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Video_ Mud

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Hoffnungslose Romantiker

Regisseur Jeff Nichols balanciert seinen dritten Feature-Film behutsam zwischen Coming-of-Age-Drama und Südstaaten-Thriller aus. Matthew McConaughey gibt den sympathisch-zwielichtigen Mud, einen auf der Flucht befindlichen Romantiker der unerbittlichen Sorte.

Auf einer kleinen Insel im tiefsten Arkansas machen die befreundeten Schüler Ellis (Tye Sheridan) und Neckbone (Jacob Lofland) eine erstaunliche Entdeckung: Wie ein kurioses Mahnmal des vorherigen Hochwassers liegt ein Boot festgekeilt in einer Baumkrone. Als die beiden Knaben hoch oben im Geäst ins Innere des gestrandeten Wasserfahrzeugs vordringen, betreten sie zugleich auch den behelfsmäßigen Unterschlupf des rätselhaften Mud (Matthew McConaughey).

Die eher vagen Erklärungen des Fremden, vorgetragen mit dem ruppigen Charme eines Draufgängers, üben eine durchaus anziehende Wirkung auf Ellis und Neckbone aus. Muds Inselaufenthalt kommt nicht von ungefähr, sondern ist Teil des geplanten Wiedersehens mit seiner großen Liebe Juniper (Reese Witherspoon). Aus jugendlicher Neugier und mit der Chance, die eigenen ungeordneten Familienverhältnisse für kurze Zeit hinter sich zu lassen, begeben sich Ellis und Neckbone für Mud auf Einkaufs- und Erkundungstour. Als die beiden dann aber Muds Konterfei auf einem Steckbrief entdecken, entpuppt sich der freundliche Neo-Insulaner als gesuchter Mörder.

"Mud" von Jeff Nichols ("Take Shelter") ist im Kern eine hoffnungslose Liebesgeschichte, die Nichols in zwei einander überkreuzenden und zugleich ergänzenden Ausführungen erzählt. Der flüchtige Hauptcharakter, ein zwielichtiger Naturbursche, kann von Juniper, die er verehrt und beschützt, nicht lassen. Die Story einer unerfüllbaren Romanze wiederholt sich, als der 14jährige Ellis ebenfalls als hartnäckiger Beschützer Junipers auftritt und sich gleichzeitig in eine Mitschülerin verliebt. Auch Ellis ist nicht zögerlich bei der Bewahrung und Durchsetzung seiner moralischen Grundsätze: Mutig und stur tritt er Schwierigkeiten eher entgegen, als ihnen aus dem Weg zu gehen, und nimmt dabei auch eine blutige Nase in Kauf.

 

Das wilde Südstaatenpanorama von Arkansas rahmt Jeff Nichols´ starrsinnige Romantiker sehr schön ein. Der Regisseur und Drehbuchautor räumt der eindrucksvollen Naturkulisse quasi die Rolle eines allgegenwärtigen Nebencharakters ein. Er findet von Beginn an das richtige Tempo für seine Erzählung, führt ein Mysterium namens Mud ein, beschreibt das kaputte Elternhaus des heranwachsenden Ellis - und verbindet das Ganze mit eingeflochtenen Thriller-Elementen:Um Juniper vor Schaden zu bewahren, hat Mud nämlich einen Menschen getötet. "King" (Joe Don Baker), der einflußreiche und skrupellose Vater des Verstorbenen, wird nicht ruhen, bevor sein Sohn gerächt ist - und hat Kopfgeldjäger auf den Mörder angesetzt.

McConaughey befindet sich derzeit unbestreitbar auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Den Archetyp des eigensinnigen Südstaatlers reizt der geborene Texaner in seinen Rollen bis zum Anschlag aus. Er trumpfte vor seinem Oscar-Sieg ("Dallas Buyers Club", 2013) als selbstsicherer, fintenreicher "Lincoln Lawyer" (2011) auf, ergänzte das Ensemble um Jack Black in der schwarzen Komödie "Bernie" (2011) und übernahm die kultverdächtige Hauptrolle in William Friedkinds "Killer Joe" (2011). Neben Woody Harrelson spielte er danach die desolate, nihilistische Hälfte des ungleichen Ermittlerduos im düsteren HBO-Hit "True Detective". Nichols schrieb McConaughey eine Rolle auf den Leib, die Elemente dessen bislang stärkster Interpretationen zu vereinen scheint, um daraus als die einnehmende Draufgängerfigur des kompromißlos-rätselhaften Mud hervorzugehen.

Es ist eine tragisch-schöne Story um bemerkenswert herausgearbeitete, sich selbst stets treu bleibende Individuen, deren Schicksale der talentierte Jungregisseur Jeff Nichols tief in seinem Heimatstaat Arkansas verwurzelt.

Mud - Kein Ausweg

ØØØØ
(Mud)

Ascot Elite Home Entertainment (USA 2012)

DVD Region 2
130 Min. + Zusatzmaterial dt. Fassung oder engl. OF

Features: Making of, TV-Spots, Originaltrailer, Trailershow

Regie: Jeff Nichols

Darsteller: Matthew McConaughey, Tye Sheridan, Jacob Lofland, Reese Witherspoon u. a.


Kolumnen_ Miststück der Woche III/81

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Nazareth: "Not Today"


Wieder einmal wollte Manfred Prescher eigentlich über etwas anderes schreiben - doch die "Wolln" hat wieder einmal nicht gereicht. Macht aber nichts, findet euer Lieblingskolumnist.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Gestern fragte ich mich noch, ob es etwas von Lana del Rey sein dürfe, aber irgendwie durfte es dann doch nicht. Weil deren neue CD "Ultraviolence" mir gerade wie höchstsommerliche Schwüle auf das Gemüt schlägt. "Summertime Sadness" eben. Aber was soll es denn dann sein? Wie wäre es mit etwas "Wohfühlrock"? Diesen Begriff prägte das "Rolling Stone"-Magazin für die - geschätzt - siebeneinhalbmillionste Platte von Nazareth.

Nein, mit dem vermutlich sehr stillen Örtchen irgendwo in Galiläa, in dem seinerzeit ein kurz nach der Adoleszenz recht berühmter Bub aufgewachsen ist, hat die Band nichts zu tun ... wenn man mal von ihrem ziemlich alttestamentarischen Alter absieht. Das schottische Quartett wurde bereits 1966 - also kurz nachdem Moses seine Leute zum ersten "Rock am Ring" geführt hat - gegründet. Damals hieß die Band noch recht uncool The Shadettes, aber schon wenige Mondphasen später wurde das zugegeben nicht besonders geniale Markenzeichen Nazareth fest implementiert.

Aus dieser vorchristlichen Phase sind heute noch bzw. wieder Bassist Pete Agnew und Sänger Dan McCafferty dabei. Letzterer ist dem Vernehmen nach aber so krank, daß das aktuelle Werk "Rock´n´Roll Telephone" sein Vermächtnis sein soll. Aber was für eines! Der Haudegen ist gut bei rauchiger Stimme und klingt wie bei "This Flight Tonight" oder "Shot Me Down". Gut abgehangene Rockmucke, aber auch gut genug, um immer noch ordentlich mit den Jungspunden und taufrischen Metal-Rentnern mitzuhalten. "Just A Ride" klingt bedrohlich nach Black Sabbath, aber Nazareth waren immer schon auch gut im Kopieren der Konkurrenz. Und "Not Today" versichert uns, begleitet und gesteuert von einem Riff, das auch von Soundgarden oder Pearl Jam stammen könnte, daß die Welt, das Leben und der ganze Rest heute erst mal nicht untergehen werden. So lange es noch rockt und rollt, ist halt noch nicht Ruhe im Kuhstall.

Dan McCafferty röchelt, daß er heute noch nicht ans Ende denken wird - denn das kann er getrost morgen auch noch tun. Und was könnte dann nicht alles vorbei sein? Das Leben? Klar, das ist der Lauf der Welt, außer, man ist Hardrocker und röchelt ewig und drei Tage. Was praktisch und rechnerisch aber auch nur ewig ist. Das Glück? Keine Angst, das kommt nach jeder Auszeit wieder! Die Liebe? Möglich, denn schon als Mose und Dan McCafferty noch unter der antiken Sonne nach dem Gin des Lebens suchten und sich an simplen Gesetzmäßigkeiten "Expect No Mercy" bzw. "Du sollst nicht stehlen Deines Nächsten letztes Gummibärchen" oder so durchs Dasein hangelten, war die Liebe ein sehr fragiles, oft reichlich instabiles zwischenmenschliches Etwas. Ein Etwas, von dem Michael Foucault später behaupten sollte, daß es das gar nicht gibt, bzw. ein Etwas, von dem der eigentlich gar nicht so konfuse Konfuzius folgendes annahm (und damit eine gewisse Stabilität doch für möglich hielt): "Was du liebst, laß frei. Kommt es zurück, gehört es dir - für immer." Dan McCafferty glaubt irgendwie auch daran, daß Liebe möglich ist und zumindest diesen Tag überstehen kann. Das ist doch trostreich, denke ich.

 

Natürlich braucht es die Band Nazareth genauso wenig wie den gleichnamigen Marktflecken im heutigen Israel. Denn Jesus, das ist klar, hätte auch in Lüdenscheid, St. Veit an der Glan oder in Obereinherz auf die Welt kommen können. Dann hieße die schottische Band zwar "Lüdenscheid", "St. Veit" oder "Obereinherz", aber das würde auch keinen Unterschied machen.

Und heute bräuchte man die Gruppe natürlich auch nicht, was aber gar nicht mal gar so sehr an ihrer altmodischen Art des Rockens und Rollens, des Verschwitzt-Dampfens und kraftvoll Stampfens oder gar am Namen liegt. Eher schon daran, daß sie bereits in babylonischen Zeitalter unaufgeregt uninnovativ daherkamen. Was freilich heute nicht abseitiger und altmodischer tönt als annodunnemals. Deshalb sind aus der Zeit geworfene Menschen immer noch bereit, ihren letzten selbstverdienten Zehner in ein Konzertticket von Nazareth zu investieren. Man weiß ja, daß es der letzte Auftritt könnte. Das gilt zwar nicht für heute, aber ein Ende ist absehbar wie das sprichwörtliche Amen in der Kathedrale.

Euch, für die im Dome meines Herzens ein Kerzenleuchter vor sich hinlodert, sei gesagt, daß ich nächste Woche wieder etwas moderner werden möchte - und zwar mit Hamilton Leithauser. Wer jetzt "Hamilton wer?" fragt, greife bitte zu Google oder ins eigene Dachgebälk und recherchiere dorten nach. Ach, laßt gut sein, ich bin - wie der Psychologe sagt - mal wieder so co-abhängig, daß ich euch verrate, wo ihr den Leithauser herkennen könntet. Und zwar von den famosen Walkmen, die uns in den "Nuller-Jahren" unter anderem die großartigen Alben "You & Me" und "Lisbon" bescherten. Mehr zu Hamilton Dingenskirchen gibt es nächste Woche. Bis dahin macht es gut, treibt es nicht zu bunt und haltet eure Liebe fest. Es lohnt sich - das wußten schon Moses, Konfuzius, Dan McCafferty und euer Kolumnist. Amen.

 

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Nazareth: "Not Today"

Enthalten auf der CD "Rock´n´Roll Telephone" (Union Square Music/Soulfood)

Video_ Blu-ray-/DVD-Tips 3/2014

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Bye, bye, A.I.?


Der große, böse Wolf kommt neuerdings aus Israel, Roy Battys Low-Budget-Nachfolgerin dafür aus Großbritannien. Dazwischen tummeln sich die Anarcho-Trickfilmfiguren Ren und Stimpy, US-Sexualforscher sowie jede Menge Genrekost.

The Machine

ØØØ 1/2

(GB 2013/Region 2/Splendid Film/WVG)

 

Hängen Ihnen diese ganzen überproduzierten und glatt polierten Science-Fiction-Langweiler auch schon zum Hals raus? Finden Sie, daß der bereits oft erzählte Konflikt "Mensch vs. künstliche Intelligenz" immer noch nicht langweilig wird? Wenn Sie beide Fragen mit "Ja" beantworten, dann ist der walisische Low-Budget-SF-Streifen "The Machine" genau das richtige für Sie. Nachwuchsregisseur Caradog W. James erzählt darin von einer Zukunft, in der das britische Militär den Chinesen den Garaus machen will. Und weil die im Kampf eingesetzten Humanressourcen immer wieder Defekte erleiden, setzt man ihnen kurzerhand in alter Cyberpunk-Tradition Implantate ein. Gleichzeitig forscht Wissenschaftler Vincent (Toby Stephens, derzeit im TV für "Black Sails" unter falscher Flagge unterwegs) an der Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz. Als man diese schließlich in einen ebenso künstlichen Körper (Caity Lotz als Ava) gesteckt hat, denkt sie dem Militär zuviel. Den Rest können Sie sich wiederum denken ...

Trotz einiger erzählerischer Schwächen und fehlender Überraschungen in Sachen Handlung erinnert "The Machine" streckenweise an 80er-Jahre-Streifen wie "Hardware" oder sogar "Blade Runner". Doch wo Skynet, HAL oder Colossus eine Bedrohung für die menschliche Spezies darstellen, drückt man den Maschinenmenschen in diesem charmanten B-Movie die Daumen und wünscht ihnen Träume von elektrischen Schafen. Apropos Daumendrücken: Die zweite Staffel rund um die schwedischen Hubots in "Real Humans" ist mittlerweile auch schon angelaufen.

 

Die Ren & Stimpy Show - Die komplette Serie

(USA 1991-1996/Region 2/Turbine Classics)

 

Anfang der 90er Jahre - erstaunlich, wie lange das schon wieder her ist - erlebte der Zeichentrick-Irrsinn im Fernsehen seine letzte große Hochphase: Da startete nämlich im US-Sender Nickelodeon die Serie "Ren & Stimpy", die zwar eigentlich für Kinder gedacht war, aber von der ersten Sekunde an auch ein Twen- und Erwachsenenpublikum begeisterte (vor allem dann, wenn besagtes Publikum vor dem Gehirnwäschegerät gern dem vernünftigen Gebrauch von Freizeitdrogen frönte). Die Erlebnisse des Duos Ren Höek, eines cholerischen Chihuahua mit Asthmaanfällen, und Stimpson J. Cat, eines fetten, gutherzigen und strohdummen Katers, waren so irre, surreal, gnadenlos witzig, geschmacklos, brutal und voller sexueller Anspielungen, daß die lieben Kleinen zwar zuschauten, aber keine Ahnung hatten, warum ihre Eltern daneben dauernd so blöd kicherten ...

