ranch unterwegs, als sie die Lichter eines Polizeiautos sahen und eine roboterartige, fremdsprachige Stimme hörten. Doch das vermeintliche Vehikel verschwand plötzlich lautlos und hinterließ keine Reifenspuren, nichts. Ein anderes Mal sei ein Orb wenige Meter vor ihm gelandet und daneben wie aus dem Nichts ein Wolf aufgetaucht. Skinner vermutet, daß irgendetwas die Angst der Menschen aberntet.

Dann gibt es die Aussagen eines sich Chip nennenden anonymen Zeugen. Er hat angeblich 2009, also lange nach dem offiziellen Ende der Untersuchungen, als Teil eines ca. 60 Leute starken Teams als Security auf der Ranch gearbeitet. Er habe sich gewundert, warum die Securities Waffen tragen mußten, denn unliebsame Besucher - meist wagemutige Teenager - hätte man auch so vertreiben können. Immer wieder hätten sich die Wachhunde grundlos verängstigt und unterwürfig auf den Boden gelegt, und wenn er dann Fotos geschossen habe, seien Orbs darauf zu erkennen gewesen. Einmal habe sich sein Radio im abgesteckten und batterielosen Zustand eingeschaltet. Er habe einen Trupp recht unmotivierter Wissenschaftler auf der Ranch gesehen und dann wieder Gerüchte gehört, daß hohe Militärs zur Besichtigung dagewesen und durch irgendetwas dermaßen erschreckt worden seien, daß sie nicht wiederkamen. Er habe sich wie ein Versuchskaninchen gefühlt; Bluttests und MRI-Scans seien gemacht worden, ohne daß den Betroffenen die Ergebnisse gezeigt wurden. 2010 seien alle wieder entlassen worden, das Gehalt sei von der NSA gekommen. Sind Chips Behauptungen, sofern sie stimmen, ein Hinweis auf eine geheimdienstlich unterstützte Neuuntersuchung der Ranch?

Der Physiker Jack Sarfatti ist für die Verbreitung eines Gerüchts verantwortlich, wonach ein Kampf zwischen Bigelows Sicherheitsleuten und Außerirdischen stattgefunden hätte, bei dem mindestens zwei Menschen umgekommen seien. Erfahren hat er dies von der esoterischen Hobby-Ägyptologin Antoine Gigal, die wiederum Jacques Vallée als ihre Quelle angibt. Dessenungeachtet, daß Vallée dies längst dementiert hat, ist die Geschichte nicht aus der Welt zu bekommen und Teil eines der vorläufig letzten Kapitel, die zu dem Thema geschrieben wurden: einer im Dezember 2012 ausgestrahlten Folge von Jesse Venturas investigativer Serie "Conspiracy Theory".

Darin läßt sich der Ex-Wrestler und Ex-Gouverneur von Minnesota von gruselsüchtigen Verschwörungstheoretikern - wie dem rechtskatholischen Paranoia-Bulldozer Alex Jones - auf ein paar abwegige Fährten führen und konstruiert rund um die Tatsache, daß die USA gerade dabei sind, den Raumfahrtsektor zu privatisieren, schaurige Szenarien, in denen Robert Bigelow mit von Außerirdischen gestohlener Technologie einer bevorstehenden Vernichtung der Erde entkommen will.

Wie auch immer - auch Venturas Team wird bei Dreharbeiten vor Ort mit dem Unerklärlichen konfrontiert. Auf dem Weg zur Ranch dringt eine roboterartige Stimme ins Autoradio und verkündet: "True Evil! Get off! Evil! So Evil!" Die Akkus der Kamera sind plötzlich komplett leer. Als Sean Stone (der Sohn von Oliver Stone) über die Absperrung klettert und das Grundstück betritt, bekommt er eine Art Stromschlag ins Wadenbein. Sean gelingt es auch, einen Orb herbeizumeditieren. Wahre Begebenheiten oder - zumindest zum Teil - Effekthascherei eines Privatsenders? Warum hat Bigelow die Ausstrahlung der Sendung monatelang verhindert?

 

Das Rätsel Bigelow

 

Daß Bigelow unter verschwörungstheoretischen Verdacht gerät, hat freilich seinen Grund. Zwar hat er aus seinem - auf eine UFO-Begegnung seiner Großeltern zurückgehenden - Interesse an Grenzwissenschaftlichem nie ein Hehl gemacht, sondern war, ganz im Gegenteil, immer schon dafür bekannt, großzügiger Finanzier von Studien zu UFOs, Entführungen durch Außerirdische und Artverwandtem zu sein. Spätestens seit seinem generösen Einkauf bei MUFON - der größten Gesellschaft zu Erforschung des UFO-Phänomens - aber, der mit einem rigorosen Zurückhalten der gesammelten Daten einherging, sprießen die Gerüchte.

Eines stellt einen Zusammenhang zu seiner Raumfahrtsfirma Bigelow Aerospace her und mutmaßt, Bigelow möchte sich durch UFO-Technologie einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Immerhin hat Bigelow Aerospace als einziges privates Unternehmen bislang Raumstationen im All - und einen Alien als Logo. Gut ins Bild paßt auch, daß die amerikanische Bundesluftfahrtbehörde FAA mittlerweile auch das Sammeln von UFO-Meldungen ausgegliedert hat und seit 2009 Piloten und Flugpersonal, die dergleichen zu berichten haben, auf ihrer Website an BAAS (Bigelow Aerospace Advanced Space Studies), ein Subunternehmen von Bigelow Aerospace, verweist. Was Verschwörungsaffine freilich gerne übersehen: unter anderem auf BAAS verweist. Dann ist sein Unternehmen angeblich das einzige zivile, das bewaffnet in den Weltraum darf. Ist Bigelow Schlüsselfigur bei einer amerikanischen Militarisierung des Weltraums durch private Subunternehmen? Steckt mehr oder etwas ganz anderes dahinter?

Bigelows schon vor längerer Zeit gefaßter Beschluss, sich in Sachen UFOs möglichst wenig zu Wort zu melden, könnte aber freilich auch damit zu tun haben, daß in der von Gerüchten und Halbwahrheiten durwachsenen UFO-Szene kaum lohnende öffentliche Debatten möglich sind. Oder aber er will sich seine bis jetzt gesammelten Beweise durch voreilige Schlüsse nicht zerstören lassen und wirklich erst an die Öffentlichkeit treten, wenn es Hieb- und Stichfestes zu präsentieren gibt. Natürlich ist Schweigen verdächtig, aber es als kleineres Übel hinzunehmen, hat seine Logik - weil jene, die unbedingt nach Verschwörungen gieren, kaum mit Worten zu überzeugen sind. So geschehen nach einem Interview Bigelows mit der New York Times, in dem er wortwörtlich "People have been killed. People have been hurt. It´s more than observational kind of data" sagte, sich auf die legendären Chupa-Chupa-Vorfälle im brasilianischen Colares 1977 bezog, aber Stoff für obenerwähntes Gerücht über Kämpfe auf der Skinwalker Ranch lieferte.

Laut George Knapp war der Hauptgrund für die Veröffentlichung von "Hunt For The Skinwalker", daß man sich Reaktionen und Meldungen von Leuten erhoffte, die von ähnlichen Hotspots wissen. Derlei gibt es angeblich viele. Es bleibt spannend.

aus: Rokko´s Adventures #13

Text: Daniel Krčál

Photos: © FSA Archive, LOC, Hersteller

 

Literaturverzeichnis:

 

Colm A. Kelleher, Ph. D./ George Knapp: "Hunt for the Skinwalker - Science Confronts the Unexplained at a Remote Ranch in Utah", Paraview Pocket Books 2005

 

Frank B. Salisbury: "The Utah UFO Display - A Scientist Brings Reason and Logic to Over 400 UFO Sightings in Utah´s Uintah Basin", Cedar Fort Inc 2010

 

John B. Alexander: "UFOs - Mythen, Verschwörungen und Fakten", Kopp, Rottenburg 2013


Stories_ Ivan Lendl: Rückblick, Teil I

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Ära des Schrecklichen

Er galt als Terminator unter den Tennisprofis: Ivan Lendl, auch als "Ivan, der Schreckliche" bekannt, lehrte der Konkurrenz mit seinem harten und präzisen Grundlinienspiel das Fürchten. Vor 20 Jahren endete die Laufbahn des kühlen Perfektionisten. Dietmar Wohlfart blickt auf die Karriere einer ungeliebten Legende zurück.

3. März 2014: Zum zweiten Mal geht der vom Tennis-Weltverband ITF organisierte "World Tennis Day" über die Bühne. Bei dem ein Jahr zuvor zum 100. Geburtstag der Organisation ins Leben gerufenen Event werden wieder prominent besetzte Schaukämpfe auf drei Kontinenten ausgetragen: In London, New York und Hongkong treffen die Größen von heute auf die von einst, um die populärste Einzelsportart der Welt hochleben zu lassen.

Um 19.30 Uhr Ortszeit betreten zwei Männer das Earls Court Exhibition Center in London: Als erster marschiert der Australier Pat Cash auf den Platz. Der Wimbledon-Sieger von 1987 wirkt trotz seiner 48 Jahre absolut fit. Mit seiner imposanten Arm- und Beinmuskulatur könnte man ihn als ungeschulter Beobachter glatt für einen ungewöhnlich kräftig gebauten Aktiven halten. Tatsächlich befindet sich Cash seit 1997 im Profitennis-Ruhestand, dem etliche Verletzungen und erfolglose Comeback-Versuche des temperamentvollen Angriffspielers vorangegangen waren. Doch Cash blieb dem Spiel erhalten und schloß sich nach seinem erzwungenen Karriereende der von Jimmy Connors gegründeten "Champions Tour" ehemaliger Spitzenspieler an.

Hinter dem Australier betritt ein sichtlich älterer Herr mit unübersehbarem Bauchansatz unter dem sehr weit geschnittenen Poloshirt den Platz: Ivan Lendl (Jahrgang 1960) sieht nicht so aus, als würde ein auch nur halbwegs ernsthaft vorangetriebener Vergleich mit seinem kraftstrotzenden Gegner irgendeinen sportlichen Sinn ergeben. Lendl weiß das - ebenso wie sein Gegenüber. Doch Cash wird den Älteren schonen, und zusammen werden sie eine gute Show abliefern.

 

Gefürchtetes Waffenarsenal

 

"Ivan, der Schreckliche" in einem Spaßmatch ohne Wettkampfcharakter? Noch wenige Jahre zuvor schien ein Schaukampf zwischen Lendl und einem seiner ehemaligen Rivalen undenkbar. Der gebürtige Tschechoslowake war nicht nur als extrem erfolgreicher, sondern eben auch unnahbarer, humorloser und auf dem Platz unerbittlicher Zeitgenosse bekannt geworden.

Geboren in Ostrau, unweit der polnischen Grenze, trat der Sohn von Jiří und Olga in die sportlichen Fußstapfen seiner tennisbegeisterten Eltern. Ab 1978 bespielte er die Profitour, wo der vielversprechende Junior schnell erste Erfolge verbuchen konnte. Dabei nahm Ivan Lendl die Rolle eines Pioniers ein, was Form und Dauer seiner Trainingsmethoden anging: In der Kraftkammer und später auch mit Hilfe eines eigens auf seinem Anwesen verlegten Tenniscourts, der mit dem Bodenbelag der US Open versehen wurde, bereitete sich Lendl akribisch und in regelrechten Marathoneinheiten auf seine Toureinsätze vor. Als er Anfang der achtziger Jahre zur Spitze aufschloß, hatte der Tennissport seinen ersten Hochleistungsathleten hervorgebracht.

Lendls Vorbereitungsprozedur zwischen den Ballwechseln sowie seine eigenwilligen Routinen und Marotten waren für viele seiner Gegner stets auch Vorboten des Unvermeidlichen. Auf dem Court gestaltete Lendl, der stets von einer eisigen Aura umgeben war, seine Matches von der Grundlinie aus mit wuchtigen Topspin-Schlägen, denen er eher begrenzten Drall, dafür um so mehr Druck verlieh. Lendl leitete seine Servicespiele stets durch einen abenteuerlich hohen Ballwurf ein, denen er einen akkuraten Aufschlag folgen ließ. In seiner spielerischen Waffenkammer nahm die berüchtigte krachende Vorhand eine Sonderstellung ein. Mit ihr punktete er systematisch und besiegelte das Schicksal zahlloser Konkurrenten. Seine Rückhand baute er im Laufe der Zeit, ausgehend von einer defensiven Slice-Variante, zur Topspin-Waffe aus. Seine chronische Volleyschwäche sollte den "Schrecklichen" jedoch einholen und das Fundament seines sportlichen Traumas bilden.

 

Aufstieg inmitten der Größten

 

Ivan Lendl drang zu einer Zeit in die Weltspitze vor, als die Großmeister der 70er Jahre - allen voran Jimmy Connors, Björn Borg und Guillermo Vilas - den Sport nach wie vor prägten und beherrschten. Neben dem aufstrebenden, genialen Exzentriker John McEnroe (Jahrgang 1959), der schnell zu Lendls Nemesis werden sollte, arbeitete der junge Tschechoslowake eifrig daran, das erlesene Triumvirat zu überflügeln. Doch obwohl der unzugängliche Stoiker bereits in dieser Frühphase seiner Karriere zu Seriensiegen ansetzte, Trophäen sammelte und sich auf den vorderen Plätzen der ATP-Computerweltrangliste festsetzen konnte, blieb ihm ein Grand Slam-Titel bis 1984 verwehrt.

Im Weg standen ihm vor allem Connors und McEnroe: In dem kampfstarken und ausgefuchsten Tennisrebell James "Jimbo" Connors (Jahrgang 1952), der die Massen noch bis Mitte der 90er Jahre bewegen sollte, fand Lendl zunächst seinen Meister; er unterlag dem Rekordmann in ihren ersten sieben Aufeinandertreffen zwischen 1979 und 1981. Zudem verlor Lendl die beiden US-Open-Endspiele von 1982 und 1983 gegen den um acht Jahre älteren Amerikaner. Später verschoben sich die Kräfteverhältnisse deutlich: Ab 1984 sollte Jimmy Connors kein Mittel mehr gegen den jüngeren Spieler finden; in ihren restlichen 17 Begegnungen behielt Ivan Lendl stets die Oberhand.

Die Vergleiche zwischen Connors und Lendl bildeten stets auch ein Generationenduell ab. Zwischen John "Big Mac" McEnroe und seinem etwas mehr als ein Jahr jüngeren Dauerrivalen aus dem Osten entwickelte sich hingegen ein Kampf der Persönlichkeiten und Spielsysteme.

 

Rivalitäten

 

John McEnroes Aufstieg erfolgte aus dem Stand: Bereits in seinem ersten Profijahr forderte er Jimmy Connors im Halbfinale von Wimbledon; 1979 gewann er als erst 20jähriger die US Open. Weitere drei Triumphe bei dem in seiner Heimatstadt New York ausgetragenen Grand-Slam-Event sollten folgen. McEnroes weltweiter Erfolgslauf folgte keiner Leistungskurve; sein außerordentliches Talent befähigte ihn, sich quasi auf Anhieb auf Augenhöhe mit den Besten zu messen. Macs Spiel war einzigartig: Behende funktionierte er das Tennisfeld zum Atelier eines Ballkünstlers um. McEnroe tänzelte über den Platz, absorbierte das Tempo des Gegners, um schließlich blitzschnell und unvergleichlich am Netz zu vollstrecken.

Allgemeine Bekanntheit erlangten seine berüchtigten Wutausbrüche, die ihm mit "Bad John" einen wenig schmeichelhaften zweiten Spitznamen einbrachten. Wenn der filigrane Tennismagier McEnroe gegen eine vermutete Ungerechtigkeit anging, wurde der weiße Sport mit rüdesten Schimpftiraden besudelt, gingen Rackets zu Bruch und hagelte es Verwarnungen seitens der Offiziellen. Auf dem Platz war der New Yorker irischer Abstammung eine fast unentschärfbare Zeitbombe. Sie zu neutralisieren, machten sich vor allem drei Legenden des Sports zur Aufgabe: Björn Borg, der unterkühlte Schwede ("Eisborg") mit dem monoton-präzisen Grundlinienspiel; Jimmy Connors, der McEnroes vulgäre Wutsprache fließend beherrschte; und der als herzloser Maschinenmensch aus dem Osten wahrgenommene Ivan Lendl.

John McEnroe gegen Ivan Lendl - das war ein Aufeinanderprall divergierender Spielsysteme und Temperamente: Wo Big Mac mühelos in seine unerschöpfliche Trickkiste griff, den Sport zur Kunstform erhob und das Publikum vereinnahmte, warf Lendl die Früchte unzähliger Stunden härtester Trainingsarbeit in die Wagschale, ohne die Tennisfans dabei jemals emotional zu erreichen. McEnroe zelebrierte sein brillantes Serve-and-Volleyspiel - Lendl konterte mit präzise gebündelter Grundlinienpower. Ein dramatischer Höhepunkt dieses pikanten West-Ost-Konflikts sollte sich auf der roten Asche von Roland Garros zutragen.

 

Französischer Thriller

 

Am 10. Juni 1984 war es zunächst über weite Strecken McEnroe gewesen, der auf dem ungeliebten französischen Sandbelag das Geschehen diktierte. Im Finale der French Open erspielte er sich eine komfortable Führung und lag bereits mit zwei Sätzen in Front, als ihm das Match nach einem hart umkämpften Aufschlagspiel Lendls doch noch entglitt. Zweieinhalb Sätze lang hatte der Tschechoslowake, der zuvor in vier Grand-Slam-Finalspielen gegen Borg, Connors, Wilander und wiederum Connors unterlegen war, keinen Weg gefunden, seinen amerikanischen Widerpart in die Schranken zu weisen. Doch mit Willensstärke und Kampfkraft fand er schließlich in die Partie. Nach einem geschichtsträchtigen Comeback in fünf Akten hieß der Sieger Ivan Lendl. Für den exzentrischen Wüterich McEnroe, der sich mit einem bizarren Zornanfall zu Beginn des dritten Durchgangs womöglich selbst nachhaltig geschwächt hatte, sollte es bei dieser einzigen Finalteilnahme auf dem Sand von Roland Garros bleiben.

Lendls erster Grand-Slam-Sieg kam einem Befreiungsschlag gleich: Zusammen mit dem Schweden Mats Wilander (Jahrgang 1964) stieg er folglich zur bestimmenden Kraft auf den Sandplätzen der internationalen Profitennisszene auf. Im Pariser Finale von 1985 unterlag er Wilander in vier Sätzen, sicherte sich aber in den darauffolgenden zwei Jahren wiederum den Titel mit glatten Erfolgen gegen dessen Landsmann Mikael Pernfors und dem ebenfalls aus der Tschechoslowakei stammenden Miloslav Mecir. Zu einer Zeit, in der eine Schar von europäischen Sandplatzspezialisten - unter ihnen Thomas Muster, Karel Novacek und Emilio Sanchez - Grand-Prix-Titel vergleichsweise geringerer Größenordnungen unter sich aufteilten, bildeten Lendl und Wilander das Spitzenduo auf den prestigträchtigsten "Clay Courts".

 

Auf dem Gipfel

 

Am 28. Februar 1983 erklomm Ivan Lendl zum ersten Mal die Spitzenposition der Computerweltrangliste. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits mehr als 30 Titel auf der ATP-Tour errungen. Der Kampf um den Platz an der Sonne war in jenen Tagen auch ein erbittertes Duell zwischen McEnroe und Lendl, die sich zwischen 1983 und 1985 an der Spitze abwechselten und dabei den ewig hungrigen Jimmy Connors, der 1974 zum ersten Mal die Weltranglistenführung übernommen hatte, auf Distanz hielten.

Die Jahre 1985 bis 1987 waren Lendls erfolgreichste; er brachte es auf 28 Turniersiege, die wiederum 5 Grand-Slam-Titel sowie einen Hattrick bei den ATP World Tour Finals inkludierten. Schon 1982 hatte der Tschechoslowake mit einer Triumphserie, die nicht weniger als 15 Titel umfaßte, seinen Anspruch auf den Tennisthron Nachdruck verliehen. Doch jetzt kämpfte er um Grand-Slam-Trophäen und Masters-Siege. Längst hatte Lendl sein Spiel perfektioniert: Kaum ein Gegner konnte seinem von der Grundlinie entfesselten Dauerdruck Paroli bieten. Außerdem verfehlte der todernste Habitus dieses Meisters der mentalen Kriegführung nur selten seine Wirkung. Ivan Lendl galt als erbarmungslose Maschine - und zudem als Spieler, der seine ans Netz aufgerückten Opponenten schon einmal kaltblütig abschoß, anstatt zu einem Passierball oder Lob anzusetzen.

Lendls Dominanz wurde indirekt durch McEnroe begünstigt: Während seiner freiwilligen sechsmonatigen Auszeit im Jahre 1986 ehelichte der Amerikaner die Schauspielerin Tatum O´Neal. Macs Rückkehr auf die Tour sollte nur von kurzer Dauer sein: Eine Serie wüster Beleidigungen an die Adresse von Stuhlschiedsrichter Richard Ings während seines Drittrundenspiels bei den US Open 1987 zog neben einer Geldstrafe auch eine zweimonatige Sperre nach sich. McEnroe selbst verlängerte die erzwungene Karrierepause um mehrere Monate; Tatum hatte wenige Tage nach der ausgesprochenen Suspendierung ihr zweites Kind zur Welt gebracht.

Doch auch während der Abwesenheit des cholerischen Tennisgenies gingen Ivan Lendl keineswegs die Gegner aus - brachte die zweite Hälfte der 80er Jahre doch eine Vielzahl illustrer Antagonisten hervor, wie sie heutzutage nicht mehr auszudenken sind.

 

Neue Gegner

 

2014 mag das amerikanische Herrentennis am Boden liegen - 30 Jahre zuvor war dagegen eine buntgemischte Truppe aufstrebender Athleten aus Übersee ausgezogen, um den weißen Sport zu erobern: Während McEnroe sich mehr oder weniger selbst aus dem Spiel nahm und Connors in seinem trotzigen Kampf gegen die Zeit langsam ins Hintertreffen geriet, bezogen Aaron Krickstein, Tim Mayotte, Brad Gilbert, Jay Berger und ein gewisser Andre Agassi ihre Plätze im erweiterten Kreis der Tenniselite. Ivan Lendls direkte Konkurrenz stellte aber vorerst die Alte Welt: Boris Becker (Jahrgang 1967) und Stefan Edberg (Jahrgang 1966) sorgten neben dem bereits etablierten Mats Wilander dafür, daß die Luft an der Spitze für den unnahbaren Perfektionisten dünner wurde. Becker und Edberg sollten die Spitze der anrückenden dritten Spielergeneration bilden, mit der es Ivan Lendl im Laufe seines Sportlerlebens zu tun bekam.

Nach Wilanders Einbruch im Jahre 1989 entbrannte ein attraktiver Dreikampf um die Vormachtstellung im Welttennis. Das Aufeinanderprallen des "Roten Barons" mit dem eleganten Schweden Edberg sollte sich dabei zum eigentlichen Evergreen entwickeln. Insbesondere auf dem heiligen Rasen von Wimbledon versprühte das Duell besondere Brisanz und wurde zum Publikumsmagneten, vor allem im tennisverrückten Deutschland, das mit Steffi Graf in der Damenkonkurrenz und Becker fast zeitgleich zwei Lichtgestalten des Sports hervorbrachte. Überhaupt bescherten die späten 80er Jahre dem Profitennis ein besonders attraktives Spielerfeld. Markante Charaktere mit stark divergierenden Mentalitäten und Spielstilen verwickelten einander in packende Partien, während Becker, Edberg und Lendl um die großen Pokale rangen und einander regelmäßig in den Grand-Slam-Endspielen begegneten.

Für den immer noch verhältnismäßig unpopulären Ivan Lendl war es eine Zeit des Umbruchs. Auf Asche, Hartplatz und Teppich hatte er über Jahre hinweg außerordentliche Erfolge gefeiert und die Rekordbücher fast nach Belieben umgeschrieben. Mit dem Spiel auf Rasen war er hingegen stiefmütterlich umgegangen. Durch seine spielerische Veranlagung ohnedies benachteiligt, scherte sich "Der Schreckliche" noch dazu kaum um die überschaubare - und immer noch weiter abnehmende - Anzahl von Bewerben, die auf dem stets pflegebedürftigen, grünen Untergrund ausgetragen wurden. "Gras ist nur was für Kühe", hatte er einmal verächtlich bemerkt. Dieser Sager - Lendls bekanntester und vielleicht fatalster Ausspruch - sollte ihn zeit seines sportlichen Lebens verfolgen.

 

Fortsetzung folgt ...

Kolumnen_ Miststück der Woche III/92 - Leserwunsch #2

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Tammy Wynette: "D-I-V-O-R-C-E”


Weiter geht es mit euren Wünschen. Dieses Mal schreibt Manfred Prescher über ein Lied, das schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Staub scheint es nicht angesetzt zu haben, weil es seine Künstlichkeit auch heute noch ohne Wenn und Aber entfalten kann.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

Vor kurzem postete ich via Gesichtsbuch zwei Songs der Glamrockpunks von The Sweet - und siehe da, ein Leser wünschte sich für eine der kommenden Kolumnen, daß ich über die Band bzw. eines ihrer Lieder schreibe. Allerdings war er sich nicht sicher, ob er sich für "The Ballroom Blitz" oder "Hell Raiser" entscheiden mag. Deshalb warte ich noch auf ein endgültiges Placet für einen der beiden Hits, sonst mache ich kurzen Prozeß und verfasse einen "Actionblockbusterfoxontherun"-Megamix inklusive "Hell Raiser" und "Ballroom Blitz". Versprochen. Der Rest von euch Leserinnen und Lesern kann sich immer noch Stücke aussuchen, über die ich fabulieren soll, bis die virtuelle Schwarte kracht. Eure Vorschläge werden wirklich samt und sonders angenommen, ihr müßt sie mir nur über die bewährten Kanäle zukommen lassen.

 

Eine Leserin ist heute mit ihrem Favoriten dran - einer Countryschnulze aus dem Jahre 1968. Ich will hier an dieser Stelle nicht über das Frauenbild referieren, das im Nashville der fünfziger und sechziger Jahre unter anderem mit der in Itawamba/Mississippi geborenen Sängerin und Songwriterin Tammy Wynette Pugh verbreitet wurde und auch nicht darüber, daß mit Dolly Parton, Emmylou Harris oder Rita Coolidge kurz darauf eine sehr erfolgreiche Gegenbewegung in Gang kommen sollte. Darüber habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben und werde das bei Diskussionsbedarf gern nachholen.