Erfunden hatte die Serie der kanadische Animationsspezialist John Kricfalusi, der - wie man beim Zusehen merkt - unter anderem sehr vom Pionier des Absurden Tex Avery inspiriert war. Er und sein Zeichentrickstudio Spümcø erdachten Gags wie den von den Baumlangusten und dem Superhelden Powdered Toast Man, ließen Ren und Stimpy den ultrabrutalen und zum Schreien lustigen "Happy Happy Joy Joy"-Tanz hinlegen, brachten zwischendurch Werbeeinschaltungen über die beste Katzenstreu der Welt oder das Kinderspielzeug "Log", ein multifunktionales Holzscheit. Kein Wunder, daß der Sender - der wie alle Massenmedien zu dieser Zeit mehr und mehr unter die Kontrolle von ahnungslosen Buchhaltern geriet - bald in Panik geriet und Kricfalusi nach zwei Staffeln seine eigene Serie wegnahm. Die Staffeln drei bis fünf, "erstellt" vom Nickelodeon-hauseigenenen Studio Games Animation, sind dann zwar auch noch durchaus witzig und schlagen locker alles, was "Spongebob" & Co. je hervorbrachten, aber das chaotisch-anarchische Feeling der Anfangszeit fehlt leider. Dennoch muß man "Ren & Stimpy" einfach haben - und zwar nicht nur, weil sie so etwas wie Vorläufer von "Beavis & Butthead" (immer noch genial!) und "South Park" (immer noch Mist für Ironiebrillenträger) waren.

In der vorliegenden Edition ist die komplette Serie enthalten, ungeschnitten, im Original und in deutscher Synchronisation sowie mit ca. 50 Minuten Bonusmaterial (wobei der echte Fan weiß, daß im Internet noch ein paar Stunden mehr herumschwirren ...). Auch die bisher nicht im deutschsprachigen Fernsehen gezeigte Episode "Man´s Best Friend" ist drauf. Für Einsteiger unverzichtbar, für Sammler eine höchst brauchbare offizielle Edition.

"It´s better than bad - it´s good!"

 

Big Bad Wolves

ØØØ 1/2
Import-Tip: USA

(Israel 2013/Region 1/Magnolia Home Entertainment)

 

Manche Themen eignen sich eigentlich nicht für Komödien. Pädophilie und Kindermord zählen definitiv dazu. Trotzdem gelingt es dem israelischen Regieduo Aharon Keshales und Navot Papushado, beide gekonnt in ihre Story zu integrieren und uns eine tiefschwarze Antwort auf Denis Villeneuves "Prisoners" zu liefern.

 

 

 

Fast Forward

Blutgletscher

(Ö 2013/Region 2/Koch Media)

ØØ

 

Der Slogan "Österreichs Antwort auf 'Das Ding aus einer anderen Welt' " prangt auf dem DVD-Backcover dieses heimischen Horrorfilms. Angesichts des hanebüchenen Drehbuchs und der teils lächerlichen Creature-Effekte wäre Österreich besser still geblieben. Dabei hätte man aus der Geschichte mit etwas script doctoring durchaus eine kurzweilige Genreproduktion machen können.

 

Michael Kohlhaas

(D/F 2013/Region 2/Polyband/WVG)

ØØ1/2

 

Manche Filme kann nicht einmal Mads Mikkelsen retten. Arnaud des Pallières´ pittoresk abgelichtete Kleist-Verfilmung "Age of Uprising: The Legend of Michael Kohlhaas" ist leider einer davon.

 

Insidious: Chapter 2

(USA 2013/Region 2/Sony Home Entertainment)

ØØØ

 

James Wan hat endlich erkannt, daß selbst die schärfste Säge irgendwann besser im Werkzeugkasten bleibt und beglückt Grusel-Fans daher in den letzten paar Jahren lieber mit gelungener Genrekost wie "The Conjuring" und "Insidious". Zu letzterem kann man sich auch guten Gewissens das Sequel auf DVD zu Gemüte führen, wie bereits die Herren Hiess und Hübner anläßlich des damaligen Kinostarts festgestellt haben.

Masters of Sex - Season 1

ØØØØ

(USA 2013/Region 2/Sony Home Entertainment)

 

Wenn es mittlerweile etwas Langweiligeres als explodierende Städte oder Zeitlupenschießereien auf der Leinwand zu sehen gibt, dann sind das wohl Sexszenen - es sei denn, sie sind Bestandteil der Showtime-Serie "Masters of Sex". Die erzählt nämlich die Geschichte der beiden Forscher William Masters und Virginia Johnson, die im Amerika der 50er Jahre die menschliche Sexualität genauer unter die Lupe genommen haben. Das Ergebnis ist solide erzählt, gekonnt in Szene gesetzt und eignet sich hervorragend für einen Serienabend, als Double Feature mit "Mad Men".

 

Print_ Print-Tips Spezial

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Schmauchspuren #25

"Surf´s Up", selbst bei Stubenhockern wie dem gemeinen Krimileser. Doch ob in Florida oder in Berlin - Kinderschänder und Killer lauern überall. Peter Hiess berichtet über seine kriminelle Sommerlektüre.

Marcel Feige - Trieb


Goldmann-Tb. 2009

Beginnen wir gleich mit den Besten: Marcel Feige läßt seinen Berlin-Thrillern Wut und Gier einen weiteren Einwort-Titel folgen. Trieb stürzt den Leser auf fast 700 exzellent geschriebenen und hervorragend recherchierten Seiten in kriminelle Abgründe, die er lieber gar nicht kennengelernt hätte. Aber es muß sein: Die Geschichte um einen ermordeten Geschäftsmann im Nobelhotel, einen Ausreißer aus Albanien, mörderische Politintrigen und die Ermittlungen des aus den ersten beiden Bänden bekannten Kommissars Paul Kalkbrenner sowie des Sensationsreporter Harald Sackowitz entwickelt sich ganz anders, als man denkt. Und sie führt in die schmutzigen Abgründe von Pädophilenringen, von denen scheinbar (auch in der grausamen Realität!) viele wissen, gegen die aber keiner was tut. Kalkbrenner, frisch geschieden, steht genauso oft vor verschlossenen Türen wie Sackowitz, der hier sogar öfter in Lebensgefahr gerät und in diesem Buch der eigentliche Held ist. Eindeutig einer der Krimis des Jahres.

Don Winslow - Pacific Private


Suhrkamp-Tb. 2009

Ebenfalls einen Platz auf der Bestenliste - wenn auch weiter unten - hat Don Winslow verdient, dessen Roman Pacific Private in der ersten Staffel der neuen Kriminalreihe des Suhrkamp-Verlags (!) erscheint - und große Hoffnungen für das Projekt weckt. Winslows Held heißt Daniel Boone, ist Ex-Polizist und zeitweise Privatdetektiv, wenn das Geld knapp wird. Ansonsten widmet er sich im kalifornischen Pacific Beach mit seinen Freunden von der "Dawn Patrol" lieber exzessiv dem Surfen. Boone soll im Auftrag einer Anwältin nach einer verschwundenen Kronzeugin - einer Stripperin - suchen, rutscht dabei aber in eine üble Geschichte mit Verbrecherbanden und organisiertem Kinderhandel hinein, bei der ihm im Finale seine superlässig entspannten Surf-Kollegen helfen. Selbst wenn man an Beach Boys und Wassersport so gar kein Interesse hat, überzeugt Pacific Private durch Aufbau, Stimmung und Sprache. Damit hat er es verdient, mehr als der "Sommerkrimi" aus der Werbung zu sein.

Time for Hardcase Crime

Steve Fisher - No House Limit

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2008

 

John Farris - Baby Moll

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2008

 

Ken Bruen & Jason Starr - The Max

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2008

 

Da der Sommer auch hier endlos lang war und viel Zeit zum Lesen bot, ist diesmal Platz für die nächsten drei Bände der Pulp-Reihe Hard Case Crime. Der heute zu Unrecht fast vergessene Steve Fisher schrieb 1958 No House Limitüber Joe Martin, einen unabhängigen Casino-Betreiber in der Glücksspielstadt Las Vegas, der vom Mob böse bedrängt wird. Die Mafia schickt ihm einen Berufsspieler auf den Hals, der sein Haus beim Würfelspiel ruinieren soll. Knapp und lakonisch geschrieben, mit Femme fatale, mitreißend, lesenswert.

Das gilt auch für Baby Moll von John Farris (ebenfalls von 1958 - anscheinend ein gutes Jahr), die Story von Peter Mallory, einst ein Macher im organisierten Verbrechen von Florida, der von seinem alternden Boß für den berühmten "letzten Job" zurückgerufen wird: eine Rettungsaktion, die sich gefährlich anläßt, klaustrophobisch weitergeht und schließlich blutig endet. Mehr kann man nicht erwarten.

Ken Bruen und Jason Starr lassen in The Max (2008) ihre absoluten Loser-Helden aus Bust und Slide, Max Fisher und Angela Petrakos, ein drittes Mal in der Welt skurriler, schwarzhumoriger Krimiklischees antreten. Diesmal sind beide im Gefängnis - der weltfremde "The Max" in Attica, Angela im griechischen Frauenknast, komplett mit "Women in Prison"-Subplot. Und dann? Irrsinn, Bandenkriege, Ausbruch, Herpes, Flucht. Schnell gelesen und ein Riesenspaß.

Reggie Nadelson - Kalter Verrat


Piper-Tb. 2009

Das mit dem Spaß kann man Reggie Nadelson nicht gerade vorwerfen, auch wenn manche Rezensenten seine New-York-Krimis um den Cop Artie Cohen über den grünen Klee loben. Die Story von Kalter Verrat (Cohens mörderischer Neffe Billy kommt aus der Besserungsanstalt und erweist sich so gar nicht als braver Bub) ist alles andere als raffiniert, sondern im Gegenteil höchst berechenbar, der Erzählstil schwerfällig und bemüht, und die endlos aufgewärmten Klischees über russische Migranten und deren wodkagetränkte Melancholie kratzen heftig am Nervenkostüm. Nur für Feuilletonleser mit dem bekannt engen Horizont.

Warren Ellis - Gott schütze Amerika


Heyne 2009

Da kehren wir doch lieber zu den Besten zurück - in Form eines Buches, das an dieser Stelle im Original bereits besprochen wurde. Jetzt ist der absurd-perverse und himmelschreiend lustige Gonzo-Thriller Crooked Little Vein von Warren Ellis auch auf deutsch erschienen: Gott schütze Amerika hat ein abscheuliches Cover, ist aber kompetent übersetzt (obwohl niemand mit dem originalen Ellis-Englisch mithalten kann) und darf in keinem Haushalt fehlen.

"Schmauchspuren"

... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Stories_ Reisebericht Zypern, Teil III

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Dünen, Wildesel und Polyesterschnitzel

Weitab vom verblassenden Trubel des Massentourismus gibt es in Zypern ein Stück dessen zu entdecken, was vom Paradies übrig ist: einen Traumstrand, wo die Riesenschildkröten ihre Eier ablegen - zwischen Tonnen von Plastikmüll. Dritter und letzter Teil des Zypern-Reiseberichts.

Zypern konfrontiert den Urlauber in der Nebensaison mit allerlei Ungemach: leere Tavernen, kaum frisches Essen, Hotelruinen und Geisterstädte, durch die der Wind pfeift, vor sich hinschimmelnde, unverkaufte Reihenhäuser. Noch dazu werden Sparguthaben enteignet, und die Jugend trauert dem verlorenen Wohlstand nach. Ein Stück Beinahe-Paradies findet sich dennoch - jenseits der EU-Außengrenze. Ein Lokalaugenschein von Klaus Hübner. Lesen Sie hier den ersten Teil: "Urlaub auf der Geisterinsel"


Golden Beach, Karpaz, Türkische Republik Nordzypern

 

Als wir nach langer Fahrt über verschlungene Seitenstraßen und unter Zuhilfenahme einiger höchst irreführender Straßenkarten endlich zu einem der wenigen Grenzübergänge kommen, heißt es zuerst einmal zahlen. Das Visum kostet nichts, aber eine Autoversicherung schlägt mit 20 Euro zu Buche. Die westliche Versicherung gilt nämlich nichts im türkischen Zypern. Alles in allem aber war das Erreichen des Grenzübergangs das größte Problem. Er ist nirgendwo ausgeschildert, und es empfiehlt sich höchste Konzentration, damit man auch wieder zurückfindet.

Nahe der Grenze gestaltet sich der türkische Teil Zyperns durchaus recht widerlich. Nationalistische Holzköpfe scheinen nicht müde zu werden, an jedem neuralgischen Punkt eine vulgär dimensionierte Flagge Nordzyperns aufzuhängen. Die sieht aus, als hätte man die türkische Nationalflagge per Photoshop invertiert - weiß mit roten Symbolen. In Grenznähe sind die Urbanisationen genauso schäbig, unfertig und dem Verfall überlassen wie in Südzypern. Reihenhaus neben Reihenhaus gähnt leer daher. Man hat das Gefühl, die Nordzyprer wären beim Versuch, am südzyprischen Bau-Halali mitzunaschen, kläglich gescheitert.

Zum Glück liegt unser Ziel nicht im übermilitarisierten Grenzgebiet mit seinen ausladenden Kebab-Buden, Frisiersalons und pompösen 80er-Jahre-Moscheen, sondern im fernen Nordosten der Insel. Es zieht uns nach Karpaz, der langgezogenen, sehr abgelegenen und deshalb touristisch nur minimal erschlossenen Halbinsel, wo einst die türkische Invasion begann. Hier wurde uns von Reiseführern Naturbelassenheit versprochen, vor allem aber auch das letzte friedliche Miteinander von griechisch- und türkischstämmigen Zyprern.

 

 

Der Weg nach Karpaz führt vorbei an himmelschreienden Bausünden. Ein lächerlich langgezogenenes Gebäude direkt an der Hauptverkehrsstraße, über dessen Einfahrt in roten Leuchtbuchstaben die Aufschrift „Big Old Bazar“ prangt, bietet etwa 100 Mini-Geschäften Platz, aber belegt sind genau drei davon. Im Hinterland, kurz bevor man den Küstenort Bogazi erreicht, wo die Straße schmäler wird, läßt sich ein unfaßbar riesiges Hotel ausmachen, von dem nur das etwa 15stöckige Betongerüst steht und bedrohlich über die Landschaft aufragt. Es steht inmitten eines Ozeans aus halbfertigen Reihenhäusern. Auch hier weit und breit nur irreparable Landschaftszerstörung ohne Maß, Ziel und Sinn. Aber hinter Bogazi ändert sich alles. Schon zehn Kilometer weiter nördlich stehen die sanften Hügel voller Olivenbäume; Schaf- und Ziegenherden versammeln sich im Schatten großer, alter Feigenbäume; es riecht nach Wildkräutern und Meer, Zikaden lassen die heiße Luft vibrieren.

 

 

Ganz oben, am nordöstlichen Zipfel der Halbinsel, liegt der Golden Beach - der längste Strand von Zypern, sechs Kilometer lang, bis zu 500 Meter breit, eines der wenigen Mittelmeer-Refugien für die großen griechischen Meeresschildkröten, aber auch ein Reservat für Wildesel, die zurückblieben, als die griechischen Bauern vor den türkischen Soldaten Reißaus nahmen. "Burhan´s Place" heißt jener der vier touristischen Betriebe am Golden Beach, wo wir uns einmieten. Er besteht aus 20 Bungalows - mehr und anders durfte hier aus Naturschutzgründen niemand bauen. Die Anlage erinnert stark an thailändische Gebräuche, es gibt sogar einige Vietnamesinnen unter dem Personal. Die Bungalows haben alles, was man braucht, aber nicht mehr. Strom gibt es auch nur dann, wenn er wirklich benötigt wird. Das Wasser stammt aus der Entsalzungsanlage, aber es reicht immer für zwei Duschen aus. Internet gibt es maxmial für eine Stunde am Tag. Gegessen wird im einzigen Restaurant, Supermärkte oder dergleichen sind nicht vorhanden, Selbstversorger fahren mindestens eine Stunde ins nächste Dorf, genannt Rizokarpaso respektive Dipkaraz. Die ruhige, leicht heruntergekommene Kleinstadt ist einen Besuch wert, weil sie die letzte Bastion des friedlichen Miteinanders zwischen Muslimen und Christen darstellt.