Hier, in diesem Text, ist es mir wichtiger, festzustellen, daß die singende Geistesschwester von Doris Day mit ihrer im durchaus positiven Sinn sehr künstlich-kitschigen Art Gefühle auszudrücken vermochte, die doch irgendwie zeitlos genug sind. Und daß man die Songs der Wynette daher immer noch hören kann. Die Leserin, die sich "D-I-V-O-R-C-E" herausgesucht hat, wird das sicher bestätigen. Daß sie mich nebenbei im Schreibfluß ein bisserl hemmt, weil ich immer wieder die Großstelltaste betätigen und danach wieder flugs Bindestriche setzen muß - geschenkt. Warum das so ist, erkläre ich gleich.

Erst einmal will ich was über Künstlichkeit loswerden. Kunst mag ja von Können kommen, aber auch für die Herstellung von Kunsthandwerk braucht man Fähigkeiten, die sich vom Mittelmaß abheben. Nur so kann man in Popsongs Gefühle derart überzeichnen, daß das Artefakt sie besser beschreibt, als bloße, sachliche Worte es tun können. In puncto Beziehungsdrama gelang das kaum jemandem so gut wie Tammy Wynette. Bob Dylan sagte einmal über sie, daß sie mit ihrem bitter-schwelgerischen Vortrag der Realität tatsächlich näherkommt, als er es selbst mit "Blowin´ In The Wind" geschafft hat - und da ist schon was dran. Kurz hintereinander hatte sie jedenfalls drei sehr ähnlich gestrickte Riesenhits, die sich mit gescheiterten Partnerschaften oder Ehen beschäftigten: "I Don´t Wanna Play House", "D-I-V-O-R-C-E" und das sattsam bekannte "Stand By Your Man". Für letzteres  schrieb sie den Text und wurde von der Frauenbewegung massiv kritisiert. In allen drei Stücken verbreitet die Gitarre Wehmut und Traurigkeit, weil sie gar nicht so gently weept.

 

Doch nun zum eigentlichen Wunsch - Achtung, Hochstelltaste - "D-I-V-O-R-C-E": Die Sängerin beschreibt die letzten Momente vor der Scheidung eines Paars. Wir erfahren nicht, warum sich die beiden trennen, aber Tammys Stimme deutet an, daß es trotz aller Liebe und aller Trauer, die nun mal im Scheitern steckt, keinen anderen Ausweg geben kann. Sie buchstabiert die Worte, weil der vierjährige Sohn an ihrem Rockzipfel oder seinem Hosenbein hängt und die Lauscherchen aufstellt wie Herr Hase, wenn er einen Fuchs in der Nähe vermutet. Natürlich soll man den Nachwuchs vor Streitereien und problematischen Diskussionen Erwachsener schützen, aber ich weiß nicht, ob das Buchstabieren von Worten wie "S-C-H-E-I-D-U-N-G", "S-O-R-G-E-R-E-C-H-T" oder "H-Ö-L-L-E" die richtige Lösung ist. Wäre es nicht besser, den Kleinen nach draußen zu schicken, um mal im Hasenstall nach dem Rechten zu schauen? Schließlich soll es schon Vierjährige geben, die das Alphabet vorwärts, rückwärts, diagonal und inklusive aller Umlaute beherrschen. Sie schaffen es womöglich sogar, aus den Buchstaben Wörter zusammenzusetzen, die sie - das gilt zumindest für den vorliegenden Fall - trotzdem nicht verstehen.

Weil: Was ist eine Scheidung eigentlich? Zwei Menschen versuchen, sich ein gemeinsames Zusammenleben aufzubauen und ein Nest für die Nachkömmlinge zu errichten. Wenn sie daran scheitern, weil die Charaktere zu unterschiedlich sind, die Ansprüche an die Partnerschaft nicht nah genug beieinander liegen, die Rahmenbedingungen nicht stimmen, es zu viele belastende Katastrophen für zwei Schulterpaare gibt oder man einfach nicht zusammenpaßt, dann trennt man sich. Zumindest sollte man das tun. Meine Mutter, nur um das Ganze wieder einmal von der persönlichen Seite anzugehen, ist jahrzehntelang bei meinem Vater geblieben, obwohl der sie in jeder nur erdenklichen Weise malträtiert hat.

Übrigens möchte ich der allgemein immer wieder kolportierten Aussage widersprechen, daß Tammy Wynette in ihren Hits aus den späten sechziger Jahren über ihre Beziehung zum Country-Superstar George Jones singt. Deren heftiges Ende mit langem Schrecken begann erst so um das Jahr 1973 herum. Aber insgesamt war die 1998 kurz vor ihrem 56. Geburtstag verstorbene Künstlerin fünfmal verheiratet; sie weiß also, wovon sie da singt. Sei dem, wie es sei: In "D-I-V-O-R-C-E" wird Wynette nicht bleiben, sie muß diesen für die Beziehung finalen Schritt gehen. Dazu gehört auch das Wundenlecken, das der Song mit seiner Instrumentierung mehr als nur andeutet. Das Lied weist freilich niemandem die Schuld zu, weil die Verantwortung am Scheitern sowieso bei beiden Partnern liegt. Es stellt nur fest, daß es kein Zurück geben kann. Kein Aushalten ist mehr möglich, da die Ehe nur noch aus gegenseitiger Zerstörung besteht. Aus der Perspektive der Frau erzählt Tammy Wynette, daß sie das alles stoppen möchte, aber nicht kann. Sie wird mit J-O-E-Y weggehen.

 

 

 

Der Song wurde - wie es sich für einen waschechten Ohrwurm gehört - mehrfach gecovert, unter anderem von Dolly Parton, von Alex Chilton in einer sehr männlichen Variante und im Zuge des erneuten Erfolgs von "Stand By Your Man" 1975 noch mal von Tammy Wynette selbst. Da mag das Lied dann doch George Jones gegolten haben. Daß "D-I-V-O-R-C-E" auch im Film "Brokeback Mountain" eine sehr logisch definierte Rolle spielt, sei am Rande ebenfalls erwähnt. Meine Lieblingslieder von Tammy Wynette, die bis 1976 immerhin 19 Nummer-1-Hits hatte, drei davon übrigens im Duett mit Jones, sind: "Your Good Girl´s Gonna Go Bad", "Run Woman Run" und "Near You".

Nächste Woche erfülle ich selbstverständlich einen weiteren Leserwunsch: Es geht dann um Clueso und "Kein Bock zu geh´n". Das Lied paßt mir grad zufällig gut ins Feng Shui, wurde aber aus der Wunschliste heraus fein säuberlich und fair ausgelost. Ich werde euch, um es mit dem Erfurter Rapper zu sagen, "gern ein Stück mitnehmen" und darüber schreiben, warum Gehen zwar manchmal gesünder ist als auf dem Sofa sitzen, aber eben auch oft die falsche Entscheidung sein kann. Flüchten oder Standhalten? Ich weiß nicht, was Horst-Eberhard Richter selig raten würde, ich halte es mehr mit Clueso und schreib´ für euch Kolumnen: "Trotzdem hab ich kein Bock zu geh´n/Ist doch klar, daß ich noch bleib". Es würde mich auf jeden Fall freuen, wenn ihr auch noch ´ne Weile hier wärt und mich mit euren Wünschen so überschüttet, daß ich bis zum Stehkragen in euren Vorschlägen stehe und mich durch ganz unterschiedliche Lieder kämpfen muß.   

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

 

 

Tammy Wynette: "D-I-V-O-R-C-E”

Enthalten auf der gleichnamigen CD (Koch International)

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Schmauchspuren #34

Same procedure as last year? Same procedure as every year. Der amerikanische Flughafen-Thriller wurde auch Anfang 2011 nicht neu erfunden. Dafür erfahren wir, daß der Tod auch heute noch "ein Meister aus Deutschland" ist und dürfen uns irischem Fatalismus hingeben. Peter Hiess hat wieder Krimis gelesen.

John Verdon - Die Handschrift des Todes


Heyne Tb. 2011

Die Blurbs der Kollegen hypen den Debütroman des Ex-Journalisten und -Werbetexters John Verdon ja ganz ordentlich. Die Handschrift des Todes sei "einer der besten Thriller seit langem", "die Neuerfindung des Serienmörderromans" und natürlich "atemberaubend". Mit entsprechend hohen Erwartungen geht man an das Buch heran - und findet es anfangs tatsächlich faszinierend. Ex-Detective Dave Gurney (nach seiner Polizeizeit immer noch nicht fähig, sich ganz von der Verbrecherjagd zu trennen und das Landleben zu genießen, daher recht klischeehaft auf dem besten Weg in die schwere Ehekrise) stößt auf einen rätselhaften Fall. Potentielle Opfer erhalten einen Brief mit der seltsamen Aufforderung, an eine Zahl zwischen eins und tausend zu denken. Und tatsächlich: In einem zweiten Kuvert steht die richtige Antwort. Danach folgen bedrohliche Gedichte und schließlich ein Mord, der außer höchst mysteriösen Spuren kaum Hinweise hinterläßt. Die Faszination legt sich allerdings bald, wenn man als Leser die Rätsel schneller löst als Gurney und auch sonst oft ahnt, was als nächstes kommt. Und die Auflösung ist dann so hanebüchen, daß selbst die gute alte Agatha Christie zweimal darüber nachgedacht hätte, sie zu verwenden. Ablegen unter "Die drei ??? und der Serienkiller".

Gemischtes Doppel

George T. Basier - Der Killer und die Hure

Edition BoD Pb. 2008

 

George T. Basier - Jägers Fall

BoD Tb. 2010

 

Eine echte Überraschung hingegen ist George T. Basier, der in deutschen Krimikenner-Kreisen nicht umsonst als Geheimtip gehandelt wird. Der Protagonist seines Romans Der Killer und die Hure (mit dem ungeschickten Endlos-Untertitel "Die Lust am Töten. Verkaufte Mädchen, Koks und jede Menge Waffen") war Scharfschütze für die Bundeswehr, danach Söldner für jene Private-Contractor-Firmen, die für die Imperialisten von heute ihre Kriege führen, und gelegentlich auch Auftragskiller. Jetzt ist er müde geworden und arbeitet in Hamburg als Personenschützer, der unter anderem Frauen vor Stalkern rettet. Als er seine neue Klientin kennenlernt, ist es um ihn geschehen: Er verschaut sich in die Prostituierte, verliebt sich gar erstmals in seinem Leben, vergißt seine Vorsicht, verliert sein Mädchen an die Bösen. Und da die richtig böse sind, endet alles furchtbar blutig. Daß man dabei seitenlang viel über die richtige Handhabung von Waffen, mörderische Missionen in aller Welt und Sniper-Techniken erfährt, macht Der Killer und die Hure zum echten Männerbuch - aber das ist ja in unserer vergenderten, verqueerten Zeit ganz gut so.

Alles andere als ein Techno-Thriller ist Basiers zweiter Roman Jägers Fall, der einige der Themen des Vorgängers aufgreift, aber durchaus eigenständig zu lesen ist. Ein Kommissar in Hamburg auf der Spur von Serienmördern, albanischen Syndikatsbossen, Snuff-Dealern. Härter als hart. Blutig, pervers, total out of control. Bad Lieutenant meets Jim Thompsons Antihelden. Und ein Schluß, der einem richtig auf den Magen drückt. Hätte man von "Books on Demand"-Titeln nicht erwartet. Sollte man haben.

Ken Bruen - London Boulevard


Suhrkamp Tb. 2010

Da sich der Ire Ken Bruen verdientermaßen (und nicht zuletzt wegen der Harry-Rowohlt-Übersetzungen) gut verkauft, werden jetzt auch seine älteren Werke auf deutsch aufgelegt - zum Beispiel London Boulevard. Machen wir´s kurz: Natürlich auch wieder eine tragische Geschichte, gezeichnet vom Fatalismus des Alkohols und der Kleinkriminalität: Mitchell kommt aus dem Gefängnis, wo er drei Jahre wegen schwerer Körperverletzung verbringen durfte, rutscht sofort in seine alten Gewohnheiten zurück, arbeitet als Geldeintreiber und sieht nur eine Chance: als Gehilfe und Geliebter einer alternden Diva das "life of crime" hinter sich zu lassen. Doch das organisierte Verbrechen vergißt nicht so schnell - und zusammen mit dem, was sich in der Sunset Boulevard-Villa der Schauspielerin ankündigt, erwartet uns eine Story wie eine griechische Tragödie, unausweichlich, hart, trotzdem spielerisch und trotzig bis zum Schluß. Ja, wir wollen weiterhin wissen, was Bruen früher gemacht hat.

Max Allan Collins - Quarry in the Middle


Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2009

Bringen wir den Rest flott hinter uns: Hard Case Crime, Sie wissen schon. Gerettet, wie wir alle hoffen. Aber wegen solcher Bücher hätte es nicht sein müssen: Quarry in the Middle führt Max Allan Collins’ Profikiller-Protagonisten nach dem Last und dem First Quarry in ein Karriere-Tief mitten in den 80er Jahren des gottlob vergangenen Jahrhunderts, in einem miesen kleinen Glücksspiel-Kaff in Illinois, wo er seine neue Aufgabe - gegen Honorar andere Berufsmörder von der ordentlichen Ausübung ihres Berufs abhalten - durchführen will. Aber Collins fällt wieder auf sich selbst herein: zu postmodern und durchschaubar der Plot, zu "witzig" (und nervend oft) der Rückblick auf Eighties-Modetorheiten, zu verliebt in die eigene Cleverness. Da wundert man sich nicht, daß der Mann eine Ironiebrille trägt ... aber schade ist es trotzdem.