 

 

Es folgen Tage, an denen wir stundenlang ziellos und gedankenverloren aufs Meer hinausstarren. Sonne, Sand und Salzwasser spülen unvermeidlich den Dreck der Leistungsgesellschaft aus der Seele. Der Ausblick scheint einem allein zu gehören, die Leute verlieren sich am Strand. Lesben und Schwule küssen sich hier vor aller Augen, das stört keinen. Wenn die Mittagshitze abgeklungen ist, begibt man sich zum Bad an den phantastischen Strand, den Studentengruppen regelmäßig reinigen. Das Wasser ist sehr sauber, außer das Wetter schwemmt einen Schwung klein zerriebener Kunststoffabfälle herbei. Aber richtig versaut ist es nie. Nach eineinhalb Stunden Schwimmen und einer kurzen Dusche geht´s schließlich ins zur Anlage gehörende Lokal, des einem jungen Türken namens Burhan gehört. Der Mann ist unglaublich entspannt. Und das Essen ist fabelhaft.

 

 

Der Golden Beach wird von einer kleinen, hügelförmigen Halbinsel mit ausgedehnter Dünenlandschaft in zwei Abschnitte geteilt. Der südliche Abschnitt ist unbewirtschaftet, was man an den Tonnen von Plastikmüll erkennen kann, die ihn verschandeln. Manchmal kommen Familien am Wochenende hierher, um zu grillen. Dann lassen sie ihre sämtlichen Einwegverpackungen, den Alu-Billiggriller und die Essensreste einfach stehen und liegen - es macht sowieso keinen Unterschied mehr. Zwischen halb im Sand versunkenen Tunnelfolien, Schiffsbojen, Gartenmöbelbruchstücken und PET-Flaschen liegen zahlreiche Muscheln, eine tote Seemöwe, der skelettierte Kopf einer Kuh und - Sensation! - eine tote Meeresschildkröte mit gut einem Meter Panzerdurchmesser. Sie ist halb verwest, stinkt nicht, sieht aber ziemlich abschreckend aus. Kein schöner Anblick alles in allem ... Der Traumstrand ist gleichzeitig Müllhalde, der paradiesische Schein also auch am Golden Beach ein trügerischer. Dem Konsumirrsinn kann das Naturschutzgebiet nicht entkommen.

 

 

Als wir "Burhan´s Place" verlassen müssen, endet jener Teil unseres Zypern-Aufenthalts, der wirklich die Bezeichnung Urlaub verdient hätte. Warum will die Türkei in die EU, fragen wir uns. Kann man das als grundsätzlich liberaler EU-Bürger mit einem Bewußtsein für die unbändige Kraft der türkischen Volkswirtschaft überhaupt befürworten angesichts der Bodenlosigkeit, mit der das westliche Wirtschaftsverbrechertum diese Insel zerstört hat? Es gibt darauf keine Antworten, nur unumstößliche Tatsachen: Der Plastikmüll schert sich einen Dreck um EU-Außengrenzen. Und in 3000 Jahren wird die Witterung auf Zypern die tausenden Beton-Schandmale hoffentlich soweit fortgespült haben, daß die Natur wieder eine Chance hat.

 

Einer der Wildesel auf der Halbinsel Karpaz, die einst von den Griechen zurückgelassen wurden, als die Türkei einmarschierte

 

Nachwort folgt ...

Print_ Olen Steinhauer - Die Kairo-Affäre

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Kein schönes Spiel

Zum Wohl ihres Landes sollen die Geheimdienste arbeiten - aber in Wahrheit geht es nur ums eigene Wohl, wie der "John le Carré des 21. Jahrhunderts" einmal mehr aufzeigt.

Mit ihrem Ehemann Emmet Kohl, einem amerikanischen Diplomaten, verbringt Sophie Kohl einen netten Abend in einem französischen Restaurant in Budapest. Doch was romantisch beginnt, endet in einem Fiasko: Erst läßt ihr Mann sie wissen, daß er über die Affäre Bescheid weiß, die sie vor einem Jahr in Kairo pflegte. Und dann steht ein Serbe vor ihrem Tisch und erschießt den Herrn Gatten.

Emmets Tod hat offenbar mit seiner Arbeit in Kairo zu tun, wo er bis vor einem Jahr an der US-Botschaft angestellt war. Er mußte sie verlassen, weil er sensible Informationen an serbische Agenten verkauft hatte. Aufgedeckt wurde der Landesverrat von Stan Bertolli, einem US-Agenten - und ausgerechnet Sophies Liebhaber. Bei ihm sucht sie jetzt, nach dem Tod ihres Mannes, Hilfe.

Doch was heißt Hilfe in einem Geschäft, in dem Lüge und Verrat die einzige Währung sind - dummerweise auch für Sophie, die es seit einem verhängnisvollen Tag vor 20 Jahren, inmitten der Wirren des Balkankriegs, selbst nicht mehr so genau nimmt mit der Wahrheit?

Die Kreise schließen sich, neue Kriege brechen aus, der Arabische Frühling bricht an. Und wie Sophie lügen sich auch die amerikanischen, serbischen, ägyptischen und libyschen Geheimdienste gegenseitig die Hucke voll - natürlich immer zum Wohl ihres Landes, wie sie vollmundig erklären, tatsächlich aber nur zum eigenen Besten. Am Ende ist einem der eigene Geldbeutel eben immer noch am nächsten. So einfach funktioniert die Welt.

Fürwahr, kein schönes Spiel. Aber eine komplexe, hochpolitische und trotzdem spannend inszenierte Geschichte, mit der Olen Steinhauer nahtlos an die Klasse seiner Milo Weaver-Trilogie (siehe hier und hier) anknüpft.

Großes Kino!

 

Olen Steinhauer - Die Kairo-Affäre

ØØØØ
(The Cairo Affair)

Blessing Verlag (D 2014)

Kolumnen_ Schein-Angriff #1

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Kommen lassen!


Viel zu lange haben uns die Beiträge unserer Lieblingskolumnistin Nina Munk im EVOLVER gefehlt - aber sie ließ uns wissen, daß sie momentan so viel anderes zu tun hat. Jetzt haben wir endlich herausbekommen, was: sie macht den Führerschein! Und natürlich haben wir sie gleich dazu vergattert, auch darüber etwas zu schreiben …

Selbst der eingefleischteste Grünwähler kommt irgendwann auf den Punkt. Mein Punkt tauchte vor einem Jahr auf, als der Schwedenofen beim besten Willen nicht auf den Gepäcksträger gepaßt hat. Also mach´ ich ihn jetzt. Das große Abenteuer. Die große Freiheit. Mobilität per Gaspedal - den Führerschein. Und das in meinem Alter!


 

Auch begeisterte Öffi-Fans wissen es längst: Mit dem IKEA-Regal ist nicht gut U-Bahnfahren. Das ist natürlich nicht der einzige Grund. Es war Gruppenzwang: endlich mitreden, wenn sich alle aufregen. Es war der Drang nach Unabhängigkeit: Muß ich mich wirklich dauernd vom Freund kutschieren lassen? Und es ist praktikabel: Er darf trinken, ich muß nicht unbedingt.

Also los. Anmeldung bei der Fahrschule - sehr kompliziert. Soviel Auswahl, alles individuell buchbar, aber auch alles einzeln zahlbar. Am besten ist ein Intensivkurs, kombiniert mit einer Extraportion Fahrstunden, und wenn ich es dann noch nicht überrissen hab´, vielleicht doch das große L in den Wagen stellen. Solange, bis ich mit einem süffisanten Lächeln zur praktischen Prüfung komme. Aber wozu das alles eigentlich? Ich bin ja nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen.

Der erste Feldversuch beweist bereits, daß es so einfach auch wieder nicht von der Hand geht. Oder vom Fuß, der hat anscheinend kein Gefühl fürs Kommenlassen. Außerdem weiß ich trotz wiederholter Aufforderung des Geübten am Beifahrersitz noch immer nicht, was das eigentlich heißt: kommen lassen. Warum muß ich das Gas kommen lassen? Braucht´s eine Einladung? Wenn ich draufsteig´, sollte es doch gehen, nicht kommen - und schon gar nicht hüpfen. Warum tut es das? Fragende Blicke zur Seite werden nur mit Angstschweiß belohnt. Und einer Hand, die zitternd zur Handbremse wandert.

Zweiter Feldversuch, diesmal auf betoniertem Feldweg. Klar, es lag sicher am Schotter, der kann die Testfahrten ja nur bremsen. Und jetzt hab´ ich auch Sportschuhe an, die Bergschuhe waren fürs Gefühl so zuträglich wie ... naja, Sie wissen schon, Sexmetapher.

Tatsächlich, ich lasse kommen. Ist ja wirklich nicht so schwer, was brauch´ ich da einen Schein, bin eh schon ein Führer.  Aber jetzt, wirklich perfide und nur, um mich wieder mal aufzublattln, kommen vom Beifahrer verschärfte Regeln: fahren, stehen bleiben, reversieren, einschlagen, in die andere Richtung fahren. Der Weltfremde hat den Film nicht verstanden - so was kommt in der Praxis doch sicher nie vor.

Ab sofort unterschreibe ich jede Petition für Kreisverkehre. Ich plädiere für Straßen, die geradeaus und in einer schönen, langen Schleife zum Ausgangspunkt zurückkehren. Es gibt einfach zu viele Ecken im Straßenverkehr, wer hat das eigentlich erfunden? Reversieren wird ab sofort gestrichen. Genauso wie Blinken und Kommenlassen. Wir müssen uns mehr aufeinander zubewegen anstatt kommen zu lassen! Die Kupplung ist asozial, und das Gas macht munter mit, das ist die harte Realität im Fahrgeschäft. Soll ich mich diesem Egoismus wirklich beugen?

 

Fortsetzung folgt. Hoffentlich.

Kolumnen_ Miststück der Woche III/82

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Hamilton Leithauser: "I Don’t Need Anyone"


Was, ihr kennt den Leithauser nicht? Das ist zwar keinesfalls verwerflich, aber doch eine ziemliche Bildungslücke - findet Manfred Prescher und versucht diese in den nun folgenden Zeilen zu schließen.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Die Älteren unter uns wissen noch, was ein Walkman ist. Genau, das sind die kleinen Cassettenabspieldingenskirchen, die man bzw. frau vor Urzeiten überall mitschleppte, bis auch noch das letzte Magnetband eierte. Genaugenommen heißen nur die von Sony wirklich so, aber wir nennen doch auch jedes Rotztüchlein aus Zellstoff "Tempo" - also sei´s drum. Aber zurück zum Walkman: Früher, in den seligen Zeiten von Madness, Smiths, Jam oder den Buzzcocks schenkte der Mann von Welt seiner Liebsten - oder der aus reichlicher Entfernung Angebeteten - einen solchen Player zum Geburtstag, zum Einjährigen oder zum Heiligen Fest der zwischenmenschlichen Liebe. Natürlich gab es als Beigabe auch immer gleich ein oder zwei selbst zusammengestellte Tapes dazu, die den Geschmack, das Herz oder die Seele des Mädels berühren sollten.

Reichlich 20 Jahre später nahm kaum noch ein Boy ein Tape für sein Girl auf, er reichte ihr eher die Tape-Rolle, mit der der iPod am Arm befestigt werden konnte und so beim Joggen um den Ententeich nicht mehr so herumschlackerte. Denn als Hamilton Leithauser die Band The Walkmen gründete, gingen praktisch auch die ersten Apple-Musikschlümpfe in Produktion. Und von da an erstellte man schnöde entweder Playlists oder brannte CDs, die bald darauf irgendwo entweder in der virtuellen Asservatenkammer namens iTunes oder in der Beziehungsrumpelkammer vor sich hin moderten. Obwohl: So richtig modern tun mit moderner Technik erstellte Kompilationen auch wieder nicht. Wehe dem also, der mal die von mir gebrannten Discs aus tieferen Erdschichten ausbuddeln muß.

 

 

 

Hamilton Leithauser nannte seine Band also gerade zu dem Zeitpunkt The Walkmen, als die letzten Cassettengeräte auf dem "Schuttabladeplatz der Zeit" (Reinhard Mey) landeten. Das beweist zum einen, daß der Sohn des amerikanischen Dichters Brad Leithauser ("Some nights, can´t sleep, I draw up a list/Of everything I´ve never done wrong/To look at me now, you might insist/My list could hardly be long ..." - der Apfel fällt bekanntlich nicht vom weit vom Pferd) ein hoffnungsloser Romantiker ist, und zum anderen, daß er weiß, daß CDs und MP3s niemals ein perfektes Mixtape ersetzen können.

In diesem Sinne geht Leithauser d. J. auch an sein eben erschienenes erstes Soloalbum "Black Hours" heran: Die Produktion schwelgt in allem, worin Menschen mit Geschmack und liebevollem Approach so schwelgen können. Die CD klingt wie ein Mixtape aus längst vergangenen Zeiten - und daher sehr modern. Man hört Frank Sinatras "In The Wee Small Hours", Marc Almonds Marc & The Mambas, es erklingen die Walker Brothers, etwas Motown vom späten Marvin Gaye und moderner Soul, wie wir ihn zum Beispiel von Matthew E. White schätzen sollten. Aber Leithauser bedient sich nicht, indem er klaut oder zitiert, sondern spürt den Geist der schwelgerischen Vorbilder auf und transferiert sie in ein äußerst geschmackvolles Hier und Jetzt. An diesem Mann könnte und sollte sich daher Robbie Williams mal ein Beispiel nehmen, dann würde sich sein Swing persönlich, reif und zeitgemäß anhören. Aber lassen wir den Engländer gemeinsam mit "Her Majesty´s National Soccer Team" im Nirwana verschwinden, auf daß beide irgendwann mal mit besserem Output wiedergeboren werden.

Hamilton Leithauser singt derweil "I Don´t Need Anyone" und meint das sicher nicht ernst. Denn er zelebriert einen Song, der in klassischer Besetzung aus Guitarre, Baß und Hammerwerk auch von Bryan Adams sein könnte, auf so charmante Art, daß klar wird, wie er das wahrscheinlich meint: "Hör mal, Schatz, wenn es dich nicht gäbe, würde ich glattweg niemanden brauchen." Schließlich existiert nichts völlig losgelöst vom Rest des großen Irgendwas. Also weder Hamilton Leithauser von uns anderen mehr oder minder geschmackssicheren Mitmenschen noch "I Don´t Need Anyone" von den Minneliedern, die uns der Künstler auf "Black Hours" zelebriert: "Alexandra", "Bless Your Heart" oder "11 O´Clock Friday Night" sind irgendwie "Something Stupid", also nette kleine Lovesongs. Aber trotzdem nicht belanglos.

Die Zeit wird zeigen, ob Leithausers Bladde tatsächlich neben Großwerken wie "I Want You" bzw. "Let´s Get It On" von Marvin Gaye oder "Close To You" bzw. "Softly As I Leave You” von Frankieboy bestehen kann. Für den einen oder anderen Liederzyklus, den man der Liebsten widmet, eignen sich die zehn Songs von "Black Hours" indes auf jeden Fall. Ich werde daher demnächst "Alexandra" und "I Don´t Need Anyone" nehmen, sie beispielsweise mit Songs von Vampire Weekend, Morrissey, Jack White und Lee Fields verbinden - und auf eine Cassette aufnehmen. So richtig mit gleichzeitigem Drücken von "Play"- und "Record"-Taste. Denn mein Mädel hat Geschmack. Die Frau besitzt einen echten Walkman und kennt die gleichnamige Band.

Nächste Woche wird es hier zünftig zugehen, weil ich ein bisserl was über die Klaxons schreiben möchte. Die britischen Rabauken sind zur Zeit recht angesagt, wobei dieses "zur Zeit" auf der Insel nur die Spanne zwischen zwei Ausgaben der Wochenzeitschrift "New Musical Express" beschreibt. Also werde ich mich wohl oder übel ranhalten mit der aber tatsächlich bereits schon vor neun Jahren im manchmal immer noch schwingenden London gegründeten Band. Ich ziehe mich daher mit dem Album "Love Frequency" in meine Kemenate zurück und lausche hoffentlich ergriffen auf das, was da aus dem iPod tönt. Ihr könnt derweil mal in eure Keller stapfen und nachschauen, ob da irgendwo ein Walkman seiner Auferstehung harrt. Wenn nicht, seid lieb zueinander und holt euch dazu die CD von Hamilton Dingenskirchen. Wenn ja, holt sie euch eben ein bisserl später oder saugt sie euch aus dem Netz.

 

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Hamilton Leithauser: "I Don´t Need Anyone"

Enthalten auf der CD "Black Hours" (Domino Records/Goodtogo)


Musik_ Wiener Festwochen 2014

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Karins Martyrium

Die Wiener Festwochen 2014 waren die ersten der Kurzintendanz Markus Hinterhäusers und sind einigermaßen gelungen. Die vom EVOLVER-Klassikexperten besuchten Aufführungen waren teilweise großartig und bahnbrechend - und dann wieder bestürzend belanglos.

Die mit Abstand beste Produktion war Glucks "Orfeo", während Haas´ Oper "Bluthaus" und Thalheimers Produktion von Horvaths "Geschichten aus dem Wienerwald" einander an Uninteressantheit fast übertrafen.

Ödön von Horvaths Geschichten aus dem Wienerwald wurden 1931 in Berlin uraufgeführt, was zum Gedanken verleiten könnte, daß ein Berliner Theater das Werk deswegen "autorengerecht" spielt. Natürlich war (wie zu erwarten) beim Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin genau das Gegenteil der Fall.

Unter Regisseur Michael Thalheimer, den Librettisten- und Autorenanweisungen offenbar nur wenig interessieren, geriet das Meisterwerk aus den Zwischenkriegsjahren zur mittleren Katastrophe. Dabei hat Horváth hier so grandios die wienerische Bösartigkeit mit ihrer vordergründigen und oberflächlichen Freundlichkeit aufs Korn genommen ... Inspiriert durch Johann Strauß´ Walzer "Geschichten aus dem Wienerwald", verpackte der Autor in seinem Meisterwerk alle möglichen Klischees bis hin zur "Mariandl" aus der Wachau, die 1943 im musikalischen Lustspiel "Hofrat Geiger" wieder zu Ehren kam.

Mit der "Berliner Schnauze" der Schauspieler wurde niemals die bösartige wienerisch-österreichische Doppelbödigkeit getroffen; viele Sätze, die unter die Haut gehen sollten, waren eher zur Lächerlichkeit verdammt. Großartig waren jedoch Katrin Wichmann als unbedarfte Marianne und Andreas Döhler als schmieriger Alfred - auch in diesem unseligen Rahmen.

 

Trotz aller Professionaliltät von Librettist, Komponist und Regisseur war die Uraufführung der Version 2014 von Georg Friedrich Haas´ Oper Bluthaus ein veritabler Flop. In den ziemlich längsten 100 Minuten im Leben des EVOLVER-Klassikexperten wurde überausführlich die Geschichte der Studentin Nadja erzählt, die von ihrem Vater mißbraucht wurde, worauf Nadjas Mutter dann zuerst den Vater ermordet und dann sich selbst.

Haas ist ein hervorragender und hochprofessioneller Komponist und Instrumentator. Er weiß genau, wie er seine musikalischen Gedanken in Klänge umsetzen muß; er spezialisiert sich immer mehr auf Obertöne. (Anm.: Obertöne kommen aus den Schwingungsproportionen der Obertonreihe zustande und beeinflussen die subjektive Klangwahrnehmung ).

Doch es nützt halt nichts, seine musikalischen Vorstellungen als Selbstzweck zu instrumentalisieren, wenn die komponierte Musik bei einem Drama absolut selten mit der Handlung in Einklang gebracht werden kann. Haas´ Musik hätte auch zu irgendeiner beliebigen Geschichte gepaßt; assoziieren konnte man in dieser Uraufführung der neuen Version leider nur sehr wenig.

Brilliert haben in dieser langweiligen Produktion trotzdem das Klangforum Wien unter Peter Rundel und vor allem Sarah Wegener als Nadja, die die extrem schwierige Partie unvergleichlich interpretierte.

 

Der wahrhafte musikalische und emotionale Höhepunkt dieser Festwochen war Christoph Willibald Glucks Orfeo e Euridice in der unübertroffenen Interpretation des Orchesters B´Rock - Baroque Orchestra Ghent unter seinem Chef Jérémie Rhorer. Den französischen Dirigenten dürfte das gleiche Schicksal vieler hervorragender Maestri ereilen, indem er in der "großen" Musikstadt Wien völlig ignoriert wird. In dieser Aufführung bewiesen Rhorer und das Orchester, daß Originalklang und Klangzauber kein Widerspruch sein müssen. Im Gegensatz zu vielen Barock-Aposteln erzeugte Rhorer hier eine Klangsinnlichkeit ohne Ende, was gerade bei Glucks Musik, die eindeutig zu "Sturm und Drang" tendiert, mehr als eindrucksvoll zu hören war.

Der italienische Regisseur Romeo Castellucci machte aus der Oper, die zum größten Teil aus dem Martyrium Orpheus´ besteht, eine spezielle Umsetzung, wie sie bis jetzt in Wien noch nie zu sehen war. Mittels einer Live-Zuschaltung aus dem Geriatriezentrum Wienerwald wurden Eindrücke aus der Station vermittelt, wo sich die am apallischen Syndrom leidende Patientin Karin Anna Giselbrecht aufhält. Die 1989 geborene Karin erlitt 2011 in Bratislava einen Herzstillstand, der letztlich zu ihrer schweren Gehirnschädigung führte.

Castelluccis Ansatz ist nicht unrichtig, wenn er meint, daß sich apallische Patienten (also solche, die sich in einem Wachkoma befinden) in einer sogenannten Halb- bzw. Zwischenwelt befinden, und er das dem Zustand der in der Unterwelt befindlichen Eurydike gleichsetzt. Mittels Live-Kamera wurde der Zuseher bis in die Station zu Karin geführt, wobei die Bilder zumeist betont unscharf gezeigt wurden, um das Gefühl des Voyeurismus nicht allzu sehr hochkommen zu lassen. Einziger Kritikpunkt bei der Aufführung war die manchmal äußerst wackelige Kameraführung, bei der man als Zuseher mehr als nur einmal fast schwindlig wurde. Vielleicht könnte man "beckmesserisch" anmerken, daß die starken Bilder gelegentlich etwas zu sehr von der Musik ablenkten.

Der dritte Akt in der Oberwelt war dann bildmäßig unbeschreiblich schön und eindrucksvoll; die nackt badende Eurydike wurde hier von einem hübschen Model gespielt. Musikalisch lieferten Bejun Mehta als Orpheus, Christiane Karg als berührende Eurydike und vor allem Rhorer mit seinem Orchester eine denkwürdige Festwochenveranstaltung.

 

Der würdige Abschluß war die visualisierte Version von Franz Schuberts Winterreise, bei der Festwocheintendant Markus Hinterhäuser selbst am Klavier saß und den superben Bariton Matthias Goerne beeindruckend begleitete.

Der in Südafrika geborene Künstler William Kentridge schuf zu den 24 Liedern des Zyklus 24 beeindruckende Animationsfilme, die das Leiden und die unerwiderte Liebe des vom Dichter Wilhelm Müller geschaffenen Wanderers zeigen sollen. Wenn man Kentridges Biographie betrachtet, deren Fokus auf das Südafrika der Apartheid gerichtet ist, begreift man erst, warum in vielen der Filme akfrikanische Ureinwohner und deren Unglück dargestellt werden; so auch in Schuberts Meisterwerk "Der Leiermann", wo in beklemmenden Worten und Klängen der unwiderrufliche Tod beschrieben wird.

Es war großartig, wie Goerne Schuberts Worte und Noten mit seinem kostbaren Baß-Bariton in Klänge umsetzte. Nicht weniger superb wirkte sein Begleiter Hinterhäuser, obwohl dieser bei manchen Liedern etwas zu sehr "pedalisierte", was zeitweise durch die Verstärkung zu verschwommenen Klavierklängen führte.

Als ob sich der Kreis schließen sollte, besuchte die Apalliker-Patientin Karin die letzte Aufführung der "Winterreise". Mit einem Spezialrollstuhl ermöglichten es die Eltern, daß die sympathische junge Frau dieses großartige Konzert hören konnte. Der EVOLVER-Klassikexperte konnte ein paar Worte mit ihrem Vater sprechen und dadurch das ungewisse Gefühl des Voyeurismus als Zuseher bei der "Orfeo"-Aufführung loswerden. Er erfuhr, daß Karin schon im Ballett immer gerne auf der Bühne stand und sich gern in der Öffentlichkeit befindet. Und man sah ihr auch an, daß sie recht zufrieden wirkte.

Wir alle von der EVOLVER-Redaktion wünschen ihr ein glückliches und zufriedenes Leben.

Ödön von Horváth - Geschichten aus dem Wienerwald

Ø 1/2
Schauspiel

Regie: Michael Thalheimer

 

Besetzung: Katrin Wichmann, Andreas Döhler, Michael Gerber u. a.

 

Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin

 

Aufführungen vom 10. bis 13. Mai 2014 im Wiener Volkstheater

 

(Photo: Arno Declair)

Georg Friedrich Haas - Bluthaus

Ø 1/2
Oper in zehn Bildern

Uraufführung der zweiten Fassung

 

Regie: Peter Mussbach

 

Klangforum Wien/Peter Rundel

 

Solisten: Sarah Wegener, Daniel Gloger, Ruth Weber, Otto Katzameier u. a.

 

Premiere: 21. Mai 2014

Reprisen: 13. und 15 Juni 2014 im Theater an der Wien

 

(Photo: Ruth Walz)

Christoph Willibald Gluck - Orfeo e Euridice

ØØØØØ
Oper in drei Akten

Regie: Romeo Castellucci

 

Arnold Schoenberg Chor

Orchester B´Rock - Baroque Orchestra Ghent/Jérémie Rhorer

 

Solisten: Christiane Karg, Bejun Mehta, Laurenz Sartena und Karin Anna Giselbrecht

 

Premiere: 11. Mai 2014

Reprisen: 13., 16. und 18 Mai im Museumsquartier Halle E

 

(Photo: Luca del Pia) 

Franz Schubert - Winterreise

ØØØØØ
Liederzyklus

visualisiert von William Kentridge

 

Matthias Goerne, Bariton

Markus Hinterhäuser, Klavier

 

Premiere: 9. Juni 2014

Reprisen: 12., 14. und 15. Juni 2014 im Museumsquartier Halle E

 

(Photo: Lukas Beck)

Video_ Sherlock - Staffel 3

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"Habt ihr mich vermißt?"

Der weltbeste Detektiv behauptet: "Ich bin kein Psychopath, ich bin ein hyperfunktionaler Soziopath." Mag sein - trotzdem freuen wir uns über das Wiedersehen mit Benedict Cumberbatch und Martin Freeman.

Es war gar nicht so sicher, daß wir dem erfolgreichen TV-Sherlock noch einmal begegnen würden, nachdem Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) am Ende der zweiten Staffel nicht nur seinen Erzfeind Dr. Moriarty über den Jordan geschickt hatte, sondern auch sich selbst, indem er - der Reichenbachfall läßt grüßen - vom Hochhaus gesprungen war.

Fall gelöst, Held tot.

 

Doch sein Sarg ist leer. (So lautet übrigens auch der Titel der ersten Episode von Staffel 3: "Der leere Sarg".)

Und die beginnt damit, daß Dr. John Watson (Martin Freeman) auch zwei Jahre nach dem Tod seines guten Freundes noch immer um ihn trauert. Ohne den strahlenden Holmes ist Watson nur ein Schatten seiner selbst - weshalb auch das Bemühen, um die Hand seiner geliebten Mary anzuhalten, zu einem Debakel zu werden droht. Alles scheint hoffnungslos, würde der Totgeglaubte nicht plötzlich leibhaftig vor ihnen stehen.

Die Verlobung ist zwar damit vorerst ausgefallen, dafür aber wird das unverhoffte Wiedersehen (und das große Rätselraten darüber, wie um alles in der Welt Sherlock den Hochhaussturz überleben konnte) derart farbenfroh exerziert, daß die Verhinderung eines möglichen Terroranschlags aufs Londoner Parlament völlig an Bedeutung verliert.

"Stil über Inhalt" lautet das Motto der ersten Episode. Aber gut, damit läßt es sich leben, da auch der Zuschauer über die Rückkehr des großen Detektivs froh ist. Erst mit der zweiten Episode, "Der Fall der Drei", findet die BBC-Serie zurück zu alter Stärke, obwohl der Zuschauer lange darauf warten muß. Zuvor befindet er sich (endlich) auf der Hochzeit von Watson und Mary, für die Holmes als Trauzeuge eine Rede halten soll. Gefühlsduseleien sind seine Sache bekanntlich nicht, weshalb er vor versammelter Hochzeitsschar kurzerhand über etliche vergangene Fälle schwadroniert, bis sich nicht nur die Gäste, sondern auch die Zuschauer fragen, was zur Hölle dieses belanglose Einerlei bloß soll. Ist den Drehbuchschreibern denn gar nichts mehr eingefallen?

Genau an dieser Stelle, als erste Ermüdungserscheinungen auftreten, erlebt die Hochzeitsparty eine überraschende Wendung. Alle Ausführungen Sherlocks fügen sich unvermittelt zu einer gefährlichen Bedrohung zusammen - und plötzlich ist man sprachlos vor Staunen über den Einfallsreichtum der Drehbuchschreiber. Großartig!

Kaum vorstellbar, daß die dritte Episode das noch toppen kann. Doch es gelingt, weil auch "Sein letzter Schwur" mit einer Vielzahl überraschender (und böser!) Wendungen aufwarten kann und Meisterhirn Sherlock es außerdem diesmal mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun bekommt, gegen dessen Machenschaften die von Dr. Moriarty nur noch wie Kinderstreiche wirken: Charles Augustus Magnussen (in Höchstform: Lars Mikkelsen) kennt dank seiner unvorstellbar riesigen Bibliothek die persönlichen Schwächen jedes wichtigen Mannes der westlichen Welt - und natürlich auch die von Sherlock. Ohne daß der Detektiv es merkt, rennt er deshalb ins offene Messer, weshalb er sich am Ende zu einer für ihn ungewöhnlichen, da höchst menschlichen Entscheidung gezwungen sieht. Grandios!