"Schmauchspuren"

... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Video_ Blu-ray-/DVD-Tips 4/2014

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Blaue Ruinen und heilige Berge

Es knallt, es kracht - und es wird esoterisch. Zücken Sie die Fernbedienungen und lehnen Sie sich für unsere Heimkinoempfehlungen gemütlich im Fernsehsessel zurück.

Blue Ruin

ØØØØ
Import-Tip: USA

(USA 2013/Region 1/Anchor Bay)

 

Manche Themen werden in fiktiver Verpackung einfach niemals langweilig. "Rache" gehört in all ihren Ausformungen dazu. Das hat sich auch Nachwuchsregisseur Jeremy Saulnier gedacht und für sein Projekt "Blue Ruin" kurzerhand eine Kickstarter-Kampagne gestartet. Und weil dort nicht nur Fanboys und -girls unterwegs sind, um Zach Braffs filmische Gehversuche zu unterstützen oder Veronica Mars auf die Leinwandsprünge zu helfen, ist glücklicherweise auch was daraus geworden. Ihre Premiere erlebte die erfrischende Revenge-Story 2013 in Cannes, wo sie auch gleich den FIPRESCI-Preis einstrich. Wer nicht darauf warten will, bis sich im deutschen Sprachraum endlich ein Label für die Veröffentlichung hergibt, greift am besten gleich zum US- oder in Kürze erscheinenden GB-Import.

 

Quién sabe? - Töte Amigo

ØØØ 1/2

(Italien 1966/Region 2/Koch Media)

 

50 Jahre ist es her, daß Großmeister Sergio Leone mit "Für eine Handvoll Dollar" den Italo-Western, wie wir ihn kennen und schätzen, aus der bleihaltigen Taufe hob. Im darauffolgenden Jahrzehnt kurbelten die Italiener einen Spaghetti-Cowboyfilm nach dem anderen ab. Obwohl beim Großteil der damals entstandenen Produktionen bestenfalls der deutsche Verleihtitel zu unterhalten wußte, sind dennoch einige wirklich sehenswerte Streifen entstanden. Einer davon ist Damiano Damianis Klassiker "Quién sabe?" alias "Töte Amigo" mit Gian Maria Volonté, Lou Castel und dem Mann, der aussieht wie "eine ausgekotzte Zwergpygmäe" (Zitat aus dem unsäglichen "Nobody ist der Größte", frei nach Rainer Brandt): Klaus Kinski.

Damianis in den Wirren der mexikanischen Revolution angesiedelter Film zählt zu den politisch angehauchten Vertretern des Genres. "Töte Amigo" ist zwar Leones "Duck, you Sucker!" handwerklich unterlegen, aber trotzdem der interessantere Film.

Die Neuveröffentlichung bietet ihn erstmals in vollständig restaurierter und synchronisierter Fassung, inklusive Interviews mit Damiani und Castel - und markiert gleichzeitig ein weiteres Jubiläum: "Töte Amigo" war einer der ersten Italo-Western, mit denen Koch Media 2004 ihr Programm starteten und seither auch konsequent weiterverfolgen. Ohne das Label sähe es für Genre-Freunde im deutschen Sprachraum düster aus.

 

The Return of the First Avenger

ØØØ 1/2

(USA 2014/Region 2/Disney)

 

Kommt es Ihnen auch so vor, als würde mittlerweile kein Monat ohne Marvel-Superhelden im Kino vergehen? Und wenn die Herrschaften in ihren Kostümen gerade nicht auf den Kinoleinwänden herumkraxeln, bereiten sie sich auf diverse anstehende TV-Auftritte vor ... ob in der eher halbseidenen Serie "Agents of S.H.I.E.L.D." oder den sich in unterschiedlichsten Phasen der Produktion-Piipeline befindlichen Serien "Daredevil", Luke Cage", "Jessica Jones", "Iron Fist" und "The Defenders". Dagegen läßt es DC Comics mit "The Flash", "Gotham" und einem nicht rauchenden "Constantine" eher gemütlich angehen.

Das zweite Abenteuer rund um den schildschwingenden Blondie "Captain America: The Winter Soldier" kann man sich trotzdem anschauen, ist es doch die gelungenste Marvel-Produktion seit "Iron Man". Hier fliegt endlich einmal nicht gleich in der ersten Viertelstunde eine halbe Stadt in die Luft, um das Interesse des Popcorn-mampfenden Publikums zu erwecken. Stattdessen orientierte sich das Regie-Duo Anthony und Joe Russo eher an den amerikanischen Verschwörungs-Thrillern der 70er Jahre und beschert ein kurzweiliges Abenteuer, bei dem man sich jetzt schon auf die für 2016 geplante Fortsetzung freut.

Leider gibt es diesmal keinen der "Marvel One-Shot"-Kurzfilme als Bonus, dafür einen soliden Audiokommentar.

 

Der Heilige Berg

ØØØØ 1/2

(Mexiko/USA 1973/Region 2/Bildstörung)

 

Wer die Jodorowsky-Retrospektive im Filmcasino verpaßt hat, darf aufatmen. Das deutsche Label Bildstörung hat die frühen Filme des Regisseurs als hervorragende Blu-ray-Kollektion herausgebracht. Die meisten der Streifen gab es zwar bereits seit vielen Jahren in brauchbarer Heimkino-Form als Importe, doch nun liegt endlich auch "The Holy Mountain" in ordentlicher Umsetzung vor. Die Filme des chilenischen Kultregisseurs muß man weder mögen noch verstehen - doch gesehen haben sollte man sie trotzdem.

Lesen Sie hier, was Thomas Fröhlich über Jodorowskys Filme zu sagen hat.

Die Blu-ray bietet neben exzellenter Bild- und Tonqualität und einem Regiekommentar auch die bereits seinerzeit auf dem fantoma-DVD-Release von "Fando y Lis" enthaltene Dokumentation "Die Konstellation Jodorowsky".

 

Spetters - Limited Collector´s Edition

ØØØ 1/2

(Holland 1980/Region 2/Koch Media)

 

Nachdem Hollywood sowohl "Total Recall" als auch "Robocop" als belanglose Remakes verwurstet hat, versucht der "Mad Dutchman" zur Zeit Philippe Djians Roman "Oh ..." fürs Kino umzusetzen. Man darf gar nicht erst darüber nachdenken, daß Verhoeven als einer der wenigen Blockbuster-Regisseure mit eigener Handschrift Probleme damit hat, Filmbudgets aufzustellen, während man im aktuellen Kino meist glattpolierte Produkte ohne Biß zu sehen bekommt. Oder daß sein absolut sehenswerter WWII-Thriller "Black Book" schon wieder acht Jahre zurückliegt. (Das amüsante Internet-Experiment "Tricked"  fand zwar unter seiner Ägide statt, ist aber kein "echter" Verhoeven.)

Garantiert kein Remake wird es von Verhoevens Frühwerk "Spetters" geben. Der Film handelt von einer Jugend-Clique im Motorcross-Milieu und brachte seinerzeit schon lange vor "Basic Instinct" diverse politisch korrekte Fraktionen auf die Barrikaden.

Die vorliegende Blu-ray-Edition begeistert nicht nur durch hervorragende Bild- und Tonqualität, sondern punktet in der Limited Edition auch mit neuen Interviews und einer ausführlichen Doku. Ebenfalls mit an Bord ist der Regiekommentar der alten US-DVD, der vom Unterhaltungs- und Informationswert leider nicht an die anderen Kommentare des holländischen Regisseurs heranreicht.

 

Sabotage

ØØ 1/2

(USA 2014/Region 2/Splendid)

 

Ein altes Sprichwort besagt, daß man dann aufhören soll, wenn´s am schönsten ist. Hätte sich die steirische Eiche bezüglich ihrer Hollywood-Karriere daran gehalten, dann wäre wohl nach "T2" oder spätestens "True Lies" Schluß gewesen. Stattdessen gab es einige mittelmäßige Action-Kracher, ein belangloses, aber kurzweiliges Terminator-Sequel, ein Gastspiel in der Politik und seither den Versuch, wieder Fuß beim Kinopublikum zu fassen. Leider können es Arnies bisherige Produktionen fernab der "Expendables" nicht einmal mit "Eraser" aufnehmen, und selbst der neueste Eintrag in die Reihe um die Altherrentruppe hat sich als charme- und zahnloses Debakel erwiesen, bei dem lediglich Mel Gibson eine gute Figur macht. Auch David Ayers "Sabotage" ändert nichts an Schwarzeneggers bisheriger Pechsträhne. In seinem unterkühlt inszenierten und mit reichlich Kunstblut versetzten Streifen serviert uns der Regisseur eine generische "Don´t fuck with the Cartel"-Story rund um eine DEA-Spezialeinheit mit Arnie an der Spitze. Und weil die Herrschaften einst seine Familie massakriert haben, will er Rache. Was am Ende dabei herauskommt, wollen wir Ihnen natürlich nicht verraten, aber Schwarzenegger hat in diesem Film eigentlich nichts verloren. Es sei denn, er hätte an alte John-Matrix-Zeiten angeknüpft. Bleibt zu hoffen, daß bei "Terminator: Genisys" oder "The Legend of Conan" ein Wunder geschieht und ihm endlich wieder jemand ein brauchbares Skript auf den rostigen Leib geschrieben hat. Henry Hobsons Zombie-Vehikel "Maggie" wird ihn jedenfalls auch nicht rausreißen.

 

 

Kolumnen_ Miststück der Woche III/93 - Leserwunsch #3

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Clueso: "Kein Bock zu geh´n"


Immer weiter voran geht es mit euren Wünschen. Heute kümmert sich Manfred Prescher um ein Stück Groove aus Thüringen - und um ein Lebensgefühl, das wir irgendwie alle kennen. Und ihr? Ihr könnt euch weiter Songs wünschen, die hier beschrieben werden sollen.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

Clueso? Moment, was sagt mir der Name? Ist das nicht dieser WM-Rekordtorschütze, dieser Miroslav Clueso? Nein, es ist wohl doch eher das Brettspiel, bei dem von bis zu sechs Mitspielern aufgeklärt werden soll, wer Dr. Schwarz gemeuchelt hat. Ach, ich Dummerle - Clueso ist ein rappender Songschreiber aus dem "Östen", der am 19. September mit seiner neuen CD "Stadtrandlichter" auf uns zukommen wird. Und natürlich kenne ich ihn bzw. seine Musik; ich wollte nur ein wenig herumkalauern, weil ich dem Mann doch eher wohlwollend-gespalten gegenüberstehe.

Der hat tatsächlich in seiner nun auch schon zehn Jahre andauernden Karriere den einen oder anderen wirklich merkwürdigen Song aus dem Hals direkt an die Oberfläche rausgehauen, aber die muß man sich alle nicht merken. "Keine Zentimeter" oder "Gewinner" kann man aber, da geb´ ich der besten Liebespartnerin von allen unumwunden recht, immer wieder gut hören. Da stimmen Text und Groove einfach. Beide Tracks stammen vom rundweg famosen Album "So sehr dabei", auf dem sich der Rilke- und Lindenberg-Fan Clueso doch vom Rest der rappenden Zunft abhebt. Leise Töne, kluge Sätze, da ist einfach alles drin: "Und wir laufen, um uns zu begegnen/Die Augen zu vom Reden/Frei und noch entspannt ..." Doch, doch, die Vorstellung gefällt mir, aber es geht hier grad mal nicht um mich, sondern um eine Frau, die sich ein ganz anderes Lied vom Klose oder so gewünscht hat.

 

Mit der Single "Kein Bock zu geh´n" gelang Thomas Hübner, wie Clueso in der rauen Wirklichkeit heißt, 2005 der Durchbruch. Naja, zumindest markierte der Song einen beachtlichen ersten Karrierehöhepunkt. Immerhin wurde der Rap-Dichter damit Siebter bei Stefan Raabs Bundevision-Dingenskirchen, und das Stück groovte sich in die mittleren Ränge der Charts. 

"Kein Bock zu geh´n" paßt ganz gut zu "Gekommen um zu bleiben" von Wir sind Helden, auch wenn die Musik von Clueso viel feiner und ziselierter klingt. Ich erinnere mich gerade, daß ein guter Bekannter damals beide Songs praktisch nonstop immer und immer wieder nacheinander abgespielt hat. 2005 war für ihn scheinbar ein Zeitraum, in dem er sich nicht von der Stelle rühren wollte. Ich mußte nach den Besuchen bei ihm stets den ebenfalls aus demselben Jahr stammenden Song "Still wird das Echo sein" von Element Of Crime hören. Ach, eh ich es vergesse: Element Of Crime bringen derzeit ebenfalls ein neues Album auf den Schrumpfmarkt. Die Single heißt "Lieblingsfarben und Tiere" und ist so schön, daß ich "kein Bock" habe irgendwo hinzugeh´n, bevor der Track nicht mindestens dreimal von vorne losgelaufen ist.

 

Aber nun mal im Ernst: Was Clueso in seinem "Kein Bock zu geh´n" daherrappt, ist - wenn man mal vom kruden Umgang mit der deutschen Grammatik absieht - doch jedem vertraut. Man müßte längst woanders sein, vielleicht im Büro, beim Arzt, vom Freigang zurück im Zellenblock Nummer 9 oder auch einfach nur im Bett, weil der nächste Tag ohne eine Zipfelmütze voll Schlaf kaum zu überstehen sein wird. Doch man kommt nicht weg. Da ist dieses zauberhafte Wesen, das einen einfach so "am angebenen Ort" festhält. Man verkneift sich, um es mit Clueso zu sagen, einen dummen Spruch und stellt sich vor, wie sie ihr Kleid verliert. Auch das vielleicht, aber ich kenn´ das von mir eher so: Ich bin in solchen Situationen so angezogen von dem anderen Menschen, der Stimmung, dem Universum, in das ich grad blicke, und vom ganzen Rest, daß ich die faktisch richtigen Gedanken an Mediziner, Meetings oder Möbelkauf immer weiter in die inneren Tiefen runterschiebe. Dort mögen sie dann bittschön bleiben, möglichst so lange, bis ich den magischen Moment ausgekostet habe. Später würde ich mich wieder ans normale Tag- bzw. Nachtwerk machen.

Clueso sieht das allerdings ein bisserl anders - der will noch nicht mal geh´n, als ihn der Kater eingeholt hat und er erkennen muß, daß da gar keine Liebe im Spiel war, sondern "nur" das gemeinsame Spiel. Es gibt Menschen, die müssen zum Beispiel nach einem Konzert sofort - am besten mit Abklingen des letzten Zugabentons - raus aus der Halle und rein in die Normalität springen. Andere wiederum bleiben, bis der Saalordner sie mitsamt den Pappbechern rauskehrt. Diese Leute bewegen sich praktisch stehend in eine immer tristere Welt, weil ja bekanntlich nichts mausgrauer ist als ein komplett leerer Großraum nach einem tollen Gig.

 

Ich selbst hab´ eigentlich schon Bock zu geh´n, denn ich hab´ rausgefunden, daß Wiederkommen einfach etwas Besonderes ist. Und daß man, wenn man sich auf seine Latifundien zurückzieht, den anderen ein Stück weit mitnimmt. Aber soweit sind Clueso und die Frau aus seinem Song gar nicht gekommen. Vielleicht haben sie den Mörder von Dr. Schwarz einfach zu schnell gefunden?  

Nächste Woche erfülle ich einen weiteren Leserwunsch - und da wird´s ganz schön knifflig. Schließlich wissen nicht mal die Eagles selbst, worum es in ihrem sagenhaften Lied "Hotel California" wirklich geht. Aber keine Angst, mir fällt schon was ein, schließlich bin ich "programmed to receive". Das wird für mich auf jeden Fall sehr spannend, und ich hoffe, euch wieder zahlreich an den Laptops und Tablets zu finden. Ihr braucht dann auch nicht geh´n, bevor der letzte Buchstabe weggelesen wurde. In diesem Sinne!

 

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Clueso: "Kein Bock zu geh´n"

Enthalten auf der CD "Gute Musik" (Four Music/Sony Music)

Kino_ Film-Tips September 2014

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Kino-Chirurgie


Man könnte sich fürchten ... aber bestimmt nicht anhand der aktuellen Horrorfilme aus den USA, die in ihren eigenen Klischees ersticken. Dann schon eher bei David Cronenbergs erbarmungsloser Sektion der Loser-Metropole Hollywood und ihrer Bewohner, voll scharfer psychologischer Skalpelle und fast ohne Betäubung.

Hercules

Filmstart: 4. September

 

In den bisherigen Verfilmungen des Herkules/Herakles-Mythos (Sie wissen schon, der Held mit den zwölf schier unmöglichen "Arbeiten") traten fast ausschließlich Bodybuilder und "beefcakes" in Erscheinung (Lou "Hulk" Ferrigno, Steve Reeves und sogar unser Arnold). Da ist es nur würdig und recht, daß in einer der Neufassungen von 2014 der beliebte Wrestler Dwayne "The Rock" Johnson den legendären Muskelmann gibt - vor allem angesichts der Tatsache, daß das Konkurrenzprodukt, Renny Harlins "The Legend of Hercules" mit dem männlichen Model Kellan Lutz, gnadenlos gefloppt ist.

Hier hat Herkules seine Arbeiten erfolgreich hinter sich gebracht und ist kein Sklave mehr, sondern ein vom Leben ziemlich frustrierter Söldner, der aber - es wäre nicht Hollywood - plötzlich seine humanistische Seite entdeckt und für das Gute kämpft. Man ist schließlich nicht umsonst ein Halbgott ... Regisseur Brett Ratner (der in der US-Filmbranche etwas in Ungnade gefallen ist, weil er irgendwas politisch Unkorrektes äußerte, das der Schwulenmafia nicht paßte) ist zwar eher für Action-Komödien und den höchst fragwürdigen Streifen "X-Men: Der letzte Widerstand" bekannt, liefert aber mit "Hercules" eine überraschend erfreuliche, witzige und actionreiche Modernisierung des Schwerter- und Sandalen-Genres ab. Und wenn Herkules den alten Griechen seinen "people´s elbow" ins Gesicht fahren läßt, freuen sich Fans sowieso. (ph)

Sag nicht wer du bist


(Tom à la ferme)

Filmstart: 3. September

 

Man muß ihn nicht mögen, aber können tut er was: der jetzt 25jährige Xavier Dolan, der hier seinen bereits vierten Film vorlegt. Im Gegensatz zu quecksilbrigen Großstadtstudien wie "Laurence Anyways" schildert Dolan hier eine dumpf-bedrohliche Familiengeschichte aus Kanadas ländlicher Provinz. Ein schwuler junger Mann (Dolan spielt ihn selbst; Regie, Produktion, Drehbuch, Kostüme und Schnitt waren dem selbstbewußten Junggenie offenbar nicht genug) fährt zum Begräbnis seines Freundes auf dessen Farm.

Dort erwarten ihn nicht nur die - was die sexuelle Orientierung ihres toten Sohnes anlangt - ahnungslose Mutter des Toten, sondern auch dessen aggressiver Bruder, der darauf besteht, daß Tom (so der Name des Helden) den straighten Hetero spielen muß, um die mütterlichen Gefühle nicht zu verletzen (daher der unglückliche deutsche Titel). Halb verängstigt, halb fasziniert vom machistischen Jungbauern spielt Tom mit, doch als dann auch noch eine angebliche Freundin seines toten Lovers auftaucht, beginnen sich die Dinge dramatisch zuzuspitzen. Dolan inszeniert das für seine Begriffe sehr zurückgenommen, suggeriert latente Gewalt mehr, statt sie explizit zu zeigen, und läßt auf der Tonspur bedrohliche Geigentremoli aufsteigen, als wäre man in Hitchcocks "Vertigo". Dessen Virtuosität erreicht Nolan natürlich nicht, aber für angenehmes Gruseln mit subtil schwulem Feeling ist Nolan allemal gut. (HL)  

Erlöse uns von dem Bösen

Filmstart: 5. September

 

Es ist irgendwie bezeichnend, daß die US-Popkultur aus den Irakkriegen nichts anderes gelernt hat, als daß im arabischen Wüstensand unheimliche, dämonische Mächte lauern - immerhin wissen wir das schon seit dem guten alten "Der Exorzist". Auch hier bringt ein Amerikaner das Böse aus der Ferne mit ins Mutterland der Freiheit. Losgelassen wird es in der ohnehin schon ziemlich gewalttätigen New Yorker South Bronx, wo Polizist Ralph Sarchie (Eric Bana) mit allerlei ebenso blutigen wie unerklärlichen Fällen konfrontiert wird. Als ihn ein Priester (Edgar Ramirez) davon überzeugt, daß etwas Übernatürliches hinter der Verbrechenswelle steckt, gehen die beiden auf Dämonenjagd. Und die ist von Regisseur Scott Derrickson ("Sinister") zwar ganz nett inszeniert, bietet aber weder Thriller- noch Horror-Fans wirklich Neues. Immerhin: guter Durchschnitt für einen leidlich spannenden Kinoabend. (ph)

Katakomben

Filmstart: 11. September

 

Das Szenario könnte ja durchaus überzeugen: das Katakombensystem unter Paris, mehr als 200 Kilometer Tunnels, Beinhäuser, Schutt, Ratten - und Party-Loactions für Gruftis (aber die kommen in "Katakomben" nicht vor, keine Angst). Eine junge amerikanische Archäologin auf der Suche nach einer Art Stein der Weisen macht sich mit einer zusammengewürfelten Mannschaft illegal in den Untergrund der französischen Hauptstadt auf, wo sie nicht nur allerlei Geheimnisse und interessante Anblicke entdecken, sondern natürlich auch auf eine grauenhafte uralte Bedrohung treffen. In den ersten Minuten des Streifens könnte man als Zuseher fast annehmen, daß sich der abgelutschte Found-Footage-Horror vielleicht doch noch einmal zu etwas Neuem aufrafft, statt den Zuseher nur mittels Wackelkamera zu quälen. Doch das Drehbuch/Regie-Team von "Katakomben" - die Gebrüder Drew und John Erick Dowdle, die schon für das unnötige "[Rec]"-US-Remake "Quarantäne" verantwortlich zeichneten - enttäuscht diese Hoffnung. Stattdessen gibt´s billige Gruselklischees, langweilige "Schock"momente und Gewackel. Hört endlich auf damit und nehmt wieder richtige Kameras! Sonst kann man ja gleich Reality-TV schauen. (ph)

Maps to the Stars

Filmstart: 12. September

 

Als "Hollywood-Satire" wird der neue Film von David Cronenberg vermarktet, doch das Etikett führt doch stark in die Irre. Satirisch im Sinn von maliziöser Komik ist hier gar nichts. "Maps to the Stars" ist von rasiermesserscharfer Radikalität und Cronenbergs bester Film seit Jahren. Es geht um eine Handvoll kaputter Hollywood-Größen, die, wie sich im Lauf der Handlung erst allmählich herausstellt, alle miteinander verwandt, bekannt oder liiert sind. Da ist die alternde Diva, die - die Szene wurde überall beschrieben, ist also kein Spoiler - in einen Freudentanz ausbricht, als eine Rollenrivalin auf tragische Weise ausfällt. Da ist der Psychoberater, der seine pathologischen Züge hinter dünner Tünche kaum verbergen kann. Und da ist der schnuckelige Kinderstar, der gegen einen aufstrebenden Konkurrenten schon einmal körperlich vorgeht. Cronenberg führt diesen Höllenreigen wie gewohnt in präzise kadrierten Bildern vor, treibt seine brillanten Darsteller (Julianne Moore, John Cusack, Robert Pattinson, jawohl!) zu schonungslosen Höchstleistungen, als säße man in einem Ulrich-Seidl-Film, und bringt zuletzt das Kunststück fertig, die absolut schlimmstmögliche Wendung in einen märchenhaften Fiebertraum zu entrücken. Einer der Filme des Jahres. (HL)   


Stories_ Ivan Lendl: Rückblick, Part II

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Attack of the Cows

Erinnern Sie sich noch an den Tennisprofi Ivan Lendl? Dietmar Wohlfart tut es - und blickt auf die Karriere des tschechischen Ballservierers zurück: Auf dem Scheitelpunkt seiner Karriere gibt Lendl den Goliath, kämpft gegen Windmühlen auf englischem Rasen, gerät ins Visier des "Roten Barons" und wird von einem einstigen Schüler überflügelt.

Er galt als Terminator unter den Tennisprofis: Ivan Lendl, auch als "Ivan, der Schreckliche" bekannt, lehrte der Konkurrenz mit seinem harten und präzisen Grundlinienspiel das Fürchten. Vor 20 Jahren endete die Laufbahn des kühlen Perfektionisten. Dietmar Wohlfart blickt auf die Karriere einer ungeliebten Legende zurück. Lesen Sie hier den ersten Teil: "Ära des Schrecklichen".

 

 

 

Der "All England Lawn Tennis and Croquet Club" zu Wimbledon stellte für den Kontrollmenschen Ivan Lendl ein unlösbares Problem dar. Zu unkalkulierbar war das Spiel auf dem vergleichsweise holprigen Untergrund. Der früher aus einer Position der Stärke heraus zur Schau gestellten Geringschätzung für das traditionsbewußteste aller Tennisturniere ließ Lendl die totale Konzentration auf die Tilgung des weißen Flecks auf seiner Triumph-Landkarte folgen. Mit fast besessenem Engagement stürzte er sich ab Mitte der 80er Jahre auf die Verwirklichung dieses letzten Ziels. Björn Borg hatte zuvor bewiesen, daß Wimbledon auch von der Grundlinie aus - sogar mehrmals - zu gewinnen war. Doch mittlerweile sah es an der Weltspitze anders aus als zu Borgs erfolgreichsten Zeiten (1976-1980). Der Eisborg hatte seine Titel unter anderem gegen Ilie Nastase in dessen letztem Grand-Slam-Finale, den verhältnismäßig talentfreien Gewaltaufschläger Roscoe Tanner und einen sehr jungen John McEnroe errungen. Als Lendl dagegen endlich seine volle Aufmerksamkeit gen London richtete, stürmten bereits die beiden Rasenspezialisten Becker und Edberg in dieselbe Richtung.

Mit dem australischen Erfolgscoach Tony Roche feilte Ivan an seinem bis dato praktisch nicht existenten Volleyspiel, ohne dabei jedoch nennenswerte Erfolge zu erzielen. Am Netz erlitt die Maschine Lendl einen regelrechten Systemausfall. Daran mochten auch temporäre Schlägerwechsel und sogar das Auslassen der French Open (1990-1991) zugunsten eines intensiv betriebenen Rasentrainings nichts ändern. Zweimal scheiterte er kurz vor der Ziellinie, als er das Finale in den Jahren 1986 (gegen Becker) und 1987 (gegen Cash) erreichte. Doch ein Turniersieg auf dem Heiligen Rasen blieb Ivan Lendl verwehrt. Am Ende hatten die Kühe gewonnen.