Es bleibt dabei: Die Macher von "Sherlock", Steven Moffa und Mark Gatiss (der selbst in eine Rolle schlüpft, nämlich die von Sherlock-Bruder Mycroft) sind sich und ihrer Figur treu geblieben und haben erneut phantastische Fernsehunterhaltung geschaffen: voller Tempo und überraschender Wendungen, geistreich und immer wieder amüsant (und das Ende von Episode 3 läßt Böses erahnen für Staffel 4: "Habt ihr mich vermißt?").

Selbst hartgesottene Holmes-Fans können sich dem Sog der Serie nicht entziehen, haben Moffa und Gatiss doch auch diesmal eine Vielzahl Anspielungen auf die Originalgeschichten von Arthur Conan Doyle eingeflochten. Über diese und weitere Parallelen sowie Hintergründe zur Serie informiert auch bei Staffel 3 das beiliegende Booklet, während das Bonusmaterial interessante Zusatzinfos zur Entstehung der Fernsehproduktion enthält.

 

Sherlock - Staffel 3

ØØØØØ

Polyband (GB 2013)

DVD Region 2

261 Minuten + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. Originalfassung

 

Regie: Jeremy Lovering, Colm McCarthy, Nick Hurran

Darsteller: Benedict Cumberbatch, Martin Freeman, Una Stubbs, Rupert Graves, Louise Brealey u. a.

Print_ Print-Tips Spezial

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Schmauchspuren #26

Der "literarische Krimi" ist was für Literaten, und die ergehen sich bekanntlich gern in Langeweile. Peter Hiess greift auch in seiner neuen Kolumne lieber zu handlichen Genre-Schätzen.

David Peace - Tokio im Jahr Null


Liebeskind 2009

Man hätte gewarnt sein müssen. Wenn das bürgerliche Feuilleton jemanden so in den Literatenhimmel lobt wie den Briten David Peace, muß was faul sein. Ist es auch: Peaces neuer Roman, Tokio im Jahre Null, ist in Wahrheit kein Krimi, sondern eine Ansammlung krankhafter Ticks. Die Geschichte vom japanischen Polizisten, der ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs in seinem traumatisierten Land nach einem Serienmörder sucht, erschöpft sich in endlosen, den Plot zerreißenden inneren Monologen voll nervender Manierismen. Sowas passiert eben, wenn einer "fiebrig" und "psychotisch" schreiben will: Da gibt sich der unverläßliche Erzähler (auch nix Neues) seinen Visionen und Erinnerungen hin, kratzt seine Lausbisse (kratz, kratz), hört den Regen tropfen (platsch, platsch), und alles endet so, wie man es schon aus "Shutter Island" kennt. Nur war´s dort wesentlich besser. Also noch einmal bei null anfangen.

Gemischtes Doppel

Chris Mooney - Missing

rororo 2009

 

Tom Piccirilli - Schmerz

Heyne Hardcore Tb. 2009

 

Da stürzen wir uns doch lieber auf handliche Taschenbücher, schnell zu lesen, gekonnt geschrieben und ohne Kunstkunst-Anspruch: Chris Mooneys Missing etwa, in dem ein ein kleines Mädchen in einem amerikanischen Kaff plötzlich beim Schlittenfahren verschwindet und nie mehr auftaucht, obwohl es einen Hauptverdächtigen - einen katholischen Geistlichen - gibt, dem aber nichts nachgewiesen werden kann. Als der Priester fünf Jahre später im Sterben liegt, versucht der Vater des Mädchens noch einmal, etwas über das Schicksal seiner Tochter zu erfahren. Spannend und rasant geschrieben, bis zur letzten Nebenfigur glaubwürdig und trotz der etwas abstrusen Auflösung lesenswert.

Tom Piccirillis Thriller Schmerz wiederum erscheint nicht umsonst bei Heyne Hardcore - da wird ordentlich geblutet, verstümmelt und gestorben. Die Horrorelemente stören aber ganz und gar nicht, in dieser Story vom Sozialarbeiter, der bei der Betreuung mißhandelter Kinder auf eine seltsame Familie stößt und plötzlich im Mittelpunkt einer Mordserie steht. Im Gegenteil: Man gruselt sich und will wissen, wie es ausgeht.

Time for Hardcase Crime

Max Allan Collins - The First Quarry

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2008

 

David J. Schow - Gun Work

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2008

 

Weiter im Taschenbuch, diesmal aber auf englisch und wieder aus der brillanten Pulp-Reihe Hard Case Crime, die mit zwei Neuerscheinungen aufwartet: Max Allan Collins erzählt in The First Quarry den ersten Auftrag seines Profikillers Quarry nach - der soll im Auftrag eines irren Millionärs einen College-Professor ermorden, weil der das reiche Töchterlein verführt hat. Dahinter aber verbergen sich naturgemäß allerlei andere Abscheulichkeiten ...

Ex-Splatterpunk David J. Schow wiederum zeigt in Gun Work allen Möchtegern-Harten-Hunden, wie zeitgemäßer Noir wirklich geht. Barney, moderner Revolvermann und Experte für nicht ganz legale Aufträge, wird von einem alten Freund nach Mexiko gerufen, weil dessen Frau angeblich entführt wurde. Wie sich herausstellt, steckt dahinter eine üble Intrige, die ihn fast umbringt - und dann ist Rache angesagt, mit ein paar anderen Waffenprofis, maskierten mexikanischen Wrestlern und einer Femme, die mehr als fatal ist. Hart und schnell wie ein guter Punksong, Marke Endsiebziger. Ein Juwel.

Jan Costin Wagner - Sandmann träumt


Nautilus Kaliber .64 Tb. 2009

Jan Costin Wagner macht’s in Sandmann träumt kurz, wie es bei der Reihe Kaliber .64 Vorgabe ist, also halten wir uns auch nicht zu lang auf: Die Geschichte von einem modernen Professor Unrat, der sich in eine Schülerin verliebt, nimmt eine beunruhigende Entwicklung, findet ihren tragischen Höhepunkt auf einer Klassenfahrt und nähert sich dem Thema endlich einmal anders als auf die heute übliche, inquisitorische Ach-was-sind-wir-entsetzt-Art. Gelungen.

Don Winslow - Frankie Machine


Suhrkamp-Tb. 2009

Don Winslow wurde schon letztes Mal an dieser Stelle gelobt, dem sei nur mehr hinzugefügt: Man braucht natürlich auch seinen hervorragenden Roman Frankie Machine, jetzt ebenfalls bei Suhrkamp erschienen: die Geschichte des pensionierten Mafiakillers Frank Machianno, der in Kalifornien eigentlich nur noch in Ruhe seinen Angelshop betreiben und Altherrensurfen will, als ihn die Machenschaften der "Familie" wieder einholen. Wer ihn beseitigen will und wie Mr. Machine damit fertigwird, das lesen Sie am besten selbst. Aber schnell.

John Katzenbach - Die Rache


Knaur-Tb. 2009

Dafür können Sie sich Die Rache ersparen - einen alten (1989, aus der Vor-Handy-Zeit), jetzt neu übersetzten Roman von John Katzenbach, dessen aktuelle Psychothriller durchaus gefallen, von dem man aber längst nicht alles haben muß. Schon gar nicht diesen Krimi über Ex-Revoluzzer, die von ihrer einstigen Komplizin in Bedrängnis gebracht werden. Die US-Kleinfamilie siegt, of course, und nicht nur das wirkt hier mehr als antiquiert. Eindeutig kein Bestseller, trotz Cover-Aufkleber.

"Schmauchspuren"

... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Stories_ Reisebericht Zypern, Nachwort

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Are you talking to me?

Klaus Hübners Reisebericht über seine Abenteuer auf Zypern hat uns einige unzufriedene Kommentare beschert. Jetzt nimmt er dazu Stellung.

Zypern konfrontiert den Urlauber in der Nebensaison mit allerlei Ungemach: leere Tavernen, kaum frisches Essen, Hotelruinen und Geisterstädte, durch die der Wind pfeift, vor sich hinschimmelnde, unverkaufte Reihenhäuser. Noch dazu werden Sparguthaben enteignet, und die Jugend trauert dem verlorenen Wohlstand nach. Ein Stück Beinahe-Paradies findet sich dennoch - jenseits der EU-Außengrenze. Ein Lokalaugenschein von Klaus Hübner. Lesen Sie hier den ersten Teil: "Urlaub auf der Geisterinsel"

 

Danke für die zahlreichen Reaktionen, ich habe sie alle gelesen.

Ich kann auch gut verstehen, daß mit Zypern eng verbundene Menschen - oder treffender ausgedrückt: Menschen, die ihr Geld auf Zypern gesetzt haben - hysterisch auf den Artikel reagieren. Sie haben jeden Grund dazu und sie ergänzen, bekräftigen und unterstreichen mit ihren panischen Kommentaren vortrefflich das, wovon unser Reisebericht kündet. Die Zyprer haben ihre "Urlaubsinsel der Götter" der globalen Technokratie zum Fraß vorgeworfen und kräftig mitgenascht; jetzt schwenkt das Pendel in die andere Richtung. Der Nachgeschmack muß furchtbar bitter sein.

Hinsichtlich des Vorwurfs des "unseriösen Journalismus", bei dem "unglaublich schlecht recherchiert" wurde, weil eine Jahreszahl angeblich nicht stimmt, möchte ich Sie um eines bitten: Verstehen Sie doch, daß das vollkommen egal ist! Eine Jahreszahl ist es nicht einmal wert, nachrecherchiert und nötigenfalls geändert zu werden! Ich kann mir vorstellen, daß viele von Ihnen nie in der Schule gelernt haben, was für ein hirnverbrannter Wahnsinn nationalistischer Separatismus ist, dafür aber schön brav Jahreszahlen im Geschichtsunterricht auswendig lernen durften, vom Geburtstag des Papstes über die Legende von Sisi bis zum Einmarsch in Zypern. Glauben Sie mir: Das Herunterbeten von Jahreszahlen verhilft in keiner Weise zu tieferem Verständnis der hier kritisierten Sachverhalte. Von wegen Bildung. Und dann kommen Sie mir bitte nicht mit "seriösem Journalismus". Was soll das sein? Die von Militär und Industrie erfundene und gekaufte und von Konsumsklaven produzierte Auftragsschmiererei, die in konventionellen Massenmedien und Kommerz-Webseiten dahergelogen wird? Ich verbitte mir, mit derlei Auswüchsen auch nur im Entferntesten in Zusammenhang gebracht zu werden. Ich bin mitnichten so etwas. Richtig ist vielmehr, daß ich persönliche, private Reiseberichte schreibe, die ich in unserer persönlichen, privaten, nicht kommerziellen, völlig unabhängigen und vom kapitalistischen Zerstörersystem weitestgehend entkoppelten Online-Zeitschrift veröffentliche. Ich genieße dabei das Recht der freien Meinungsäußerung. Aber das brauche ich in dem Fall gar nicht. Denn ich war dort und habe alles, was in diesem Artikel steht, mit eigenen Augen gesehen. Die Photos sprechen eine eindeutige Sprache. Wir waren schockiert, und ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand, der dieselben Dinge wie wir zu Gesicht bekommt, nicht auch zumindest stark befremdet reagiert.

Dennoch werden wir mit Sicherheit wieder nach Zypern fahren. In der Welt gibt es nicht mehr viele Flecken, die so schön sind wie Dipkarpaz. Wir werden niemals vergessen, wie wir um Mitternacht auf der Veranda unseres Bungalows saßen, der Vollmond aufging, und das Meer in einer Weise zu glühen begann, für die es keine Worte gibt.

Und wer in Ajia Napa mit fünfzehn Teilen im Hirn den Maturastreß auf Diskoschaumparty komatotsaufen will, soll das unseretwegen weiterhin gerne tun. Jedem Tierchen sein Plaisierchen!

 

Es grüßt herzlich

 

Ihr Herausgeber

Kolumnen_ Unerwünschte Nebenwirkungen

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Fehl Schaltung


Dr. Trash empfiehlt: Geben Sie den Sprachverblödern keine Chance! Setzen Sie lieber auf altmodische Zeichen wie Strichpunkte, Gedankenstriche (ja, dazu muß man denken ...) und vor allem den lieben Bindestrich. Sonst ergeht es Ihnen wie der Wien.Stadt.Regierung.

Es ist schon grauslich, wenn man als Stadt eine Corporate Identity entwickelt - und neben der medial-ideologischen Gleichschaltung der Bewohner nach der Heiligen Politischen Korrektheit ("Du betest jetzt 68 Antifaterunser und erziehst deine KinderInnen genderneutral") auch die Sprache öffentlicher Verlautbarungen auf Dummerlniveau herabsenkt. Nehmen wir nur Wien: Da wird man schon beim Einfahren auf der Autobahn von hirnrissigen Durchhalteparolen à la "Wien ist anders" behelligt. Wie anders, nämlich richtig daneben, die Hauptstadt der Neu-Ostmark tatsächlich ist, das erfährt man perfiderweise erst, wenn man mittendrin und mit den "Wiener Linien" unterwegs ist. Da fragt man sich dann nämlich, was aus den guten alten Wiener Verkehrsbetrieben geworden ist (alle per "Cross-Border-Leasing" an sogenannte Investoren verscherbelt) und ob nicht die Verantwortlichen für diese Umbenennung ein paar Linien zuviel durch ihre Nasen inhaliert haben.

Wirklich schlimm wird´s aber erst, wenn man sieht, was die Sprachvernichter und Wortpeiniger der einstigen Kulturstadt Wien angetan haben. Mit Grauen vernimmt man da zum Beispiel, daß das ehemalige Historische Museum der Stadt Wien mittlerweile die Debilenbezeichnung "Wien Museum" trägt - und das alte Völkerkundemuseum heute noch ein bissl debiler "Welt Museum Wien" heißt. Ohne Bindestrich logischerweise, weil der ist praktisch abgeschafft, sonst könnte der Leser ja versehentlich irgendeinen Zusammenhang herstellen. Auch in Gratisblättchen drückt der schlechtbezahlte Praktikant lieber auf die Leertaste, statt nur eine Sekunde drüber nachzudenken, ob zwei nebeneinanderstehende Wörter möglicherweise gemeinsam Sinn ergeben (naturgemäß denkt er "Sinn machen", der Praktikant) - aber nein, schreib ma lieber: "Berlusconi Nachfolge unklar". Warum sollte es in einer Redaktion denn anders zugehen als im Kebab-Pizza-Nudelbeisl unten am Eck, wo der Wirt aus Kannitverstan auch jeden Tag "Grill Hendl" und "Schweins Schnitzel" auf seine Kreidetafel malt?

Ein wenig fühlt man sich dabei immer an die bösen Roboter aus "Raumschiff Enterprise" erinnert, denen Mister Spock mit irgendeinem Logiktrick das Elektronengehirn durcheinandergebracht hat, auf daß sie plötzlich hilflos in der Mitte der Zentrale schweben, Funken sprühen und mit Wiener-Linien-Stimme stammeln: "Fehler … Rechen … Sektor … beschädigt … Waffen … Systeme … herunterfahren … Fehler!" Und dann explodieren sie. Glück gehabt. Wenigstens müssen sie ohne Bindestriche nicht endgültig verblöden.