 

Forget Paris

 

Zum Ende des Jahrzehnts hin verlagerte sich Lendls Fokus weg von den Sandbelägen der Alten Welt hin zu den Hartplätzen Nordamerikas, auf denen er bereits seit jeher Maßstäbe gesetzt hatte. Diese nachhaltige Verlagerung wurde durch ein urknallhaftes Ereignis markiert, dessen Echo weit über die Grenzen des Tennissports hinausdrang.

Fünf Jahre, nachdem Lendl seinen Erzfeind John McEnroe in einem Klassiker niedergerungen hatte, wurde die Sportwelt 1989 Zeuge eines weiteren verblüffenden Comebacks auf dem Hauptcourt von Paris, das in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Lendl, zu diesem Zeitpunkt die Nr. 1 der Welt und folglich auch der Setzliste, hatte im laufenden Jahr bereits vier Turniersiege einschließlich der Australian Open verbucht und war als dreifacher French-Open-Champion nach Roland Garros gekommen. Der 29jährige hielt bei insgesamt 77 Turniersiegen im Einzel und bereiste den Tenniszirkus längst als Autorität des Sports, die auf dem Platz nach wie vor einschüchternde Wirkung entfaltete. Die ehemaligen Paris-Sieger Yannick Noah (Nr. 13 der Setzliste) und Jimmy Connors (Nr. 9) waren bereits früh ausgeschieden, während Lendl, ebenso wie seine Mitfavoriten Wilander und Becker, ohne Satzverlust ins Achtelfinale eingezogen war. Dort wartete mit dem 17jährigen Michael Chang die Nr. 15 des Feldes. Chang hatte im Jahr zuvor in San Francisco gegen den Veteranen Johan Kriek seinen ersten Turniererfolg auf der Profitour eingefahren. Der Amerikaner taiwanesischer Abstammung ging als krasser Außenseiter in die Partie.

Was dann aber in diesem denkwürdigen Viertrundenspiel vor einem ekstatischen Publikum seinen Lauf nahm, dürfte Ivan Lendl einen Teil seines "Schrecklichen"-Nimbus gekostet und womöglich anhaltendes Alpdrücken beschert haben. Die Bilder gingen um die Welt: Ein von Krämpfen gebeutelter Chang (der im Vergleich zu seinem 12 Jahre älteren und 13 Zentimeter größeren Gegner wie ein verletztes Kind wirkt) stemmt sich gegen die Niederlage - und triumphiert sensationell. Im Match seines Lebens machte der kleine Amerikaner einen Zweisatzrückstand samt Break wett und spielte sich in einen regelrechten Rausch. Als beinahe kollabierender David überraschte, entnervte und stürzte er schließlich den schrecklichen Goliath. Das Drama von Paris löschte Lendls 1984er-Sternstunde geradezu aus.

 

Geburtshelfer einer Legende

 

Am 13. August 1990 wurde der Schwede Stefan Edberg zur achten Nummer eins in der Geschichte des Herrentennis und seit Einführung der Computerweltrangliste im Jahr 1973. Er löste Ivan Lendl ab, der bis dahin die Spitzenposition - mit Unterbrechungen - 270 Wochen lang gehalten hatte. Lendl hatte zu Jahresbeginn seinen Titel bei den Australian Open mit einem Sieg über Edberg, der im Finale verletzungsbedingt aufgeben mußte, erfolgreich verteidigt. Bis zum Sommer errang er drei weitere Titel. Lendl hielt nunmehr bei sagenhaften 87 Einzeltiteln und nahm im Dreikampf mit Edberg und Becker die Rolle des Routiniers ein.

Seit Jahren schon standen die US Open unter dem Herrschaftseinfluß des Schrecklichen, der zwischen 1982 und 1989 jeweils das Finale von Flushing Meadows erreicht und dabei dreimal in Folge (1985-1987) gewonnen hatte. 1990 sollte die stolze Serie von acht aufeinanderfolgenden Finalteilnahmen reißen: Im Viertelfinale bekam es Lendl mit dem 19jährigen Pete Sampras zu tun. Lendl hatte die Karriereanfänge des Amerikaners verfolgt und den Teenager im Herbst 1989 auf sein Anwesen in Greenwich, Connecticut eingeladen, wo er ihn zehn Tage lang physisch und mental drillte. In New York trafen sich demnach Lehrmeister und Schützling, wobei sich der introvertierte Sampras als gelehriger Schüler erwies. Nach fünf Sätzen hatte "Pistol Pete" seinen Mentor niedergerungen und war als Sieger vom Platz gegangen. Sampras schaltete danach John McEnroe im Halbfinale aus und schoß im Anschluß seinen als Nummer vier gesetzten Landsmann Andre Agassi (Jahrgang 1970) mit 6:4, 6:3 und 6:2 aus dem Stadion.

Wie im Jahr zuvor in Paris hatte der Weg eines jugendlichen Sensationssiegers über Ivan Lendl geführt. Doch dieses Mal stand Lendl, der zuvor als gönnerhafter Förderer des Jungchampions aufgetreten war, plötzlich im Verdacht, ein Monster erschaffen zu haben. Tatsächlich hatte sich Sampras, dessen Zugang zum Spiel auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten erkennen läßt, Elemente aus Lendls Spiel zueigen gemacht. Insbesondere im dynamischen, harten Schlagabtausch von der Grundlinie adaptierte der Sohn griechischer Einwanderer ureigenste Stärken des prominenten Tutors. Lendl war sich dessen nur allzu bewußt und bekam in weiteren Begegnungen mit dem neuen Superstar Kostproben seiner eigenen Medizin zu schlucken. Beispielsweise im Finale von Cincinnati 1992, das über weite Strecken ausgeglichen verlaufen war, an dessen Ende aber wiederum Pete Sampras die Oberhand behielt: Nach einer zugunsten von Sampras entschiedenen spektakulären Rally, bei der sich die Kontrahenten gegenseitig über den Platz getrieben und dabei ihre Grundschläge aus vollem Lauf abgefeuert hatten, brachte es Lendl mit einem selbstkritischen "So stupid!" wütend auf den Punkt. Wieder war er mit seinen eigenen Waffen, die sein jüngeres Gegenüber wirkungsvoller einzusetzen vermochte, geschlagen worden.

 

Treffen der Generationen

 

Anfang der 90er schickte sich Sampras an, das Welttennis in seinem Sinne zu prägen. Nicht nur schuf er die Voraussetzungen für seinen späteren Status als Allzeitgröße des Sports, sondern er stellte zusammen mit Andre Agassi, Michael Chang und Jim Courier auch die letzte goldene Spielergeneration aus den Vereinigten Staaten. Zudem war diese Zeit ein Knotenpunkt, an dem sich noch aktive Champions aus vier bedeutenden Tennisgenerationen direkt auf dem Court trafen und einander forderten: Ins Halbfinale der US Open 1990 waren Pete Sampras, John McEnroe, Andre Agassi und Boris Becker eingezogen. Im Jahr darauf sorgte der 39jährige Jimmy Connors für einen letzten Paukenschlag, als er nach einem furiosen Siegeslauf noch einmal ins Halbfinale von New York einzog. Komplettiert wurde das sporthistorische Semifinale von Jim Courier, Stefan Edberg und Ivan Lendl. Noch im selben Jahr bestritt der unermüdliche Jimbo sein letztes Endspiel in Basel gegen John McEnroe, der sich wiederum seinerseits 1992 ins Wimbledon-Halbfinale zauberte und die Doppelkonkurrenz auf dem Heiligen Rasen zusammen mit dem Deutschen Michael Stich in dramatischer Art und Weise gewann.

Auch für Ivan Lendl zeichnete sich langsam ein Ende seines sportlichen Wegs am Horizont ab. Zwar konnte er sich nach wie vor auf Augenhöhe mit den Weltbesten messen, doch der Druck auf den alternden Meister stieg von Monat zu Monat. Neben Becker, Edberg und Agassi - den jüngeren Rivalen aus der vorangegangenen Dekade - entfalteten insbesondere Sampras und Courier am Anfang des neuen Jahrzehnts ihr volles Können. Hard-Hitter Courier (Jahrgang 1970), der in Lendl stets ein Vorbild sah, konnte trotz aller Erfolge niemals gegen den Altmeister bestehen: In vier Aufeinandertreffen gelang ihm kein einziger Satzgewinn gegen den achtfachen Grand Slam-Sieger. "Pistol Pete", der erste spielerisch "komplette" Spitzenprofi seit Rod Laver, erwies sich hingegen als generell unaufhaltsame Kraft. Alleskönner Sampras sammelte Titel um Titel, vornehmlich Grand-Slam-Trophäen, verdrängte Boris Becker aus dessen Wimbledon-Wohnzimmer und trat auch Ivan Lendls Nachfolge als bestimmender Machtfaktor auf den Hartplätzen Nordamerikas an. Workaholic Lendl mußte sich nunmehr mit Teilerfolgen begnügen.

 

 

Letzte Kämpfe

 

Das Australian-Open-Endspiel 1991 markierte Ivan Lendls letzten Auftritt in einem Grand-Slam-Finale. Als Titelverteidiger verlor er in vier Sätzen gegen Boris Becker, der sich daraufhin kurzfristig an die Weltranglistenspitze setzte. Aus den Top 3 verabschiedete sich Lendl im Laufe des Jahres und beendete die Saison auf Position 5. Zu einer Neuauflage des berühmt-berüchtigten 89er-Pariser-Achtelfinalspiels gegen Michael Chang kam es Ende 1991 beim in München ausgetragenen "Grand Slam Cup". Die Halbfinalpartie zwischen den beiden ungleichen Gegnern entfaltete sich erneut zum Marathonmatch, in dem es zur fast schon schicksalhaften Wiederholung der Ereignisse kam: Wieder führte Lendl mit zwei Sätzen Vorsprung, gab das Match jedoch infolge seines verkrampft-fehlerhaften Spiels noch aus der Hand und verlor mit 7-9 im fünften Satz.

Nach drei Turniersiegen 1991 (Philadelphia, Memphis, Long Island) - er hielt nunmehr bei insgesamt 91 Titeln - zeigte sich Lendl im Sommer 1992 auf den amerikanischen Hartplätzen zwar wiederum spielstark, verlor jedoch innerhalb kurzer Zeit drei Endspiele. Obwohl noch ohne Turniersieg im laufenden Jahr, zählte er traditionell zum Favoritenkreis bei den offenen amerikanischen Meisterschaften. Dort sollten im Achtelfinale die Emotionen hochgehen, als es zur Begegnung mit Boris Becker kam. Die vereinzelten Wutausbrüche des Deutschen - zumeist an sich selbst in unnachahmlicher Manier gerichtete Tadel - waren seit jeher Bestandteil der Marke Becker. Gefühlsregungen (welcher Form auch immer) und Ivan Lendl schlossen einander hingegen praktisch aus. Daher wirkte auch ein sich geradezu überschlagender Lendl, der sich bei mehreren Gelegenheiten vehement über vermeintliche Fehlentscheidungen der Linienrichter empörte und dabei jeweils einem Infarkt nahe schien, regelrecht grotesk. In ihrem 21. Vergleich lieferten die Kontrahenten einander jedenfalls eine wahre Nervenschlacht. Nach fünf Stunden und einer Minute Spielzeit - und der damit längsten US-Open-Partie seit Einführung des Tie-Breakers 1970 - hatte er seinen ebenfalls über die Maßen angespannten Rivalen endgültig gebrochen. Im Viertelfinale gegen Stefan Edberg wäre dem Altmeister fast ein weiterer Prestigeerfolg gelungen, doch mußte er sich gegen den schwedischen Serve-and-Volley-Spezialisten im Tie-Break des fünften Satzes denkbar knapp geschlagen geben.

Dennoch beendete Lendl die sommerliche US-Hard Court-Saison mit einer ansehnlichen Bilanz von 21-6 Siegen. Vielleicht hatte ihn ein kürzlich zuvor auf anderer Ebene errungener Sieg mit der nötigen patriotischen Energie versorgt: Am 7. Juli 1992 wurde dem gebürtigen Ostrauer die amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen. Damit hatte ein hartnäckiger Kampf um die Einbürgerung ein Ende gefunden. Obwohl der längst in den Staaten residierende Lendl bereits früh in seiner Karriere mit den Sportfunktionären der alten Heimat gebrochen und die westlichen Werte verinnerlicht hatte, war ihm die Verleihung unnatürlich lange - und durch Zutun der blockierenden Tschechoslowakei - verwehrt worden. Als sie endlich stattfand, befand sich Lendl bereits im letzten, nicht mehr zu gewinnenden Gefecht seiner sportlichen Laufbahn.

 

Genug ist genug

 

29. Juni 1992: Ivan Lendl gibt im vierten Satz des Wimbledon-Achtelfinalspiels gegen Goran Ivanisevic verletzungsbedingt auf - die Schmerzen im unteren Rückenbereich sind zu stark geworden. Ein trockenes "That´s enough" in Richtung von Stuhlschiedrichter Dana Loconto beendet das Match. Lendl hat genug, und Ivanisevic findet zunächst lobende Worte für den Mann, bevor er nüchtern nachtritt: "He´s never going to win Wimbledon."