Und damit Sie nicht glauben, daß der Doc mit seiner Meinung ganz allein dasteht: Steuern Sie www.deppenleerzeichen.de an. Gute Web Site. Im Inter Net.

Dr. Trash empfiehlt


(Illustration © Jörg Vogeltanz)

erscheint in gedruckter Form in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Termine_ Purcells "The Fairy Queen" bei der Styriarte 2014

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Grazer Sommernachtstraum

Nikolaus Harnoncourt verzauberte das Styriarte-Publikum mit seiner musikalischen Sicht der Semi-Opera von Henry Purcell, einem seiner Lieblingskomponisten. Die Aufführung der Fabelgeschichte war ein künstlerisches Großereignis. Schade, daß die Regie von Harnoncourts Sohn Philipp manchmal nicht an dieses Niveau anknüpfen konnte.

Henry Purcells Oper über die Feenkönigin ist das Ergebnis einer anonymen Bearbeitung von Shakespeares "Sommernachtstraum", die der englische Komponist in eine "Semi-Opera" (manche würden "Schauspielmusik" sagen) verpackt hat. Im Original wechseln bei solchen Werken dramatische Schauspiel- und Musikszenen ab.

Nikolaus Harnoncourt und sein Sohn Philipp zimmerten daraus ein zweieinhalbstündiges, fünfteiliges Wechselspiel von Gesang und Tanz, das ein Musterbeispiel von szenischer und musikalischer Homogenität gewesen wäre ... wenn der Regisseur nicht manchmal "Ohrfeigen" an das Publikum verteilt hätte. Offenbar wollte er zeitweise krampfhaft modern sein; nur so ist es erklärlich, daß einmal der Baß (ausgezeichnet: Florian Boesch) mit der Motorsäge auftritt und vorher in einem (nicht einmal authentischen) Elvis-Kostüm der 60er zu sehen ist.  Die fünf Bilder (Akte) des Stückes wurden in eine Rahmenhandlung mit einer Tänzerin und einem Tänzer gepackt, in der beide pantomimisch durch die Wandlungsgeschichte junger Liebender zum Ehepaar führten (großartig: die Tänzer Rita Sereinig und Max Niemeyer).

 

Die Choreographin Anna Schrefl schloß sich in Sachen Leistungsschwankungen dem Regisseur an; manchmal war man von den Tänzen begeistert, andere Male mußte man statt barocker Chaconnen oder Gigues plötzlich zumbaartige Gruppentänze mitansehen.

Nikolaus Harnoncourt zauberte mit seinem Concentus Musicus Wien, den er schon seit 61 (!) Jahren leitet, eine barocke Sternstunde, die niemanden in der List-Halle kaltließ. Mit einem minimalistisch besetzten Orchester erreichte er zum Himmel strebende Klänge. Unbeschreiblich schön waren beispielsweise die Echoeffekte im zweiten Bild ("Rausch der Natur"), wo man sich tatsächlich mitten in einem Sommerwald wähnte.

 

Vom Gesanglichen her war die Aufführung recht uneinheitlich; während Terry Wei (Counter) und Elisabeth Magnus zeitweise Brillanz vermissen ließen, überzeugten Dorothea Röschmann, Martina Jankova und der bereits erwähnte Florian Boesch umso mehr. Röschmanns Lamento im fünften Akt, bei dem der deutsche Weltklassesopran im Zusammenspiel mit dem Dirigenten die Zeit geradezu stillstehen ließ, war ein unvergeßliches musikalisches Ereignis.

Natürlich muß man Harnoncourts Alter (er wird heuer 85) respektieren - und es ist verständlich, daß er in Zukunft kaum mehr Opernprojekte annehmen will. Doch nach dieser Produktion ist der unbedingte Wunsch nach einem Wiedersehen und -hören in Graz (oder anderswo) beim Publikum wohl unausbleiblich.

Wer Purcells Semi-Oper nicht live in Graz erleben kann, hat die Möglichkeit, sie noch bis 7. Juli 2014 im Livestream in HD-Qualität zu sehen und zu hören.

Henry Purcell - The Fairy Queen

ØØØØØ
Semi-Opera in fünf Bildern

Regie: Philipp Harnoncourt

 

Arnold Schoenberg Chor

 

Concentus Musicus Wien/Nikolaus Harnoncourt

 

Solisten: Dorothea Röschmann, Martina Jankova, Elisabeth Magnus, Terry Wey, Joshua Ellicot, Florian Boesch

 

List-Halle/Graz

 

Premiere: 21. Juni 2014

Reprisen: 23., 25., 27. und 28. Juni 2014

 

(Photos: PhotoWerK/Werner Kmetitsch)

Kolumnen_ Miststück der Woche III/83

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Jack White: "Power Of My Love"


Wieder einmal kommt Manfred Prescher etwas dazwischen. So oft er die neue CD der Klaxons anhören will, drängt die auch schon mit Schwung raus aus dem Player. Oder dem Gehörgang. Also muß wieder etwas anderes her.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

Wie nahe "modern" und "modern" beieinander liegen, offenbart sich beim Versuch, "Love Frequency", das aktuelle Werk der Klaxons, gut zu finden. Irgendwie klingen die elf Tracks zwar zeitgemäß, aber eben doch auch reichlich gruftig - Britrock der leicht vermodernden Sorte eben. Das kann man gut finden, muß man aber nicht. Ich persönlich blicke lieber vorwärts, Brüder und Schwestern, zur Sonne eben. Und deshalb lege ich die Klaxons erstmal wieder in die untere Schublade.

Dort ruhen schon etliche andere "Bladden", und alle sind von mir eigenhändig mit dem Sticker "Mal später nochmal anhören. Falls die Zeit dann besser reicht!" versehen. Sie werden daher rasch vergessen, setzen Staub an und zerfallen sogar in meinem ziemlich umfangreichen bzw. eigentlich optimal klimatisierten musikalischen Gedächtnis zu Staub. Modriges Zeug eben.

Momentchen bitte ... Ich öffne mal die Schublade für euch. Was für ein Duft! So müßte eine Verfilmung von Edgar Allan Poes "Lebendig begraben" riechen. Und was finde ich? Hercules & Love Affair, Coldplay, die Kaiser Chiefs ... na, das muß für den Anfang wohl reichen, ist schließlich nicht auszuhalten, dieser Mief.

Ich will es gar nicht übertreiben mit der Modernität. Manchmal ist gut abgehangen bzw. altmodisch gar nicht so schlecht. Vor allem, wenn das ganze auch noch mit aktuellen Methoden produziert wird. Da kann man sich doch gleich geborgen und sicher fühlen, praktisch wie seinerzeit in Abrahams Wurstkessel. So bezeichnete meine Großmutter selig den Ort, an dem die Menschen auf ihre spätere Zeugung warten. Meiner unmaßgeblichen Einschätzung nach laufen dort auch sehr prägende Sounds. Bei Jack White und mir könnten das unter anderem auch Blues-Songs von Muddy Waters, Big Bill Broonzy, Howlin´ Wolf, Blind Willie McTell oder Robert Johnson gewesen sein.

 

Vielleicht gefällt mir daher die B-Seite der aktuellen Jack-White-Single "Lazaretto" so gut? "Power Of My Love" ist einfach ein sehr kraftvoller Blues-Track, der in gewohnter White-Manier das Thema intoniert: Hier hat ein Mann so viel Liebesenergie, daß er sie wie eine Fackel vor sich her trägt und die dann seiner Angebeteten in den Garten stellt. So illuminiert er den lauen Sommerabend auf romantische Art und Weise.

Natürlich weiß ich, daß White den Song nur covert, auch er ist - wie euer Kolumnist - ein Fan. In diesem Falle von Elvis Presley, der das Lied 1969 für das wirklich niemals vermodernde Album "From Elvis In Memphis" aufnimmt. Die zweite Seite dieser Platte beginnt mit der ebenfalls wunderbaren Version des Kings, bevor es mit "Gentle On My Mind" und "After Loving You" stilvoll weitergeht. Hauptsächlich geschrieben hat Bernie Baum dieses "Power Of My Love". Ihm verdanken wir auch unter anderem "(You´re The) Devil In Disguise", aber das tut hier nix zur Sache.

 

Ich mag jedenfalls "Power Of My Love" in beiden Versionen und habe einen möglichen Rat für die Fackelträger unter euch: Legt sowohl Elvis als auch Jack White auf Eurem iPod oder dem Smartphone ab. Oder noch besser: Macht mit irgendeiner Software einen Track daraus. Beginnend mit Presleys Variante, die dann nahtlos und folgerichtig in Whites Aufnahme übergeht - und übernehmt diese dann auf das "Mobile Device" Eurer Präferenz. Das ist dann die pure Power. Auf der Langspiel-CD "Lazaretto" ist übrigens "Power Of My Love" nicht zu finden, dafür aber die ebenfalls praktisch klassische Trinkerhymne "Just One Drink".

Nächste Woche wird es hier wirklich und wahrhaftig um Sweet Lemon gehen - zwei 15 Jahre junge Frauen aus der Holledau. Wo das ist und wer das ist? Das wird in der kommenden Kolumne verraten. Bis dahin, macht´s gut, macht´s besser, macht´s gscheit.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Jack White: "Power Of My Love"

Nicht enthalten auf der CD "Lazaretto" (Xl/Beggars Group/Indigo)


Stories_ The Flashman Papers

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Flashy Time

Vergessen Sie Flash Gordon und The Flash: Lesen Sie lieber Martin Comparts Ausführungen über den wunderbaren Taugenichts Harry Paget Flashman und dessen haarsträubende Abenteuer.

Er tauchte erstmals literarisch in Thomas Hughes´ biographischem Buch "Tom Brown´s Schooldays" (1857) auf: ein offensichtlich liederlicher Charakter, der wegen Trunkenheit der Schule verwiesen wurde. Unerwartet stieg er zum höchstdekorierten Soldaten des viktorianischen Empires auf. Zu den vielen Orden und Auszeichnungen des Brigadegenerals Flashman zählen das Viktoria-Kreuz, der Ritter der Ehrenlegion, die US-Ehrenmedaille und der San-Serafino-Orden für Reinheit und Wahrheit 4. Klasse. Das Familienvermögen der Flashmans erwirtschaftete vor allem Harrys Urgroßvater Jack Flashman durch Piraterie sowie Rum- und Sklavenhandel mit der Neuen Welt.

Harry Paget Flashman lebte von 1822 bis 1915. Sein Vater kaufte ihm zu Beginn seiner Karriere ein Offizierspatent beim 11. Regiment der Leichten Kavallerie. Er erlebte einige der wichtigsten politischen und militärischen Ereignisse seiner Epoche in der ersten Reihe mit: den 1. Britisch-Afghanischen Krieg, die Schleswig-Holstein-Frage, den Amerikanischen Bürgerkrieg (auf beiden Seiten), den Krim-Krieg (Balaclava!), den indischen Sepoy-Aufstand, den 1. Sikh-Krieg, die Taiping-Rebellion, die Indianerkriege, den Feldzug gegen die Zulu (Isandlwhana, Rork´s Drift), Brookes Feldzüge gegen die Dayak-Piraten, den Feldzug Napiers in Abessinien und den mexikanischen Feldzug unter Kaiser Maximilian.

 

Sein Frauenverschleiß war erheblich und ist in den Memoiren zum Teil halbpornographisch dargestellt. Ende der 1850er Jahre bezifferte er bis dahin 478 Frauen als Bettgefährtinnen. Da er aber als Lügner und Aufschneider decouvriert ist, wird man vermutlich zehn bis zwanzig Damen weniger veranschlagen dürfen.

Seine Memoiren, bekannt als "Flashman-Papers", sind verblüffend ehrlich und gelegentlich sogar selbstkritisch. Auch wenn man ihretwegen die Geschichte nicht umschreiben muß, geben sie doch einen erstaunlich neuen und frischen Blick auf die geschilderten Ereignisse. Ich schließe mich Kingsley Amis, der New York Times und führenden angelsächsischen Historikern an, indem ich sie als langjähriger Student menschlicher Abgründe ebenfalls zu den bedeutendsten autobiographischen Aufzeichnungen der Epoche zähle. Sie eröffnen zweifelsfrei neue Perspektiven auf zeitgeschichtliche Personen und Ereignisse.

Entdeckt wurden die "Flashman Papers" 1965 durch eine Haushaltsversteigerung in Ashbury, Leicestershire. Aufgezeichnet wurden sie von Flashman zwischen 1900 und 1905, was vielleicht auch ihre Objektivität erklärt. Der alte Harry Flashman beschönigte nichts, als er gegen Ende seines Lebens Bilanz zog. Die Papiere lagen 50 Jahre unberührt in einer Teekiste (die Bearbeitung des dritten Bands durch eine spätere Familienangehörige ist eine gesonderte Betrachtung wert).

 

Der schottische Journalist George MacDonald Fraser wurde von einem Nachfahren Flashmans mit der Herausgabe der um 1915 erstmals geordneten Memoiren betraut. Nach der Edition von Band eins bemühte er sich zwei Jahre lang vergeblich um einen Verlag, bevor er ihn 1969 im renommierten englischen Buchverlag Herbert Jenkins unterbringen konnte. Dort erschienen auch die weiteren Bände als Erstveröffentlichung. Wie alle elf Folgebände wurden die veröffentlichten "Flashman Papers" von MacDonald Fraser äußerst sorgfältig ediert und mit einem umfassenden Fußnotenapparat ("... hier irrt Flashman") versehen.

Harry Flashman in seiner Blütezeit war groß, gutaussehend (besonders stolz auf seine Koteletten, die Frauen laut seiner Aussage bezauberten) und arrogant. Seine herausragendsten Fähigkeiten waren ein ungewöhnliches Talent, Sprachen schnell zu erlernen, und seine Reitkünste hoch zu Roß und zu Weibe. Eine devote Haltung Vorgesetzten gegenüber beflügelte seine Karriere ebenfalls.

Charakterlich werfen die Aufzeichnungen ein höchst ungünstiges Licht auf den Verfasser, aber auch auf viele Zeitzeugen. Er betrog, log und lieferte zu seinem eigenen Vorteil oder um Gefahren von sich abzuwenden, auch diejenigen ans Messer, die ihn liebten. Er gab sogar eine Vergewaltigung zu und einen von ihm durchgeführten Verkauf einer jungen Frau als Sklavin an einen Indianerstamm.

Seine Aufzeichnungen weisen ihn als Lügner, Schwindler, Aufschneider, Weiberhelden, Dieb, Betrüger und Feigling aus. Nur durch Glück, Feigheit und Skrupellosigkeit ging er aus jeder gefährlichen Situation für die Öffentlichkeit als Held hervor. Ein ihn begünstigendes Schicksal sorgte fast regelmäßig dafür, daß Personen, die ihn demaskiert erlebten, ums Leben kamen oder unglaubwürdig erschienen.

 

Aus den Memoiren geht hervor, daß Flashman nur aus einem Grund ein solcher Rabauke mit niederer Gesinnung war: Er wollte die Bedingungen der Gesellschaft erfüllen, ihr gefallen und an den Möglichkeiten der Herrschenden partizipieren. Nicht einmal bei Dickens finden sich erschreckendere Darstellungen der viktorianischen Gesellschaft - wobei sich Flashman keinen Illusionen hingab und seine soziale Umgebung zynisch analysierte. Zu seiner Ehre sei gesagt, daß er nicht religiös war und Religionen verachtete, insbesondere das Christentum.

Dank dem Kuebler-Verlag sind dem deutschen Leser die "Flashman Papers" wieder zugänglich. Obwohl es fraglich ist, ob nach der "geistig-moralischen Verblödungs-Wende" noch ein paar Zehntausend gebildete Alphabeten in Deutschland vorhanden sind, die dieses Kleinod der Geschichtsschreibung zu würdigen wissen ... Aber solche kleingeistigen Überlegungen dürfen bei einem elitären Semi-Universitätsverlag keine Rolle spielen. Schließlich muß Kuebler einen Auftrag erfüllen, den die "Bundeszentrale für politische Bildung" offensichtlich nicht mehr wahrnehmen kann.

 

Held wider Willen


George MacDonald Fraser - Flashman-Romane und -Hörbücher

Sein Name ist Flashman, Harry Flashman. Und sollten Sie noch nie von ihm gehört haben, bietet der deutsche Kuebler-Verlag nun die Abenteuer von George MacDonald Frasers grandiosem Abenteurer sowohl in Buch- als auch Hörbuch-Form. Martin Compart hat gelauscht.

George MacDonald Fraser - The Light´s on at Signpost

Wenn der "Flashman"-Erfinder seine Memoiren zu Papier bringt, geizt er weder mit wunderbaren Anekdoten noch mit spitzzüngigen Seitenhieben gegen die Weltpolitik.

Print_ Print-Tips Spezial

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Schmauchspuren #27

Nicht jeder beherrscht die englische Sprache. Übersetzer und Lektoren jedoch sollten auch beim gemeinen Thriller wissen, womit sie es zu tun haben - und wie man´s am besten auf deutsch sagt. Das meint jedenfalls unser Krimiexperte Peter Hiess.

Charlie Huston - Das Clean Team


Heyne Tb. 2009

Bevor wir uns kriminellen Details zuwenden: Es ist hoch an der Zeit, gegen die Ermordung der deutschen Sprache aufzutreten. Wo steht denn geschrieben, daß moderner Hollywood-Slang sich in der Übersetzung lesen muß, als hätte ihn die selige Berliner Synchron - häßlich modernisiert fürs Unterschichtenfernsehen - erbrochen?

Charlie Hustons Kriminalgroteske Das Clean Team - um einen schwer traumatisierten Ex-Volksschullehrer, der in L. A. demotiviert dahinlümmelt, bis er einen blutigen Job bei einer Tatortreiniger-Firma annimmt - ist eigentlich ein gutes Buch. Die Story um den depressiven Mistkerl, der sich erst wohlfühlt, als er an Verbrechensschauplätzen Knochenreste, Gehirnspritzer und andere körperliche Hinterlassenschaften wegputzen darf, und der in eine absurd-witzige Geschichte um eine Femme fatale, ihren vertrottelten Bruder und ein paar inzuchtgeschädigte Hinterwäldler-Gangster verwickelt wird, kommt im Original sicher spritzig und rasant daher. Aber so? Was ist denn zum Beispiel "ein Wüstenei" (S. 372)? Wo gibt´s dieses Ei? Warum hat hier das Lektorat geschlafen und nicht auf "die Wüstenei" korrigiert? Kann man das Steuer bitte herumreißen und nicht auch noch auf dem Buchmarkt den Piefke-Aggro-Rapper markieren? Charlie Huston hätte es verdient. Und nicht nur er.

Karl Heinz Weber - Auf eigene Faust/Bernd Diksen - Rache ist kein Kinderspiel


Das Neue Berlin Tb. 2009

Zur allgemeinen Beruhigung tragen Originalfassungen bei - so oder so. Die deutsche Variante findet sich etwa in der liebenswerten Reihe "Blaulicht", die DDR-Kurzkrimis (das realsozialistische Äquivalent zum westlichen Heftroman) nachdruckt. Schon die Lektüre des schmalen Bändchens, das die zwei je 40 bis 50 Seiten starken Erzählungen Auf eigene Faust (ein Vergewaltigungsfall, beschrieben von Karl Heinz Weber) und Rache ist kein Kinderspiel (Attentat auf einer ländlichen Großbaustelle, aufgeklärt von Bernd Diksen) enthält, überzeugt den Genrefreund, daß es hier noch viele Schätze zu heben und weitere Folgen zu besorgen gibt. Und ganz ohne Ostalgie: Man sehnt sich nach einer Zeit und einer Welt, in der die Genossen Ermittler vernünftig und als moralisch ungebrochene Charaktere an ihre Fälle herangingen.

Time for Hardcase Crime

Charles Ardai - Fifty-to-One

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2008

 

Lawrence Block - Killing Castro

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2009

 

Im kapitalistischen Westen war immer schon alles dunkler, wenn auch durchaus unterhaltsam - wie zwei weitere Folgen aus der US-Noir/Pulp-Reihe Hard Case Crime (dem ständigen Begleiter dieser Kolumne) sehr schön zeigen. Den 50. Band der Serie, Fifty-to-One, hat Mitherausgeber Charles Ardai selbst verfaßt. Dabei ist es ihm nicht nur gelungen, eine trashige Welt zu zeichnen, in der sein Verlag bereits vor 50 Jahren gegründet wurde (und der Verleger einer der Protagonisten ist), sondern auch, die Kapitel nach den bisherigen 50 Publikationen zu benennen, in der richtigen Reihenfolge und auch inhaltlich passend. Und das ist mehr als ein kleines Kunststück - wir gratulieren!

Übrigens auch zu Band 51, Lawrence Blocks wunderbar nihilistischem Killing Castro aus dem Jahre 1961, in der ein paar Profis, "drifter" und vom Schicksal geprügelte Männer den Auftrag zur Ermordung des kubanischen Parteivorsitzenden annehmen. Ohne Ardai und seinen Kollegen Max Phillips wäre dieses Buch wohl nie wieder erschienen. Und schade wär´s.

 

Gemischtes Doppel

Graham Brown - Black Rain

Blanvalet Tb. 2009

 

Scott Sigler - Virulent

Heyne Tb. 2010

 

Zur Unterstützung der gar nicht so weit hergeholten These, daß man sein halbes Leben (also: die Freizeit, den Rest kann man ja kein Leben nennen ...) mit der Lektüre abenteuerlicher Techno-Thriller verbringen kann und sollte, seien hier noch zwei beruhigend umfangreiche Taschenbücher angeführt, mit denen Sie problemlos Ferien, Flugreisen, Familienfeiern und andere Faxen hinter sich bringen.

Graham Brown, Pilot und Jurist, will der neue Michael Crichton werden (wer nicht?) und legt mit Black Rain seinen Romanerstling vor: Ein supergeheimer amerikanischer Wissenschaftsgeheimdienst, eine möglicherweise unerschöpfliche Energiequelle in einer mysteriösen Pyramide mitten im Amazonas-Regenwald, attraktive Forscherinnen und Ex-Supersoldaten, wilde Eingeborene und schreckliche Monster machen Browns Werk zur unterhaltsamen Zwischendurchlektüre, die einstweilen noch nicht mit Crichton in seiner besten Zeit, aber eventuell mit James Rollins mithalten kann.

Der Shooting-Star Scott Sigler, dessen Genre-Podcasts so erfolgreich waren, daß ihn die großen Verlage schnurstracks aus dem Internet wegengagierten, liefert mit Virulent die Fortsetzung zu seinem spannenden Killerparasiten-Alien-Invasion-Thriller Infiziert (ebenfalls bei Heyne). Und die müssen Sie schon deswegen gelesen haben, damit Sie wissen, wie ein ehemaliger Football-Star, der sich selbst kastriert hat, zum Helden werden kann. Fast 700 Seiten Spannung, wenn auch ohne viele Überraschungen. Aber man kann nicht alles haben.

"Schmauchspuren"

... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Stories_ Trash-Kino

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Tout pour le Trash!

Echte Trash-Filme waren ehrlich, auf ihre Weise subversiv und besaßen im Gegensatz zu den heutigen Epigonen Charme. Popkultur-Experte Christian Keßler widmet ihnen einen Lobgesang. Wir wünschen viel Vergnügen!

Wir befinden uns in müllfixierten Zeiten. Auf der einen Seite wütet das Essig-Syndrom in den Filmdosen und frißt einen Meter Zelluloid um den nächsten einfach weg, schmatz-schmatz. Die Vergangenheit landet im Abfalleimer. Auf der anderen Seite sieht man ein Kino, das weitgehend charmefreie Budgetbesäufnisse als den letzten Schrei in Sachen Kinokunst anpreist, wie ein Kindergeburtstag für ein Kind, dessen Eltern ihren Nachwuchs nicht wirklich lieben. Über kurz oder lang werden die materiellen Medienträger sowieso Geschichte sein - da hat der Essig keine Chance mehr. Vielleicht werden die Träume, die einem das Kino einst bescherte, irgendwann gespritzt werden wie ein Medikament, ganz steril und umstandslos.

 

 

Das sogenannte Trash-Kino hat sich im Laufe der Jahre eine Nische geschnitzt, die einst tief im Dschungel der Subkultur angesiedelt war, mittlerweile aber eindeutig eine Sache des Mainstreams geworden ist. Der Mainstream - das sind nicht mehr Michael Bay und der ganze andere Konsensmampf aus Hollywood, sondern auch all jenes, was nimmermüde auf DVD herausgedroschen wird. Immer mehr muß produziert werden, jeder Monat hat seine Neuveröffentlichungen, eine Schlock-Hydra mit Tausenden von Köpfen. Daß die Tendenz somit zur Generalvermüllung geht, liegt auf der Hand. Ein klassisches B-Movie wie I Walked With A Zombie oder auch ein klassischer Autokinoheuler wie Die Nacht der Lebenden Toten haben keine Chance mehr, wenn sie ihr Dasein auf Podesten fristen, die umspült werden von billig produziertem Zombie-Kokolores, der meistens nicht viel mehr darstellt als das Hangeln nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Kein Herz, kein Hirn, keine Eier.

Da den meisten Genrefans zumindest schwant, daß wir alle vom Mist umzingelt sind, ist die Stunde für Trash-Filmer gekommen! Computergenerierte Haie beißen in Passagierflugzeuge, riesige Komodowarane haben Christopher Atkins (oder einem anderen einstigen "Star für 15 Minuten") die Freundin geklaut! Monsterquallen über Kärnten! Weinbergschnecken über Paris! Radioaktiv verseuchte Hartz-IV-Bezieher versetzen Bottrop in Angst und Schrecken! Kein Thema kann beknackt genug sein, als daß es nicht irgendwo von einem Geldgeber abgesegnet werden würde.

 

 

 

Grundsätzlich finde ich das ja gut. Bedenkliche Zeiten erfordern bedenkliche Maßnahmen. Das Problem ist nur, daß diese gagaistischen Spektakel mit ihrem chronischen Augenzwinkern meistens keinen Deut charmanter sind als die Hollywood-Big-Budget-Filme. Sie sind bewußt geschmacklos, kalkulierter Trash, die professionellen Erben von John de Bellos fröhlich dilettierendem Gemüseschocker Angriff der Killertomaten aus dem Jahre 1978. Sie ähneln für mich den Hosen mit aufgesteppten Reißverschlüssen, die man Anfang der 80er Jahre in zahllosen Boutiquen und sogar Kaufhäusern kaufen konnte, als kommerzielle Resteverwertung der sogenannten Punk-Revolution. Sie sind wie politische Satire im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Sie sind überflüssig.

 

Dabei kann gutes Trash-Kino das Leben bereichern. Tim Burton setzte der Person des Exploitation-Filmers Ed Wood 1994 ein liebevolles Denkmal. Hochtrabende Nullen hatten dem ebenso enthusiastischen wie einzigartigen Ed Wood das Label "Schlechtester Filmemacher aller Zeiten" angedichtet. Dralle Unwahrheit! Ich habe unzählige lustlos und zynisch heruntergekurbelte Machwerke gesehen, die wirklich eine Verschwendung von Lebenszeit darstellten. Wenn Bela Lugosi in Bride of the Monster seine "Home? I have no home!"-Ansprache hält, dann ist das kostbarer als die gesammelte Lebensleistung einer ganzen Reihe von Leuten, die heutzutage als Trash-Gurus abgefeiert werden. Wie viele Nichtskönner berufen sich auf den "Godfather of Gore", auf Herschell Gordon Lewis, und haben nichts, aber auch gar nichts verstanden von der Chuzpe, der Abenteuerlust, der Kreativität, die solche Leute verströmten!

 

Es geht mir mit meiner Polemik nicht darum, Hundehaufen zu polieren. Niemand, der seine sieben Sinne beieinander hat, wird ernsthaft Filme von Leuten wie Wood, Lewis oder Doris Wishman auf eine Stufe mit denen von Heroen wie Orson Welles heben wollen. Aber im Gegensatz zu den heutigen Trash-Simulationen, die den Eindruck vermitteln, als seien sie spezifisch für "Die schlechtesten Filme aller Zeiten"-Reihen im Fernsehen hergestellt, besaßen sie einen rätselhaften Charme, sie hatten Überzeugungskraft. Sie waren ehrlich. Sie waren auf ihre Weise wirklich subversiv, ein merkwürdig entgleistes Kommerzprodukt, der aus der Art geschlagene böse Vetter mit der Axt. Ein manchmal launiger, manchmal kiebiger Gegenentwurf zu dem, was man als Konvention empfand. John Waters´ Pink Flamingos (1972) funktioniert noch heute wunderbar als Kastenteufel für all jene, die sich mal so richtig schrummifummi durchunterhalten lassen wollen und stattdessen völlig verstört und entgeistert aus dem Kinosaal wanken. Die besten dieser Filme versehen den Zuschauer mit einem Weltbild, das nicht seinem eigenen entspricht. Sie leisten das, was Kino leisten sollte - sie lassen uns aussteigen aus dem, was wir als normal empfinden, aus der Kuschelzone der trügerischen Geborgenheit. Sie konfrontieren uns mit lustlosen Frauen mit unglaublich großen Brüsten, mit menschenfressenden Kaninchen, mit koprophagen Transvestiten, mit Vampirgrafen auf Abwegen. Gutes Trash-Kino läßt das Kinn des Zuschauers klangvoll auf dem Boden auftrumpfen. Gutes Trash-Kino ist kein augenzwinkerndes Spiel mit Tabubereichen, kein simulierter Regelverstoß, sondern der wahre Jakob. Drin ist, was draufsteht. What you buy is what you get.

 

 

Den Begriff "Trash-Kino" mag ich überhaupt nicht. Ramsch ist Ramsch, Mist ist Mist. Diese filmischen Klabautermänner, diese Beispiele für anmutig zelebriertes Rabaukentum als Mist zu bezeichnen, finde ich abwertend. Tatsächlich gewähren uns diese Filme eine Reise in jene Bereiche des menschlichen Wesens, die uns vom konventionellen Kino vorenthalten werden. Sie wohnen dort, wo die Zahnbürste nicht mehr hinkommt. Dafür liebe ich sie! Natürlich kann man über sie lachen, ob ihrer scheinbaren Unprofessionalität, ob der unübersehbaren Mängel, die auf ein zu niedriges Budget oder ganz einfach handwerkliches Ungeschick zurückzuführen sind. Aber ich würde vorschlagen, stattdessen lieber mit ihnen zu lachen! Oder mal gar nicht zu lachen, zur Abwechslung. Lieber verbringe ich 90 Minuten auf dem 70er-Jahre-Beat-Fauteuil in Doris Wishmans Wohnzimmer, eingekeilt von Chesty Morgans enormer Oberweite und einer surrenden Kamera, als der vorsätzlichen Rundumbeschmunzelung anheimzufallen, die man heutzutage mit dem Trash-Kino verbindet. Das ist viel schöner, als auf einer Beerdigung laut zu pupsen! Ich kann jedem nur dringend empfehlen, sich näher mit dem Kino der Absonderlichkeit zu befassen. Vielleicht verliert man sein Herz, vielleicht verliert man seinen Verstand, aber all jenen, die lieber gefährlich leben als in einer Simulation, verspreche ich einen großen Sack voll Spaß!