Für Lendl gestaltet sich sein folgendes 16. Jahr auf der Tour nicht nur sportlich durchwachsen, sondern zeigt ihm auch seine gesundheitlichen Grenzen auf. Der über Jahre hinweg durch härtestes Training und kraftraubendes Spiel geschundene Körper des Neoamerikaners meldet sich nun immer öfter protestierend zu Wort. Im Frühjahr muß er das Finale von Philadelphia gegen den australischen Doppelspezialisten Mark Woodforde abbrechen; bei den US Open 1993 besiegelt ein angeschlagenes Knie Lendls Schicksal bereits in der ersten Runde.

In die Saison 1994 startet Lendl vielversprechend, scheitert erst im Finale von Sydney gegen den Weltranglistenersten Pete Sampras. Es ist sein 144. und - wie sich später herausstellt - letztes Finale. Bei den Australian Open erweist sich Sampras bereits im Achtelfinale erneut als unüberwindbare Hürde. Kurz darauf zwingt sein lädierter Rücken Lendl in Dubai zur Aufgabe. Gleiches wiederholt sich kurz darauf in Philadelphia. Nachfolgende Erstrundenniederlagen und gehemmte Darbietungen gegen schlagbare Gegner künden vom baldigen Ende einer langen und großartigen Karriere. Nach einer Zweitrundenaufgabe gegen David Wheaton in Cincinnati, einem Drittrundenaus in New Haven und einer weiteren Zweitrundenschlappe in Schenectady spielt Lendl, mittlerweile auf Position 30 der Weltrangliste abgerutscht, am 1. September auf dem Center Court der US Open sein Zweitrundenmatch gegen den ungelenken Deutschen Bernd Karbacher. Lendl verliert den ersten Satz mit 4-6, zieht im zweiten Durchgang auf 5-0 davon, wirkt dabei aber keineswegs souverän. Die chronischen Rückenbeschwerden flammen erneut auf und bescheren Karbacher ein unverhofftes Comeback. Nach vergebenen Satzbällen und acht Verlust-Games in Folge wirft Lendl zu Beginn des dritten Satzes das Handtuch.

 

Nach dem Schrecklichen

 

Lendls Abschied von der Bühne des Welttennis vollzog sich leise - große Gesten waren seine Sache nie. Lendl hat sie alle gefordert und nicht nur eine Ära des Sports geprägt. Uraltrivale McEnroe hatte seine Karriere offiziell 1992 beendet (wenngleich er 2006 kurzzeitig auf die Tour zurückkehrte, um in San Jose an seinem 47. Geburtstag in der Doppelkonkurrenz zu siegen). Der letzte aus dem Kreise der Denkmäler, der das Licht ausmachte, war aber freilich Jimmy Connors, der sein finales Tour-Match als 43jähriger 1996 in Atlanta bestritt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Lendl längst auf seinen prächtigen Besitz in Greenwich zurückgezogen und die Verbindung zur Tennisszene gekappt. Während sich der Großteil seiner alten Mitstreiter irgendwann auf der Champions Tour wiederfand, frönte Lendl seiner zweiten sportlichen Leidenschaft: dem Golfspiel.

1998 gebar seine Frau Samantha eine fünfte Tochter. Damit dürfte Lendl, der es neben dem semiprofessionell betriebenen Golfsport nunmehr mit insgesamt sechs Frauen in seinem Leben zu tun hatte, ein zufriedenstellendes Auslastungs-Level erreicht haben. Und tatsächlich schien das Kapitel Tennis längst abgehakt, als sich Ivan 2010 völlig überraschend der Seniorentour anschloß. In welcher körperlichen Verfassung würde sich der Schreckliche präsentieren? Wieviel von dem Spiel steckte noch in ihm? Es war seltsam, den Mann - übergewichtig und seltsam gelöst - nach all den Jahren auf dem Court wieder in Aktion zu erleben. Sein Vorhandschwung vermochte noch immer zu beeindrucken, doch der Bewegungsablauf bei Aufschlag und Rückhand wirkte unnatürlich verkürzt und verändert; ein Zugeständnis an Lendls Problemrücken.

2012 ging Ivan Lendl noch einen Schritt weiter und meldete sich auf der Profitour zurück - als Trainer des Schotten Andy Murray, der zuvor von dem hinterlistigen Strategen Brad Gilbert gecoacht worden war. Unter Lendl, der fortan bewegungslos und mit gefrorener Mimik Murrays Box verstärkte, gewann der Schotte sein erstes Grand-Slam-Turnier, die US Open 2012. Doch die Briten verlangten nach mehr. Ausgerechnet mit Lendls Hilfe sollte der erste Wimbledon-Titel seit 1936 für Großbritannien errungen werden. Und tatsächlich war es 2013 soweit: Murray stemmte den Pokal, während Ivan Lendl sich als siegreicher Coach im Hintergrund zumindest teilweise seelische Linderung verschaffen konnte.

Ivan Lendl im Web

(Illustrationen © Jörg Vogeltanz)

Video_ Philomena

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Illustriertendrama


Die besten Geschichten, sagt man, schreibt immer noch das Leben. So wie die von Philomena Lee, die einst einen Sohn gebar, der ihr entrissen und zur Adoption freigegeben wurde. Mit dem Journalisten Martin Sixsmith machte sie sich 50 Jahre später auf die Suche nach ihm. Die Verfilmung dieser Geschichte berührt und amüsiert. Und dafür gab´s vier Oscar-Nominierungen.

Früher war nicht immer alles besser, sondern manches auch viel härter. Zum Beispiel für junge, unverheiratete Frauen, die schwanger waren. So berichtet die pensionierte Krankenschwester Philomena Lee (Judi Dench), daß sie vor 50 Jahren im katholischen Irland aufgrund ihrer Schwangerschaft in ein Kloster geschickt wurde. Dort mußte sie vier Jahre lang die Kosten für die Geburt ihres Kindes abarbeiten, um danach festzustellen, daß die Nonnen den Sohn zur Adoption freigegeben haben.

Fünf Jahrzehnte später bricht die alte Frau ihr Schweigen und erzählt ihrer Tochter davon - und die wiederum dem ehemaligen BBC-Reporter Martin Sixsmith (Steve Coogan). Weil der gerade seinen Job verloren hat und nach einer Einnahmequelle sucht, läßt er sich dazu bewegen, sich der Geschichte Philomenas anzunehmen und mit ihr zwecks Recherche von England nach Irland zu reisen.

 

Die Story hat sich tatsächlich ereignet, worauf "Philomena" gleich zu Beginn mit seiner Texttafel hinweist, daß der Film "nach wahren Begebenheiten" handelt. Sixsmith schrieb ein Buch über Philomenas Geschichte, der britische Schauspieler und Comedian Steve Coogan adaptierte es und produzierte die Verfilmung. Der Lohn dafür waren vier Oscar-Nominierungen im Frühjahr, darunter als bester Film.

Ausgezeichnet wurde "Philomena" allerdings nicht - und das ist letztlich vielleicht auch ganz gut so. Wirklich hervorragend gerät die Geschichte, die zwar von Coogan und Dench gut gespielt ist, leider nicht. Zuvorderst lebt der Film von Stephen Frears vom Zusammenspiel seiner beiden Darsteller, deren Beziehung im Mittelpunkt steht.

Auf der einen Seite ist da die herzliche Rentnerin, die zuerst bereitwillig ihre Geschichte mit Sixsmith teilt, um schließlich im weiteren Fortgang der Recherche nach und nach an ihrer Meinung zu zweifeln. Auf der anderen Seite wird Sixsmith erst mit der Zeit mit Philomenas Story warm, nachdem er zu Beginn noch mit ihr gehadert hat.

 

Anfangs tat er sie nämlich als "human interest story" ab. Für ihn ist das "ein Euphemismus für Geschichten über schwache, verletzliche, ungebildete Menschen für verletzliche, schwache, ungebildete Leser". Aber immerhin war es eine Geschichte, in der katholische Nonnen für 1000 Pfund Babys ins Ausland verkaufen. "Scheißkatholiken" raunt der Atheist Sixsmith - und recherchiert weiter.

Eine Barbesitzerin erzählt Sixsmith im Film, daß einst auch Schauspielerin Jane Russell ein Kind aus Irland gekauft habe. "Aber ich tratsche nicht", fügt sie hinzu. "Das merke ich", erwidert Sixsmith sarkastisch. "Philomena" nimmt sich trotz seiner Handlung immer wieder solche kleinen Momente, um Platz für eine humorvolle Pointe zu schaffen.

Dies pflegt Frears später auch durch Judi Denchs Charakter - sei es, wenn sie mit Sixsmith über Liebesromane diskutiert oder ihre Sorgen bezüglich eines Wiedersehens mit dem verlorenen Sohn teilt. Was, wenn der Bub drogensüchtig ist? Oder gar ... fettleibig? Immerhin sind die Portionen in Amerika ja so riesig (wovon sich die kleine irische Frau im Hotelrestaurant in Washington D. C. selbst überzeugen kann).

 

Für die Suche nach dem Sohn interessiert man sich als Zuschauer wiederum nur bedingt, was auch daran liegen mag, daß sie nicht wirklich kompliziert gerät. Relativ problemlos kommt Sixsmith immer an die Informationen, die ihn und Philomena zum nächsten Ansprechpartner und der nächsten Etappe bringen. Auch die Auflösung verpufft in ihrer Wirkung etwas.

Obendrein hätte es die etwaig eingestreuten Rückblenden zur jungen Philomena (Sophie Kennedy Clark) nicht zwingend gebraucht, da sie nicht wirklich mehr über die Frau und ihre Umstände verraten, als ihre Worte allein transportiert haben. Sie hätten schon mehr zeigen müssen, als der Zuschauer bereits wußte ...

Insofern ist "Philomena" das, was man gern als Charakterdrama bezeichnet: Die Figuren stehen über der Handlung. Womit nicht gesagt sein soll, daß letztere nicht zu berühren vermag. Angesichts des Themas wäre aber vielleicht eine Dokumentation rund um Philomena Lee und andere Frauen, denen ähnliches widerfuhr, geeigneter gewesen als Unterhaltunsgkino mit Texttafeln.

Philomena

ØØØ

GB/USA/F 2013

Universum Film GmbH


DVD Region 2


94 Min. + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. OF

Features: Interviews, Audiokommentar

 

Regie: Stephen Frears

Darsteller: Judi Dench, Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark u. a.

Musik_ Tonkünstler in Grafenegg

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Dirigenten-Vergleichstest

Die Niederösterreichischen Tonkünstler sind im Jahr 2014 besonders oft im Einsatz - sowohl bei den bereits vergangenen Sommerkonzerten als auch beim Grafenegg-Festival. Wie unterschiedlich ein und dasselbe Orchester mit zwei verschiedenen Dirigenten klingen kann, bewies es sehr eindrucksvoll innerhalb nur einer Woche.

Mit einer Zusammenstellung von Opernausschnitten und Symphonik des Jahresregenten Richard Strauss wurde die Eröffung des Festivals zelebriert. Unter dem Orchesterchef Andres Orozca-Estrada spielten die Tonkünstler gemeinsam mit namhaften Solistinnen ein zumindest auf dem Papier interessantes Programm.

Angefangen von der Tondichtung "Don Juan" über Ausschnitte aus den Opern "Capriccio" und "Der Rosenkavalier" bis hin zur Suite aus dem "Rosenkavalier" wollte das Orchester seine Affinität zu dem Komponisten zeigen. Leider blieb es nur bei dem Versuch, da der scheidende Chefdirigent kolumbianischer Abstammung (der mittlerweile österreichischer Staatsbürger ist) alles dazu tat, um ja keine Stimmung aufkommen zu lassen.

"Don Juan" klang hektisch und knallig; die elegischen Momente (vor allem das herrliche Oboensolo) wurden regelrecht zertrümmert. Problematisch waren teilweise die Sängerinnen, allen voran Angela Denoke. Sie hatte nicht ihren besten Tag, weder als Gräfin Madeleine in "Capriccio" noch als Marschallin im "Rosenkavalier". Ihre Stimme klang fahl und manchmal brüchig, was man von ihr gar nicht gewohnt ist. Daniela Fally war weit besser - sie versteht es stets, mit ihrem glockenhellen Sopran zu bezaubern. Leider ließ ihr Orozca-Estrada keine Chance, die einzigartige Kantilene bei der "Überreichung der silbernen Rose" auszusingen. Das Schlußterzett der Oper gelang da weit besser.

 

Das Ereignis des Abends war jedoch Marina Prudenskaya, die mit ihrem wunderschönen und fülligen Mezzo als Oktavian begeistern konnte. Sie war schon 2013 als Azucena in der vertrottelten Wiener Festwocheninszenierung von Verdis Il Trovatore der einzig wirkliche Lichtblick. Die St. Petersburgerin ist ein echter Stern am Opernhimmel.

Am Ende des Konzerts spielten die Tonkünstler noch die "Rosenkavalier"-Suite, in der man all die gesungenen Stellen des Abends noch einmal symphonisch instrumentiert hören konnte. Auch hier hatte man nur den Eindruck einer fahrigen und hektischen Wiedergabe.

 

Genau eine Woche später war das Orchester unter dem phantastischen Dirigenten Kent Nagano zu hören - und zwar diesmal auf Weltklasseniveau. Gegeben wurde als Uraufführung eine Suite aus Jörg Widmanns Oper "Babylon". Das Stück klingt am Anfang eher konstruktivistisch, wird aber im Lauf seiner etwa 30minütigen Dauer immer interessanter. Widmann, ein hervorragender Klarinettist und "Composer in Residence 2014" in Grafenegg, versteht es brillant, eigene Ideen und musikalische Zitate (z. B. aus dem Marsch "Holzhackerbuam" des Wiener Komponisten Josef Wagner oder dem englischen Volkslied "Scarborough Fair") ineinander zu verflechten. Seine Oper, die 2012 in München uraufgeführt wurde, handelt von einer verbotenen Liebe in der Stadt Babylon zwischen einer Babylonierin und einem jüdischen Exilanten. Auch in der Musik wurde zeitweise die babylonische Verwirrung hörbar.

Kent Nagano war schon Dirigent der Uraufführung in München; auch hier in Grafenegg spornte er das Orchester zu Höchstleistungen an. Den Maestro mit den japanischen Wurzeln jedoch immer als Spezialisten für moderne Musik zu bezeichnen, ist nur die halbe Wahrheit - anhand von Mozarts Klarinettenkonzert (dessen Solo übrigens der Komponist Widmann spielte) demonstrierte er nämlich, daß er auch in Sachen österreichischer Klassik mitreden kann. Dirigent, Orchester und Solist zelebrierten vor allem das Adagio mit seinen unendlichen melodischen Bögen und schufen hier eine Symbiose der Musikalität.

 

Genauso verhielt es sich bei der 4. Symphonie von Gustav Mahler. Auch hier verstand es Nagano, die Musiker über sich selbst hinauswachsen zu lassen. Jede Stimmengruppe war klar zu hören, wobei aber niemals das Gesamtkunstwerk verlorenging. Der zweite Satz klang mit seinen Landlern so skurril, wie er klingen soll, und vor allem das Adagio war mehr als berührend - und das ganz ohne Zuckerguß. Zu guter Letzt besang die Schwedin Camilla Tilling die himmlischen Freuden, und der Schlußapplaus ließ hören, daß man da am 21. August 2014 eine wahre Sternstunde erleben hatte dürfen.

Eine russische Journalistin vertrat die Ansicht, es sei schade, daß Nagano nicht der neue Chef der Tonkünstler wird; nach diesem großartigen Konzert kann sich der EVOLVER-Klassikexperte ihrer Meinung nur anschließen. Der unprätentiöse Künstler ist in Österreich viel zu wenig bekannt - was sich mit dem neuen Buch "Erwarten Sie Wunder" von Inge Klopfer (Berlin-Verlag) ändern sollte. Der hochintelligente und sehr menschlich porträtierte Musiker erzählt darin vor allem von seinen Sorgen über die Zukunft der klassischen Musik. Die Realität gibt ihm traurigerweise durchaus recht; dümmliche Politiker und Sparsamkeit am falschen Platz höhlen die Klassik - die Nagano als wesentlichen Bestandteil der menschlichen Kultur sieht - mehr und mehr aus.

Der Dirigent setzt derzeit seinen Beethoven-Zyklus bei Sony fort (Symphonien 2 und 4) und bringt demnächst beim Label Edel eine Neuaufnahme der Beethovenschen Klavierkonzerte (inkl. Tripelkonzert) heraus. Letzteres dürfte höchst interessant werden, da Naganos Frau Mari Kodama Solistin bei dieser Aufnahme ist.

Grafenegg 2014 - Konzert am 14. August 2014

ØØØ
Richard-Strauss-Gala

Werke von Richard Strauss

 

Solisten: Angela Denoke, Daniela Fally, Marina Prudenskaya

 

Tonkünstler-Orchester Niederösterreich/Andres Orozca-Estrada

 

Konzert am 14. August 2014 im Wolkenturm

 

(Photo: Matin Sigmund)

Grafenegg 2014 - Konzert am 21. August 2014

ØØØØØ
Tilling, Widmann, Nagano

Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Jörg Widmann und Gustav Mahler

 

Solisten: Jörg Widmann, Klarinette

              Camilla Tilling, Sopran

 

Tonkünstler-Orchester Niederösterreich/Kent Nagano

 

Konzert am 21. August 2014 im Auditorium

 

(Photo: Wilfried Hösl)

Kent Nagano & Inge Kloper - Erwarten Sie Wunder!

Erscheint am 6. Oktober beim Berlin Verlag

Kolumnen_ Miststück der Woche III/94 - Leserwunsch #4

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The Eagles: "Hotel California"


Wünsche über Wünsche - und mittendrin ein furchtloser Kolumnist, der sich auch waschechter Gassenhauer annimmt. Über die mag durchaus schon alles Erdenkliche geschrieben worden sein. Aber vielleicht nicht alles Unerdenkliche, findet Manfred Prescher. Während er in die Tasten haut, könnt ihr euch übrigens weiter fleißig Lieder wünschen, über die ihr Erbauliches lesen möchtet.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

Im Gegensatz zu Igeln sind die Eagles nicht stachlich-pieksig, sondern nachgerade elegant. Sie gleiten durch ihre Hits, etwa durch "Desperado", "The Long Run" oder "New Kid In Town" wie auf majestätischen Schwingen. Deshalb paßt der Bandname natürlich perfekt, denn die Westcoast-Country-Rocker haben sich nach dem König der Lüfte, dem Adler, benannt. Der Igel heißt übrigens im englischen "Hedgehog" und hat als blaue Computerspielfigur Sonic mehr Tempo drauf als die meisten Songs der Kalifornier.

Die Eagles, die seit 1971 konsequent auf den Spuren der Byrds wandeln und sich auf ihrem Weg immer weiter zu einer sehr eigenständigen, erfolgreichen Supergruppe entwickelten, schufen mit "Hotel California" ein Monument, das ihre anderen Riesenhits turmhoch überragt. Mit dem Stück beginnt die gleichnamige fünfte LP der Band, Single und Album verkaufen sich besser als geschnittenes Brot. Der Song wird - im Gegensatz zum Backwerk - auch knapp 38 Jahre nach Veröffentlichung nicht schimmlig-schlecht. Das ist das Erstaunliche: "Hotel California" kann man immer wieder hören. Während andere Gassenhauer irgendwann nerven, weil sie auf irgendwelchen "Kuschelrockmonsterirgendwas"-CDs und im Formatradio totgenudelt wurden, entzieht sich das Lied dieser durchaus üblichen geschichtsbedingten Zerstörungswut, obwohl man es praktisch immer und immer wieder durchnudelt. Es funktioniert in der aus "The Big Lebowski" bekannten Flamenco-Version der Gipsy Kings genauso wie als Reggae von Majek Fashek. Nein, Leute, der Typ klingt nur wie Bob Marley, ist es aber nicht. Wahrscheinlich könnte sogar Jürgen Drews eine eigene Variante aufnehmen, ohne "Hotel California" kaputtzukriegen. Wie, das hat er? OK, Asche auf mein Haupt.

 

 

Aber zwei Dinge sind klar: Erstens sind es die 6:30 Minuten der Eagles, die "Hotel California" zu einem magischen Erlebnis von erdzeitalterüberdauerndem Ausmaß machen. Die Eagles waren aber wohl selber gar nicht so sehr von dem Song überzeugt, da die erste Single-Auskopplung aus dem Album das nette, aber doch eher gewöhnliche "New Kid In Town" war. Dazu kam, daß im Vorfeld darüber diskutiert wurde, welcher der beiden Sänger - Glenn Frey oder Don Henley - das Ganze mit seiner Stimme veredeln sollte. Ob man sich demokratisch entschied, weiß ich nicht. Sicher ist aber, daß Henley, der "Hotel California" gemeinsam mit Frey und dem Gitarristen Don Felder schrob, für immer mit dem Stück verbunden sein wird.

Zweitens läßt sich nicht wirklich klären, worum es in dem Song eigentlich geht. Die Herren Frey und Henley antworten auf Nachfragen interessierter Mitmenschen mehr oder minder belustigt, daß sie das selbst nicht wüßten. Don Henley merkte aber an, daß die Worte doch gut klängen ... Wo er recht hat, hat er recht. Das Szenario ist auch sehr seltsam: Man checkt in ein Hotel ein, in dem gestrandete Existenzen den Rest ihres - vermutlich drogenbedingt - dämmrigen Daseins verbringen müssen. Raus kommt aus dem Etablissement sowieso keiner. Steht die Herberge für das Leben an sich? Für eine Zeit, in der wir es uns vor Minibar und Flachbildfernseher einrichten, ab und zu "Sonic" daddeln, Wein trinken und uns den Dunst "billiger Räusche" (Funny van Dannen) aus den Poren schwitzen? Oder erzählt "Hotel California" auf einer Metaebene vom Ende des kalifornischen Traums und der Rückkehr der Blumenkinder auf den harten Boden der amerikanischen Realität? Möglich, möglich.

 

 

Vielleicht sagt das Lied auch etwas ganz anderes, vielleicht läßt es in jedem andere Bilder entstehen, abhängig davon, wie man bzw. frau gerade drauf ist? Ich weiß tatsächlich nicht, was die Leserin, die sich den Song wünschte, mit  "Hotel California" verbindet. Vielleicht sieht sie es, wie Günther Fischer im Buch "Alles klar auf der Andrea Doria", als "gallige Abrechnung mit Reichtum und Verschwendung, verpackt in bittersüße Melodien und garniert mit zwingenden Gitarrensoli"? Keine Ahnung. Was ich aber weiß ist, daß die Eagles einen goldenen Käfig beschreiben. Aus einem solchen grinst uns ihr Überhit seit Jahrzehnten an und zieht uns schon mit dem berühmten Intro in seinen Bann.

Ich versuche, euch nächste Woche auch wieder an diese Kolumne zu fesseln - und zwar mit einem weiteren Leserwunsch. Es wird dann um Subway To Sally und ihren Song "Maria" gehen. Im Augenblick sagt das Lied mir noch nicht so viel, aber ich hab ja noch ein paar Tage Zeit, mich darum zu kümmern. Kann eh nicht weg hier aus dem "Hotel California". Ihr dürft euch übrigens direkt aus eurer Su-ite heraus via WLAN ins Gesichtsbuch einloggen und weitere Wünsche posten. Das täte mich sehr freuen. Bis dahin bestellt noch was, laßt euch nicht ärgern und seid lieb zum Hotelpersonal.

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

The Eagles: "Hotel California"

u. a. enthalten auf der gleichnamigen CD (Elektra/Warner)

Manfred Prescher & Günther Fischer - Alles klar auf der Andrea Doria

Berühmte Songzeilen und ihre Geschichte

 

Primus Verlag (D 2013)

Print_ Stephen King - Mr. Mercedes

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Return of the King?

Ein labiler Ex-Cop, ein durchgeknallter Killer - der neue Roman des Horrorkönigs folgt konventionellen Thriller-Pfaden. Denoch weiß er zu unterhalten.

Ex-Cop Bill Hogdes versauert auf seiner Wohnzimmercouch, auf der er sich viel Fast Food und noch mehr Daily Talk reinzieht und dabei mit der Knarre seines verstorbenen Dads liebäugelt. Warum nicht endlich dem tristen Leben ein Ende bereiten?

Die Antwort flattert mit der Post ins Haus: Der Mercedes-Killer hat ihm geschrieben - ein Psychopath, der vor genau einem Jahr, wenige Wochen vor Hogdes´ Ruhestand, mit einem gestohlenen Mercedes durch die Menschenmenge vor der City Hall pflügte, hunderte arbeitsloser Frauen und Männer, die auf den Start der Jobbörse warteten, die ihnen Hoffnung versprach. Stattdessen kam der Tod auf vier Rädern.

Bis heute hat Hodges nicht verwunden, daß Mr. Mercedes, wie sich der Killer nennt, unerkannt entkommen konnte. Mit seinem Brief weckt er die Lebensgeister Hodges´, der fortan alles in Bewegung setzt, um den durchgeknallten Spinner aufzuspüren.

 

 

Schau einer an: King kann auch ganz anders. "Mr. Mercedes" kommt nämlich ganz ohne Hokuspokus aus. Eigentlich ist der Roman ein lupenreiner Thriller, der zwar wenig Überraschungen bietet, weil King sowohl in die Haut seiner Helden als auch in die des kranken Killers schlüpft, aber gerade das macht einen echten Stephen King eben auch aus: das einzigartige Talent, seine Figuren nicht nur zum Leben zu erwecken, sondern sie schnurstracks ins Herz der Leser zu schreiben. Und natürlich die vielen Anspielungen auf seine früheren Werke - eine wahre Freude für eingefleischte King-Fans.

Zum Beispiel die Cops, die ihre Streifenwagen direkt nebeneinander an der hinteren Stoßstange der großen grauen Mercedes-Limousine abstellen, als würden sie erwarten, »das Ding könnte von alleine anspringen wie dieser alte Plymouth in irgendeinem Horrorfilm und die Flucht ergreifen«.

Oder die Gummimaske auf dem Beifahrersitz, bei deren Anblick sich die Cops fragen: »Gruselig wie die Hölle. Hast du mal diesen Fernsehfilm gesehen, in dem ein Clown in der Kanalisation haust?«

Ansonsten allerdings hat die Geschichte nur eines gemein mit den anderen King-Klassikern: sie ist bevölkert von einer Schar illustrer Gestalten, die aus verschiedensten Gründen mit ihrem Leben hadern - bis sie sich neuen Herausforderungen stellen müssen.

"Mr. Mercedes" ist deshalb mehr als nur ein schnöder Thriller, sondern ein Gesellschaftsbild, ein Drama, eine Tragödie, mit der uns King vor allem eine Botschaft ans Herz legen möchte: daß es nämlich niemals zu spät ist für einen Neuanfang. Man muß sich nur trauen.

 

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