 

 

A Private Education


Schmutz & Schund

Jeder versucht sich am Trash - doch nur wenige wissen, wie er wirklich funktioniert. Um das Kunstschul-Unwesen hintanzuhalten, lud die österreichische Literaturzeitschrift "etcetera" zur Präsentation ihrer "Schund"-Ausgabe daher den Privatgelehrten zu einem Vortrag, der es wissen muß: Dr. Trash.
Der EVOLVER präsentiert dieses Manifest exklusiv - und fachgerecht illustriert - im Internetz. Wir bitten um höchste Aufmerksamkeit.

Willkommen im EVOLVER-Trash-Museum!

Wer seit 1996 online wildert, hat naturgemäß einiges im Archiv. Daher stellen wir hier einen Teil des "Trash-Museums" aus unserer 2001 eingestellten "The Internet Is Dead"-Edition vor.
Viel Spaß beim Stöbern!

Denn sie wissen nicht, was sie tun ...


Pulp Fiction

Wenn sogenannte "Kritiker" eines können, dann ist das g´scheit reden oder sich selbst und ihr halbgares Fachwissen zwischen den Zeilen in den Mittelpunkt stellen. Halten Sie sich lieber an echte Experten wie Martin Compart - der verrät Ihnen diesmal die wahre Bedeutung von "pulp fiction".

Bekenntnisse aus dem Untergrund


Gene Gregorits - Midnight Mavericks

Mit "Mitternachtskino" kratzten Hoberman und Rosenbaum 1983 bereits an der Oberfläche. Doch erst Gene Gregorits taucht mit einem Interview-Band richtig in die Welt der subversiven Kunst ein - und liefert intensive Gespräche mit subkulturellen "Helden".

Kolumnen_ Miststück der Woche III/84

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Sweet Lemon: "Baby I Don´t Care"


Heute wagt Manfred Prescher eine Prognose in die eigentlich eher vage Zukunft: Diese beiden jungen Damen werden es nach oben schaffen. Womit? Mit Recht, Talent und einer ungeheuren Ausstrahlung.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Meine Freundin fragte mich unlängst, ob ich Sweet Lemon kennen würde. Ich mußte zugeben, daß ich zunächst an eine merkwürdige Limonade dachte, irgendetwas wie Lemon Soda aus Italien. Lecker und extrem süß. Ich kann mich erinnern, daß ich vor Jahr und Tag auf der Piazza della Signoria in Florenz stand und ein kleines Fläschchen von dem Zuckerwasser trank. Mit dem Effekt, daß ich plötzlich Durst bekam und mich am liebsten in den nächsten Brunnen gestürzt hätte. Das Ganze muß so 1993 oder ´94 gewesen sein, auf jeden Fall waren Lena und Sophie Haslberger da noch weit und breit nicht auf der Welt. Was aber nicht bedeuten soll, daß man die beiden jungen Künstlerinnen auf das "Süß" in ihrem Bandnamen Sweet Lemon reduzieren sollte. Denn eigentlich ist ihre musikalische Limonade doch sehr anregend, folglich überhaupt nicht klebrig. Und sie selbst sind sehr talentierte, erstaunlich reife Songschreiberinnen.

Die Haslbergerinnen sind übrigens tatsächlich gleich alt - aber keine Zwillinge, sondern zwei Drittel von Drillingsschwestern. Sie sehen sich durchaus ähnlich, sind aber schon vom Gesang her deutlich zu unterscheiden. Lena hat eine erstaunlich tiefe Stimme, während Sophie fast glockenhell tönt. Das ergibt eine sehr eigene Mischung, die freilich durch das weise Songwriting noch unterstützt wird. Nachzuhören ist das noch kaum, höchstens, man läßt Bayern 3 im Dauerloop vor sich hinstromern. Was man natürlich nicht tut, weil man dann zwangsläufig über Xavier Naidoo oder so stolpern würde. Gerade eben, während ich das hier schreibe, läuft beispielsweise Lady Gaga mit "Paparazzi". Das braucht man meist genausowenig wie irgendwas schon bei Entstehung Altbackenes von Bon Jovi. Also muß man warten, bis Sweet Lemon eine Platte veröffentlicht haben werden. Das wird bald der Fall sein, weil sie ohnehin jeden Bandwettbewerb gewinnen, den es in an Bandwettbewerben gar nicht mal so armen Oberbayern gibt. Ihr "Baby I Don´t Care" hat auf jeden Fall - und da haben die Damen und Herren von Bayern 3 doch recht - Hitpotential.

Das Merkwürdige an Sweet Lemon ist nicht, daß die beiden Teenager sehr talentiert sind, sondern eher, wie erwachsen und ausgereift ihre Musik klingt. Mi ihren folkigen, rockigen und bewußt handgemachten Sounds beziehen sie sich wahrscheinlich nicht auf Joni Mitchell oder Suzanne Vega. Aber wer weiß ... Mich erinnert ihre Herangehensweise an musikalische Traditionen sehr an Kitty, Daisy & Lewis, die als Kids die Plattensammlung der Eltern geplündert und für sich entdeckt haben. Wenn dieser Forscherinnengeist auf Spielfreude und Können trifft, dann kann sich etwas entwickeln. Und zwar ganz egal, ob du - wie Kitty & Co. - aus der Metropole London oder aus Au in der Hallertau kommst. So wie Sweet Lemon. Au liegt übrigens ziemlich genau 60 Kilometer nördlich von München. Es ist nicht davon auszugehen, daß Lena und Sophie samstäglich ins "Atomic Café" fahren und sich da ihre Informationen holen. Da es aber außer Hopfen ("Hopfen und Malz, Gott behalt´s") nicht viel gibt in der Hallertau, muß im Umfeld richtig gute Musik umherschwirren.

 

Gerade läuft auf Bayern 3 "Like A Prayer" von Madonna. Die folgt auf das neue Lied von Jason Mraz. Komisch ist aber, daß sich im Radio alles gleich anhört. Da paßt dann AC/DC zu Avicii und so weiter. Was machen die nur mit den Songs? "Baby I Don´t Care" klingt demgegenüber - bei aller Perfektion - recht rauh und ungeschliffen. Hoffentlich bleibt das so. Und wo ich gerade bei Madonna bin, muß ich wieder den Schlauberger rauslassen: Wußtet ihr, daß Madame Ciccone mal ein Duett mit Prince aufgenommen hat? Die beiden waren da schon große Stars, wenn auch körperlich deutlich kleiner als die Lemon-Mädels. Das gesuchte Lied heißt "Love Song" und kommt auf dem auch nach 24 Jahren noch nach Patchouli stinkenden Album "Like A Prayer" als drittes Stück - nach dem Titeltrack und "Express Yourself".

Woran man so denkt, wenn man eine Kolumne schreibt, nachdem man eine Ü-Irgendwas-Party besucht hat ... Der DJ dort, deutlich jünger als die zunächst eher verhalten vor sich hinwippende Crowd, mischte wirklich Songs aus allen Epochen so zusammen, daß es einen erfahrenen Resident-Mixmaster wie mich verblüffte und begeisterte. Innerhalb einer Stunde ging es von den 50ern in die Jetztzeit - und retour. Aber irgendwann sprach dann der alte Häuptling der Indianer "Wild ist der Westen, ich hab´ jetzt genug", und ich ging zu Bett. Worauf ich raus will: Der DJ hatte einen sehr spielerischen Zugang zur Musik; zeitliche und inhaltliche Zusammenhänge fehlten erst einmal. Und so entstand zwangsläufig etwas Neues. Genauso ist es bei Sweet Lemon.

Ich beende das Ganze jetzt mit dem obligatorischen Hinweis auf die nächste Woche. Dann werde ich mich gleich um drei alte Männer kümmern, denn Marc Almond, Brian Setzer und Andy Williams sind wieder da. Dazu werde ich dann noch ein, zwei Sätze zum neuen Morrissey-Album verlieren und mich über wilde Kerle auslassen. Speziell für den Herausgeber von EVOLVER und mich, die wir nun mal "alt, aber bezahlt" und doch ziemlich cool über den Planeten quokkern, werde ich eine alterswilde Kolumne schreiben. Bis dahin: Paßt auf euch auf, ich brauch´ schließlich LeserInnen. Um es mit Frank Sinatra zu sagen: "You make me feel so young".

 

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

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Schmauchspuren #28

Sind Krimihelden, wenn sie serienweise auftreten, von vornherein verdächtig? Dürfen wir nur den grübelnden Einzelgängern aus dem Noir-Genre glauben? Oder gerade denen nicht? Peter Hiess ermittelt.

Martin Compart - G-Man Jerry Cotton


Lübbe 2010

Der deutsche Krimi-Boom ist keineswegs etwas Neues. Seit 1954 schreiben gute deutsche Autoren gelungene Kriminalromane - unter einem Namen: Jerry Cotton. Die Serie überzeugt durch Rekordzahlen (mehr als 850 Millionen verkaufte Exemplare usw.) und erlebt gerade durch einen Kinofilm unsäglicher deutscher "Comedians" eine Renaissance. Aber immerhin - der Streifen ist Grund genug für das wundervolle Buch aus der Tastatur des Genre-Experten Martin Compart: G-Man Jerry Cotton. Eine Hommage an den erfolgreichsten Krimihelden der Welt. Compart beleuchtet darin Cottons Erfinder und Autoren, die Protagonisten und Gadgets, die klassischen Filme mit George Nader, die deutsche Unterhaltungskultur samt Kritikern und vieles mehr. Und der Heftroman "Süße Bienen, blaue Bohnen" liegt als limitierte Sammlerausgabe auch noch bei. Wenn Sie das verpassen, könnte demnächst das FBI vor Ihrer Tür stehen ...

Seitenweise

Douglas Preston & Lincoln Child - Cult - Spiel der Toten

Droemer 2010

 

Lincoln Child - Nullpunkt

Wunderlich 2010

 

Der G-Man, der Sie dann betreuen wird, ist hoffentlich nicht so ein Typ wie Special Agent Pendergast, der exzentrische Serienheld des US-Autorenteams Douglas Preston und Lincoln Child, der die schwer geprüfte Leserschaft seit dem Erfolgsroman Relic - Museum der Angst begleitet. Die zwei können Thriller schreiben, das demonstrieren sie auch mit dem neuesten Werk Cult - Spiel der Toten wieder - aber Pendergast nervt mit seinem familiär vorbelasteten Southern-Gentleman-Genie-Schmäh gewaltig. Diesmal geht´s um Zombies, die in New York ihr Unwesen treiben, um eine uralte Sekte in einem vergessenen Winkel Manhattans, um geheimnisvolle Zeichen und Symbole; alles Dinge also, die ein guter Rätselkrimi braucht. Den Pendergast-Faktor haben die beiden diesmal ein wenig zurückgenommen, weil sie anscheinend selbst schon merken, daß auch das Bestseller-Publikum gereizt reagiert. Durchschnittlich gute Unterhaltung also, könnte aber besser sein.

So wie zum Beispiel in Lincoln Childs neuem Soloroman Nullpunkt, einem Science-Abenteuer-Thriller um eine Klimaforscher-Expedition, die in Alaska ein vorzeitliches Monster aus dem Eis befreit. Was sich dann abspielt, ist natürlich höchst vorhersehbar, aber trotzdem spannend bis zum Schluß. Und kälter als bei den skandinavischen Krimilangweilern.

Ono Mothwurf - Werbevoodoo


Wunderlich 2010

Viel wärmer und gemütlicher geht es im Lokalkrimi Werbevoodoo aus dem Gmeiner-Stall zu. Kein Wunder, ist der Protagonist des Autors mit dem unwahrscheinlichen Namen Ono Mothwurf doch ein Österreicher namens Thomas Wondrak, der als Kriminalhauptkommissar im bayrischen Fürstenfeldbruck arbeitet und eigenhändig für die höchste Mord-Aufklärungsquote Deutschlands sorgt. In seinem zweiten Fall geht es um eine Reihe mysteriöser Todesfälle in einer Starnberger Schicki-Werbeagentur - eine g´mahte Wiesen für den Autor, sozusagen, der selbst aus der Werbebranche stammt (und sie richtig gern hat). Das liest sich alles sehr freundlich, von der Vorliebe für guten Kaffee über die inspirierende Ermittlerkatze bis hin zum gut konstruierten Fall; leider geht Mothwurf gegen Schluß dann aber in in die Gutmenschenfalle, wo es heißen muß: Ach, was sind Zigeuner doch so liebenswert menschlich und mythisch und magisch! Und das verzeiht man ihm dann auch noch.

Time for Hardcase Crime

Roger Zelazny - The Dead Man’s Brother

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2009

 

Donald E. Westlake - Cutie

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2009

 

Über jeden Zweifel erhaben sind die Autoren der zwei nächsten Romane, die in der US-Pulp-Taschenbuchreihe Hard Case Crime erschienen sind. (Beachten Sie auch die deutschen Ausgaben bei Rotbuch!). Roger Zelazny (1937-1995) hat sich als Science-Fiction- und Fantasy-Autor einen guten Namen gemacht; als in seinem Nachlaß allerdings das Manuskript zu The Dead Man´s Brother entdeckt wurde, durfte man das dem Krimifreund nicht vorenthalten. Zu Recht: Die Sixties-Geschichte um den New Yorker Galeristen und ehemaligen Kunstdieb Ovid Wiley, der im Auftrag der CIA im Vatikan und bei südamerikanischen Revoluzzern ein paar verschwundenen Dollarmillionen hinterherermitteln muß, funktioniert perfekt und zeigt, daß Zelazny praktisch alles konnte.

Bei Donald Westlake (1933-2008; veröffentlichte auch unter den Pseudonymen Richard Stark und Tucker Coe legendäre Krimis) ist das sowieso klar - und der erstmals 1960 erschienene Roman The Cutie ist einfach nur die willkommene Ergänzung der hoffentlich vorhandenen Sammlung. Stichworte: Profikiller für den Mob sucht einen miesen Killer und die wahre Liebe. Purer Existentialismus in Noir-Verpackung.

James Sallis - Dunkle Schuld


Heyne Tb. 2009

Schließen wir’s literarisch ab: James Sallis, der nicht umsonst für Driver den Deutschen Krimipreis erhielt, ist ein wahrer Dichter. Und sein Roman Dunkle Schuld, um einen Ex-Cop und -Sträfling, der sich in den Südstaaten in die Aufklärung eines scheinbaren Ritualmords hineinziehen läßt, ein wahres Gedicht - ohne je prätentios zu sein. American Gothic im 21. Jahrhundert.

"Schmauchspuren"

... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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